Bundespatentgericht:
Beschluss vom 16. November 2000
Aktenzeichen: 25 W (pat) 45/00

(BPatG: Beschluss v. 16.11.2000, Az.: 25 W (pat) 45/00)

Tenor

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe I.

Die Bezeichnung ANAZIDE ist unter der Nummer 396 08 163 als Marke für "pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse und Substanzen sowie Präparate für die Gesundheitspflege" in das Markenregister eingetragen worden. Nach der Veröffentlichung der Eintragung am 10. Oktober 1996 ist Widerspruch erhoben worden von der Inhaberin der älteren, seit dem 3. September 1991 für "Arzneimittel, nämlich Herz-Kreislaufmittel" eingetragenen Marke 1 180 693 ACCUZIDE.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat in zwei Beschlüssen, von denen einer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, die Verwechslungsgefahr zwischen den Marken verneint und den Widerspruch zurückgewiesen.

Die Erstprüferin hat dazu ausgeführt, daß ausgehend von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und der möglichen Begegnung der Marken auf identischen oder sehr ähnlichen Waren an den Markenabstand strenge Anforderungen zu stellen seien, die aber erfüllt seien. Der gemeinsame Zeichenbestandteil "-ZIDE" sei kennzeichnungsschwach, weshalb dieser Übereinstimmung keine besondere Bedeutung beigemessen werde. Die Unterschiede in den ohnehin stärker beachteten Anfangsbestandteilen stellten sowohl in klanglicher als auch in schriftbildlicher Hinsicht einen ausreichenden Abstand her, zumal der Anfangsbestandteil "Accu" der Widerspruchsmarke verwechslungsmindernd einen sofort erkennbaren Bedeutungsgehalt aufweise.

Diese Entscheidung hat die Erinnerungsprüferin bestätigt. Die Marken könnten sich zwar auf identischen Waren begegnen und bei der Widerspruchsmarke sei von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft auszugehen. Aber auch wenn ausgehend von diesen Faktoren ein deutlicher Markenabstand zu fordern sei, sei dieser eingehalten. Klanglich verfügten die Vergleichsbezeichnungen zwar bei gleicher Silbenzahl über einen ähnlichen Sprech- und Betonungsrhythmus. Sie unterschieden sich aber im ohnehin stärker beachteten Wortanfang und hätten eine abweichende Vokalfolge. Auch in schriftbildlicher Hinsicht bestehe keine Verwechslungsgefahr.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, die sinngemäß beantragt, die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben und die angegriffene Marke im Register zu löschen.

Bei der Widerspruchsmarke handele es sich um eine gut benutzte Marke mit hohem Bekanntheitsgrad und einer gesteigerten Kennzeichnungskraft. Bei hohen Umsatzzahlen (1995 ca 50 Mio, 1997 56,9 Mio und 1998 65,9 Mio) sei die Marke den beteiligten Fachkreisen bereits 1995 zu fast 100 % bekannt gewesen. Die Marken könnten für identische Waren eingesetzt werden. Es bliebe selbst bei einer Beschränkung des Warenverzeichnisses der angegriffenen Marke der Tatbestand bestehen, daß diese für Mittel gegen anazide Gastritis rein beschreibend und für andere Waren irreführend sei, so daß sie schon wegen absoluter Versagungsgründe gelöscht werden müsse, wenn sie nicht wegen bestehender Verwechslungsgefahr gelöscht werde. Die Vergleichsmarken seien phonetisch hochgradig verwechselbar. Abgesehen von einer Abweichung in Bezug auf zwei Buchstaben, seien die Marken identisch. Bei gleicher Silbenzahl, gleichem Sprech- und Betonungsrhythmus, gleicher Endsilbe "ZIDE" sowie einer Übereinstimmung in fünf von sieben Lauten, wiesen die Marken auch noch eine überaus ähnliche Vokalfolge auf. Angesichts der vielfältigen Deutungsmöglichkeiten bei dem Endbestandteil "ZIDE" könne nicht angenommen werden, daß es sich um einen kennzeichnungsschwachen Bestandteil handelt. Auch in schriftbildlicher Hinsicht bestehe eine Verwechslungsgefahr, insbesondere bei handschriftlicher Wiedergabe der Markenwörter, wobei die klein geschriebenen Buchstaben "-ccu-" und "-na-" hier oft gleich aussähen.

Die Inhaberin der jüngeren Marke beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke werde bestritten. Die vorgelegten Umsatzzahlen machten zwar deutlich, daß sie regelmäßig und durchaus umfangreich benutzt worden sei. Die Umsatzzahlen seien aber im Vergleich zu anderen ACE-Hemmern nicht ungewöhnlich hoch. Von Marktführerschaft bzw großer Bekanntheit und damit gesteigerter Kennzeichnungskraft könne keine Rede sein. Selbst bei starker Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke bestünde keine Verwechslungsgefahr zwischen den Marken. Die von der Widersprechenden aufgeworfenen Fragen der Schutzfähigkeit der angegriffenen Marke seien nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens. Der gemeinsame Zeichenbestandteil "ZIDE" sei kennzeichnungsschwach, zumal diese Endung auch in zahlreichen, dem Verkehr bekannten Fremdwörtern und Fachbegriffen verwendet werde und deshalb als eine im Pharmabereich übliche und häufig benutzte Endung bewertet werde. Aufgrund der Unterschiede in den Anfangsbestandteilen unterschieden sich die Vergleichsbezeichnungen in klanglicher und schriftbildlicher Hinsicht ausreichend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschlüsse der Markenstelle sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt, § 66 Abs 1 Satz 1, Abs 2 MarkenG.

In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg. Der nach § 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG erhobene Widerspruch ist von der Markenstelle zu Recht gemäß § 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG zurückgewiesen worden. Es besteht auch nach Auffassung des Senats keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG.

Da Benutzungsfragen im vorliegenden Verfahren keine Rolle spielen, ist bei den Waren von der Registerlage auszugehen. Danach können die Marken sich auf gleichen Waren begegnen, da die im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke aufgeführten Waren jedenfalls vom weiten Warenbegriff "pharmazeutische Erzeugnisse" im Warenverzeichnis der angegriffenen Marke umfaßt werden.

Verwechslungsfördernd kommt hinzu, daß es sich dabei um Waren handeln kann, die von den allgemeinen Verkehrskreisen im Wege der Selbstmedikation und nicht selten auch ohne fachkundige Beratung erworben werden. Auch im Bereich der Herz- und Kreislaufmittel gibt es rezeptfreie Präparate, die zum Teil - wie etwa die zahlreichen pflanzlichen Präparate (vgl zB die meisten Präparate in der Hauptgruppe 53 der Roten Liste 2000) - von Patienten nicht selten zur Herzstärkung direkt in der Apotheke erworben werden. Andererseits ist auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher abzustellen (vgl EuGH WRP 1999, 806, 809 Tz 26 - Lloyd/Loint's; BGH MarkenR 2000, 140, 144 ATTACHÉ/TISSERAND), der zudem erfahrungsgemäß gerade bei Waren, die den Gesundheitssektor betreffen, eine gesteigerte Aufmerksamkeit aufzubringen pflegt (vgl dazu BGH GRUR 1995, 50, 53 - Indorektal/Indohexal).

Bei seiner Entscheidung geht der Senat von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und damit einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus. Der mit dem Bestandteil "ZIDE" der Widerspruchsmarke möglicherweise beabsichtigte Hinweis auf den Wirkstoff "Hydrochlorothiazid" ist jedenfalls ausreichend phantasievoll verfremdet, so daß keine ursprüngliche Kennzeichnungsschwäche der Gesamtbezeichnung angenommen werden kann. Andererseits kann auch nicht von einer gesteigerten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ausgegangen werden. Hier müßten sämtliche tatsächlichen Umstände, aus denen sich eine erhöhte Verkehrsbekanntheit ergibt, liquide sein (vgl BPatG GRUR 1997, 840, 842 reSp 2. Absatz "Lindora/Linola"). Dies ist nicht der Fall. Zunächst kann allein aus den genannten jährlichen Umsatzzahlen zwischen 50 und 65,9 Mio DM in den Jahren 1995 bis 1998 ein solcher Schluß nicht gezogen werden. Umsatzzahlen für sich genommen stellen nämlich regelmäßig keine ausreichende Grundlage für eine Beurteilung der Kennzeichnungskraft einer Marke dar. Vorliegend kommt hinzu, daß in diesem Warenbereich Präparate mit wesentlich höherem Umsatz auf dem Markt sind, wie sich aus den von der Widersprechenden selbst vorgelegten Unterlagen und auch aus dem unwidersprochenen Sachvortrag der Inhaberin der angegriffenen Marke ergibt. Insbesondere Angaben zum Bekanntheitsgrad in konkreten Prozentzahlen - bezogen auf die angesprochenen Verkehrsbeteiligten und konkreten Produkte - geben Aufschluß zur maßgeblichen Verkehrsgeltung. Auch Angaben zu Werbeaufwendungen und Art der Werbung erlauben unter Umständen eher Rückschlüsse auf die Kennzeichnungskraft einer Marke als die bloßen Umsatzzahlen (vgl hierzu Althammer/Ströbele MarkenG, 6. Aufl, § 9 Rdn 136 mit weitergehenden Rechtsprechungsnachweisen). In diesem Sinne ausreichend aufschlußreiche Tatsachen hat die Widersprechende nicht vorgetragen. Soweit sie bei der Beurteilung der Kennzeichnungskraft allein auf Fachleute wie Ärzte und Apotheker abstellt, wird dies der Warenlage nach dem Registerstand nicht gerecht, da sich die Marken insoweit auch auf rezeptfreien Waren begegnen können und dann die allgemeinen Verkehrskreise einzubeziehen sind. Sofern im übrigen verwechslungsfördernd auf eine stärkere Bekanntheit der Marke im Kreis der Fachleute abgestellt würde, müßte andererseits verwechslungsmindernd deren größere Sorgfalt und besseres Differenzierungsvermögen berücksichtigt werden. Schließlich ist eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auch nicht gerichtsbekannt. Im Hinblick auf die Benutzung mit doch ganz erheblichen Umsatzzahlen kann der Widerspruchsmarke gleichwohl ein gewisser Bonus eingeräumt werden, der ihr innerhalb der Bandbreite normaler Kennzeichnungskraft eine gute Position verschafft und der sie von nur eingetragenen und darüber hinaus unbenutzten Marken abhebt.

Die Ähnlichkeit der Vergleichsmarken ist nach Auffassung des Senats in keiner Richtung derart ausgeprägt, daß unter Berücksichtigung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und der Warenlage die Gefahr von Verwechslungen im Sinne des § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG zu bejahen wäre. Auch wenn angesichts der möglichen Warenidentität und der uneingeschränkten Berücksichtigung breiter Verkehrskreise strenge Anforderungen an den Markenabstand gestellt werden, wird die jüngere Marke diesen Anforderungen gegenüber der Widerspruchsmarke gerecht.

In klanglicher Hinsicht stimmen die Vergleichsbezeichnungen zwar bei gleicher Silbenzahl und ähnlichem Sprechrhythmus im Anfangslaut "A" und in dem Schlußbestandteil "ZIDE" überein. Demgegenüber unterscheiden sie sich aber nach Auffassung des Senats in den Wortanfangsbestandteilen "ANA" und "ACCU" sowohl durch die konsonantischen Laute "N" gegenüber "CC" (klanglich wie "K") als auch durch die an dritter Lautstelle gegenüberstehenden Vokale "A" und "U" markant, was um so mehr ins Gewicht fällt, weil der Verkehr Wortanfänge erfahrungsgemäß stärker zu beachten pflegt als nachfolgende Wortteile (so ständige Rechtsprechung, vgl zB BGH GRUR 1995, 50 ff, 53 - Indorektal/Indohexal). Dies gilt erst recht, wenn es sich - wie hier bei dem weiteren übereinstimmenden Markenbestandteil "ZIDE" - um ein von verschiedenen Herstellern verwendetes und recht beliebtes Markenelement handelt. Die aufgezeigten Unterschiede führen nach Auffassung des Senats zu einem ausreichend abweichenden klanglichen Gesamteindruck der Markenwörter. Soweit die Widersprechende bei ihrer Argumentation auf ein zahlenmäßiges Übergewicht an übereinstimmenden Lauten abstellt, wird dies der markenrechtlichen Beurteilung nicht gerecht. Denn es kommt auf den Gesamteindruck an, den die Marken hervorrufen, wobei insbesondere die sie unterscheidenden und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (vgl EuGH GRUR 1998, 387, 390, Tz 23. "Springende Raubkatze" bzw "Sabel/Puma"). Gerade in den dominierenden Anfangsbestandteilen unterscheiden sich die Markenwörter aber markant.

Auch im schriftbildlichen Markenvergleich unterscheiden sich die Markenwörter nach Auffassung des Senats in allen verkehrsüblichen Wiedergabeformen aufgrund der in ihrer Umrißcharakteristik deutlich unterschiedlichen Buchstaben in den Bestandteilen "ANA" gegenüber "ACCU" bzw "Ana" gegenüber "Accu" noch hinreichend deutlich. Soweit die Widersprechende insbesondere auf eine Annäherung der Markenwörter bei einer handschriftlichen Wiedergabe abstellt, ist zu berücksichtigen, daß diese Art der Markenwiedergabe bei pharmazeutischen Kennzeichnungen eine immer geringere Rolle spielt. Diese Tendenz wird sich in Zukunft vermutlich noch verstärken. Arzneimittelbestellungen werden von den Apotheken beim Pharmagroßhandel in der Regel bereits auf elektronischem Wege von Computer zu Computer über das Fernmeldenetz aufgegeben. Im Hinblick darauf, daß inzwischen die meisten Arztpraxen und Apotheken über eine EDV-Ausstattung verfügen, werden Rezepte und Bestellungen ganz überwiegend nicht mehr handschriftlich, sondern maschinenschriftlich erstellt, so daß die Marken in erster Linie insoweit zu vergleichen sind. Soweit bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr gleichwohl noch eine handschriftliche Wiedergabe zu berücksichtigen ist, muß der Beurteilung eine normal leserliche Handschrift zugrunde gelegt werden (vgl Althammer/Ströbele MarkenG, 5. Aufl, § 9 Rdn 91). Unleserliche Angaben auf Rezepten führen nicht zu Verwechslungen, sondern regelmäßig nur zu Rückfragen des Apothekers beim Arzt.

Soweit die Widersprechende die Schutzunfähigkeit der angegriffenen Marke wegen absoluter Schutzhindernisse behauptet, kann dies keine Berücksichtigung finden. Eine vom Deutschen Patent- und Markenamt vorgenommene Markeneintragung kann nur in einem Löschungsverfahren beseitigt werden. Im Widerspruchsverfahren sind das Deutsche Patent- und Markenamt selbst und auch die nachfolgenden Rechtsmittelgerichte an die Eintragung der Marke gebunden (vgl Althammer/Ströbele MarkenG, 6. Aufl, § 9 Rdn 159 und § 41 Rdn 4 mit weitergehenden Rechtsprechungsnachweisen).

Nach alledem konnte die Beschwerde der Widersprechenden keinen Erfolg haben.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß, § 71 Abs 1 MarkenG.

Kliems Brandt Knoll Pü






BPatG:
Beschluss v. 16.11.2000
Az: 25 W (pat) 45/00


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