Bundespatentgericht:
Beschluss vom 23. September 2010
Aktenzeichen: 21 W (pat) 27/08

(BPatG: Beschluss v. 23.09.2010, Az.: 21 W (pat) 27/08)

Tenor

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der Patentabteilung 35 des Deutschen Patentund Markenamts vom 22. Januar 2008 aufgehoben und das Patent DE 198 59 135 widerrufen.

Gründe

I Auf die am 21. Dezember 1998 beim Deutschen Patentund Markenamt eingegangene Patentanmeldung wurde das Patent 198 59 135 mit der Bezeichnung "Vorrichtung zum Eintreiben eines Drahtstifts, insbesondere eines Kirschnerdrahts, in Knochenmaterial" erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 13. Juli 2006.

Der erteilte Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

Vorrichtung (1) zum Eintreiben eines langgestreckten Drahtstifts, insbesondere eines Kirschnerdrahts (2), in ein Knochenmaterial, mit einer Vortriebsvorrichtung, die an dem Drahtstift angreift, der in die Vorrichtung (1) vom vorderen freien Vorrichtungsende her durch eine in der Vorrichtung ausgebildete Führungshülse (5) hindurch eingeschoben ist, in der der Drahtsstift längsverschiebbar aufgenommen und geführt ist, wobei die Vortriebsvorrichtung von einem Anschlagstöße erzeugenden Hammerteil (9) angetrieben ist, das seinerseits periodisch angetrieben ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Vortriebsvorrichtung an dem Drahtstift klemmittelfrei angreift, indem die Vortriebsvorrichtung als elastische Stoßwellen übertragendes Übertragungsstück (11) ausgebildet ist, an das der Drahtstift mit seinem freien Stirnende durch Längsverschiebung des Drahtstiftes in der Führungshülse stumpf ansetzbar ist und von dem die Anschlagstöße des Hammerteils (9) in Form von periodischen Stoßimpulsen durch die freie Stirnfläche des Drahtstifts hindurch in diesen einleitbar sind, so dass sich die Stoßimpulse in dem Drahtstift jeweils in Form einer Kompressionswelle unter periodisch fortschreitendem Eintreiben des aus dem vorderen freien Vorrichtungsende herausragenden Drahtstiftes in das Knochenmaterial fortpflanzen.

Nach Prüfung des für zulässig erachteten Einspruchs hat die Patentabteilung 35 des Deutschen Patentund Markenamtes das Patent mit Beschluss vom 22. Januar 2008 in vollem Umfang aufrechterhalten.

Eine Beschwerdebegründung hat die Einsprechende nicht eingereicht.

Die Einsprechende beantragt, den Beschluss der Patentabteilung 35 des Deutschen Patentund Markenamtes vom 22. Januar 2008 aufzuheben und das Patent 198 59 135 in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die zulässige Beschwerde ist begründet, da der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht patentfähig ist. Er ist nicht mehr neu gegenüber dem Stand der Technik nach Druckschrift E9. Die Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren. Mit der Ladung zu der von beiden Beteiligten hilfsweise beantragten mündlichen Verhandlung hat der Senat in einem Ladungszusatz mitgeteilt, dass nach vorläufiger Auffassung des Berichterstatters der Gegenstand des Patentanspruchs 1 durch die Druckschrift E9 (SU 128109) neuheitsschädlich vorweg genommen wird.

Daraufhin hat die Patentinhaberin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen.

Die seitens des Senats von Amts wegen vorzunehmende Überprüfung des Einspruchsvorbringens hat ergeben, dass der Einspruch in zulässiger Weise erhoben worden ist. Denn der u. a. auf mangelnde Patentfähigkeit des Streitpatentgegenstandes gestützte Einspruch ist innerhalb der gesetzlichen Einspruchsfrist im Sinne des § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG ausreichend substantiiert worden.

Das Streitpatent befasst sich mit einer Vorrichtung zum Eintreiben eines langgestreckten Drahtstifts in ein Knochenmaterial mit einem Anschlagstöße erzeugenden Hammerteil.

Nach Merkmalen gegliedert lautet der Patentanspruch 1 folgendermaßen, wobei zur besseren Übersicht die Merkmale gemäß den Bauteilen der Vorrichtung neu gruppiert wurden und in den Merkmalsgruppen M8, M10, M11 und M12 die "Vortriebsvorrichtung" gemäß Merkmalsgruppe M4 durch "Übertragungsstück" ersetzt wurde:

M1 Vorrichtung (1) zum Eintreiben eines langgestreckten Drahtstifts, insbesondere eines Kirschnerdrahts (2), in ein Knochenmaterial, M2 mit einem Drahtstift, M3 mit einer in der Vorrichtung ausgebildeten Führungshülse (5) M4 mit einer Vortriebsvorrichtung, die als elastische Stoßwellen übertragendes Übertragungsstück (11) ausgebildet ist und M5 die an dem Drahtstift angreift, M6 wobei der Drahtstift in die Vorrichtung (1) vom vorderen freien Vorrichtungsende her durch die Führungshülse (5) hindurch eingeschoben ist, M7 wobei der Drahtstift längsverschiebbar in der Führungshülse aufgenommen und geführt ist, M8 wobei das Übertragungsstück von einem Anschlagstöße erzeugenden Hammerteil (9) angetrieben ist, M9 wobei das Hammerteil periodisch angetrieben ist, M10 wobei das Übertragungsstück an dem Drahtstift klemmittelfrei angreift, M11 wobei der Drahtstift an das Übertragungsstück mit seinem freien Stirnende durch Längsverschiebung des Drahtstiftes in der Führungshülse stumpf ansetzbar ist und M12 wobei von dem Übertragungsstück die Anschlagstöße des Hammerteils (9) in Form von periodischen Stoßimpulsen durch die freie Stirnfläche des Drahtstifts hindurch in diesen einleitbar sind, M13 so dass sich die Stoßimpulse in dem Drahtstift jeweils in Form einer Kompressionswelle unter periodisch fortschreitendem Eintreiben des aus dem vorderen freien Vorrichtungsende herausragenden Drahtstiftes in das Knochenmaterial fortpflanzen.

Als zuständigen Fachmann sieht der Senat einen Dipl.-Ing. der Fachrichtung Medizintechnik, der Erfahrungen in der Entwicklung entsprechender Nagelwerkzeuge hat.

Dieser Fachmann entnimmt der Druckschrift E9 (siehe insbesondere die Fig. 1 und 2 mit englischer Übersetzung) als bekannt:

M1= eine Vorrichtung zum Eintreiben eines langgestreckten Drahtstifts in ein Knochenmaterial, M2= mit einem Drahtstift (siehe Seite 1, Absatz 1 der Übersetzung "needles, nails"), M3= mit einer in der Vorrichtung ausgebildeten Führungshülse 7 (anvil, siehe die Aussparung im Amboss 7 in Fig. 2 für den Drahtstift), M4= mit einer Vortriebsvorrichtung, die als elastische Stoßwellen übertragendes Übertragungsstück 7 (anvil) ausgebildet ist (Führungshülse und Übertragungsstück sind hier einstückig als Amboss 7 ausgebildet, wie es gemäß dem Streitpatent ausdrücklich ebenfalls möglich ist (siehe Absatz [0014])) und M5= die an dem Drahtstift angreift, M6= wobei der Drahtstift in die Vorrichtung vom vorderen freien Vorrichtungsende her durch die Führungshülse hindurch eingeschoben ist (siehe Aussparung in Fig. 2), M7= wobei der Drahtsstift längsverschiebbar in der Führungshülse aufgenommen und geführt ist, M8= wobei das Übertragungsstück von einem Anschlagstöße erzeugenden Hammerteil 5 (armature) angetrieben ist, M9= wobei das Hammerteil periodisch angetrieben ist (siehe Seite 2, letzter Absatz der Übersetzung "2-20 Hz"), M11= wobei der Drahtstift an das Übertragungsstück mit seinem freien Stirnende durch Längsverschiebung des Drahtstiftes in der Führungshülsestumpf ansetzbar ist und M12= wobei von dem Übertragungsstück die Anschlagstöße des Hammerteilsin Form von periodischen Stoßimpulsen durch die freie Stirnfläche des Drahtstifts hindurch in diesen einleitbar sind.

Für den Fachmann ist es selbstverständlich, dass der Drahtstift in die Aussparung im Amboss 7 eingeführt wird, bis seine Stirnseite den Boden der Aussparung berührt, um so die Schläge vom Hammerteil 5 über den Amboss 7 auf den Drahtstift übertragen zu können. Somit wird mit dem identischen konstruktiven Aufbau des Nagelwerkzeugs gemäß der Druckschrift E9 wie beim Nagelwerkzeug nach dem Streitpatent zwangsläufig ebenfalls die mit Merkmalsgruppe M13 beanspruchte Funktion erfüllt, nämlich dass sich die Stoßimpulse in dem Drahtstift jeweils in Form einer Kompressionswelle unter periodisch fortschreitendem Eintreiben des aus dem vorderen freien Vorrichtungsende herausragenden Drahtstiftes in das Knochenmaterial fortpflanzen.

Diese Funktion entspricht auch dem mit Merkmalsgruppe M10 beanspruchten klemmmittelfreien Angreifen des Übertragungsstücks an dem Drahtstift, da die Anschlagstöße in Übereinstimmung mit dem Streitpatent durch die freie Stirnfläche des Drahtstiftes hindurch in diesen einleitbar sind (siehe M12). Die in der Fig. 2 der Entgegenhaltung E9 gezeigte Halteschraube im Amboss 7 dient lediglich dem Halten des Drahtstiftes in dem Amboss, aber nicht der Übertragung der Anschlagstöße des Hammerteils auf den Drahtstift, so wie der Fachmann dieses Merkmal M10 gemäß dem Streitpatent versteht. Siehe dazu auch Absatz [0004] der Streitpatentschrift, wonach bei anderen herkömmlichen Nagelwerkzeugen die Anschlagstöße über eine Klemmvorrichtung übertragen werden, welches aufwendige Klemmund Greifvorrichtungen mit hohem baulichem Aufwand und erhöhtem Energieverbrauch erfordert. Die vom Streitpatent vorgeschlagene "klemmfreie" Lösung über die Einleitung der Anschlagstöße in die Stirnfläche des Drahtstifts ist aber aus der Druckschrift E9 ebenfalls bekannt.

Die Merkmale des Gegenstands gemäß dem Anspruch 1 sind somit alle aus der Druckschrift E9 bekannt.

Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben und das Patent zu widerrufen, was durch das Fehlen der Vollmacht gemäß § 25 Abs. 1 PatG auf Seiten des Patentinhabers nicht gehindert wird (vgl. Schulte, PatG, 8. Aufl. 2008, § 25 Rn. 44).

Dr. Winterfeldt Baumgärtner Dr. Morawek Dr. Müller Ko






BPatG:
Beschluss v. 23.09.2010
Az: 21 W (pat) 27/08


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