Bayerisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 8. Dezember 2008
Aktenzeichen: L 18 B 611/08 U PKH

(Bayerisches LSG: Beschluss v. 08.12.2008, Az.: L 18 B 611/08 U PKH)

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss desSozialgerichts Bayreuth vom 04.06.2008 aufgehoben.

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe ohneRatenzahlungsverpflichtung bewilligt und Rechtsanwalt H., D.str.. ,B-Stadt, beigeordnet.

Die außergerichtlichen Kosten des Klägers für dasBeschwerdeverfahren werden auf die Staatskasse übernommen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Aufhebung des ablehnenden Prozesskostenhilfe-Beschlusses des Sozialgerichts (SG) Bayreuth vom 04.06.2008, die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung des Rechtsanwalts H..

Die Beteiligten streiten in der Hauptsache darüber, ob beim Kläger Berufskrankheiten im Sinne der Nr. 2108 und/oder 2109 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vorliegen. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 12.10.2007 beim SG die Gewährung von PKH beantragt, die das SG mit Beschluss vom 04.06.2008 mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt hat. Es hat die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der Berufskrankheiten unter Bezugnahme auf Erhebungen der Beklagten verneint. Die Beklagte habe sich im Verwaltungsverfahren an den Vorgaben des Mainz-Dortmunder-Dosismodells (MDD) orientiert. Das Bundessozialgericht (BSG) gehe im Urteil vom 19.08.2003 Az: B 2 U 1/02 R, modifiziert durch das Urteil vom 30.10.2007 B 2 U 4/06 R ebenfalls davon aus, dass das MDD nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand ein geeignetes Modell zur Feststellung der schädigenden Einwirkung im Sinne der Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 der Anlage zur BKV darstelle.

Der Kläger hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt.

Der Senat hat den Beklagten zur Beschwerde gehört.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und, da sie form- und fristgerecht eingelegt worden ist (§ 173 SGG), im Übrigen zulässig. Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet.

Die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die PKH gelten (im Sozialgerichtsrechtsstreit entsprechend (§ 73a SGG). Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO). Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 ZPO).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet das Grundgesetz (GG) eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (so BVerfGE 81, 347, 356 mwN). Da der Gleichheitsgrundsatz des GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip keine vollständige Gleichstellung Unbemittelter mit Bemittelten verlangt, sondern nur eine weitgehende Angleichung, ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von PKH davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. PKH darf dann verweigert werden, wenn die Erfolgschance nur eine entfernte ist (BVerfGE aaO S 357).

Für die Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht genügt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer 8.Aufl, § 73a Rdnr 7 mwN); der Erfolg braucht nicht mit Sicherheit festzustehen. Es muss nicht abschließend abzusehen sein, ob das Rechtsmittel begründet ist, vielmehr ist die Erfolgsaussicht grundsätzlich schon dann als hinreichend anzusehen, wenn sich die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme ergibt (Peters-Sautter-Wolff 4.Aufl, § 73a S 258/8-14/21. Eine hinreichende Erfolgsaussicht kann somit vorliegen, wenn es erforderlich erscheint, Gutachten einzuholen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer aaO; Beschluss des BayLSG vom 06.07.1987 - L 5 B 55/87.Ar und vom 22.03.1989 - L 5 B 305/88.Ar).

Dies ist hier der Fall. Für die Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Beklagte im Sinne der Nr 2108 der Anlage zur BKV vorliegen, sind nach dem vom SG zitierten Urteil des BSG vom 30.10.2007 die vom MDD vorgegebenen Orientierungswerte im Lichte neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zu modifizieren. Die vorliegende Streitsache ist daher nach den Vorgaben des BSG unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu entscheiden. Die hinreichende Erfolgsaussicht ist vorliegend zu bejahen.

Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes ist auch erforderlich, insbesondere aus dem Grundsatz der "Waffengleichheit" (§ 121 Abs. 2 ZPO; vgl hierzu Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 22.06.2007 Az: 1 BvR 681/07).

Der Kläger erfüllt die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Die Beschwerde gegen einen Beschluss, der einen Antrag auf PKH ablehnt, ist eine besondere Angelegenheit im Sinne des § 18 Nr 5 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vom 05.05.2004 (RVG), so dass im Beschwerdeverfahren vom Landessozialgericht (LSG) eine Kostenentscheidung zu treffen ist (ebenso LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 06.08.2007 - L 3 B 307/06 AS mwN; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9.Auflage, § 176 Rdnr 5a). § 127 Abs. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) steht der Pflicht der Staatskasse zur Kostenerstattung nicht entgegen. Zwar bestimmt § 127 Abs. 4 ZPO, dass die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet werden. Im PKH-Prüfungsverfahren einschließlich der Beschwerde geht es aber um staatliche Daseinsvorsorge, die Parteien stehen sich dort also nicht wie im Klageverfahren als Gegner gegenüber. In § 127 Abs. 4 ZPO geht es um den Ausschluss der Erstattung von Kosten durch den Gegner im Zivilprozess (vgl OLG Hamburg, Beschluss vom 16.04.2002 in MDR 15/2002 S 910). Diese Vorschrift kann nicht über § 201 SGG entsprechend auf die Staatskasse angewendet werden. Mit dem öffentlich-rechtlichen Gebührenanspruch gemäß §§ 18 Nr. 5, 45 Abs. 1 RVG besteht nunmehr eine gesetzliche Grundlage, die Kosten des mit der Beschwerde beauftragen Rechtsanwaltes der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte -BRAGO-, Kommentar, 12.Auflage § 51 Rdnr 17; dort wird unter der Geltung der BRAGO von einer fehlenden gesetzlichen Grundlage ausgegangen und diese Ansicht wird in der 14. Auflage aaO § 51 Rdnr 18 trotz gleichzeitig geäußerter verfassungsrechtlicher Bedenken fortgeschrieben).

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar, § 177 SGG.






Bayerisches LSG:
Beschluss v. 08.12.2008
Az: L 18 B 611/08 U PKH


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