Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 20. Februar 2001
Aktenzeichen: 4 O 42/00

(LG Düsseldorf: Urteil v. 20.02.2001, Az.: 4 O 42/00)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,-- DM vorläufig

vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch die unbedingte Bürgschaft einer in Deutschland ansässigen, als Zoll- oder Steuerbürgin zugelassenen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand

Der Kläger ist eingetragener Inhaber des am 20. Dezember 1995 angemeldeten deutschen Patents 195 47 677 (Klagepatent, Anlage 1), dessen Erteilung am 12. Dezember 1996 veröffentlicht wurde. Gegen das Klagepatent wurde von der Beklagten zu 1) Einspruch eingelegt. Mit Beschluß vom 23. Juli 1999 (Anlage 2) hat das Bundespatentgericht (Technischer Beschwerdesenat) das Klagepatent beschränkt aufrechterhalten. Gegen das Klagepatent wurde danach von dritter Seite Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht erhoben, über die derzeit noch nicht entschieden ist.

Das Klagepatent betrifft ein Kaminrohr für die Schornsteinsanierung. Der im vorliegenden Rechtsstreit vornehmlich interessierende Patentanspruch 1 hat in seiner geltenden Fassung folgenden Wortlaut:

„Kaminrohr für die Schornsteinsanierung aus mehreren Rohrabschnitten (1, 2), die jeweils ein konisch erweitertes Ende (3) und ein konisch verjüngtes Ende (4) mit gleichen Konuswinkeln von 0,5 bis 2 ° aufweisen, wobei beide Enden (3, 4) aufgeweitetet sind und über ihre Länge größere Durchmesser aufweisen als die Rohrabschnitte (1, 2), die durch Einstecken des verjängten Endes (4) in das erweiterte Ende (3) gas- und kondensatzdicht bei hinreichenden Haltekräften miteinander verbindbar sind.“

Die nachfolgende Abbildung (Figur der Klagepatentschrift) verdeutlicht das Prinzip der Erfindung anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels.

Hier war eine Zeichnung eingefügt.

Die Beklagte zu 1), deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2) ist, stellt her und vertreibt unter der Bezeichnung „SEM AQUA KONUS“ aus mehreren Rohrabschnitten bestehende Kaminrohre zur Schornsteinsanierung. Die nähere Ausgestaltung der Rohrabschnitte ergibt sich aus den von der Klägerin zur Akte gereichten Originalstücken (Anlage 6) sowie aus der von der Klägerin gefertigten und nachfolgend abgebildeten Querschnittszeichnung zweier aufeinandersteckbarer Rohrabschnitte (Anlage 7).

Hier war eine Zeichnung eingefügt.

Wie aus der Zeichnung ersichtlich wird, sind sowohl das konisch erweiterte Ende als auch das konisch verjüngte Ende aufgeweitet, wobei die Konuswinkel jeweils etwas mehr als 2,5 ° (exakt 2,528 ° und 2,517 °) betragen. Die Beklagte zu 1) wirbt damit, dass es sich bei ihrem Produkt um eine Abgasleitung aus steckbaren Rohren und Formstücken handele, „deren Muffenteil konisch erweitert und deren Einsteckteil konisch verjüngt“ sei und deren Konuswinkel so gewählt sei, „dass sich ein selbsthemmender Konus“ ergebe, der allein durch „Flächenpressung“ zu einer dichten Verbindung führe (vgl. das Werbeblatt der Beklagten zu 1), Anlage 10).

Der Kläger ist der Auffassung, dass das angegriffene Kaminrohr wortsinngemäß, zumindest aber mit äquivalten Mitteln von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch mache. Die Abweichung gegenüber dem vom Klagepatent beanspruchten Konuswinkelbereich sei mit ca. 0,5 ° so gering, dass die erfindungsgemäßen Wirkungen sowie der gas- und kondensatdichte Abschluss ohne Weiteres einträten. Die angegriffene Ausführungsform greife daher zumindest unter Äquivalenzgesichtspunkten in den Schutzbereich des Klagepatents ein.

Mit seiner Klage nimmt der Kläger die Beklagten deshalb auf Unterlassung, Rechnungslegung und Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger beantragt,

I. Die Beklagen zu verurteilen,1. des bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,00 DM - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungsstrafe bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen, Kaminrohre für die Schornsteinsanierung aus mehreren Rohrabschnitten, die jeweils ein konisch erweitertes Ende und ein konisch verjüngtes Ende mit gleichen Konuswinkeln von 0,5 bis 2,5 ° aufweisen, wobei beide Enden aufgeweitet sind und über ihre Länge größere Durchmesser aufweisen als die Rohrabschnitte, die durch Einstecken des verjüngten Endes in das erweiterte Ende gas- und kondensatdicht bei hinreichenden Haltekräften miteinander verbindbar sind,herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,2. ihm darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 12. Januar 1997 begangen haben, und zwar unter Angabe a) der Herstellungsmengen und -zeiten,b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, - zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,wobei- den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt dem Kläger einem von dem Kläger zu bezeichnenden, ihm gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten verteidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn er mächtigen und verpflichten, dem Kläger auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;

II. festzustellen,dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm allen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die unter I. 1. bezeichneten, seit dem 12. Januar 1997 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagten beantragen,

1. die Klage abzuweisen;

2. hilfsweise, den Rechtsstreit bis zur Entscheidung über die Nichtigkeitsklage auszusetzen.

Sie bestreiten den Verletzungsvorwurf und machen geltend, dass die Abweichung des Konuswinkels der angegriffenen Kaminrohrendabschnitte mit mehr als 0,5 ° gegenüber dem beanspruchten Winkelbereich (0,5 ° bis 2 °) so groß sei, dass sich eine Einbeziehung der angegriffenen Ausführungsform in den Schutzbereich des Klagepatents unter Äquivalenzgesichtspunkten verbiete.

Zumindest aber - so meinen die Beklagten - werde sich das Klagepatent im anhängigen Nichtigkeitsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen, so dass zumindest der hilfsweise gestellte Aussetzungsantrag begründet sei.

Der Kläger tritt dem Aussetzungsantrag entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze und der mit ihnen vorgelegten Urkunden und Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Das angegriffene Kaminrohr macht von der technischen Lehre des Klagepatents weder wortgesinngemäß noch mit äquivalenten Mitteln Gebrauch.

I.

Das Klagepatent betrifft ein aus mehreren Rohrabschnitten bestehendes Kaminrohr, das im Falle einer Schornsteinsanierung vom oberen Ende des Kamins in den Schornstein eingebracht wird.

Nach den einleitenden Ausführungen der Klagepatentschrift ist aus der DE-GM 94 19 304 (Anlage 3) ein derartiges Kaminrohr bekannt, bei dem die jeweiligen Rohrabschnitte ein konisch verjüngtes und ein konisch erweitertes Ende mit gleichen Konuswinkeln zwischen 0,5 ° bis 2 ° aufweisen. Diese Ausführung stellt sicher, dass die Steckverbindung zwischen dem konisch verjüngten und dem konisch erweiterten Ende hinreichende Haltekräfte zwischen den benachbarten Rohrabschnitten aufbringt und außerdem ein gas- und kondensatdichter Abschluss erreicht wird. Bei dem vorbekannten Kaminrohr besitzt das konisch verjüngte Ende allerdings einen kleineren Durchmesser als der sonstige Rohrabschnitt. Dies hat zur Folge, dass für die Aufweitung des einen Rohrabschnittsendes ein anderes Werkzeug als für die Stauchung des anderen Rohrabschnittsendes erforderlich ist. Dies sieht die Klagepatentschrift als nachteilhaft an, da nicht immer erreicht werden kann, dass der Konuswinkel des erweiterten Endes exakt dem Konuswinkel des verjüngten Endes entspricht. Solche Ungenauigkeiten können zu Störungen bei der Montage und beim Betrieb des Kamins führen.

Den weiteren Darlegungen der Klagepatentschrift zufolge ist aus der DE-GM 94 08 525 (Anlage 9) eine Rohrverbindung bekannt, bei der konisch ausgebildete Abschnitte am Muffenteil und am Einsteckteil vorhanden und darüber hinaus beide Endteile gegenüber den Rohrabschnitten aufgeweitet sind. Allerdings sind nach den Ausführungen der Klagepatentschrift die Konuswinkel bei der vorbekannten Rohrverbindung von einer Größe, die eine selbsthemmende Wirkung der Rohrverbindung nicht entstehen lässt, sondern entsprechend der Aufgabenstellung der DE-GM 94 08 525 eine leichte Lösbarkeit benachbarter Rohrabschnitte ermöglicht.

Vor diesem Hintergrund sieht es die Klageapatentschrift als Aufgabe der Erfindung an, die Herstellung der Rohrabschnitte zu vereinfachen und dabei eine exakte Ausbildung der Konen zu erreichen. Zur Lösung dieser Aufgabe sieht Patentanspruch 1 die Kombination folgender Merkmale vor:

1. Kaminrohr für die Schornsteinsanierung aus mehreren Rohrabschnitten (1, 2);

2. die Rohrabschnitte (1, 2) weisen jeweils

2.1 ein konisch erweitertes Ende (3)

2.2 und ein konisch verjüngtes Ende (4) auf;

3. die Konuswinkel sind gleich und betragen 0,5 ° bis 2 °;

4. beide Enden (3, 4)

4.1 sind aufgeweitet

4.2 und weisen über ihre Länge größere Durchmesser als die Rohrabschnitte (1, 2) auf;

5. die Rohrabschritte (1, 2) sind durch Einstecken des verjüngten Endes (4) in das erweitere Ende (3) gas- und kondensatdicht bei hinreichenden Haltekräften verbindbar.

Nach den weiteren Darlegungen der Klagepatentschrift besitzt die erfindungsgemäße Anordnung den Vorteil, dass das konisch erweiterte und das konisch verjüngte Ende praktisch mit dem gleichen Werkzeug hergestellt werden kann und beim Aufweiten eines Rohrendes mit größerer Präzision als bei einer Stauchung eines Rohrendes gearbeitet werden kann. So kann sichergestellt werden, dass der Konuswinkel der beiden Rohrabschnittsenden exakt übereinstimmt.

II.

Das angegriffene Kaminrohr verwirklicht Merkmal 3 des Patentanspruchs 1 weder wortsinngemäß noch mit äquivalenten Mitteln.

Merkmal 3 verlangt, dass die Konuswinkel der Rohrabschnittsenden gleich sind und zwischen 0,5 ° bis 2 ° betragen. Bei der angegriffenen Ausführungsform belaufen sich die Konuswinkel auf 2,528 ° und 2,517 °. Sie liegen damit deutlich über 2 °, so dass eine wortsinngemäße Benutzung des Merkmals 3 von vornherein nicht in Betracht kommt.

Das angegriffene Kaminrohr verwirklicht die technische Lehre des Klagepatents insoweit auch nicht mit äquivalenten Mitteln. Denn auch wenn die Verwendung eines Konuswinkels von etwa mehr als 2,5 ° - wie der Kläger mit Recht geltend macht - im Sinne der Erfindung gleichwirkend ist und seine Verwendung - wie der Kläger gleichfalls zutreffend vorträgt - für den Durchschnittsfachmann mit dem Kenntnisstand des Prioritätstages naheliegend war, ist es aus Gründen der Rechtssicherheit ausgeschlossen, den Schutzbereich des Klagepatents unter Äquivalenzgesichtspunkten auf den bei der angegriffenen Ausführungsform verwirklichten Winkelbereich auszudehen.

1.

Zu § 6 PatG 1968 steht die Rechtsprechung einhellig auf dem Standpunkt, dass die Schutzwirkung eines Patents, dessen Anspruch Zahlen- oder Maßangaben enthält, nicht in Bereiche erstreckt werden könne, die wesentlich von den des Patentanspruchs abweichen, wenn in den Zahlen- oder Maßangaben das erfinderische Neue der Lehre des Patents zu erblicken sei (BGH, GRUR 1984, 425, 427 Bierklärmittel; OLG Düsseldorf, MItt. 1996, 393, 394 - Metalllegierung). Außerhalb dieser vom Schutzbereich auszunehmender Tatbestände wird dagegen eine (wortsinngemäße oder äquivalente) Benutzung für möglich gehalten, wenn der im Patentanspruch angegebene Zahlenbereich entweder nicht wesentlich unter- oder überschritten wird oder wenn sich in ihm nicht der eigentliche Erfindungsgedanke verkörpert (OLG Düsseldorf, aaO - Metalllegierung).

2.

Diese - für den Patentinhaber günstigen - Grundsätze können bei der Schutzbereichsbestimmung eines der Vorschrift des § 14 PatG 1981 unterfallenden Patents nicht mehr herangezogen werden.

a)

Bei der Bemessung des Schutzbereichs eines deutschen Patents gemäß § 14 PatG 1981 ist der durch Auslegung zu ermittelnde Inhalt der Patentansprüche zugrunde zu legen, wobei zu deren Verständnis die Patentbeschreibung und die Patentzeichnungen heranzuziehen sind (vgl. nur BGHZ 98, 12, 18 f - Formstein). Das Protokoll über die Auslegung des dem § 14 PatG 1981 entsprechende Art. 69 Abs. 1 EPÜ ist insoweit auch bei der Bemessung des Schutzbereiches deutscher Patente zu beachten (BGHZ 125, 303, 309 - Zerlegvorrichtung für Baumstämme). Der Schutzbereich eines Patents ist danach weder allein auf den genauen Wortlaut zu beschränken noch dürfen die Patentansprüche als bloße Richtlinie zur Bestimmung eines u. a. auch aus der Patentbeschreibung und den Zeichnungen herzuleitenden (allgemeinen) Schutzrechtsbegehrens des Patentinhabers interpretiert werden. Die Auslegung hat vielmehr zwischen diesen beiden Auffassungen zu liegen und einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit stellt insoweit einen eigenständigen, die Äquivalenzbetrachtung einschränkenden Beurteilungsfaktor dar, dem insbesondere bei Zahlen- und Maßangeben, die im Patentanspruch als Höchst- oder Mindestwerte niedergelegt sind, besondere Bedeutung zukommen (vgl. Bendard/Ullmann, PatG, 9. Aufl., § 14 Rdn. 74; v. Falck, FS 100 Jahre GRUR S. 543, 577; Bruchhausen GRUR 1982, 1, 4).

Solche Zahlen- und Maßangaben können von vornherein im Rahmen der Äquivalenzprüfung nicht denselben Kriterien unterstellt werden wie sonstige technische Merkmale des Patentanspruchs. Diese lassen sich in der Regel weder so allgemein fassen, dass alle möglichen funktionsgleichen Varianten erfasst werden, noch ist es möglich und dem Patentinhaber zumutbar, im vornhinein sämtliche funktionsgleichen Varianten zu überschauen und in den Wortlaut des Patentanspruchs aufzunehmen. Das ist der Grund dafür, den Patentschutz nach den Regeln der Äquivalenzlehre auf inhaltsgleiche Ersatzmittel zu erstrecken, die zwar nicht explizit im Patentanspruch genannt sind, die jedoch - für den Fachmann erkennbar - dieselbe Wirkung erzielen und die der Fachmann ausgehend von der im Patentanspruch beschriebenen technischen Lehre auch ohne erfinderisches Bemühen als gleichwirkend auffinden konnte. Anders verhält es sich insoweit bei Zahlen- oder Maßangaben. Innerhalb welchen zahlenmäßigen Grenzbereiches sich die erfindungsgemäßen Wirkungen und Vorteile einstellen, ist vielfach weitaus zuverlässiger zu beurteilen. Es ist dem Anmelder deswegen auch wesentlich einfacher möglich, diejenigen Zahlen- oder Maßangaben - abschließend - in den Patentanspruch aufzunehmen, die den erfindungsgemäß angestrebten Erfolg zu gewährleisten. Es liegt infolgedessen in seiner Hand und in seiner Verantwortung, sich über den für die Zwecke der Erfindung wirksamen Bereich klar zu werden und den Anspruchswortlaut und die Patentbeschreibung so zu fassen, dass diejenigen Höchst- und/oder Mindestwerte im Patentanspruch aufscheinen, die den Gegenstand der Erfindung ausmachen und abgrenzen.

Eine andere Sichtweise (bei der der angegebene Grenzbereich im Rahmen von Äquivalenzüberlegungen unter- oder überschritten werden könnte) würde zu einer Verschiebung der Verantwortlichkeiten und Risiken zu Lasten der Wettbewerber führen, die mit dem bei der Auslegung von Patentansprüchen anzustrebenden Interessenausgleich zwischen der Schutzwürdigkeit des Patentinhabers und der Rechtssicherheit für Dritte nicht zu vereinbaren wäre. Denn es ist nicht einzusehen, weshalb der Wettbewerber verpflichtet sein soll, auf sein alleiniges Risiko und seine Verantwortung hin zu beurteilen, wo - anstelle der vom Anmelder selbst im Patentanspruch gezogenen Zäsur - die Grenze zwischen Verwirklichung und Nichtverwirklichung der Erfindung und damit zwischen Verletzung und Nichtverletzung des Patents verlaufen soll. Im Gegenteil: Jeder Dritte, der Zeit und Geld in die Entwicklung und Markteinführung eines neuen Produktes investiert, muss anhand der Patentschrift zuverlässig entscheiden können, ob er dasjenige macht, für das ein anderer Patentschutz beansprucht hat.

Nach dem Gesagten mögen zwar geringfügige Abweichungen im Einzelfall hinzunehmen sein; letztlich kann dies jedoch auf sich beruhen. Für Sachverhalte, die deutlich jenseits der beanspruchten Breichtsangabe liegen, kommt eine Einbeziehung in den Schutzbereich des Patents jedenfalls nicht in Betracht.

b)

Eine solche nicht nur geringfügige Überschreitung liegt im Entscheidungsfall vor. Im Verhältnis zum geringen Umfang des beanspruchten Winkelbereichs (1,5 °) ist die gegebene Abweichung von mehr als 0,5 ° (~= 35 %) nicht mehr belanglos.

Merkmal 3 steht mit Merkmal 5 in Zusammenhang. Gemäß dem zuletzt genannten Merkmal soll die Verbindung der Rohrabschnittsenden hinreichende Haltekräfte aufweisen sowie gas- und kondensatdicht sein. Dabei geht die Klagepatentschrift (vgl. Sp. 1 Z. 19 ff) von der DE-GM 94 19 304 (Anlage 3) als gattungsbildenden Stand der Technik aus. In dieser Druckschrift heißt es:

„Die beiden zusammengesteckten Rohrabschnitte zentrieren sich gleichsam von selbst. Es entstehen auch hinreichend große Haltekräfte zwischen den benachbarten Rohrabschnitten, insbesondere dann, wenn nach bevorzugter Ausführung der Erfindung der Konuswinkel 0,5 ° bis 2 ° beträgt.“ (Anlage 3 S. 1 letzter Absatz bis S. 2 erster Absatz)

Von dem durch die DE-GM 94 08 525 (Anlage 9) repräsentierten weiteren Stand der Technik grenzt sich das Klagepatent andererseits mit dem Hinweis ab, dass die Konuswinkel bei der in dieser Druckschrift offenbarten Verbindung von Rohrleitungsabschnitten so groß seien, dass keine „selbsthemmende Wirkung“ entstehen könne (vgl. Anlage K 1 Sp. 1 Z. 43-45). Die vorbekannten Rohrleitungsabschnitte sollen - bei zuverlässiger Verbindbarkeit - leicht auswechselbar und lösbar sein. Dies wird - wie in der Klagepatentschrift erwähnt ist (Sp. 1 Z. 43- 45) - durch die Verwendung eines „relativ großen“ Konuswinkels erreicht (z. B. ca. 10 ° nach Figur 2 in Anlage 9).

Ausgehend von diesem zweifachen Stand der Technik stellt sich das Klagepatent die Aufgabe, die Herstellung der Rohrabschnitte zu vereinfachen und dabei eine exakte Ausbildung der Konen zu erreichen. Insoweit ist gegenüber dem vorbekannten Stand der Technik gemäß der DE-GM 94 19 304 (Anlage 3) neu und erfinderisch, dass sowohl das sich konisch erweiternde als auch das sich konisch verjüngende Ende aufgeweitet sind (vgl. Anlage 1 Sp. 1 Z. 49 ff). Der Fachmann erkennt, dass der Konuswinkelbereich von 0,5 ° bis 2 °, der die angestrebte selbsthemmende Wirkung der Rohrverbindung bewirken soll, von der vorgenannten gattungsbildenden Druckschrift übernommen wurde. Der bereits oben zitierten Passage jener Druckschrift (Anlage 3 S. 1 letzter Absatz bis S. 2 erster Absatz) entnimmt der Fachmann, dass der Winkelbereich dort lediglich eine bevorzugte Ausführungsform umschreibt. Er ist sich insofern darüber im Klaren, dass sich eine beachtliche Selbsthemmung auch bei einem außerhalb dieses bevorzugten Bereiches gelegenen Konuswinkel einstellt. Obwohl auch dem Kläger dies bei der Anmeldung des Klagepatents nicht verborgen geblieben sein kann, beschränkt Patentanspruch 1 sich ausdrücklich und unmissverständlich auf einen Konuswinkel von 0,5 ° bis 2 °. Gerade wegen des geschilderten Standes der Technik kann der Wettbewerber zu der Überzeugung gelangen, dass es sich bei der getroffenen Entscheidung des Anmelders handelt, die festlegt, für welche technische Lehre ein Patentschutz beansprucht werden soll und welche (andere) technische Lehre gemeinfrei bleiben soll. Um diesen Eindruck und den daraus resultierenden Vertrauenstatbestand zu vermeiden, wäre es Sache des Klägers gewesen, Patentanspruch 1 des Klagepatents so zu fassen, dass der gesamte Konuswinkelbereich abgedeckt ist, bei dem sich eine selbsthemmende Rohrverbindung einstellt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 108 ZPO.

Der Streitwert beträgt 500.000,00 €.

Dr. Kühnen Dieck-Bogatzke Dr. Crummenerl






LG Düsseldorf:
Urteil v. 20.02.2001
Az: 4 O 42/00


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