Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. September 2011
Aktenzeichen: 10 Ni 6/09

(BPatG: Beschluss v. 22.09.2011, Az.: 10 Ni 6/09)

Tenor

1.

Die Erinnerung der Beklagten gegen den Beschluss der Rechtspflegerin vom 29. April 2011 wird zurückgewiesen.

2.

Die Beklagte trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens.

Gründe

I.

Mit Urteil vom 22. April 2010 hat der Senat das deutsche Patent 199 59 955 (im Folgenden: Streitpatent) für nichtig erklärt und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Der Streitwert für das Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht ist auf 3.000.000,--€ festgesetzt worden. Ein das Streitpatent betreffendes Verletzungsverfahren war während des Nichtigkeitsverfahrens anhängig.

Die Klägerin hat die Kostenfestsetzung beantragt. Dabei hat sie u. a. für den neben dem Patentanwalt im Nichtigkeitsverfahren mitwirkenden Rechtsanwalt eine 1,3 Verfahrensgebühr in Höhe von 13.644,80 € und eine 1,2 Terminsgebühr in Höhe von 12.595,20 €, die Telekommunikationspauschale in Höhe von 20,--€ sowie die Erstattung von Reisekosten in Höhe von 440,69 € beansprucht, die anlässlich der mündlichen Verhandlung entstanden waren. Insgesamt belaufen sich Kosten, die die Klägerin für die Mitwirkung des Rechtsanwalts am Nichtigkeitsverfahren geltend macht, auf 26.700,69 €.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29. April 2011, der der Beklagten am 10. Mai 2011 zugegangen ist, hat die Rechtspflegerin des Bundespatentgerichts die der Klägerin von der Beklagten zu erstattenden Kosten -einschließlich der oben genannten Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts -auf insgesamt 73.475,65 € festgesetzt. Zur Frage, ob die Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts auf eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung der Klägerin beruhen, enthält der Beschluss keine Begründung.

Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss richtet sich die Erinnerung der Beklagten und zwar insoweit, als die Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts in Höhe der 26.700,69 € als erstattungsfähig angesehen worden sind. Zur Begründung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor, eine Erstattung der Kosten für einen am Nichtigkeitsverfahren teilnehmenden Rechtsanwalt sei nicht angezeigt und darüber hinaus auch unvereinbar mit der Rechtsprechung des Bundespatentgerichts. Während die Beklagte zu dieser Frage umfangreich vorgetragen habe, gehe der angefochtene Beschluss auf diese überhaupt nicht ein. Die Beklagte macht deshalb auch die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß), den angefochtenen Beschluss insoweit aufzuheben, als mit ihm die Kosten eines mitwirkenden Rechtsanwalts in Höhe von 26.700,69 € mit angesetzt worden sind, und die der Klägerin zu erstattenden Kosten nur in Höhe von 46.774,96 € festzusetzen.

Die Klägerin beantragt, die Erinnerung zurückzuweisen.

Sie hält die Erinnerung für unbegründet. Zur Notwendigkeit und Gebotenheit der Teilnahme eines Rechtsanwalts am vorliegenden Nichtigkeitsverfahren habe sie selbst ausführlich vorgetragen. Daher sei bei der Beklagten eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht gegeben. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass der angefochtene Beschluss der Rechtspflegerin von der Rechtsprechung des Bundespatentgerichts abweiche.

Die Rechtspflegerin hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

II.

Die Erinnerung, die auf einen Teil des Kostenfestsetzungsbeschlusses -nämlich auf die Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts -beschränkt ist, ist gemäß § 23 Abs. 2 RPflG i. V. m. § 104 Abs. 3 ZPO, § 84 Abs. 2 PatG zulässig. Die Erinnerung ist aber unbegründet, da die in Ansatz gebrachten Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren.

1. Rechtsgrundlage für die Erstattungsfähigkeit von Kosten eines mitwirkenden Rechtsanwalts im Patentnichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht ist die Regelung des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die durch die Verweisungsnorm des § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG für anwendbar erklärt wird.

a.) Aus dem Umstand, dass für eine analoge Anwendung des § 143 Abs. 3 PatG im Patentnichtigkeitsverfahren kein Raum ist, folgt nicht, dass die Erstattungsfähigkeit von Doppelvertretungskosten grundsätzlich ausgeschlossen oder auf besonders gelagerte Ausnahmefälle zu beschränken wäre (vgl. BPatGE 50, 85, 88 -"Doppelvertretung im Patentnichtigkeitsverfahren"; BPatGE 51, 62, 64 -"Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts"; BPatGE 51, 67, 69 -"Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsverfahren I"; vgl. für das Gebrauchsmusterrecht ebenso: BPatGE 51, 81, 84 -"Medizinisches Instrument").

b.) Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Insoweit kommt es darauf an, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Zudem ist bei der Prüfung der Notwendigkeit einer bestimmten Rechtsverfolgungsoder Rechtsverteidigungsmaßnahme für geeignete Fallkonstellationen eine typisierende Betrachtungsweise geboten. Denn der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer übermäßig differenzierenden Betrachtung im Einzelfall zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den sich einstellenden Nachteilen, wenn in nahezu jedem Einzelfall -wie hier -mit Fug darüber gestritten werden könnte, ob die Kosten einer bestimmten Rechtsverfolgungsoder Rechtsverteidigungsmaßnahme zu erstatten sind oder nicht (vgl. zu Fällen der Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts bzw. Unterbevollmächtigten z. B. BGH NJW-RR 2008, 1378; GRUR 2005, 1072 -Auswärtiger Rechtsanwalt V; GRUR 2005, 271 -"Unterbevollmächtigter III"; NJW 2003, 901 -"Auswärtiger Rechtsanwalt I").

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der hier erkennende 10. Senat des Bundespatentgerichts bereits mit einer Entscheidung vom 31. März 2010 (BPatGE 51, 225, 231 -"Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsverfahren III" = BlPMZ 2010, 371 ff.) entschieden, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts bei der Einleitung eines Patentnichtigkeitsverfahrens bzw. bei der Verteidigung im Patentnichtigkeitsverfahren typischerweise jedenfalls dann notwendig ist, wenn -so wie hier -zeitgleich mit dem Nichtigkeitsverfahren ein das Streitpatent betreffendes Verletzungsverfahren anhängig ist.

Das Patentnichtigkeitsverfahren hat entscheidende Bedeutung für den Ausgang eines korrespondierenden oder auch erst noch beabsichtigten Verletzungsprozesses. In diesen Fällen ist regelmäßig das Vorgehen in beiden Verfahren aufeinander abzustimmen, beispielsweise im Hinblick auf die Beurteilung der Tragweite einer beschränkten Verteidigung im Nichtigkeitsverfahren. Unabhängig von einer möglichen Nichtigerklärung oder Beschränkung des Patents kann selbst im Fall der Abweisung der Nichtigkeitsklage eine vom Nichtigkeitssenat in den Entscheidungsgründen vorgenommene Auslegung des Patentanspruchs von wesentlichem Einfluss für die vom Verletzungsgericht vorzunehmende Ermittlung des Schutzbereichs des Streitpatents und damit für die Verletzungsfrage sein (vgl. BGH GRUR 1988, 757, 760 f. -Düngerstreuer). In solchen Fällen eines parallelen Verletzungsund Nichtigkeitsverfahrens geht es somit weniger um die Frage, ob ein Patentanwalt kraft seiner Ausbildung zur alleinigen Führung eines Nichtigkeitsverfahrens imstande ist. Es geht hier vielmehr um die enge Verzahnung von Verletzungsund Nichtigkeitsverfahren, wegen der es für eine effektive Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung stets sachdienlich erscheint, dass der Rechtsanwalt, der die Partei im Verletzungsverfahren vertritt, auch zu der Vertretung im Nichtigkeitsverfahren hinzugezogen wird. Dies gilt auch im Hinblick auf eine erschöpfende gütliche Beilegung der zwischen den Parteien bestehenden Rechtsstreitigkeiten, auf die das Gericht in jeder Lage des Verfahrens hinwirken soll (§ 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 278 Abs. 1 ZPO). Auch insofern ist eine enge Abstimmung zwischen beiden Verfahren und damit eine Beteiligung von Patentanwalt und Rechtsanwalt erforderlich und sinnvoll.

c.) Eine solche Beurteilung hinsichtlich der Notwendigkeit der Kosten führt zwar, da oft neben dem Nichtigkeitsverfahren ein das Streitpatent betreffendes Verletzungsverfahren anhängig ist, dazu, dass in den meisten Fällen die Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts zu erstatten sein werden. Dies ist aber als Folge der typisierenden Betrachtungsweise hinzunehmen, zumal allein die Häufigkeit einer Rechtsverfolgungsoder Rechtsverteidigungsmaßnahme nicht deren Notwendigkeit in Frage zu stellen vermag. Es erscheint jedenfalls nicht sachgerecht, in jedem einzelnen Fall einer Parallelität von Verletzungsund Nichtigkeitsverfahren zu prüfen, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Nichtigkeitsverfahren notwendig gewesen ist.

d.) Die Beklagte irrt zudem insoweit, als sie meint, eine Erstattung der Kosten für einen am Nichtigkeitsverfahren teilnehmenden Rechtsanwalt sei nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundespatentgerichts. Der erkennende Senat ist mit der vorstehend dargestellten Rechtsauffassung dem 1. Senat des Bundespatentgerichts gefolgt, der mit den Entscheidungen "Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsverfahren I und II" vom 21. November 2008 bzw. 22. Dezember 2008 ebenfalls überzeugende Argumente gefunden hat (vgl. BPatGE 51, 67 ff. und 51, 72 ff.). Auch der 5. Senat und der 3. Senat des Bundespatentgerichts haben sich der Auffassung, dass die Hinzuziehung eines mitwirkenden Rechtsanwalts zum Patentnichtigkeitsverfahrens bei gleichzeitigem Verletzungsverfahren typischerweise notwendig ist, mittlerweile angeschlossen (vgl. BPatGE 52, 154, 157 -"Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsverfahren IV" und BPatGE 52, 159, 163 -"Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsverfahren V"). Der 4. Senat des Bundespatentgerichts vertritt wohl eine differenzierte Sicht, die eine typisierende Betrachtungsweise nicht in jedem Falle zulasse, wobei auch er anerkennt, dass der Umstand eines parallel geführten Verletzungsverfahren oftmals für die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines beim Nichtigkeitsverfahren mitwirkenden Rechtsanwalts sprechen könne (vgl. BPatGE 51, 76, 79 -"Doppelvertretung im Nichtigkeitsverfahren"; BPatGE 52, 146, 149 -"Mitwirkender Rechtsanwalt II"). Die hier vertretene Rechtsauffassung entspricht daher innerhalb der Rechtsprechung des Bundespatentgerichts der überwiegenden Meinung., während die Gegenmeinung, nämlich dass die Notwendigkeit der Kosten eines mitwirkenden Rechtsanwalts in jedem Einzelfall schlüssig darzulegen sei, -soweit ersichtlich -nur noch vom 2. Senat des Bundespatentgerichts in voller Strenge vertreten wird (vgl. BPatGE 50, 85, 87 -"Doppelvertretung im Patentnichtigkeitsverfahren").

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 97 Abs. 1 ZPO, wonach der Erinnerungsführerin die Kosten des Erinnerungsverfahrens aufzuerlegen sind. Der Wert des Erinnerungsverfahrens entspricht der Höhe des Betrages, den die Beklagte als zu Unrecht angesetzt angegriffen hat.

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BPatG:
Beschluss v. 22.09.2011
Az: 10 Ni 6/09


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