Bundespatentgericht:
Beschluss vom 30. Juni 2004
Aktenzeichen: 29 W (pat) 126/03

(BPatG: Beschluss v. 30.06.2004, Az.: 29 W (pat) 126/03)

Tenor

1. Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 26. Juli 2002 wird aufgehoben.

2. Die Löschung der Marke 399 26 591 "Polymedion" für die Waren und Dienstleistungen "Datenverarbeitungsgeräte und Computer; Druckereierzeugnisse, Lehr- und Unterrichtsmittel, ausgenommen Apparate, insbesondere Benutzerhandbücher und technische Dokumentationen; Büroarbeiten; Telekommunikation, insbesondere Bereitstellen von Informationen im Internet sowie E-Mail-Datendienste; Erstellen von Programmen für die Datenverarbeitung" wird angeordnet.

Gründe

I.

Gegen die Eintragung der Wortmarke 399 26 591 POLYMEDION am 3. Januar 2000 für die Waren und Dienstleistungen Datenverarbeitungsgeräte und Computer; Druckereierzeugnisse, Lehr- und Unterrichtsmittel, ausgenommen Apparate, insbesondere Benutzerhandbücher und technische Dokumentationen; Werbung, Büroarbeiten; Telekommunikation, insbesondere Bereitstellen von Informationen im Internet sowie E-Mail-Datendienste; Erstellen von Programmen für die Datenverarbeitungwurde Widerspruch erhoben aus der Wortmarke 398 49 643 MEDION eingetragen am 17. Dezember 1998 für Waren und Dienstleistungen der Klassen 1, 7, 8, 9, 11, 16, 21, 28, 37, 38, 41 und 42, u.a. für Elektronische Datenverarbeitungsgeräte, Computer und Computer-Peripheriegeräte sowie deren Teile, soweit in Klasse 9 enthalten; Druckereierzeugnisse, insbesondere Bücher, Manuals, Zeitschriften, Lehr- und Unterrichtsmaterial betreffend die in Klasse 9 genannten Waren;

Verarbeitung und Weiterleitung von elektronisch übermittelten Daten, Betrieb von Netzwerken zur Übertragung von Daten, Bildern und Sprache, Offline- sowie Online-Multimediadienste, transportspezifische Fest- und Mobilfunkdienste sowie Telematikdienste; Mehrwertdienste bei der Benutzung der Netzwerke, im wesentlichen Datenbankdienste, nämlich Sammeln, Aufbereiten, Aktivieren, Speichern und Abrufen von Datennachrichten sowie entgeltliche Informationsdienste, Bestelldienste und Sprachdienste, nämlich Telefonieren, Sprachspeicherdienste, Anrufweiterleitung von Kurzmitteilungen, Auskunftsdienste, Konferenzschaltungen; Betrieb eines Callcenters, sämtliche vorgenannten Dienstleistungen, soweit in Klasse 38 enthalten;

Entwicklung, Erstellung und Wartung von Programmen für den Betrieb der in Klasse 38 genannten Netzwerke sowie der in Klasse 9 genannten Waren, technische Beratung bei der Projektierung von Geräten, Einrichtungen und Anlagen für Netzwerkdienste; technische Beratung bei der Projektierung, einschließlich Planung und Entwicklung der in Klasse 38 genannten Netzwerke.

Die Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Widerspruch mit Beschluss vom 26. Juli 2002 zurückgewiesen. Trotz Identität der beiderseitigen Waren und Dienstleistungen und einer zu Gunsten der Widersprechenden unterstellten erhöhten Kennzeichnungskraft halte die angegriffene Marke den erforderlichen Abstand ein. Als Einwortmarke werde sie in ihrer Gesamtheit nicht ausschließlich von dem Markenbestandteil "Medion" geprägt. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der Verkehr die beschreibende Bedeutung des Wortbestandteils "Poly" erkenne, bilde dieser mit "Medion" einen einheitlichen Gesamtbegriff. Für die Annahme einer mittelbaren Verwechslungsgefahr fehlten hinreichende Anhaltspunkte. Die weiteren Marken der Widersprechende seien zeitlich erst nach der angegriffenen Marke angemeldet worden. Da bei diesen Marken jeweils der Bestandteil "Medion" vorangestellt sei, wiesen sie außerdem in der Art der Zeichenbildung deutliche Unterschiede zur jüngeren Marke auf.

Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass die beiderseitigen Waren und Dienstleistungen in den Klassen 9, 16, 38 und 42 identisch seien. Eine hochgradige Ähnlichkeit bestehe außerdem zwischen den Dienstleistungen "Werbung, Büroarbeiten" der angegriffenen Marke und den von der Widerspruchsmarke erfassten Dienstleistungen "Betrieb eines Call-Centers; Online-Multimediadienste; Datenbankdienste; Sprachspeicherdienste, Anrufweiterleitung von Kurzmitteilungen, Auskunftsdienste, Konferenzschaltungen". Im Bereich der in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen komme der Widerspruchsmarke eine überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft zu. Sie werde im Geschäftsbereich PC-Multimedia seit vielen Jahren intensiv benutzt. Die Widersprechende sei bekannt für zeitlich begrenzte Verkaufsaktionen, zu denen es jeweils eine umfangreiche Berichterstattung in der Presse gebe. Die darauf beruhende Bekanntheit sei durch den Börsengang der Widersprechenden im Jahr 1999 noch gesteigert worden. Auf ihrer Website biete die Widersprechende unter der Widerspruchsmarke PC- und Multimediaprodukte, Unterhaltungselektronik und Telekommunikationsdienstleistungen an. Pro Monat seien durchschnittlich 3 Mio. Zugriffe auf die Website zu verzeichnen. Im Call-Center der Widersprechenden gingen täglich über 5.000 Anrufe ein. Der einzige Unterschied zwischen den Vergleichszeichen bestehe in dem Präfix "Poly" der weiten Teilen des Verkehrs in der Bedeutung von "viel-, mehrfach" bekannt sei.

Zum Nachweis der erhöhten Kennzeichnungskraft und der beschreibenden Verwendung des Begriffs "Poly" im Bereich der in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen hat die Widersprechende umfangreiches Material vorgelegt. Sie hat den Widerspruch zurückgenommen, soweit er sich gegen die Dienstleistung "Werbung" richtet.

Die Widersprechende beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und Löschung der angegriffenen Marke im beantragen Umfang anzuordnen.

Der Markeninhaber hat sich in der Sache nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

II.

Die zulässige Beschwerde hat nach der Beschränkung des Widerspruchs in vollem Umfang Erfolg. Die angegriffene Marke ist für die Waren und Dienstleistungen "Datenverarbeitungsgeräte und Computer; Druckereierzeugnisse, Lehr- und Unterrichtsmittel, ausgenommen Apparate, insbesondere Benutzerhandbücher und technische Dokumentationen; Büroarbeiten; Telekommunikation, insbesondere Bereitstellen von Informationen im Internet sowie E-Mail-Datendienste; Erstellen von Programmen für die Datenverarbeitung" zu löschen, weil insoweit für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht (§ 42 Abs 2 Nr 1 iVm § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG).

1. Die Frage der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen den Beurteilungsfaktoren der Waren- und Dienstleistungsidentität oder -ähnlichkeit, der Markenidentität oder -ähnlichkeit und der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st Rspr; vgl BGH WRP 2003, 521, 524 - Abschlussstück mwN). Nach diesen Grundsätzen muss im vorliegenden Fall die Verwechslungsgefahr bejaht werden.

2. Hinsichtlich der Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen ist festzustellen, dass "Datenverarbeitungsgeräte und Computer; Druckereierzeugnisse, Lehr- und Unterrichtsmittel, ausgenommen Apparate, insbesondere Benutzerhandbücher und technische Dokumentationen; Telekommunikation, insbesondere Bereitstellen von Informationen im Internet sowie E-Mail-Datendienste; Erstellen von Programmen für die Datenverarbeitung" einerseits und andererseits "elektronische Datenverarbeitungsgeräte, Computer und Computer-Peripheriegeräte sowie deren Teile, soweit in Klasse 9 enthalten; Druckereierzeugnisse, insbesondere Bücher, Manuals, Zeitschriften, Lehr- und Unterrichtsmaterial betreffend die in Klasse 9 genannten Waren; Verarbeitung und Weiterleitung von elektronisch übermittelten Daten, Betrieb von Netzwerken zur Übertragung von Daten, Bildern und Sprache; Entwicklung, Erstellung und Wartung von Programmen für den Betrieb der in Klasse 38 genannten Netzwerke sowie der in Klasse 9 genannten Waren" identisch sind. Zwischen der Dienstleistung "Büroarbeiten" der angegriffenen Marke und der von der Widerspruchsmarke erfassten "Mehrwertdienste bei der Benutzung der Netzwerke, im wesentlichen Datenbankdienste, nämlich Sammeln, Aufbereiten, Aktivieren, Speichern und Abrufen von Datennachrichten sowie entgeltliche Informationsdienste, Bestelldienste und Sprachdienste, nämlich Telefonieren, Sprachspeicherdienste, Anrufweiterleitung von Kurzmitteilungen, Auskunftsdienste, Konferenzschaltungen; Betrieb eines Callcenters, sämtliche vorgenannten Dienstleistungen, soweit in Klasse 38 enthalten" besteht eine erhebliche Ähnlichkeit. Beide dienen der Abwicklung der in einem Geschäftsbetrieb anfallenden Verwaltungs- und Sekretariatstätigkeiten und weisen in ihrem Nutzen für den Empfänger daher enge Berührungspunkte auf (vgl BGH GRUR 2002, 544, 546 - Wintergarten).

3. Für die normative Beurteilung der Verwechslungsgefahr geht der Senat von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke aus, die von der tatsächlichen durchaus abweichen kann. Für den Nachweis einer gesteigerten Kennzeichnungskraft als Rechtsfrage reichen die von der Widersprechenden vorgelegten Unterlagen nicht aus. Grundlage für die Beurteilung der Kennzeichnungskraft in diesem Verfahren durch den Senat sind alle wesentlichen Umstände, insbesondere die Eigenschaften, die die Marke von Haus aus besitzt, die vorzulegenden Zahlen zum Marktanteil der mit der Marke versehenen Waren und Dienstleistungen, zur Intensität, zur geografischen Ausdehnung und zur Dauer der Benutzung (st Rspr; vgl BGH 2002, 1067, 1069 - DKV/OKV). Diese Umstände ergeben sich aus den von der Widersprechenden vorgelegten Unterlagen jedoch nur unvollständig. Soweit sich die Presseberichte auf die Firma der Widersprechenden beziehen, lassen sich den dort genannten Geschäftszahlen und der geschilderten Unternehmensstrategie keinerlei Einzelheiten der Benutzung der Marke für die hier maßgeblichen Waren und die Dienstleistungen entnehmen. Dies gilt auch für die Zeitungsartikel und Werbeanzeigen zu Produkten der Widersprechenden, die nicht mit der Widerspruchsmarke gekennzeichnet sind. Soweit sich aus den Unterlagen eine Benutzung für die Waren "Computer und Datenverarbeitungsgeräte" ergibt, reicht auch dies zur Annahme einer gesteigerten Kennzeichnungskraft nicht aus, weil auch insoweit nähere Angaben, wie z.B. Umsatzzahlen und Werbeaufwand fehlen.

4. Die Markenähnlichkeit ist nach Schriftbild, Klang und Sinngehalt zu beurteilen, wobei es für die Annahme einer Verwechslungsgefahr in der Regel genügt, wenn die Zeichen in einer Hinsicht ähnlich sind. Auszugehen ist dabei vom jeweiligen Gesamteindruck der Vergleichszeichen (st Rspr; vgl BGH WRP 2003, 1044, 1046 - Kelly). Die klanglichen, schriftbildlichen und begrifflichen Unterschiede im Eindruck der sich hier gegenüberstehenden Zeichen sind trotz der Übereinstimmung im Bestandteil "medion" offensichtlich.

5. Nach Auffassung des Senats besteht allerdings eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne. Ist eine Marke zugleich Unternehmenskennzeichen, so kann eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne in Betracht kommen, wenn der Verkehr die Unterschiede zwischen den Zeichen erkennt, wegen ihrer teilweisen Übereinstimmung aber von wirtschaftlichen oder organisatorischen Zusammenhängen zwischen den Markeninhabern ausgeht (vgl BGH GRUR 2004, 598, 599 - Kleiner Feigling). Dies ist hier der Fall. Die Widerspruchsmarke ist zugleich Unternehmenskennzeichen der Widersprechenden. Damit gibt sie zu erkennen, dass das Stammzeichen für sie umfassenden Hinweischarakter haben soll. Der Bestandteil "Poly" der angegriffenen Marke ist ein gängiger Präfix, der dem angesprochenen Publikum insbesondere im Zusammenhang mit polyphonen Klingeltönen und Rufmelodien für Festnetz- und Mobiltelefone geläufig ist. Der Verkehr erkennt in der angegriffenen Marke daher den mit dem Unternehmenskennzeichen der Widersprechenden identischen Wortbestandteil und wird in dem vorangestellten Bestandteil "Poly" lediglich einen Hinweis auf ein weiteres Produkt oder eine Produktserie der Widersprechenden sehen (vgl BPatG Mitt. 2001, 79, 80 - Del Monte).

6. Für eine Kostenauferlegung bestand keine Veranlassung (§ 71 Abs. 1 MarkenG).

Grabrucker Baumgärtner Fink Cl






BPatG:
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Az: 29 W (pat) 126/03


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