Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. Juni 2007
Aktenzeichen: 21 W (pat) 59/04

(BPatG: Beschluss v. 14.06.2007, Az.: 21 W (pat) 59/04)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I Auf die am 18. November 1999 beim Patentamt eingereichte Patentanmeldung ist das nachgesuchte Patent 199 55 578 mit der Bezeichnung "Mehrkammerbehälter, mit Glucosekonzentratkompartiment und Salzsäurekonzentratkompartiment" erteilt worden. Die Veröffentlichung der Erteilung ist am 6. September 2001 erfolgt.

Die Patentabteilung 43 hat das Patent nach Prüfung des für zulässig erachteten Einspruchs mit Beschluss vom 7. Juli 2004 in vollem Umfang aufrechterhalten. Zur Begründung ist in der Entscheidung ausgeführt, dass das Streitpatent dem Fachmann eine hinreichend klare Lehre zum technischen Handeln vermittle. Der beanspruchte Gegenstand sei neu und beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns.

Im Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren ist seitens der Einsprechenden zum Stand der Technik auf die Entgegenhaltungen D1: O 93/09820 A1 D2: DE 44 10 876 A1 D3: WO 93/24108 A1 D4: DE 39 17 251 C1 D5: EP 0 278 100 A2 D6: US 4 202 760 D7: "Gambrosol Bio 10", Produktinformation der Fa. GAMBRO, Rev. 1999-05 D8: EP 0 086 553 A1 D8-B1: EP 0 086 553 B1 D9: "Replacement Of Renal Function By Dialysis - A textbook of dialysis", edited by J. F. Maher, 3rd edition, 1989 D10: "Blutreinigungsverfahren - Technik und Klinik", herausgegeben von H. E. Franz und W. H. Hörl, 5. neubearbeitete und erweiterte Auflage, 1997 D11: RÖMPP Kompakt - Basislexikon Chemie, 1998, Seiten 887, 888, 2304 und 2305 D12a: Arzneimittelrechtliche Zulassung der Infusionslösung "Gambrosol Bio 10" der GAMBRO Lundia AB in Schweden vom 4. Juni 1999 D12b: Englische Übersetzung des Dokuments D12a D12c: Arzneimittelrechtliche Zulassung der Infusionslösung "Gambrosol Bio 40" der GAMBRO Lundia AB in Schweden vom 4. Juni 1999 D12d: Englische Übersetzung des Dokuments D12c D12e: Postoch Inrikes Tidningar, Nr. 128, Stockholm, 15. Juni 1999 D12f: Englische Übersetzung der Seiten 1 und 4 des Dokuments D12e D13: US 5 200 200 D14: US 4 608 043 D15: DE 44 47 626 C2 D16: EP 1 033 124 A1 D17: PSCHYREMBEL, Medizinisches Wörterbuch, Sonderausgabe, 257. Auflage (1994), Seiten 322, 323, 582, 583, 1170, 1172, 1180 und 1181 und D18: J. T. Daugirdas, T. S. Ing: "Handbook of Dialysis", Sec. Ed. 1994, Seite 410 verwiesen worden. Die Einsprechende hat in der mündlichen Verhandlung außerdem noch die Druckschrift D19: WO 81/03180 A1 in das Verfahren eingeführt.

Gegen den vorgenannten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden. Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass das Streitpatent die beanspruchte Lehre nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Der Streitpatentgegenstand sei darüber hinaus nicht neu und beruhe auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns.

Die Einsprechende beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie macht geltend, dass die offenbarte technische Lehre für den Fachmann ausführbar sei. Das Dokument D7/D12 sei kein vorveröffentlichter Stand der Technik und könne die Neuheit des Streitpatentgegenstandes ohnehin nicht in Frage stellen. Auch der übrige, im Verfahren befindliche Stand der Technik stehe dem Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 nicht patenthindernd entgegen.

Der mit Gliederungspunkten versehene, erteilte Patentanspruch 1 lautet:

Ma Behälter zur Bereitstellung eines medizinischen Konzentrates, insbesondere für die Nierendialyse, Mb bestehend aus mindestens zwei Kompartimenten, Mb1 wobei das erste Kompartiment mit einem ersten im wesentlichen glucosehaltigen Teilkonzentrat gefüllt ist, dessen Glucosegehalt über 10 % (100 g/l) liegt, Mb2 und das zweite Kompartiment ein zweites Teilkonzentrat mit den Elektrolyten Calcium, Magnesium und Kalium in saurer Lösung enthält, Mc und lösbare Trennmittel zwischen den Kompartimenten, dadurch gekennzeichnet, Md dass das elektrolythaltige Konzentrat freie Salzsäure enthält.

Hinsichtlich der erteilten Unteransprüche 2 bis 11 sowie hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die zulässige Beschwerde der Einsprechenden ist nicht begründet. Denn nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung erweist sich der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 als patentfähig.

1) Die seitens des Sentas von Amts wegen vorzunehmende Überprüfung des Einspruchsvorbringens hat ergeben, dass der Einspruch zulässigerweise erhoben worden ist. Denn der auf mangelnde Patentfähigkeit des Streitpatentgegenstandes sowie auf mangelnde Offenbarung gestützte Einspruch ist innerhalb der gesetzlichen Frist im Sinne des § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG ausreichend substantiiert worden. Die Zulässigkeit des Einspruchs ist von der Patentinhaberin im Übrigen nicht bestritten worden.

2) Die erteilten Patentansprüche 1 bis 11 entsprechen wörtlich den ursprünglich eingereichten Patentansprüchen 1 bis 11 und sind deshalb zulässig.

3) Nach den Angaben in der Streitpatentschrift betrifft das angegriffene Patent einen Mehrkammerbehälter mit mindestens zwei Kompartimenten zur Aufbewahrung von Dialysekonzentraten, von denen ein Kompartiment ein erstes Teilkonzentrat aus im Wesentlichen Glucose enthält und das andere Kompartiment ein zweites Teilkonzentrat aus den Elektrolyten und Salzsäure enthält. Die Dialyseflüssigkeit, die durch Verdünnung von Konzentraten und Vermischen mit weiteren Substanzen hergestellt wird, dient dabei zur Aufnahme von toxischen Substanzen bei nierenkranken Menschen (Streitpatentschrift Seite 1, Zeilen 3 bis 7). Wie in der Streitpatentschrift weiter ausgeführt ist, sind im Stand der Technik mehrere Mehrkammerbehälter bekannt, die verschiedene Lösungen in den Kompartimenten beinhalten. Diese Lösungen sollten zwar gemischt verabreicht werden, jedoch seien die Lösungen lagerinkompatibel. Daher seien die einzelnen Kompartimente dieser Mehrkammerbehälter bis kurz vor der Applikation der Lösungen getrennt. Zwischen den Kompartimenten sei eine Flüssigkeitsverbindung vorgesehen, die direkt vor der Anwendung geöffnet würde, damit die Flüssigkeiten gemischt werden könnten (Streitpatentschrift Seite 1, Zeilen 8 bis 12).

Diese Lösungen würden stets ein Puffersystem beinhalten, das mit einer Säure in den physiologischen Bereich gebracht würde, sowie eine Elektrolytlösung. Da der Puffer des Blutes Bicarbonat sei, werde heute meist auch dieser Puffer für Dialyselösungen gewählt. Als Säure sei Essigsäure weit verbreitet, da diese im Citratcyclus abgebaut werden könne. Um eine Veränderung der lebensnotwendigen Elektrolytkonzentrationen im Körper des Patienten zu vermeiden, seien den Lösungen Calcium-, Magnesium- und Kaliumionen meist in Form ihrer Chloride zugesetzt, sowie eine im Vergleich dazu relativ hohe Konzentration an Kochsalz. Als Osmotikum, um den Druck zu erzeugen, der den Stoffaustausch bewirke oder zumindest beschleunige, werde meist Glucose verwendet (Streitpatentschrift Seite 1, Zeilen 19 bis 25).

Im Laufe der ärztlichen Praxis habe sich herausgestellt, dass Essigsäure und andere im Citratcyclus abbaubare Säuren klinische Nebenwirkungen zeigen, beispielsweise eine Acidose hervorrufen können. Aus diesem Grunde gehe man dazu über, eine acetatfreie Dialyse zu fordern. Eine physiologisch verträgliche Säure, die man früher in der Dialyse eingesetzt habe, sei Salzsäure. Die Salzsäure - als starke Säure - sei mit dem Einzug des Bicarbonats als Puffersystem verdrängt worden, da bei einer Mischung leicht Kohlendioxid entstehe. Des Weiteren habe Salzsäure den Nachteil, nicht hitzesterilisierbar zu sein, da HCl als Gas sich leicht verflüchtige und stark korridierend wirke (Streitpatentschrift Seite 1, Zeilen 50 bis 55).

Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde, ein Dialysekonzentrat bereitzustellen, das eine acetatfreie Dialyse erlaubt (Streitpatentschrift Seite 1, Zeile 56).

4) Der hier zuständige Fachmann ist ein mit der Entwicklung medizinischer Konzentrate befasster, berufserfahrener Pharmazeut, der bei Bedarf - was die Ausgestaltung des Behälters für diese Konzentrate anbelangt - einen einschlägig vorgebildeten Medizintechniker zu Rate ziehen wird.

5) Dem Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 stehen Schutzhindernisse nicht entgegen, denn dieser Gegenstand ist in der Streitpatentschrift so deutlich und vollständig offenbart, dass der vorstehend definierte Fachmann ihn ausführen kann. Der - zweifelsohne gewerblich anwendbare - Streitpatentgegenstand ist darüber hinaus gegenüber dem nachgewiesenen Stand der Technik neu und beruht diesem gegenüber auf auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.

a) Die Einsprechende hat in ihrem Schriftsatz vom 18. April 2007 (Seite 10, vorletzter Absatz und Seite 11, 2. Absatz) unter anderem bemängelt, das Streitpatent gebe dem Fachmann keine Information, mit welcher zusätzlichen Komponente der pH-Wert der im ersten Kompartiment des beanspruchten Behälters befindlichen Glucoselösung einzustellen sei. Dem Fachmann werde darüber hinaus keine Lehre vermittelt, die es ihm ermögliche, eine fertige Dialyselösung herzustellen.

Beide Einwände greifen nach Überzeugung des Senats nicht. Denn das Merkmal Mb1 des erteilten Patentanspruchs 1 lässt offen, welchen pH-Wert die dort angesprochene Glucoselösung haben soll. Ferner ist der erteilte Patentanspruch 1, vgl. das Merkmal Ma, auf einen Behälter zur Bereitstellung eines medizinischen Konzentrats und nur fakultativ darauf gerichtet, dass dies ein Konzentrat für die Nierendialyse sein soll. Insofern bedarf es weitergehender Angaben, wie gegebenenfalls eine fertige Dialyselösung herzustellen sei, im Streitpatent jedenfalls nicht.

b) Der Streitpatentgegenstand ist neu, da sich keiner der im Verfahren befindlichen Druckschriften ein Behälter mit sämtlichen, im erteilten Patentanspruch 1 aufgeführten Merkmalen als bekannt entnehmen lässt.

) Die Patentinhaberin hat schriftsätzlich wiederholt geltend gemacht, das Konvolut D7/D12 sei kein vorveröffentlichter Stand der Technik. Es kann jedoch dahinstehen, ob durch die Schriftstücke D12a bis D12f die Vorveröffentlichung der Produktinformation D7 belegt ist oder nicht, da diese Publikation weder die Neuheit, noch die erfinderische Tätigkeit des Streitpatentgegenstandes in Frage zu stellen vermag. Das Konvolut D7/D12 lehrt (vgl. beispielsweise D12b, Seite 3 und 4, "Glucose chambers A and B", "Electrolyte chamber C") - im Gegensatz zu den Merkmalen Mb2 und Md des erteilten Patentanspruchs 1 - dass freie Salzsäure zwar in den beiden Glucosekammern A und B, nicht jedoch in der Elektrolytkammer C vorhanden sein soll. Des Weiteren enthält diese Kammer zwar Calcium und Magnesium, nicht jedoch Kalium.

Es mag der Einsprechenden durchaus zugestanden sein (vgl. den Schriftsatz vom 18. April 2007, Seite 3, letzter Absatz bis Seite 4, drittletzter Absatz), dass dem Fachmann die Verwendung von Kalium als Bestandteil von Dialyselösungen schon seit langem bekannt ist und er von daher bei aufmerksamer Durchsicht des Dokuments D7/D12 diese Substanz als möglichen weiteren Bestandteil des Elektrolyten in der Kammer C in Gedanken gleich mitliest. Einen Hinweis dahingehend, dem Elektrolyten in der Kammer C auch noch freie Salzsäure zuzufügen, wie dies insoweit gemäß Merkmal Md des erteilten Patentanspruchs 1 vorgesehen ist, vermag das Dokument D7/D12 dem Fachmann nach Überzeugung des Senats jedoch nicht zu liefern.

) Entgegen der Auffassung der Einsprechenden nimmt auch die D1 den Streitpatentgegenstand nicht neuheitsschädlich vorweg. Denn das Elektrolytkompartiment (package A) des in der D1 (vgl. die Figur 1, das Abstract und die Ansprüche 1 und 11) beschriebenen Behälters zur Bereitstellung eines medizinischen Konzentrats enthält zwar Calcium und Magnesium, nicht jedoch Kalium. Des Weiteren ist gemäß D1 auch nicht davon die Rede, dass sich freie Salzsäure im Kompartiment A befinden soll. Aus der Tatsache, dass der pH-Wert der in diesem Kompartiment befindlichen Lösung zwischen 6 (schwach sauer) und 8.5 (schwach alkalisch) liegt, kann nach Überzeugung des Senats jedenfalls nicht geschlossen werden, dass der Lösung hierfür eine Säure - geschweige denn freie Salzsäure - zugeführt werden müsste.

c) Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns.

Die Einsprechende hat in der mündlichen Verhandlung den Standpunkt vertreten, der Streitpatentgegenstand würde dem Fachmann - ausgehend von der D1 oder der D7/D12 - durch die D6 oder die D19 nahegelegt. Dieser Auffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

) Denn die Entgegenhaltung D6 (vgl. insbesondere die Figur 2 und die Beschreibung Spalte 5, Zeile 13 bis Spalte 6, Zeile 25) lehrt zwar, ein Dialysekonzentrat mit sämtlichen, gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 vorgesehenen Inhaltsstoffen bereitzustellen, jedoch befinden sich diese Substanzen von Anfang an allesamt in einem einzigen Behälter (dialysate concentrate tank 48), während es beim Streitpatentgegenstand, wie eingangs dargelegt, entscheidend darauf ankommt, die beiden Hauptbestandteile des Dialysats, nämlich das Glucosekonzentrat und den sauren Elektrolyten, im Hinblick auf deren längerfristige Lagerung in getrennten Behältern unterzubringen und erst unmittelbar vor der Applikation zu einer fertigen Dialyselösung zu mischen. Schon aus diesem Grunde vermag die D6 dem Fachmann keinerlei Anregung dahingehend zu vermitteln, dem Elektrolyten des aus der D1 oder der D7/D12 bekannten Dialysekonzentrats Kalium sowie freie Salzsäure zuzuführen.

) Einen diesbezüglichen Hinweis vermag der Fachmann auch der D19 (vgl. insbesondere die Figur 1 und die Beschreibung Seite 10, Zeile 16 bis Seite 11, Zeile 14) nicht zu entnehmen. Zwar sind bei diesem Stand der Technik zwei Kompartimente (carbonate source 10, acid source 11) vorgesehen, deren Inhaltsstoffe erst kurz vor der Verabreichung zur fertigen Dialyselösung gemischt werden. Jedoch befinden sich in der Kammer (11) wiederum alle Inhaltsstoffe, die gemäß der Lehre des erteilten Patentanspruchs 1 erst im fertigen Konzentrat gemeinsam enthalten sein sollen. Die andere Kammer (11) beinhaltet weitere Substanzen, die beim Streitpatent jedoch keine Rolle spielen. Insofern vermag auch die D19 dem Fachmann die patentierte Lehre nicht nahezulegen.

d) Die verbleibenden, eingangs genannten Druckschriften haben in der mündlichen Verhandlung keine Rolle gespielt. Sie gehen im Übrigen - wie der Senat im Einzelnen überprüft hat - über den Offenbarungsgehalt der vorstehend abgehandelten Entgegenhaltungen D1, D7/D12, D6 und D19 nicht hinaus.

6) Der erteilte Patentanspruch 1 hat nach alledem Bestand. Die erteilten Patentansprüche 2 bis 11 betreffen vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausgestaltungen des Behälters nach Patentanspruch 1. Sie werden daher von dessen Patentfähigkeit mitgetragen.

Dr. Winterfeldt Engels Dr. Häußler Bernhart Pü






BPatG:
Beschluss v. 14.06.2007
Az: 21 W (pat) 59/04


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