Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. März 2002
Aktenzeichen: 20 W (pat) 42/00

(BPatG: Beschluss v. 27.03.2002, Az.: 20 W (pat) 42/00)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I Die Anmeldung ist durch den Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse H 04 M in der Anhörung vom 5. Juli 2000 mit der Begründung zurückgewiesen worden, der Anspruch 1 sei nicht gewährbar, weil sein Gegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Die Entscheidung stützte sich auf die Entgegenhaltung

(1) EP 0 824 295 A2.

Die Anmelderin stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent zu erteilen auf der Grundlage der zuletzt eingereichten Unterlagen.

Der geltende Patentanspruch 1 (Schriftsatz vom 17. April 2000) lautet:

"1. Verfahren zum Ermitteln und Verarbeiten von für den Aufbau einer Telefonverbindung in einem CTI-System zu verwendenden Informationen, umfassend die Schritte:

a) Auswahl einer beliebigen, auf Anzeigemitteln (11) von Rechnermitteln (4) des CTI-Systems durch ein beliebiges Anwendungsprogramm dargestellten Zeichenfolge durch einen Benutzer (S101-S103), b) automatisches Einlesen der ausgewählten Zeichenfolge mittels eines separaten Anwendungsprogramms (8) zum anwendungsübergreifenden Einlesen von beliebigen auf den Anzeigemitteln (11) dargestellten Zeichenfolgen, c) Prüfen der eingelesenen Zeichenfolge (S104-S106) durch das separate Anwendungsprogramm (8) hinsichtlich der Relevanz dieser Zeichenfolge für einen Aufbau einer Telefonverbindung, undd) bei positivem Prüfungsergebnis Initiieren einer Telefonverbindung durch das separate Anwendungsprogramm (8) mittels der Zeichenfolge."

Zur Begründung ihres Antrags führt die Anmelderin im wesentlichen aus, daß das Verfahren nach Anspruch 1 es gestatte, eine durch ein beliebiges - irgendein - Anwendungsprogramm dargestellte Zeichenfolge auszuwählen und diese mittels eines separaten Anwendungsprogramms automatisch und anwendungsübergreifend - ohne Benutzung einer Windows-Zwischenablage - einzulesen. Weiter werde die eingelesene Zeichenfolge durch das separate Anwendungsprogramm hinsichtlich der Relevanz dieser Zeichenfolge für einen Aufbau einer Telefonverbindung überprüft, und bei positivem Prüfungsergebnis werde durch das separate Anwendungsprogramm mittels der Zeichenfolge eine Telefonverbindung initiiert.

Dagegen erfolgten bei dem aus dem Stand der Technik nach (1) als bekannt entnehmbaren Verfahren Auswahl und Einlesen der Zeichenfolge - umständlich - über eine (Windows- oder Windowsähnliche) Zwischenablage. Auch werde keine Prüfung der Zeichenfolge hinsichtlich ihrer Relevanz für einen Aufbau einer Telefonverbindung vorgenommen, da die eingelesenen Telefonnummern dem CTI-Server als Telefonnummern bekannt seien. Außerdem seien in (1) nicht beliebige Anwendungsprogramme beschrieben, sondern beispielhaft Webbrowser und Telefonbücher benannt.

II Die Beschwerde ist zulässig, führt jedoch nicht zum Erfolg, weil der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht patentfähig ist.

Die gewerbliche Anwendbarkeit und die Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 mögen zwar gegeben sein; ihm liegt jedoch keine erfinderische Tätigkeit zugrunde, weil sich der Gegenstand für den Fachmann, hier ein Physiker oder Hochschulingenieur der Fachrichtung Nachrichtentechnik, mit Berufserfahrung und mehrjähriger Entwicklertätigkeit auf dem Gebiet der Computer Telephony Integration- (CTI-) Technik, in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

Aus der Druckschrift (1), vgl. insbesondere die Fig. 1 bis 5 und den Wortlaut des Anspruchs 1, ist ein Verfahren zum Ermitteln und Verarbeiten von für den Aufbau einer Telefonverbindung in einem CTI-System zu verwendenden Informationen als bekannt entnehmbar.

Das bekannte Verfahren weist außerdem die folgenden Schritte auf:

a) Auswahl einer auf Anzeigemitteln von Rechnermitteln des CTI-Systems durch ein Anwendungsprogramm dargestellten Zeichenfolge durch einen Benutzer (vgl "applications executing...", "telephone number", "internet addresses" und "name of intended addressee", Sp 8 Z 1-7, Sp 9 Z 13-21, Sp 10 Z 27-30, Sp 12 Z 4-10, Sp 15 Z 32-36), b) Einlesen der ausgewählten Zeichenfolge mittels eines separaten Anwendungsprogramms ("instance of application", Sp 12 Z 4-18), c) Prüfen der eingelesenen Zeichenfolge durch das separate Anwendungsprogramm hinsichtlich der Relevanz dieser Zeichenfolge für den Aufbau einer Telefonverbindung (Sp 12 Z 4-18, Sp 15 Z 44-55), undd) bei positivem Prüfungsergebnis Initiieren einer Telefonverbindung durch das separate Anwendungsprogramm mittels der Zeichenfolge (Sp 8 Z 1-7, 40-54, Sp 12 Z 10-15, Anspruch 1).

Als Anwendungsprogramme zum Anzeigen der Zeichenfolge sind in (1) ein Web-Browser und eine Datenbank oder ein Adressbuch genannt (Sp 11 Z 57 bis Sp 12 Z 10, Sp 15 Z 32-36). Die CTI-Programme, insbesondere die eine Zeichenfolge darstellenden Anwendungsprogramme und das separate Anwendungsprogramm (Client- wie auch Server-Programme) können unter verschiedenen Betriebssystemen mit graphischer Benutzeroberfläche, zB Windows, OS/2, AIX, ablaufen (Sp 8 Z 15-19).

Bei dem aus (1) bekannten CTI-Verfahren mag zwar das Prüfen der eingelesenen Zeichenfolge durch das separate Anwendungsprogramm hinsichtlich der Relevanz dieser Zeichenfolge für den Aufbau einer Telefonverbindung primär darauf gerichtet sein, für die zu initiierende Telefonverbindung ausreichend Kapazität zur Verfügung zu stellen (Sp 15 Z 32-55), so daß, wie auch die Beschwerdeführerin zu Recht argumentiert, die auf dem Server gespeicherten Zeichenfolgen für den Aufbau einer Telefonverbindung möglicherweise keiner weiteren Prüfung bedürfen. Das entbindet aber den Fachmann nicht von seiner Pflicht, eine fachübliche Plausibilitätskontrolle der ausgewählten und eingelesenen Zeichenfolge hinsichtlich der Relevanz dieser Zeichenfolge für den Aufbau einer Telefonverbindung dahingehend vorzunehmen, ob die Zeichenfolge - zumindest auch formal - eine Telefonnummer darstellt. Eine solche Plausibilitätsprüfung kann auch bei den aus (1) bekannten Eingabe- und Auswahlvorgängen (vgl Sp 9 Z 13-21, Sp 11 Z 57 bis Sp 12 Z15, Sp 15 Z 32-36, Z 47-50) unterstellt werden. Das Initiieren einer Telefonverbindung ist dann nur bei einem positiven Prüfungsergebnis sinnvoll. Mehr wird jedoch auch in dem Verfahren nach Anspruch 1 nicht gefordert.

Unter die in (1) neben Anwendungsprogrammen allgemein (Sp 10 Z 24-30) beispielhaft genannten Anwendungen Web-Browser und Datenbank oder Adressbuch (Sp 11 Z 57 bis Sp 12 Z 10, Sp 15 Z 32-36) mag der Fachmann außerdem beliebige (gemäß der Argumentation der Beschwerdeführerin: irgendwelche) Anwendungsprogramme subsummieren, die - beliebige - Zeichenfolgen darstellen und unter den in (1) genannten Betriebssystemen (Sp 8 Z 15-19) ablaufen, wie zB auch Textverarbeitungsprogramme. Zumindest aber rückt der aus der Praxis heraus bestehende Wunsch des Benutzers, auf beliebige, von welcher Anwendung auch immer dargestellte Zeichenfolgen benutzerfreundlich ohne Umwege zuzugreifen, auch jedwedes - beliebige - Anwendungsprogramm, das Zeichenfolgen darstellt, in das Blickfeld des Fachmannes (vergl. BPatG Beschluß 20 W (pat) 4/00 vom 9. Januar 2002 - "Selbstbedienungs-Chipkartenausgabe", zur Veröffentlichung vorgesehen).

Die außerdem vorgetragene Argumentation der Beschwerdeführerin, das Verfahren nach Anspruch 1 gestatte es, eine durch ein Anwendungsprogramm dargestellte Zeichenfolge auszuwählen und diese mittels des separaten Anwendungsprogramms automatisch und damit ohne Benutzung einer Windows-Zwischenablage einzulesen, findet so keinen Rückhalt in der Formulierung des Anspruchs 1. Jedoch auch bei Berücksichtigung dieser Betrachtungsweise wäre der Fachmann durch den fachüblichen Wunsch nach Komfort (vgl vorstehenden Absatz) veranlaßt, die in (1) beschriebenen Vorgänge der Auswahl und des Einlesens der dargestellten Zeichenfolge benutzerfreundlich mit möglichst wenig Bedienungsschritten zu gestalten und damit ua die Benutzung einer Zwischenablage zu vermeiden.

In Anbetracht der Sachlage kann die Frage, ob das Merkmal "beliebiges Anwendungsprogramm" in dieser Form den ursprünglichen Unterlagen entnehmbar ist, dahingestellt bleiben.

Dr. Anders Kalkoff Dr. Hartung Dr. van Raden Pr






BPatG:
Beschluss v. 27.03.2002
Az: 20 W (pat) 42/00


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