Landgericht Bonn:
Urteil vom 27. April 2005
Aktenzeichen: 16 O 13/04

(LG Bonn: Urteil v. 27.04.2005, Az.: 16 O 13/04)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist für die Beklagte wegen der Kosten

gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des

zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreck-

bar.

Tatbestand

Der Kläger, ein im Aktienbuch eingetragener Aktionär der U AG (zukünftig U), nimmt die Beklagte im Wege der Aktionärsklage gemäß §§ 317 Abs. 4, 309 Abs. 4 AktG mit einer Teilklage auf Zahlung von Schadensersatzansprüchen - zu leisten an die U - in Anspruch. Er ist der Auffassung, die Beklagte habe als Mehrheitsaktionärin die U, eine abhängige Gesellschaft mit der kein Beherrschungsvertrag besteht, zur Teilnahme an der sogenannten UMTS-Versteigerung und damit zu einem für diese nachteiligen Rechtsgeschäft im Sinne der §§ 317, 311 AktG veranlaßt, so dass sie zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet sei. Dem liegt im wesentlichen der folgende Sachverhalt zugrunde, wobei bereits einleitend darauf hingewiesen wird, dass - angesichts des Umfangs der von beiden Seiten vorgetragenen Sach- und Rechtsausführungen - hier nur die nach Auffassung der Kammer zum Verständnis des Rechtsstreits notwendigen und von beiden Parteien

- insbesondere auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung - in den Vordergrund gestellten Punkte kurz dargestellt werden sollen, während im übrigen in vollem Umfang auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen wird.

Im August 2000 versteigerte die Beklagte im Rahmen eines Versteigerungsverfahrens gemäß § 11 Abs. 4 TKG UMTS-Lizenzen, von denen die N GmbH (heute: W GmbH), eine Tochter der U, zwei Lizenzpakete gegen Zahlung von insgesamt 16.582.200.000,00 DM erwarb.

- Entsprechend der Diktion beider Parteien ist - da diese Differenzierung für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich ist - zukünftig vereinfachend von einem Lizenzerwerb der U die Rede. - Neben der U haben fünf weitere Unternehmen Lizenzen zu einem vergleichbaren Preis ersteigert. Die Beklagte war zu diesem Zeitpunkt Mehrheitsaktionärin der U. Ihr unmittelbarer Eigentumsanteil betrug ca. 43 % der Aktien, die L, die zu 80 % dem Bund und zu 20 % den Ländern gehört, hielt zum Zeitpunkt der Versteigerung einen Anteil von etwa 16 % der Aktien.

Der Kläger trägt vor, die Beteiligung der U an dieser Versteigerung sei durch die Beklagte veranlaßt worden, so daß die Voraussetzungen des § 317 AktG erfüllt seien. Insbesondere sei - unstreitig - die U zum Zeitpunkt der UMTS-Versteigerung ein vom Bund als "herrschendes Unternehmen" (das auch eine Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts Mehrheitsgesellschafter im Sinne des § 317 AktG sein könne, entspreche ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung) "abhängige Gesellschaft" gewesen, mit der kein Beherrschungsvertrag bestanden habe. Die Beteiligung an der Versteigerung sei für die U aus vielen Gründen ein objektiv nachteiliges Rechtsgeschäft, durch das diese geschädigt worden sei. Zum einen folge dies schon daraus, dass die Lizenzen aus vielfältigen Gründen in einem rechtswidrigen Versteigerungsverfahren vergeben worden seien. Deutsches wie Europäisches Telekommunikationsrecht stünde einer Vergabe von Lizenzen im Versteigerungsverfahren entgegen. Insbesondere dürften nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die einzufordernden Gebühren für solche Lizenzen die Verwaltungskosten der Behörden nicht übersteigen, so daß die in der Lizenzgebührenverordnung vorgesehene Obergrenze von 5 Millionen DM auf keinen Fall habe überschritten werden dürfen.

Selbst wenn man jedoch der Auffassung sei, das Versteigerungsverfahren selbst sei nicht zu beanstanden, so seien die letztlich gezahlten Versteigerungserlöse jedenfalls unangemessen, weil Leistung und Gegenleistung in einem augenfälligen Mißverhältnis stünden. Dies zeige schon die Höhe der gezahlten Gebühren von rund 8,5 Milliarden EURO. Noch deutlicher werde dies, wenn man berücksichtige, dass dieser Betrag fremdfinanziert und angesichts des auf 20 Jahre begrenzten Dauerschuldverhältnisses wirtschaftlich noch auf ca. 15 Milliarden EURO aufzurunden sei (vergleiche insoweit die Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 20.7.2004, Blatt 119 ff. der Akten).

Die Forderung solch hoher Gebühren sei sittenwidrig, da die Beklagte hier in unzulässiger Weise eine Monopolstellung ausgenutzt habe. Dies gelte vor allem, weil der Zahlung der U letztlich kein entsprechender Gegenwert gegenüber stehe. Bis heute sei das UMTS-System noch nicht auf dem Markt effizient eingeführt. Die U habe jedoch im Zeitraum vom 1.9.2000 bis zum 31.12.2004 einen Zinsaufwand in Höhe von rund 2,2 Milliarden EURO gehabt und zusätzlich jährlich 1/20 des Lizenzpreises, mithin bis zum 31.12.2004 ca. 1,9 Milliarden EURO abschreiben müssen, so dass sich der Schaden bislang bereits auf mindestens rund 4,1 Milliarden EURO belaufe (vergleiche ergänzend die Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 7.4.2005, Band II, Blatt 297 ff. der Akten). Zudem sei der Wert der ohnehin zeitlich (auf 20 Jahre) begrenzten Lizenzen weiter noch dadurch gemindert, dass diese nicht frei handelbar seien, eine Verpflichtung zur Erreichung bestimmter Versorgungsgrade beinhalteten und außerdem an insgesamt fünf weitere Mitwettbewerber vergeben worden seien.

Daher sei schon zur Zeit der Versteigerung erkennbar gewesen, dass eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der Lizenzen angesichts der Höhe der Gebühren nicht möglich sei. Dies belegten im übrigen auch Aussagen von Vorstandsmitgliedern der U sowie von Wirtschaftsfachleuten und Politikern aller Parteien (ergänzend wird insoweit auf die von dem Kläger vorgelegten Anlagen Bezug genommen). Tatsächlich zeige auch die Entwicklung bei allen Ersteigerern (auch insoweit wird wegen der Einzelheiten ausdrücklich auf die Schriftsätze des Klägers ergänzend verwiesen), dass sich der Erwerb der Lizenzen wirtschaftlich katastrophal ausgewirkt habe.

Die Beklagte habe die U auch zur Teilnahme an den Versteigerungsanteilen veranlaßt im Sinne der §§ 317, 311 AktG. Dazu genüge jede Einflußnahme, gleichgültig, ob sie sich als Ratschlag, Anregung, Erwartung eines bestimmten Verhaltens oder als Weisung darstelle. Der Kläger meint, dass damit vorliegend bereits eine Vermutung für eine Veranlassung des Verhaltens durch die Beklagte bestehe. Dies folge zum einen bereits aus der Natur einer Aktionärsklage in der ein einzelner Minderheitsaktionär ansonsten weitgehend schutzlos einem übermächtigen Konzern gegenüberstehe. Dies ergebe sich aber auch aus den Einzelumständen des vorliegenden Falles. Die Beklagte habe hier schon durch die Anordnung und Durchführung des Versteigerungsverfahrens unzumutbare Zwänge für die U geschaffen. Sie habe aber insbesondere durch den Aufsichtsrat, in dem - unstreitig - als Vertreter des Bundes, der damalige Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums und der Sprecher des Vorstandes der L Mitglied gewesen seien, Einfluß auf die Entscheidung der U genommen. Auch alle übrigen von den Anteilseigentümern entsandte Mitglieder des Aufsichtsrates seien ausschließlich Vertrauensleute des Bundes gewesen und hätten dementsprechend Einfluß genommen. Der Aufsichtsrat habe aufgrund seiner Geschäftsordnung dem Erwerb der Lizenzen zustimmen müssen. Insoweit hat der Kläger "für seinen Vortrag, dass das Bieterverhalten der U durch deren Aufsichtsrat gesteuert und beschlossen worden sei, Beweis angeboten durch 1. Vorlage der Geschäftsordnung des Aufsichtsrates der U AG durch diese gemäß § 142 ZPO und 2. Auszüge aller einschlägigen Aufsichtsratsprotokolle der U betreffend die UMTS-Versteigerung durch Vorlage seitens der U gemäß § 142 ZPO. Hilfsweise sei die Beklagte zur Vorlage dieser Unterlagen verpflichtet.

Im übrigen ergebe sich die "Veranlassung" der U durch die Beklagte aber auch noch aus vielen weiteren Umständen:

So belegten dies insbesondere zeitnahe Äußerungen des Sprechers der U. Wenn dieser unmittelbar im Anschluß an die Versteigerung geäußert habe, das Verfahren sei "wirtschaftlicher Wahnsinn" gewesen, nach Überzeugung des Vorstandes werde sich die jetzt erzielte Gesamtsumme auf lange Zeit nicht rechnen, so belegten diese Angaben, dass der Vorstand durch den Großaktionär zum Abschluss dieses nachteiligen Rechtsgeschäfts veranlaßt worden sei. Daß hierbei auch der Aufsichtsrat Einfluß auf die Entscheidung der U genommen habe, ergebe sich auch aus Äußerungen von Vorstand und Aufsichtsrat, nach denen intensive Gespräche über dieses Geschäft miteinander geführt worden seien. Schließlich zeige auch der zeitliche Ablauf der Privatisierung des Unternehmens, hier insbesondere der Verkauf von 230 Millionen Aktien im Juni 2000 die massive Einflußnahme der Beklagten. Im übrigen ergebe sich dies auch aus dem Verkaufsprospekt der U von Mai 2000 in dem die Macht des Bundes und des Aufsichtsrates ausdrücklich hervorgehoben und ausdrücklich betont worden sei, dass "der Bund einen herrschenden Einfluß auf die U" habe. Hinsichtlich der zahlreichen Einzelheiten des diesbezüglichen klägerischen Vortrages wird ausdrücklich auf die von dem Kläger zu Gericht gereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Keinesfalls sei der Umstand, dass sich auch andere Bieter im UMTS-Versteigerungsverfahren ähnlich verhalten hätten, wie der Vorstand der U, geeignet, die Beklagte gemäß § 317 Abs. 2 AktG von der Ersatzpflicht zu entlassen. Vielmehr müsse ein Entlastungsversuch des insoweit beweisbelasteten Bundes schon daran scheitern, dass dieser "als Monopolist alle Geschäftsleiter der beteiligten Unternehmen in eine unentrinnbare Zwangssituation gebracht" habe. Im übrigen hätten seinerzeit alle Beteiligten unverantwortlich gehandelt, indem sie Gebote in den hier relevanten Größenordnungen abgegeben hätten, die betriebswirtschaftlich nicht mehr zu rechtfertigen gewesen seien.

Dementsprechend beantragt der Kläger,

die Beklagte zu verurteilen, 50.000,-- € nebst

5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1.1.

2001 an die U AG, zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet, in irgendeiner Form auf die selbständige Entscheidung des U-Vorstandes zur Teilnahme an der UMTS-Versteigerung Einfluß genommen zu haben. Vielmehr handele es sich insoweit um eine selbständige, angemessene Unternehmensentscheidung, die insbesondere vor dem Hintergrund der gesamteuropäischen UMTS-Konzernstrategie zu bewerten sei. Die U habe sich im Bereich der UMTS-Technologie große Chancen zur Erschließung neuer Umsatzquellen und zur Vergrößerung der Marktabdeckung ausgerechnet und deswegen dazu entschlossen, in allen für die U wichtigen europäischen Märkten UMTS-Mobilfunklizenzen zu erwerben. Gerade aufgrund der Global Player Ansprüche des damaligen Vorstandsvorsitzenden habe das Unternehmen selbständig den Entschluß gefaßt, sich europaweit um UMTS-Lizenzen zu bemühen, wie insbesondere der - unstreitig - zeitlich vor der Deutschen UMTS-Versteigerung erfolgte Erwerb der UMTS-Lizenz in Großbritannien belege. Auch hier seien - unstreitig - etwa 6,7 Milliarden EURO für den Erwerb der Lizenz bezahlt worden. Vor diesem Hintergrund sei die Teilnahme an der Deutschen UMTS-Versteigerung zwangsläufig und letztlich die einzige sinnvolle Option gewesen. Die U habe erwartet, durch die neue Technologie eine erhebliche Steigerung des Unternehmenswertes herbeizuführen. Im Falle des Nichterwerbs einer UMTS-Lizens für den Deutschen Markt hätten alle an den Entscheidungen Beteiligten einen alsbaldigen Niedergang der U erwartet.

Tatsächlich sei auch weder über den Aufsichtsrat noch über sonstige Kontakte zum Vorstand der U in irgendeiner Form Einfluß auf die Entscheidung des Vorstandes genommen worden. Die Beklagte meint, da der Kläger eine konkrete Einflußnahme nicht substantiiert vorgetragen habe, sei sie auch nicht zur Vorlage von Aufsichtsratsprotokollen oder der Geschäftsordnung des Aufsichtsrates verpflichtet. Gesetzgeberische Maßnahmen der Beklagten oder Verwaltungsentscheidungen der Regulierungsbehörde könnten nicht als Einflußnahme im Sinne des § 317 AktG gewertet werden. Im übrigen seien die aufgrund der Vorgaben des Telekommunikationsgesetzes, das den Vorgaben Europäischen Rechts entspreche, getroffenen hoheitlichen Maßnahmen rechtlich nicht zu beanstanden (Hinsichtlich der Einzelheiten wird hier auf die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 9.8.2004, Blatt 127 ff. der Akten Bezug genommen).

Außerdem hält sie den Erwerb der UMTS-Lizenz für kein nachteiliges Rechtsgeschäft, sondern - jedenfalls aus der gebotenen ex ante-Sicht - für ökonomisch sinnvoll. Tatsächlich sei die wirtschaftliche Verwertung der Lizenzen auch wirtschaftlich vorteilhaft; jedenfalls habe der Kläger einen Schaden der U nicht hinreichend substantiiert vorgetragen.

Dem klägerischen Anspruch stehe im übrigen auch entgegen, dass fünf Mitbewerber zu ähnlich hohen Preisen Lizenzen erworben hätten. Die Beteiligung dieser - von der Beklagten in keiner Weise beeinflußten - Unternehmen, denen jeweils ausgereifte, auf einer sorgfältigen Marktanalyse beruhende Geschäftspläne zugrunde gelegen hätten, die von den finanzierenden Banken als angemessen genehmigt worden seien, zeige eindrucksvoll, dass entsprechend § 317 Abs. 2 AktG auch die Geschäftsleiter unabhängiger Gesellschaften zum fraglichen Zeitpunkt bereit gewesen seien, das Geschäft unter den gleichen Bedingungen abzuschließen.

Gründe

Die Klage ist zulässig; insbesondere sind vorliegend die Voraussetzungen für eine Aktionärsklage im Sinne der § 317 Abs. 4 in Verbindung mit § 309 Abs. 4 AktG erfüllt.

Indessen gibt die Besonderheit dieser Verfahrensart unabhängig von der Frage, ob es sich dabei um einen Fall gewillkürter Prozeßstandschaft oder eine sogenannte actio pro socio handelt (vergleiche zum Streitstand: Hüffer, AktG, 6. Aufl., Rdnr. 21 zu § 309 m.w.N.), bereits einleitend Veranlassung darauf hinzuweisen, dass der Kläger hierdurch nur zur Geltendmachung von aktienrechtlichen Schadensersatzansprüchen gemäß §§ 317, 311 AktG legitimiert wird. Der Kammer ist daher allein der Blick auf diese aktienrechtliche Anspruchsgrundlage eröffnet. Der ein qualifiziertes Minderheitenquorum im Sinne des § 147 AktG voraussetzende Gesichtspunkt einer verbotenen Einlagerückgewähr war dagegen von der Kammer ebensowenig zu prüfen, wie etwa angesichts der vom Kläger der Beklagten vorgeworfenen Monopolmißbrauchsvorwürfen theoretisch denkbare Staatshaftungs- oder Entschädigungsansprüche.

Die materiellen Voraussetzungen eines aktienrechtlichen Schadensersatzanspruches gemäß §§ 317, 311 AktG liegen allerdings hier nicht vor, so dass die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen war.

Entgegen der Auffassung des Klägers läßt sich insbesondere nicht feststellen, dass der U hier durch ein von der Beklagten veranlaßtes nachteiliges Rechtsgeschäft ein Schaden entstanden ist.

Unabhängig von dem Umfang der Darlegungslast im einzelnen (vergleiche dazu insbesondere Koppensteiner in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl., Rdnr. 26 zu § 317 AktG, der einem Aktionär unter bestimmten Voraussetzungen mit Hilfe des § 287 ZPO zu einer gewissen Beweiserleichterung verhelfen will) entspricht es einhelliger Auffassung (vergleiche statt weiterer MK-Kropff, MünchKom zum Aktiengesetz, 2. Aufl., Rn 73 zu § 317; Hüffer, a.a.O., Rdnr. 12 zu § 317 mit zahlreichen weiteren Nachweisen), dass derjenige, der sich auf einen Anspruch gemäß § 317 AktG beruft, einen Schadenseintritt darzulegen hat.

Der Kläger hat seine diesbezügliche Darlegungspflicht hier nicht erfüllt.

Nach Auffassung der Kammer reicht es dazu insbesondere angesichts der Komplexität und Besonderheit (nachgerade Einzigartigkeit) des vorliegenden Rechtsgeschäftes (Erwerb der UMTS-Lizenzen durch Teilnahme an der von der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (zukünftig: RegTP) durchgeführten Versteigerung) nicht aus, hier auf die im Zeitraum von 2000 bis zum 31.12.2004 erfolgten Abschreibung in Höhe von rund 1,9 Milliarden EURO oder auf den in diesem Zeitraum entfallenden Zinsaufwand (rund 2,2 Milliarden EURO) hinzuweisen. Eine solche verkürzte Sichtweise wird den Besonderheiten des Falles ebensowenig gerecht wie der Hinweis auf einen vermeintlich fehlenden "greifbaren Vermögensgegenstand" oder "fehlenden Wert" (Gegenstand der Versteigerung sei lediglich Wiederherstellung der Gewerbefreiheit für die erfolgreichen Bieter (vergleiche Kläger Blatt 19 der Akten)) der Lizenzen oder die isolierte Betrachtung des sicherlich hohen gezahlten oder noch höheren aufgezinsten Versteigerungserlöses.

Abgesehen davon, dass - wie etwa die Berichte von der diesjährigen Cebit zeigen - noch völlig ungeklärt erscheint, wie sich das Geschäft mit den UMTS-Lizenzen im Laufe des Vertragszeitraums von zunächst insgesamt 20 Jahren noch weiter entwickeln wird, ist in die Beurteilung der Frage, ob der U durch die Beteiligung an der UMTS-Versteigerung im Jahre 2000 ein Schaden entstanden ist, jedenfalls mit einzubeziehen, wie sich die wirtschaftliche Situation des Unternehmens dann entwickelt hätte, wenn dieses sich seinerzeit nicht zu einer Teilnahme entschlossen hätte. Zu fragen ist hier insbesondere, ob und gegebenenfalls welche Handlungsalternativen für die Verantwortlichen der U hier bestanden und welche wirtschaftlichen Auswirkungen diese für die U gehabt hätten. Dabei ist davon auszugehen, dass eine UMTS-Lizenz in Deutschland im Sommer 2000 ausschließlich über die Beteiligung an der Versteigerung zu erlangen war. Da dieses Verfahren von keinem der Beteiligten angefochten worden ist und eine Nichtigkeit der Versteigerungsauktion nicht erkennbar ist, ist die Kammer im Rahmen dieses aktienrechtlichen Verfahrens (in dem mögliche Staatshaftungs- und Entschädigungsansprüche nicht zu prüfen sind (s.o.)) nicht befugt, zu überprüfen, ob die Entscheidung der RegTP rechtmäßig war oder mit Erfolg hätte angefochten werden können (vgl. BGH NJW 1991, 700 f.; Musielak-Wittschier, Kommentar zur ZPO, 4. Aufl., Rdnr. 9, 20 zu § 13 GVG m. zahlreichen weiteren Nachweisen).

Dieser Punkt ist von der Beklagten im Rahmen der Klageerwiderung bereits ausdrücklich angesprochen worden. Auf die Notwendigkeit der Einbeziehung solcher Handlungsalternativen in die Gesamtbetrachtung im Rahmen der Schadensdarlegung und auf die entsprechende Notwendigkeit der Ergänzung des diesbezüglichen Sachvortrages hat die Kammer den Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich hingewiesen.

Gleichwohl hat der Kläger diesen Gesichtspunkt bei seinen Ausführungen zur Schadensberechnung gänzlich außer Betracht gelassen und damit seiner Darlegungspflicht nicht genügt.

Nicht ausreichend ist es insoweit, wenn der Kläger im Rahmen des nicht nachgelassenen Schriftsatzes vom 7.4.2005 (Band II, Blatt 297 ff. der Akten) auf das Beispiel des Mitbewerbers E hinweist und ausführt, dass die U allein durch einen entsprechenden früheren Ausstieg aus dem Versteigerungsverfahren und/oder den Verzicht auf den erfolglosen Versuch des Erwerbs eines dritten Frequenzblocks Milliarden DM hätte einsparen können. Abgesehen davon, dass - wie noch auszuführen sein wird - auch insoweit hinreichend substantiierter Sachvortrag dazu fehlt, warum dieses Verhalten des Vorstandes der U von der Beklagten veranlaßt gewesen sein soll, fehlt auch insoweit der gebotene Blick auf die daraus für die U als Marktführerin verursachten Folgen.

Die damit bereits abweisungsreife Klage kann zudem aus einem weiteren Grund keinen Erfolg haben. Die im Rahmen des Aktienrechts gebotene, in § 317 Abs. 2 AktG ausdrücklich nochmals normierte kaufmännische Betrachtungsweise läßt angesichts der unstreitigen Gesamtumstände nach Auffassung der Kammer den sicheren Schluß zu, dass auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer unabhängigen Gesellschaft sich vorliegend in gleicher Art und Weise an dem Versteigerungsverfahren beteiligt hätte.

§ 317 Abs. 2 AktG beinhaltet insoweit nicht nur eine Exkulpationsmöglichkeit, sondern einen Tatbestandsausschluß (vergleiche unter anderem Hüffer, a.a.O., Rdnr. 11 zu § 317). § 317 Abs. 2 AktG läßt dabei einen Anspruch schon dann nicht entstehen, wenn sich das Handeln aus Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters sich innerhalb des unternehmerischen Ermessensspielraums hielt (vergleiche etwa MK-Kopff, a.a.O., Rdnr. 73 zu § 317 m.w.N.). Es gibt dabei nicht nur eine denkbare richtige Verhaltensweise. Vielmehr hat ein solcher Geschäftsleiter notwendigerweise regelmäßig ein Entscheidungsspektrum zur Verfügung, das ihm innerhalb einer gewissen Bandbreite verschiedene Verhaltensweisen erlaubt. Er darf sich ohne Verletzung seiner Sorgfaltspflicht für unterschiedliche geschäftliche Strategien entscheiden und dabei auch Risiken eingehen, wenn ihm entsprechende Chancen gegenüberstehen (vergleiche auch insoweit MK-Kropff, a.a.O., Rdnr. 152 zu § 311 m.w.N.). Entscheidender Beurteilungszeitpunkt ist dabei nach einhelliger Auffassung (vergleiche etwa Hüffer, a.a.O., Rdnr. 28 zu § 311) die Vornahme der fraglichen Rechtshandlung, hier der August 2000, in dem die UMTS-Lizenzen versteigert wurden. Nachträgliche auch bei pflichtgemäßer Sorgfalt nicht vorauszusehende negative Entwicklungen müssen dabei außer Betracht gelassen werden (vergleiche MK-Kropff, a.a.O., Rdnr. 141 zu § 311 m.w.N.).

Wie die Geschäftsleiter vergleichbarer, gesellschaftrechtlich unabhängiger Telekommunikationsunternehmen im Sommer 2000 die Situation auf dem Markt einschätzten, zeigt - wie letztlich auch der Kläger im Ansatz nicht verkennt - die Beteiligung von fünf weiteren Konkurenzunternehmen an der Lizenzversteigerung. Auch wenn einige andere Unternehmen sich von vorneherein nicht an der Versteigerung beteiligten und andere während der Versteigerung aus dem Bewerberfeld ausschieden, so haben sich doch führende Konkurenzunternehmen bis zum Schluß an der Versteigerung beteiligt und annähernd gleich hohe Lizenzbeträge bezahlt. Dass dies - wie vom Kläger behauptet - ohne jede betriebswirtschaftliche Planung allein aufgrund gruppendynamischer Effekte, wie sie nach Erfahrungen des Klägers "in Kindergärten, Jugendgruppen und Vorstandsetagen gleichermaßen vorkommt", geschehen sein soll, erscheint nach Auffassung der Kammer angesichts der bekannten Gesamtumstände, auf Seiten des Klägers insbesondere auch angesichts ihres weltweiten Gesamtengagements auf dem neuen UMTS-Markt, schlicht ausgeschlossen. Viel eher kann dem Kläger schon darin zugestimmt werden, wenn er im Schriftsatz vom 27.9.2004 (Blatt 221 ff. (222 a.E./223 oben)) zur Begründung ergänzend ausführt, dass die großen auf dem Telekommunikationsmarkt tätigen Unternehmen und - wie der Kläger zu Recht hervorhebt - erst Recht "die U als größtes deutsches Telekommunikationsunternehmen" dies "sicherlich nicht" konnte.

Wenn der Kläger nun darauf abstellt, dass der Bund als Monopolist die Zwangslage aller auf dem Markt befindlichen Unternehmen verbotenerweise ausgenutzt und dabei vor einer Schädigung der von ihm abhängigen Gesellschaft nicht zurückgeschreckt habe, so verkennt er die Reichweite des vorliegenden aktienrechtlichen Verfahrens. Die Frage eines möglichen Fehlverhaltens des Bundes im Rahmen des UMTS-Versteigerungsverfahrens kann allenfalls zum Gegenstand von staatshaftungsrechtlichen Ansprüchen gemacht werden. Sie ist jedoch hier nicht entscheidungsrelevant. Insbesondere steht die vom Kläger geschilderte Zwangssituation hier nicht der Feststellung entgegen, dass die Geschäftsleiter vergleichbarer Unternehmen sich in der gleichen Situation genau so verhalten haben, wie dies der Vorstand der U getan hat.

Letztlich leidet die Argumentation des Klägers zu diesem Punkt an einem entscheidenden Mangel seiner Betrachtungsweise. Er ist offensichtlich der Meinung, dass die Beklagte für jedwedes Handeln des Staates einzustehen habe und dass dies im Rahmen des vorliegenden aktienrechtlichen Verfahrens zu überprüfen sei. Das Letzteres nicht der Fall ist, wurde bereits dargelegt. Unzutreffend ist es aber auch, staatliches Handeln ohne Rücksicht auf die jeweilige Aufgabe (etwa als Gesetz- oder Verordnungsgeber, als Verwaltungsbehörde oder als privatwirtschaftlich tätiger Mehrheitsaktionär) und ohne nähere Betrachtung der jeweils handelnden, unterschiedlich legetimierten Staatsorgane (die im Einzelfall aufgrund ihrer Aufgabenzuweisung durchaus unterschiedliche Interessen und Sichtweisen zu vertreten haben können) ohne jede Unterscheidung einer einheitlichen Gesamtbetrachtung unterziehen zu wollen. Vielmehr ist gerade auch im hier relevanten aktienrechtlichen Bereich eine Differenzierung einzelner staatlicher Verhaltensweisen zwingend erforderlich. Die öffentliche Aufgabenstellung von Gebietskörperschaften wie deren von privatwirtschaftlichen Unternehmen abweichende Struktur ihrer Verwaltung gebieten insbesondere bei der Frage, ob eine herrschende Gebietskörperschaft das abhängige Unternehmen "veranlaßt" hat, eine differenzierte Betrachtungsweise (vergleiche MK-Kropff, a.a.O., Rdnr. 125 zu § 311 m.w.N.). Namentlich kann insoweit nicht jedes Verhalten als "Veranlassung" im Sinne von § 311 AktG angesehen werden, das eine bestimmte Geschäftsführungsmaßnahme herbeiführen soll (vergleiche MK-Kropff, a.a.O.). So fällt insbesondere die hoheitliche Tätigkeit der Gebietskörperschaft, also staatliches Handeln als Gesetz- oder Verordnungsgeber sowie Handeln durch Verwaltungsakt, nicht unter §§ 311, 317 AktG. In der hoheitlichen Entscheidung für ein Versteigerungsverfahren statt der Ausschreibung der Lizenzen liegt damit keine aktienrechtlich relevante Veranlassungshandlung der Beklagten.

Aktienrechtlich von Bedeutung könnte daher hier allenfalls der Vortrag des Klägers sein, die Beklagte habe über den Aufsichtsrat das Verhalten des Vorstandes der U veranlaßt.

Insoweit hält die Kammer indessen das Vorbringen des Klägers im Ergebnis ebenfalls für unzureichend, da unsubstantiiert.

Dabei verkennt sie nicht, dass in der Literatur insbesondere bei einer Aktionärsklage hinsichtlich des Umfangs der grundsätzlich bestehenden Darlegungs- und Beweislast des Klägers unterschiedliche Rechtsauffassungen diskutiert und allgemein Beweiserleichterungen für notwendig erachtet werden (vergleiche etwa Hüffer, a.a.O., Rdnr. 20 f. m.w.N.). Das Ausmaß dieser Erleichterungen hängt allerdings auch insoweit stark vom jeweiligen Einzelfall ab. Die Beweiserleichterung soll nur die sich aus dem mangelnden Zugriff eines außenstehenden Kleinaktionärs auf Unternehmensinterna ergebenden Nachteile ausgleichen. Sie darf indessen nicht dazu dienen, den Gegner auszuforschen, so daß dieser auf spekulativen Sachvortrag mit schlichtem Bestreiten reagieren darf (vergleiche MK-Kropff, a.a.O., Anhang zu § 317 Rdnr. 57). Die Kammer ist sich ferner auch bewußt, dass der Begriff der Veranlassung relativ weit zu fassen ist, so daß jede Einflußnahme die zu einem bestimmten Ergebnis führt, gleichgültig ob sie sich als Ratschlag, Anregung, Erwartung eines bestimmten Verhaltens oder als Weisung darstellt, die Voraussetzungen erfüllen kann (vergleiche auch insoweit Hüffer, a.a.O., Rdnr. 16 zu § 311).

Allerdings kann von Veranlassung nur die Rede sein, wenn das Verhalten des herrschenden Unternehmens für dasjenige der abhängigen Gesellschaft wenigstens mitursächlich war (vergleiche Hüffer, a.a.O., Rdnr. 16, 24 zu § 311). Dementsprechend ist auf Seiten des abhängigen Unternehmens Voraussetzung, dass der Wunsch des herrschenden Unternehmens erkannt und daraufhin gehandelt worden ist. War hingegen die abhängige Gesellschaft auch ohne Einwirkung des herrschenden Unternehmens zur Vornahme des Geschäfts entschlossen, so ist das Handeln nicht veranlaßt (vergleiche MK-Kropff, a.a.O., Rdnr. 78 zu § 311).

Vorliegend sprechen zahlreiche Indizien dafür, dass der Vorstand der U sich unbeeinflußt zu einer Teilnahme an der UMTS-Versteigerung entschlossen hat, während die pauschalen Behauptungen des Klägers zu der vermeintlichen Beeinflussung des Vorstandes über den Aufsichtsrat keine konkreten Anhaltspunkte enthalten sondern zumindest teilweise, jedenfalls soweit der Kläger sich etwa auf Presseberichte beruft, rein spekulativen Charakter aufweisen. Unter diesen Umständen kann daher auch keinesfalls pauschal die Vorlage der Geschäftsordnung des Aufsichtsrates der U oder von Auszügen aller einschlägigen Aufsichtsratsprotokolle verlangt werden. Um nicht in Widerstreit zur Verhandlungsmaxime zu geraten, darf eine Vorlageanordnung nach § 142 ZPO nämlich keinesfalls zur Ausforschung nicht vorgetragener Sachverhaltselemente führen (vergleiche statt weiterer Zöller-Greger, ZPO, 25. Aufl., Rdnr. 1 zu § 142). Da der Kläger überhaupt keine Einzelheiten betreffend mögliche Einflussnahmehandlungen von bestimmten Aufsichtsratsmitgliedern vorgetragen hat, ist eine solche Anordnung hier unzulässig.

Dafür, dass der Vorstand der U hier unbeeinflußt von der Beklagten gehandelt hat, spricht vorliegend insbesondere folgendes:

Die Versteigerung der deutschen UMTS-Lizenzen darf nicht isoliert betrachtet werden. Sie fügt sich vielmehr ein in ein gesamteuropäisches Konzept. UMTS bot der Telekommunikationsbranche ein europaweit harmonisiertes Frequenzspektrum. Dementsprechend hat sich die U, deren damaliger Vorstandsvorsitzender, wie allgemein bekannt ist, die Zukunftschancen des Unternehmens insbesondere in einer Rolle als Global Player sah, auch europaweit - wenn auch nicht in allen Fällen erfolgreich - um den Erwerb von UMTS-Lizenzen bemüht. Zeitlich schon vor der deutschen Versteigerung hatte die U bereits an der UMTS-Versteigerung in Großbritannien teilgenommen und dort etwa 6,7 Milliarden EURO für vergleichbare Lizenzen bezahlt. Da keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass zu diesem frühen Zeitpunkt bereits eine Einflußnahme durch die Beklagte erfolgt sein könnte und vor diesem Hintergrund eine Beteiligung der U auf dem bis dahin von ihr beherrschten deutschen Markt geradezu zwangsläufig erscheint, ist der Kläger hier gehalten, nähere Umstände für die von ihm behauptete Veranlassung vorzutragen. Nicht ausreichend ist dabei der Hinweis auf Vertreter der Beklagten im Aufsichtsrat der U. Für eine Beweiserleichterung besteht insoweit keine Veranlassung. Denn in einem solchen Fall ist nicht allgemein zu vermuten, dass ein nachteiliges Rechtsgeschäft oder eine nachteilige Maßnahme durch die Handlung der Vertreter des herrschenden Unternehmens in dem Aufsichtsrat des abhängigen Unternehmens veranlaßt wurde, weil der Aufsichtsrat der Geschäftsführung ferner steht und die Vorgänge im Aufsichtsrat im allgemeinen gut bezeugt sind (vergleiche Müko-Kropff, a.a.O., Rdnr. 105 zu § 311). Da der klägerische Vortrag sich hier in pauschalen Vorwürfen und allgemeinen Darlegungen zu vermeintlich üblichen Verhaltensweisen erschöpft, ohne konkrete Anhaltspunkte für eine tatsächliche Einflußnahme zu benennen, ist er insgesamt unzureichend.

Nach alledem war daher die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gründet in § 709 ZPO.

Streitwert: 50.000,-- €.






LG Bonn:
Urteil v. 27.04.2005
Az: 16 O 13/04


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