Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 3. September 2008
Aktenzeichen: 6t E 429/08.T

(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 03.09.2008, Az.: 6t E 429/08.T)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der den Beschuldigtenerwachsenen notwendigen Auslagen werden der Antragstellerin auferlegt.

Gründe

I.

Die beiden Beschuldigten sind Fachärzte für Allgemeinmedizin. Sie üben ihre privat- und vertragsärztliche Tätigkeit seit dem 6. Oktober 2006 in C. in einer Gemeinschaftspraxis aus. Die Praxis weist eine Gesamtgröße von 328 qm Grundfläche auf; sie befindet sich im Stadtteil S. an zentraler Stelle. Auf einem Fenster der Praxis befindet sich die Aufschrift:

Das Praxisschild ist aus datenschutzrechtlichen Gründen entfernt worden.

Ähnliche Aufschriften befinden sich auf einer Glastür am äußeren Eingangsbereich sowie auf einem weiteren Fenster.

Mit Schreiben vom 16. November 2006 forderte die Antragstellerin die Beschuldigten auf, den Zusatz "Hausarztzentrum S. " durchgängig nicht mehr zu verwenden, da es mit § 27 BO unvereinbar sei, seiner Praxis einen wie immer gearteten "Namen" zu geben. Nach einer Entscheidung des Landgerichts Hamburg vom 10. April 2001 sei unter einem Zentrum nur eine solche Einrichtung zu verstehen, "die sowohl absolut gesehen eine beträchtliche Größe aufweist als auch relativ betrachtet im Vergleich zu ihren Konkurrenten eine deutlich überragende Bedeutung hat". Mit Antwortschreiben vom 8. Dezember 2006 machten die Beschuldigten geltend, in der angegebenen Entscheidung sei es um die Verwendung der Bezeichnung "Laser-Venen-Zentrum" für einen räumlich abgesonderten Teil einer Hausarztpraxis gegangen. Eine vergleichbare Irreführungsgefahr bestehe hier nicht. Im Übrigen erfülle die Praxis die angeblichen Kriterien eines Zentrums (hinsichtlich Größe, überregionaler Bedeutung, innovativer Struktur). Der Begriff "Zentrum" sei im Übrigen inzwischen durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) in das Vertragsarztrecht eingeführt worden; der Gesetzgeber verwende die Begriffe Versorgungszentren (§ 95 SGB V) sowie den Begriff der hausarztzentrierten Versorgung (§ 73b SGB V). Schließlich seien auch die Begriffe Brustzentrum sowie Hausarzt- und Facharztzentrum - ihren Internetrecherchen zufolge - zunehmend gebräuchlich.

Auf Beschluss des Vorstandes der Antragstellerin vom 12. September 2007 beantragte die Antragstellerin unter dem 14. September 2007 die Eröffnung eines berufsgerichtlichen Verfahrens gegen die Beschuldigten, weil diese seit Oktober 2006 bei der Außendarstellung und Beschilderung ihrer Praxis die berufsrechtswidrige Bezeichnung "Hausarztzentrum S. " verwendeten. Dies stelle einen Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Heilberufsgesetz (HeilBerG) vom 9. Mai 2000 i. d. F. der Bekanntmachung vom 16. Mai 2000 (GV. NW. 2000, S 403 ff.), zuletzt geändert am 1. März 2005 (GV. NW. 2005, S 148 ff.), §§ 2 Abs. 2, 27 Abs. 3 Berufsordnung (BO) der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 15. November 2005 (MBl. NW. 2006, S 173 ff.) dar. Bei dieser Praxisbezeichnung handele es sich um berufswidrige, da irreführende Werbung. Die Bezeichnung "Hausarztzentrum" werde von potentiellen Patienten als Ausdruck für Größe und Bedeutung der Praxis, insbesondere im Vergleich zu anderen Arztpraxen verstanden. Um eine solche Praxis, die in ihrer Bedeutung und Leistungsfähigkeit eindeutig über dem Durchschnitt vergleichbarer hausärztlicher Praxen liege, handele es sich bei der Praxis der Beschuldigten aber nicht. Auch sei hier keine große Anzahl von Ärzten zusammengeschlossen. Der irreführende Eindruck verstärke sich durch den Zusatz "S. ", da hierdurch die fehlerhafte Vorstellung aufkomme, dass es sich um einen zentralen Zusammenschluss sämtlicher in S. niedergelassener Hausärzte handele.

Die Beschuldigten machten demgegenüber geltend, der Antragstellerin gehe es offenbar nicht um den Schutz des § 27 BO, da sie sonst den Weg über das UWG beschritten, die Beschuldigte abgemahnt und den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt hätte. Alternativ hätte sie auch einen rechtsmittelfähigen Bescheid nach § 6 Abs. 1 Nr. 6 HeilBerGNRW erlassen können. Der Eröffnungsantrag sei darüber hinaus wegen fehlenden Verschuldens zurückzuweisen. Der Begriff Zentrum sei inzwischen durch Begriffe wie Medizinisches Versorgungszentrum, Brustzentrum, Ärztezentrum, Gesundheitszentrum etc. geläufig und bekannt. Zudem sei das ärztliche Werberecht in den letzten Jahren erheblich gelockert worden. Deshalb hätten die Beschuldigten auf die Rechtmäßigkeit ihrer Vorgehensweise vertrauen und die Praxisbezeichnung als zulässig ansehen dürfen. Schließlich setze der Begriff Zentrum keine bestimmte Anzahl von Ärzten voraus. Wenn zwei Ärzte ein medizinisches Versorgungszentrum gründen und sich als solches bezeichnen könnten, dürften auch zwei Hausärzte den gewählten Begriff verwenden. In dem Stadtteil S. gebe es ansonsten keine andere Gemeinschaftspraxis; es seien lediglich zwei weitere Einzelpraxen vorhanden. Zudem handele es sich bei ihrer Praxis hinsichtlich Größe, Lage, Öffnungszeiten sowie Struktur und Leistungsspektrum durchaus um eine weit über dem Durchschnitt liegende Praxis.

Mit Hinweisschreiben vom 16. November 2007 wies das Berufsgericht für Heilberufe bei dem Verwaltungsgericht Münster (Berufsgericht) auf Zweifel am Vorliegen des erforderlichen Verschuldens hin. Hierzu fehlten Ausführungen in der Antragsschrift. Die Rechtsauffassung der Antragstellerin sei auch nicht durch eine gefestigte Rechtsprechung gestützt, die ohne Weiteres auf den Einzelfall anzuwenden sei. Die bisher allein angeführte Entscheidung des LG Hamburg sei nicht in einem berufsgerichtlichen Verfahren und zudem zeitlich vor dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Oktober 2002 (37928/97- Stambuk/Deutschland) ergangen. Auch erstrecke sie sich nicht auf die Bezeichnung einer ärztlichen Praxis, sondern ausschließlich auf die Bezeichnung eines - räumlich gesonderten - Teils einer Praxis.

Demgegenüber berief sich die Antragstellerin erneut auf verschiedene Gerichtsurteile (LG Passau, Urteil vom 22. Februar 2007 (1 HKO 60/06), LG Frankfurt am Main, Urteil vom 22. Februar 2006 (3-08 O 108/05); LG Köln, Urteil vom 20. März 2007 (33 O 420/06), sowie VG Düsseldorf, Urteil vom 4. April 2000 (3 K 6673/98). Hinsichtlich des fehlenden Verschuldens sei anzumerken, dass die Einholung des anwaltlichen Rates erst nach den Hinweisen der Antragstellerin auf die berufsrechtswidrige Bezeichnung der Praxis erfolgt sei. Die Voraussetzungen für einen beachtlichen Verbotsirrtum lägen daher nicht vor. Bei den Beschuldigten hätten im Übrigen auch auf Grund der von der Bundesärztekammer im Deutschen Ärzteblatt bekannt gegebenen und auf der Homepage der Antragstellerin dargestellten Broschüre "Arzt, Werbung, Öffentlichkeit" Bedenken an der Rechtmäßigkeit ihres Handelns aufkommen müssen. In dieser Bekanntmachung werde auf Seite 7 ausgeführt, dass die Bezeichnung einer Praxis als "Zentrum für ...." berufsrechtlich untersagt sei.

Das Berufsgericht lehnte durch Beschluss vom 20. Februar 2008 den Antrag der Antragstellerin auf Eröffnung des Verfahrens aus tatsächlichen Gründen ab. Auf der Grundlage des Akteninhalts sei nicht festzustellen, dass die Beschuldigten gegen § 27 Abs. 3 BO verstoßen hätten, da nicht mit der für die Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens hinreichenden oder auch nur ausreichenden Wahrscheinlichkeit festzustellen sei, dass sich für eine verständige Patientin und einen verständigen Patienten die Bedeutung des Begriffs eines "Zentrums" auf Einrichtungen von einer bestimmten Größe oder Bedeutung beschränke. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits 2005 ausgeführt, dass der Begriff des Zentrums im Zusammenhang mit der Bezeichnung von Lokalitäten einen Bedeutungswandel erfahren haben dürfte, der auch der Öffentlichkeit nicht verborgen geblieben sei (BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2005 - 1 BVR 2751/04 - zum "Zentrum für Kleintiermedizin"). Der Begriff eines Zentrums werde auch vom Gesetzgeber nicht durchgängig in diesem Sinne verstanden. Die Beschuldigten wiesen insoweit zu Recht auf § 75 Abs. 1 SGB V (Medizinische Versorgungszentren) hin, bei dem es nur um eine fachübergreifende Einrichtung gehe, so dass es nicht auf die Größe oder Bedeutung der Einrichtung ankomme. Eine Irreführung in dem von der Antragstellerin befürchteten Sinne werde auch durch die von den Beschuldigten verwendeten Zusätze (Namen, akademischer Grad des Beschuldigten zu 1. und Facharztbezeichnungen) gemindert, wenn nicht ausgeschlossen. Die Angaben zur Person der Beschuldigten träten optisch nicht zurück, sondern seien entweder größer oder aber gleich groß auf den Praxisschildern dargestellt, so dass sie in die Bewertung einzubeziehen seien. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei der Wortsinn einzelner Passagen einer Wertung stets im Kontext des gesamten Inhalts grundrechtsfreundlich auszulegen. Infolgedessen könne ein verständiger Patient, der die Angaben aufmerksam zur Kenntnis nehme, nicht davon ausgehen, dass in der Praxis mehr als zwei Ärzte und/oder Ärzte anderer Fachrichtungen tätig seien. Trotz dieser Umstände, die hinreichende Zweifel an dem Tatbestandsmerkmal einer Irrtumserregung begründeten, habe die Antragstellerin keinen ausreichenden Nachweis zu der von ihr behaupteten tatsächlich bestehenden Verkehrsauffassung erhoben und/oder vorgelegt. Es komme hinzu, dass die Antragsschrift in Bezug auf die Einzelfallumstände nicht hinreichend im Sinne der §§ 112 Heilberufsgesetz, 200 StPO bestimmt sei. Denn die Antragsschrift enthalte keine konkreten Tatsachenangaben, wann eine Praxis eine beträchtliche Größe oder eine überragende Bedeutung habe, also nach welchen konkreten Kriterien die Beschuldigten den Begriff "Hausarztzentrum" hätten nutzen dürfen. Es genüge insoweit nicht, dass die Antragstellerin die tatsächlichen Angaben der Beschuldigten in Frage stelle. Ein Bestreiten der Einwendungen reiche für einen Antrag auf Eröffnung eines berufsgerichtlichen Verfahrens nicht aus. Offenbleiben könne schließlich, ob hinreichende Gemeinwohlbelange bestünden, die ein Verbot der Selbstbezeichnung der Beschuldigten rechtfertigen könnten.

Die Antragstellerin hat gegen den ihr am 20. März 2008 zugestellten Beschluss noch am 20. März 2008 sofortige Beschwerde eingelegt, die sie am 5. Mai 2008 begründet hat. Das Begriffsverständnis werde nicht dadurch minimiert oder aufgehoben, dass die Beschuldigten neben der Bezeichnung "Hausarztzentrum S. " auch ihren Namen und ihre Facharztbezeichnungen angegeben hätten. Dies gelte schon allein deshalb, weil die streitige Bezeichnung gemeinsam mit dem verwendeten Logo als eigenständiger Teil der Außendarstellung verwendet werde und nach der Gestaltung auch im Vordergrund der Wahrnehmung stehen solle. Dies werde auch daran deutlich, dass sich die Gemeinschaftspraxis nach den unwidersprochenen Ausführungen in der Antragsschrift am Telefon ausschließlich mit der Bezeichnung "Hausarztzentrum" melde. Ein verständiger Patient müsse davon ausgehen, dass sich hinter dem "Hausarztzentrum" eine größere Einheit befinde, als die ausschließlich von den beiden Beschuldigten betriebene Gemeinschaftspraxis, zumal die Beschuldigten die übliche Bezeichnung "Gemeinschaftspraxis" gerade nicht verwendeten. Im Übrigen sei es jedem Arzt unbenommen, angestellte Ärzte in der Praxis zu beschäftigen; diese Beschäftigung müsse auf der Außenbeschilderung nicht angezeigt werden.

Das Berufsgericht überspanne zudem die Bedeutung des Begriffs "Medizinisches Versorgungszentrum" für die grundsätzliche Bezeichnung ärztlicher Praxen als "Zentrum". Das Gericht übersehe, dass mit der Etablierung dieser "Medizinischen Versorgungszentren" ein neuartiger Leistungserbringer im Sinne des § 95 Abs. 1 SGB V geschaffen worden sei, der die Möglichkeit bieten solle, den Patienten "Versorgung aus einer Hand" zu ermöglichen. Aus dieser Bestimmung könnten keinerlei Rückschlüsse auf die Bezeichnung einer ärztlichen Praxis als "Zentrum" im Allgemeinen gezogen werden. Die von der Antragstellerin angeführte Verkehrsanschauung stelle nicht lediglich eine Behauptung dar, sie stehe vielmehr im Einklang mit der in zahlreichen Gerichtsentscheidungen bestätigten Verkehrsauffassung. Schließlich hätte das Berufsgericht unter Zugrundelegung der eigenen Rechtsauffassung von der im Heilberufsgesetz ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit eines sogenannten Ermittlungsverfahrens Gebrauch machen müssen. Dieses diene gerade dazu, einen aus Sicht des Berufsgerichts nicht genügend geklärten Sachverhalt weiter aufzuklären (§ 75 Abs. 3 HeilberG). Auch im Rahmen der vergleichbaren strafprozessualen Vorschrift des § 202 StPO dürfe ein Strafgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht wegen fehlender besserer Aufklärung ablehnen, wenn es die ihm nach § 202 StPO möglichen Aufklärungsmöglichkeiten nicht selbst umfassend genutzt habe.

Auch die Auffassung des Berufsgerichts, die Antragsschrift sei nicht hinreichend bestimmt, sei nicht haltbar. Sie - die Antragstellerin - habe sich mit den Angaben der Beschuldigten umfassend auseinandergesetzt und festgestellt, dass selbst nach den eigenen Angaben der Beschuldigten die Praxis keine im Vergleich zu anderen Praxen überdurchschnittliche Größe und/oder Bedeutung habe und deshalb die Bezeichnung "Hausarztzentrum S. " einen irreführenden Eindruck gegenüber dem potentiellen Patienten erwecke. Die Rechtsauffassung des Berufsgerichts überspanne die Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen einer Anschuldigungsschrift erheblich.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Berufsgerichts vom 20. Februar 2008 aufzuheben und das berufsgerichtliche Verfahren zu eröffnen.

Die Beschuldigten beantragen,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens ist aus den im angegriffenen Beschluss angeführten rechtlichen Erwägungen abzulehnen; die Beschuldigten sind durch das ihnen zur Last gelegte Verhalten einer Berufspflichtverletzung gemäß § 29 Abs. 1 des Heilberufsgesetzes vom 9. Mai 2000 (GVBl.NW.2000, S. 403) - HeilBerG - in Verbindung mit §§ 2 Abs. 2, 27 Abs. 3 Berufsordnung (BO) der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 15. November 2005 nicht hinreichend verdächtig.

Nach § 27 Abs. 3 BO ist Ärzten eine berufswidrige Werbung untersagt. Die Vorschrift selbst ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden; sie entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Bedeutung und Reichweite von Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit).

BVerfG, std. Rspr., vgl. nur Beschluss vom 13. Juli 2005 - 1 BvR 191/05 -, BVerfGK 6, 46 (50) = NJW 2006, 282 - Zeitungswerbung eines Orthopäden.

Ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall würde jedoch im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit der Beschuldigten führen. Das Werbeverbot für Ärzte soll dem Schutz der Bevölkerung dienen; es soll das Vertrauen der Patienten darauf erhalten, dass der Arzt nicht aus Gewinnstreben bestimmte Untersuchungen vornimmt oder Behandlungen vorsieht. Die ärztliche Berufsausübung soll sich nicht an ökonomischen Erfolgskriterien, sondern an medizinischen Notwendigkeiten orientieren. Das Werbeverbot beugt damit einer gesundheitspolitisch unerwünschten Kommerzialisierung des Arztberufes vor.

BVerfG, std. Rspr., vgl. nur Beschluss vom 18. Februar 2002 - 1 BvR 1644/01 - Tierarztwerbung -, NJW 2002, 3091; Beschluss vom 26. August 2003 - 1 BvR 1003/02 - Zahnarztwerbung im Internet und in den Gelben Seiten -, NJW 2003, 3470; Beschluss vom 29. April 2004 - 1 BvR 649/04 - Zahnarztwerbung in Tageszeitung -, NJW 2004, 2659; ebenso BGH, Urteil vom 9. Oktober 2003 - I ZR 167/01 - Internetwerbung eines Zahnarztes -, NJW 2004, 440.

Es sind aber keine Gemeinwohlbelange ersichtlich, die ein Verbot der Selbstbezeichnung als "Zentrum" zu rechtfertigen vermögen. Auch die Gefahr einer Irreführung der Bevölkerung ist nicht anzunehmen. Der Begriff des "Zentrums" hat im Zusammenhang mit der Bezeichnung von Dienstleistungslokalitäten einen Bedeutungswandel erfahren, der auch der Öffentlichkeit nicht verborgen geblieben sein wird.

BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senat vom 09.02.2005 - 1 BvR 2751/04 -, NVwZ 2005, 683.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betraf den Fall zweier Tierärztinnen, die ihre Praxis als "Zentrum für Kleintiermedizin P. " bezeichnet hatten und hierfür vom Berufsgericht mit einem Verweis wegen irreführender Werbung belegt worden waren. Der Gerichtshof für die Heilberufe Niedersachsen hatte die hiergegen gerichtete Berufung der Ärztinnen zurückgewiesen, weil man unter einem Zentrum "eine betriebliche Einrichtung verstehe, die sowohl absolut gesehen eine beträchtliche Größe aufweis(e) als auch relativ betrachtet im Vergleich zu Konkurrenten eine deutlich überragende Bedeutung" habe.

Beschluss vom 6. Oktober 2004 - 3 S 2/04 -, Seite 6 des UA (vgl. Bl. 100 R der Gerichtsakte).

Das Bundesverfassungsgericht nahm die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde lediglich wegen der Verneinung eines schweren Nachteils im Sinne des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung an - wohl deshalb, weil gegen die Beschwerdeführerinnen lediglich ein Verweis, nicht aber eine Geldbuße, verhängt worden war. In der begründeten Nichtannahmeentscheidung hielt das Bundesverfassungsgericht aber fest, die Entscheidung begegne - aus den oben wiedergegebenen Gründen - "erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken".

BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senat vom 09.02.2005 - 1 BvR 2751/04 -, NVwZ 2005, 683.

Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Der vom Bundesverfassungsgericht konstatierte Wandel des Begriffsverständnisses zeigt sich, worauf das Berufsgericht ebenfalls zutreffend hingewiesen hat, auch daran, dass der Gesetzgeber es im Rahmen der Gesundheitsreform für angemessen hielt, den Zusammenschluss zweier unterschiedlicher Fachärzte zur gemeinsamen Berufsausübung u.a. als "Medizinisches Versorgungszentrum" zu bezeichnen, § 95 Abs. 1 S. 2 SGB V. Dies verdeutlicht, dass jedenfalls im Bereich der ärztlichen Berufsausübung der überkommene Zentrumsbegriff, wie ihn die Antragstellerin versteht, nicht mehr gilt. Es spricht auch nichts dafür, im Bereich sonstiger ärztlicher Dienstleistungen an diesem Verständnis des Begriffs Zentrum festzuhalten und das Medizinische Versorgungszentrum als singuläre Ausnahme anzusehen, an die weniger strenge Anforderungen zu stellen wären. Denn dieses stellt für den durchschnittlichen Patienten keinen terminus technicus dar, welcher von dem sonstigen Zentrumsbegriff klar abgegrenzt und deutlich zu unterscheiden wäre.

So mit Recht LG Erfurt, Urteil der 1. Kammer für Handelssachen vom 22.04.2008 - 1 HK O 221/07 - (jurisdokument) zur Bezeichnung "(ambulantes) Rheumazentrum".

Auch die Kombination des Begriffs "Hausarztzentrum" mit der Ortsbezeichnung "S. " erweckt bei einem potentiellen Patienten nicht den fehlerhaften Eindruck, hier seien sämtliche S. Hausärzte in einer zentralen Einrichtung zusammengeschlossen. Ein solches Missverständnis verhindern die von den Beschuldigten verwendeten Zusätze, insbesondere die - vom Schriftbild sogar etwas größere - Angabe des vollständigen Namens der beiden tätigen Ärzte. Soweit die Antragstellerin demgegenüber darauf hinweist, dass es jedem Arzt - ohne Pflicht zur Kenntlichmachung auf der Außenbeschilderung - unbenommen sei, angestellte Ärzte in der Praxis zu beschäftigen, folgt daraus nichts Gegenteiliges. Der Durchschnittspatient wird sich in erster Linie an den aufgeführten Namen sowie an den Facharztbezeichnungen orientieren. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der Senat auch insoweit eine Parallele zu der o.g. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sieht. Auch in dem dort zugrundeliegenden Fall war der Bezeichnung "Zentrum" eine Ortsbezeichnung beigefügt worden, die sogar die ganze Stadt umfasste (P. ); eine Irreführung hat das Bundesverfassungsgericht darin dennoch nicht gesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 107 Abs. 1, 108 Abs. 3 Satz 1 HeilberG.






OVG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 03.09.2008
Az: 6t E 429/08.T


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