Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 10. Oktober 2006
Aktenzeichen: 4b O 500/05

(LG Düsseldorf: Urteil v. 10.10.2006, Az.: 4b O 500/05)

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, zu unterlassen,

a) Klemmvorrichtungen zum Verbinden von einem ersten und einem zweiten verlängerten Element durch Festklemmen, wobei die Klemmvorrichtung besteht aus einer Welle, einem ersten, auf der Welle montierten Klemmteil, wobei der erste Klemmteil ein erstes und zweites Klemmteilstück aufweist, zwischen denen das erste verlängerte Element gleitend aufgenommen und durch Festklemmen in Eingriff gebracht werden kann, einer in der Welle befindlichen Öffnung, um das zweite verlängerte Element gleitend aufzunehmen, einem getrennten zweiten Klemmteil, der auf der Welle montiert ist und entlang dieser verschiebbar ist, um das zweite verlängerte Element zwischen dem ersten Klemmteil und dem zweiten Klemmteil festzuklemmen,

b) in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

c) bei denen ein Nockenverschlussmechanismus, der betriebsbereit mit der Welle verbunden ist, zwischen dem zweiten Klemm­teil und dem ersten Klemmteilstück des ersten Klemmteils eine Druckkraft ausübt, wodurch ein Klemmeingriff des ersten und zweiten verlängerten Elements bewirkt wird, und bei denen die Öffnung anliegend an das zweite Teilstück des ersten Klemmteils angeordnet ist, so dass das zweite verlängerte Element zwischen dem zweiten Teilstück des ersten Klemmteils und dem zweiten Teil festgeklemmt ist;

2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang er (der Beklagte) die unter 1. bezeichneten Handlungen seit dem 25.10.2002 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Herstellungsmengen und -zeiten,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen, den Typenbezeichnungen und Artikelnummern sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, den Typenbezeichnungen und Artikelnummern sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Ver­brei­tungsgebiet,

e) der Gestehungskosten unter Angabe der einzelnen Kostenfaktoren und des erzielten Gewinns, der nicht durch den Abzug von Fixkosten und variablen Gemeinkosten gemindert ist, es sei denn, diese können den unter 1. bezeichneten Gegenständen unmittelbar zugeordnet werden,

wobei dem Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern der Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist;

3. die in seinem (des Beklagten) unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, vorstehend unter 1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten des Beklagten herauszugeben;

4. an die Klägerin 3.116,02 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 06.12.2005 zu zahlen.

II. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin - über den unter I. 4. bereits zuerkannten Betrag hinaus - sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten, seit dem 25.10.2002 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 250.000,00 € vorläufig vollstreckbar.

V. Der Streitwert wird auf 250.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung u.a. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 972 491, das eine Unionspriorität vom 09.06.1998 in Anspruch nimmt und dessen Erteilung am 25.09.2002 veröffentlicht worden ist. Der im vorliegenden Rechtsstreit allein interessierende Patentanspruch 1 hat in deutscher Übersetzung folgenden Wortlaut:

"Klemmvorrichtung (10) zum Verbinden von einem ersten (17) und einem zweiten (15) verlängerten Element durch Festklemmen, wobei die Klemmvorrichtung (10) aus Folgendem besteht: Einer Welle (19), einem ersten, auf der Welle (19) montierten Klemmteil (21), wobei der erste Klemmteil ein erstes und zweites Klemmteilstück (31, 32) aufweist, zwischen denen das erste verlängerte Element (17) gleitend aufgenommen und durch Festklemmen in Eingriff gebracht werden kann, einer in der Welle befindlichen Öffnung (73), um das zweite verlängerte Element (15) gleitend aufzunehmen, einem getrennten zweiten Klemmteil (22), der auf der Welle (19) montiert ist und entlang dieser verschiebbar ist, um das zweite verlängerte Element (15) zwischen dem ersten Klemmteil (21) und dem zweiten Klemmteil (22) festzuklemmen,

d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t,

dass ein Nockenverschlussmechanismus (23), der betriebsbereit mit der Welle (19) verbunden ist, zwischen dem zweiten Klemmteil (22) und dem ersten Klemmteilstück (31) des ersten Klemmteils (21) eine Druckkraft ausübt, wodurch ein Klemmeingriff des ersten und zweiten verlängerten Elements (17, 15) bewirkt wird, und dass die Öffnung (73) anliegend an das zweite Teilstück (32) des ersten Klemmteils (21) angeordnet ist, so dass das zweite verlängerte Element (15) zwischen dem zweiten Teilstück (32) des ersten Klemmteils (21) und dem zweiten Teil (22) festgeklemmt ist."

Die nachfolgenden Abbildungen (Figuren 2, 5 und 7 der Klagepatentschrift) verdeutlichen den Gegenstand der Erfindung anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels.

Der Beklagte stellt her und vertreibt "Extenter-Schnellspann-Klemmen", deren nähere Ausgestaltung sich aus den nachstehend eingeblendeten (den Anlagen K 3 und K 6 entnommenen) Abbildungen erschließt. Die Klägerin sieht durch die vorbezeichneten Spann-Klemmen das Klagepatent wortsinngemäß verletzt. Nach einer - erfolglos gebliebenen - Abmahnung nimmt sie den Beklagten deshalb im Klagewege auf Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung, Schadenersatz sowie Zahlung der hälftigen Patent- und Rechtsanwaltskosten für das außergerichtliche Abmahnschreiben in Anspruch. Soweit die Klägerin ursprünglich Entschädigung und korrespondierende Rechnungslegung begehrt hat, hat sie ihre Klage mit Schriftsatz vom 31.08.2006 zurückgenommen.

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bemängelt das Klagevorbringen als unsubstantiiert und beruft sich im Übrigen auf ein privates Vorbenutzungsrecht gemäß § 12 PatG. Zu dessen Begründung macht er geltend, die aus der nachfolgenden Abbildung (Anlage B 1) ersichtliche Endoskop-Schlauchaufhängung vor dem Prioritätstag an die Firma Saxomed in Hermannsdorf geliefert zu haben.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.

Mit der Herstellung und dem Vertrieb der angegriffenen "Extenter-Schnellspann-Klemmen" verletzt der Beklagte das Klagepatent widerrechtlich. Er ist der Klägerin deshalb im zuerkannten Umfang zur Unterlassung, zur Rechnungslegung, zur Vernichtung und zum Schadenersatz verpflichtet.

I.

Das Klagepatent betrifft eine Klemmvorrichtung insbesondere für Wundspreizer, die benötigt werden, um bei chirurgischen Eingriffen Zugang zu inneren Organen oder dergleichen zu erhalten.

In seinem Patentanspruch 1 stellt das Klagepatent insofern die Kombination folgender Merkmale unter Schutz:

(1) Klemmvorrichtung (10) zum Verbinden von einem ersten (17) und einem zweiten (15) verlängerten Element durch Festklemmen.

(2) Die Klemmvorrichtung (10) besteht aus

(a) einer Welle (19),

(b) einem ersten Klemmteil (21), das auf der Welle (19) montiert ist,

(c) einem getrennten zweiten Klemmteil (22), das auf der Welle (19) montiert und entlang der Welle (19) verschiebbar ist, um das zweite verlängerte Element (15) zwischen dem ersten Klemmteil (21) und dem zweiten Klemmteil (22) festzuklemmen,

(d) einem Nockenverschlussmechanismus (23).

(3) Das erste Klemmteil (21) weist ein erstes und ein zweites Klemmteilstück (31, 32) auf.

(4) Zwischen dem ersten und dem zweiten Klemmteilstück (31, 32) kann das erste verlängerte Element (17) gleitend aufgenommen und durch Festklem­men in Eingriff gebracht werden.

(5) Die Welle (19) besitzt eine Öffnung (73), um das zweite verlängerte Element(15) gleitend aufzunehmen.

(6) Die Öffnung (73) ist anliegend an das zweite Teilstück (32) des ersten Klemmteils (21) angeordnet, so dass das zweite verlängerte Element (15) zwischen dem zweiten Teilstück (32) des ersten Klemmteils (21) und dem zweiten Klemmteil (22) festgeklemmt ist.

(7) Der Nockenverschlussmechanismus (23)

(a) ist betriebsbereit mit der Welle (19) verbunden,

(b) übt zwischen dem zweiten Klemmteil (22) und dem ersten Klemmteilstück (31) des ersten Klemmteils (21) eine Druckkraft aus, wodurch ein Klemmeingriff des ersten (17) und zweiten (15) verlängerten Elements bewirkt wird.

II.

1.

Die Schnell-Spann-Klemmen des Beklagten verwirklichen sämtliche Anspruchsmerkmale wortsinngemäß. Dies ergibt sich nicht nur unzweideutig aus den von der Klägerin überreichten Lichtbildern (Anlage K 6) und Prospektunterlagen (Anlage K 3), sondern gilt zwischen den Parteien sogar als unstreitig, nachdem der Beklagte das Klagevorbringen - zu Unrecht - lediglich als unsubstantiiert bemängelt, den Verletzungsvorwurf jedoch nicht streitig gestellt hat.

2.

Zur Rechtfertigung seiner Benutzungshandlungen kann sich der Beklagte nicht mit Erfolg auf ein Vorbenutzungsrecht berufen. Insofern kann zu seinen Gunsten unterstellt werden, dass die aus Anlage B 1 ersichtliche Vorrichtung vor dem Prioritätstag tatsächlich an die Firma Saxomed in Hermannsdorf geliefert worden ist. Sie besitzt nämlich keinen Nockenverschlussmechanismus im Sinne des Merkmals (7); vielmehr dient eine Flügelschraube als Bedienelement für die Klemmvorrichtung. Es mag - wie der Beklagte behauptet - sein, dass dem Durchschnittsfachmann ein Nockenverschluss als solcher nicht nur lange bekannt, sondern auch als Alternative zu einer Schraubbetätigung geläufig war. Diese Tatsache reicht jedoch unter den gegebenen Umständen nicht aus, um das Vorbenutzungsrecht auch auf die von der Erfindung beanspruchte - und vom Beklagten nicht vorbenutzte - Klemmvorrichtung mit einem Nockenverschlussmechanismus zu erstrecken. Nach der Rechtsprechung des BGH (GRUR 2002, 231 - Biegevorrichtung) sind dem Vorbenutzer Weiterentwicklungen über den Umfang seiner bisherigen Benutzung hinaus dann verwehrt, wenn sie in den Gegenstand der geschützten Erfindung eingreifen. Dies bedeutet: Wird erst durch die selbst nicht vorbenutzte Fortentwicklung ein konkretes Merkmal des Patentanspruchs verwirklicht, kommt ein Vorbenutzungsrecht nicht in Betracht, und zwar unabhängig davon, ob das betreffende Merkmal naheliegend oder sogar selbstverständlich war (Benkard/Rogge, Patentgesetz Gebrauchsmustergesetz, 10. Aufl., § 12 PatG Rn. 22 a.E.). Exakt so liegt der Sachverhalt hier. Der Nockenhebelmechanismus ist Gegenstand des kennzeichnenden Teils von Patentanspruch 1. Er mag - für sich betrachtet - eine naheliegende Alternative zu einer Flügelschraube sein, wie sie von dem Beklagten angeblich vorbenutzt worden ist. Dies ändert indessen nichts daran, dass die durch die Gesamtheit der Anspruchsmerkmale gekennzeichnete Konstruktion erstmals durch das Klagepatent zur Verfügung gestellt worden ist, und deshalb auch allein der Klägerin als Patentinhaberin die Benutzung dieser Lehre vorbehalten ist.

III.

Da der Beklagte die technische Lehre des Klagepatents widerrechtlich benutzt hat, ist er der Klägerin zur Unterlassung (Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG) und, da der Beklagte mindestens fahrlässig gehandelt hat, außerdem zum Schadenersatz verpflichtet (Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG). Die nicht in den gerichtlichen Kosten aufgehenden Anwaltsgebühren für die vorgerichtliche Abmahnung des Beklagten - deren Höhe mit 3.116,02 € unstreitig ist - sind Teil des ersatzfähigen Schadens. Da die genaue Schadenshöhe im Übrigen derzeit ungewiß ist, weil der genaue Umfang der Verletzungshandlungen des Beklagten nicht bekannt ist, hat die Klägerin ein rechtliches Interesse daran, dass die Schadenersatzhaftung des Beklagten zunächst dem Grunde nach festgestellt wird (§ 256 ZPO). Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, ihren Schadenersatzanspruch der Höhe nach zu beziffern, hat der Beklagte im zuerkannten Umfang Rechnung über seine Verletzungshandlungen zu legen (§ 140 b PatG, §§ 242, 259 BGB). Außerdem ist er zur Vernichtung der schutzrechtsverletzenden Gegenstände verpflichtet (§ 140 a PatG; BGH, GRUR 2003, 228, 229 ff. - P-Vermerk).

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2, 269 Abs. 3 ZPO.

Die Anordnung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709, 108 ZPO.






LG Düsseldorf:
Urteil v. 10.10.2006
Az: 4b O 500/05


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