Bundesgerichtshof:
Urteil vom 7. Februar 2006
Aktenzeichen: KZR 27/05

(BGH: Urteil v. 07.02.2006, Az.: KZR 27/05)

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 5. Zivilsenat, vom 10. Februar 2005 aufgehoben.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer für Handelssachen 16, vom 23. Januar 2004 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger betreibt eine LOTTO-TOTO-Annahmestelle mit Zeitschriftenverkauf in Bremen. Er wendet sich gegen eine Werbung für ein Probeabonnement, die der beklagte Verlag Anfang 2003 veröffentlichte. Die Abonnenten sollten bei einer Ersparnis von "über 40%" zehn Ausgaben der Wochenzeitschrift "Echo der Frau" und als "Gastleser"-Geschenk "eine CD voll mit alten Schlager-Klassikern" erhalten.

Der Kläger beanstandet, dass der Beklagte mit dem Testabonnement den von ihm selbst vorgegebenen Einzelverkaufspreis, an den der Zeitschriftenhandel gebunden sei, um mehr als 40% unterschreite und darüber hinaus eine Zugabe gewähre, deren Wert nicht in angemessenem Verhältnis zum Erprobungsaufwand stehe. Der Kläger hat den Beklagten auf Unterlassung solcher Ankündigungen und der Gewährung der angekündigten Vorteile in Anspruch genommen. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Der Kläger stützt sein Begehren auf Wettbewerbsregeln, die der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) für den Vertrieb von abonnierbaren Publikumszeitschriften aufgestellt hat. In diesen Wettbewerbsregeln, die das Bundeskartellamt während des Berufungsverfahrens mit Beschluss vom 30. März 2004 (B 6-22220-W-86/03) nach § 26 Abs. 1 GWB a.F. anerkannt hat, heißt es u.a.:

3. Probeabonnements Kurzabonnements zu Erprobungszwecken ("Probeabonnements") sind zulässig, wenn sie zeitlich auf maximal drei Monate begrenzt sind und nicht mehr als 35 Prozent unter dem kumulierten Einzelheftpreis liegen. Derartige Probeabonnements sind nicht beliebig oft wiederholbar; sie dürfen nur in ein reguläres Abonnement führen, wenn dies jederzeit kündbar ist.

4. Werbegeschenke bei Werbeexemplaren und Probeabonnements Sachgeschenke als Belohnung für die Bereitschaft zur Erprobung ("Werbegeschenke") müssen in einem angemessenen Verhältnis zum Erprobungsaufwand stehen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist in der Sache ohne Erfolg geblieben (OLG Hamburg MD 2005, 794 = WRP 2005, 635 [Ls.]). Hiergegen richtet sich die - vom Berufungsgericht zugelassene - Revision des Beklagten. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gründe

I. Das Berufungsgericht hat das beanstandete Verhalten des Beklagten als im Verhältnis zu den gebundenen Zeitschriftenhändlern vertragswidrig und gleichzeitig als unlauter i.S. von §§ 3, 4 Nr. 10 UWG angesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Durch den Preisbindungsrevers sei der Beklagte mit den Zeitschriftenhändlern vertraglich verbunden. Mit seiner Preisgestaltung für das Probeabonnement verstoße der Beklagte gegen die sich aus dieser vertraglichen Bindung im Rahmen von Treu und Glauben ergebenden wechselseitigen Rücksichtnahme- und Leistungstreuepflichten mit der Folge, dass seinem jeweiligen Vertragspartner aus der Preisbindungsvereinbarung der mit der Klage geltend gemachte Unterlassungsanspruch zustehe.

Eine Preisunterschreitung im Rahmen einer Werbeaktion für ein Probeabonnement sei nicht schlechthin unzulässig. Der Bereich der (vertraglich) noch zulässigen Abonnentenwerbung werde jedoch verlassen, wenn der mit dem Testabonnement verbundene Erprobungszweck erkennbar überschritten werde und sich das Verhalten als eine treuwidrige Umleitung von Kunden von den preisgebundenen Zeitschriftenhändlern unmittelbar auf das preisbindende Verlagsunternehmen darstelle. Einen entscheidenden Anhaltspunkt für die Frage, in welchem Umfang preisbindende Verlage besondere - zeitlich begrenzte - Vorteile für die Gewinnung neuer Abonnementkunden versprechen könnten, lieferten die "Wettbewerbsregeln für den Vertrieb von abonnierbaren Publikumszeitschriften", die für bis zu dreimonatige Probeabonnements einen Nachlass von maximal 35% gegenüber dem Einzelverkaufspreis der Einzelhefte vorsähen. Die angegriffene Werbung überschreite diese Obergrenze und verspreche zusätzlich noch eine attraktive Gratiszugabe, die zum Erprobungsaufwand nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis stehe. Damit verstoße sie gegen das - in den erwähnten Wettbewerbsregeln ebenfalls festgehaltene - Verbot, Prämien zu gewähren, von denen ein wettbewerbswidriger Lockeffekt ausgehe.

Aus dem Zusammenhang der Wettbewerbsregeln ergebe sich, dass für Preisnachlässe und Zugaben ein Kumulationsverbot bestehe. Der Beklagte habe gegen das Kernstück der Preisbindung verstoßen, die er seinen Vertragspartnern auferlegt habe. Da er in dem Preisbindungsrevers keine eigenen Vertragspflichten übernommen habe, scheide zwar ein Verstoß gegen eine vertragliche Hauptleistungspflicht aus. Der Verstoß wiege aber so schwer, dass er der Verletzung einer Hauptleistungspflicht gleichstehe. Auch wenn die Besonderheiten des Pressevertriebs geringere Leistungstreue- und Rücksichtnahmepflichten zur Folge hätten, ändere dies nichts an der Treuwidrigkeit des beanstandeten Verhaltens, das zu Verschiebungen zwischen Einzel- und Abonnementvertrieb führe und damit nachhaltig die Wirtschaftlichkeit des Zeitschriftenhandels beeinträchtige, wobei es nicht darauf ankomme, ob die vom Kläger befürchteten Umsatzrückgänge bereits eingetreten seien oder nicht. Es sei davon auszugehen, dass die beanstandete Werbeaktion allein dem Abonnement- und nicht auch dem Einzelvertrieb zugute komme. Denn das Probeabonnement gehe am Ende der Erprobungsphase automatisch in ein normales Abonnement über.

Bei dem vom Beklagten begangenen Vertragsverstoß handele es sich nicht nur um eine Obliegenheitsverletzung, die lediglich dazu führe, dass der Beklagte sich gegenüber den Zeitschriftenhändlern nicht mehr auf die Preisbindung berufen könne. Der Beklagte trete vielmehr mit seinem Verhalten in direkte Konkurrenz zu den Einzelhändlern und verschaffe sich durch das beanstandete Verhalten einen treuwidrigen Wettbewerbsvorteil. Den Zeitschriftenhändlern stehe gegenüber dem Beklagten ein vertraglicher Anspruch zu, das vertragswidrige Verhalten zu unterlassen. Die Verletzung vertraglicher Pflichten begründe zugleich einen Verstoß gegen § 3 UWG i.V. mit den VDZ-Wettbewerbsregeln. Ein solcher Vertragsverstoß könne ausnahmsweise auch deliktische Ansprüche begründen, wenn - wie im Streitfall - der Verletzer das vertragswidrige Verhalten gezielt zur Förderung des eigenen Wettbewerbs einsetze und dadurch nachhaltig in den Wettbewerb eingreife.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage.

1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass dem Kläger gegen den Beklagten ein lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsanspruch zusteht.

a) Mit Recht weist die Revision darauf hin, dass der Kläger nicht mit Hilfe des Lauterkeitsrechts die Unterlassung einer missbräuchlichen Handhabung der Preisbindung i.S. von § 30 Abs. 3 Nr. 1 GWB 2005 (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 GWB 1999) beanspruchen könne. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen enthält - dies wird in der seit dem 1. Juli 2005 geltenden Fassung besonders deutlich - eine abschließende Regelung der zivilrechtlichen Ansprüche, die Mitbewerber und Wettbewerbsverbände im Falle von Verstößen gegen kartellrechtliche Verbote geltend machen können (Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 24. Aufl., § 4 UWG Rdn. 11.12 m.w.N.; K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 1977, S. 412 ff.; Wrage, UWG-Sanktionen bei GWB-Verstößen€, 1984, S. 62; vgl. ferner W.-H. Roth in Frankfurter Kommentar, Stand: Nov. 2001, § 33 GWB Rdn. 200; a.A. Harte/Henning/v. Jagow, UWG, § 4 Nr. 11 Rdn. 132 f.; wohl auch Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, 1970, S. 260). Soweit der zum alten Recht ergangenen Senatsrechtsprechung entnommen werden kann, dass kartellrechtliche Verstöße unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs lauterkeitsrechtlich verfolgt werden können (vgl. BGH, Urt. v. 8.10.1958 - KZR 1/58, WuW/E BGH 251, 259 - "4711"; Urt. v. 21.2.1978 - KZR 7/76, WuW/E BGH 1519, 1520 - 4 zum Preis von 3; Urt. v. 6.10.1992 - KZR 21/91, WuW/E BGH 2819, 2820 - Zinssubvention), hält der Senat an dieser Auffassung nicht fest.

Im Zuge der 7. GWB-Novelle hat der Gesetzgeber die Anspruchsberechtigung in § 33 Abs. 1 GWB deutlich erweitert: Während der Regierungsentwurf noch an dem von der Rechtsprechung in der Vergangenheit teilweise restriktiv ausgelegten Schutzgesetzerfordernis festgehalten hatte (BT-Drucksache 15/3640, S. 11), hat der Gesetzgeber aufgrund der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Wirtschaft (BT-Drucksache 15/5049, S. 16) auf die weitergehende, generell jeden betroffenen Mitbewerber oder sonstigen Marktteilnehmer einschließende Fassung der Anspruchsberechtigung zurückgegriffen, die bereits im Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit vom 17. Dezember 2003 enthalten war (vgl. den Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages v. 11.3.2005, BR-Drucksache 210/05, S. 6). Diese Regelung ist zwar in manchem der lauterkeitsrechtlichen Regelung der Anspruchsberechtigung in § 8 Abs. 3 UWG nachgebildet, geht aber über diese insofern hinaus, als sie eine Anspruchsberechtigung nicht nur der Mitbewerber, sondern auch der Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite vorsieht. Andererseits bleibt die kartellrechtliche hinter der lauterkeitsrechtlichen Regelung zurück, als sie keine Anspruchsberechtigung der Verbraucherverbände vorsieht. Der Gesetzgeber hat damit in der Erweiterung wie in der Beschränkung eine Regelung getroffen, die bewusst von dem lauterkeitsrechtlichen Modell abweicht. Er hat damit deutlich gemacht, dass es sich um eine abschließende Regelung für die zivilrechtliche Durchsetzung kartellrechtlicher Bestimmungen handelt.

Die kartellrechtliche Regelung unterscheidet ferner klar zwischen kartellrechtlichen Verboten, die nach § 33 Abs. 1 GWB auch zivilrechtlich durchgesetzt werden können (z.B. §§ 1, 19 Abs. 1, §§ 20, 21 GWB), und (Missbrauchs-)Tatbeständen, die - wie § 30 Abs. 3 GWB - lediglich ein Eingreifen der Kartellbehörde ermöglichen. So gewährt das Gesetz dem preisgebundenen Unternehmen - abgesehen von vertraglichen Ansprüchen, die sich im Falle einer diskriminierenden Handhabung der Preisbindungsvereinbarung ergeben können - im Falle einer missbräuchlichen Handhabung der Preisbindung keinen (gesetzlichen) Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruch, sondern räumt allein dem Bundeskartellamt die Befugnis ein, in einem solchen Falle einzuschreiten (§ 30 Abs. 3 GWB 2005, § 15 Abs. 3 GWB 1999).

Diese differenzierte gesetzliche Regelung würde konterkariert, wenn kartellrechtliche Missbrauchstatbestände, die nicht als Verbote ausgestaltet sind, gleichwohl mit Hilfe des Lauterkeitsrechts durchgesetzt werden könnten oder wenn - ungeachtet der bewussten Beschränkung der Anspruchsberechtigung in § 33 GWB - bei Zuwiderhandlungen gegen kartellrechtliche Verbote stets auch ein lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs (§§ 3, 4 Nr. 11 UWG) bejaht würde.

b) Der klare Vorrang der in §§ 33, 34a GWB geregelten zivilrechtlichen Ansprüche beschränkt sich allerdings auf die Fälle, in denen sich der Vorwurf der Unlauterkeit allein aus dem kartellrechtlichen Verstoß speist. Gründet sich die Unlauterkeit dagegen - wie etwa in Fällen des Boykotts oder der unbilligen Behinderung - auf einen eigenständigen lauterkeitsrechtlichen Tatbestand (z.B. auf eine gezielte Behinderung nach § 4 Nr. 10 UWG), stehen die zivilrechtlichen Ansprüche, die sich aus dem Kartellrecht und aus dem Lauterkeitsrecht ergeben, gleichberechtigt nebeneinander. Aber auch im Rahmen einer eigenständigen lauterkeitsrechtlichen Beurteilung erweist sich das beanstandete Verhalten des Beklagten nicht als wettbewerbswidrig.

aa) Mit Recht hat das Berufungsgericht nicht darauf abgestellt, dass sich die lauterkeitsrechtliche Unzulässigkeit der angegriffenen Abonnementwerbung des Beklagten bereits aus den VDZ-Wettbewerbsregeln ergebe.

(1) Für die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten als unlauter zu beurteilen ist, haben Wettbewerbsregeln heute nur mehr eine begrenzte Bedeutung. Während in der Vergangenheit für die Frage der Unlauterkeit maßgeblich auf das Anstandsgefühl des verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden (vgl. BGHZ 23, 365, 373 - Suwa; 37, 30, 32 - Selbstbedienungsgroßhandel; 34, 264, 274 - Einpfennig-Süßwaren; 43, 359, 364 - Warnschild; 81, 291, 296 - Bäckerfachzeitschrift) sowie auf die Verkehrssitte und damit auf die im Verkehr herrschende tatsächliche Übung (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.1956 - I ZR 4/55, GRUR 1957, 23, 24 = WRP 1956, 244 - Bünder Glas; Urt. v. 4.12.1964 - Ib ZR 38/63, GRUR 1965, 315, 316 = WRP 1965, 95 - Werbewagen) abgestellt wurde, besteht heute Einigkeit darüber, dass der Wettbewerb in bedenklicher Weise beschränkt würde, wenn das Übliche zur Norm erhoben würde (vgl. Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm aaO § 3 UWG Rdn. 39; Harte/Henning/Schünemann aaO § 3 Rdn. 99 ff.). Wettbewerbsregeln können daher allenfalls eine indizielle Bedeutung für die Frage der Unlauterkeit haben (vgl. BGH, Urt. v. 8.11.1990 - I ZR 48/89, GRUR 1991, 462, 463 - Wettbewerbsrichtlinie der Privatwirtschaft; Köhler in Hefermehl/Köhler/ Bornkamm aaO § 4 UWG Rdn. 11.30; Harte/Henning/Schünemann aaO § 3 Rdn. 101; Kellermann in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 26 Rdn. 49 f.; anders Fezer/Fezer, UWG, § 3 Rdn. 78).

(2) Auch der Umstand, dass Wettbewerbsregeln von der Kartellbehörde anerkannt werden, verleiht ihnen keine Rechtsnormqualität. Zwar wird die Kartellbehörde in der Regel Wettbewerbsregeln die Anerkennung versagen, die ein lauterkeitsrechtlich unbedenkliches Verhalten als unzulässig bezeichnen. Dies bedeutet indessen nicht, dass dem Richter, der in einem Zivilrechtsstreit über die lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit eines Verhaltens zu entscheiden hat, die Entscheidung dadurch abgenommen wäre, dass die Kartellbehörde Wettbewerbsregeln nach § 24 Abs. 3, § 26 Abs. 1 GWB anerkannt hat, die von der lauterkeitsrechtlichen Unzulässigkeit des fraglichen Verhaltens ausgehen. Vielmehr beschränkt sich die rechtliche Bedeutung der Anerkennung auf eine Selbstbindung der Kartellbehörde, die bei unveränderter Sachlage die Verabschiedung dieser Wettbewerbsregeln nicht mehr als Kartellverstoß nach § 1 GWB verfolgen kann (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 2 GWB).

(3) Schließlich würde es verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, wenn Wettbewerbsregeln zur Ausfüllung der lauterkeitsrechtlichen Generalklauseln und zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe herangezogen würden. Das Bundesverfassungsgericht hat zu den Standesrichtlinien der Rechtsanwälte entschieden, dass - wenn ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 GG in Rede steht - derartige, ohne gesetzliche Grundlage festgelegte Richtlinien nicht als Hilfsmittel zur Auslegung und Konkretisierung der Generalklausel des § 43 BRAO herangezogen werden dürfen (BVerfGE 76, 171, 188 f.; 76, 196). Diese Grundsätze beanspruchen auch dann Geltung, wenn zur Ausfüllung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 3 UWG Wettbewerbsregeln herangezogen würden, denen ebenfalls keine Gesetzesqualität zukommt.

bb) Das Berufungsgericht hat den VDZ-Wettbewerbsregeln aber dennoch eine entscheidende Bedeutung beigemessen. Denn es hat diesen Regeln entnommen, dass sich der Beklagte gegenüber dem preisgebundenen Zeitschriftenhandel vertragsuntreu verhalten habe, und hat darin gleichzeitig einen Wettbewerbsverstoß nach §§ 3, 4 Nr. 10 UWG gesehen, weil der Beklagte die Vertragsverletzung als Mittel des Wettbewerbs zum Nachteil der gebundenen Händler eingesetzt habe. Dem kann nicht beigetreten werden. Die den Preisbinder gegenüber dem preisgebundenen Händler treffenden Rücksichtnahmepflichten führen nicht dazu, dass der Beklagte gehindert wäre, ein Probeabonnement in der beanstandeten Weise anzubieten.

(1) Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass das preisbindende Unternehmen gegenüber dem preisgebundenen Händler auch dann vertragliche Pflichten treffen, wenn sich der Preisbinder nicht ebenfalls dazu verpflichtet hat, sämtliche anderen Händler in derselben Weise zu binden. Denn auch in diesem Fall darf der preisbindende Verleger nichts tun, was die Bindung der Endverkaufspreise untergräbt und dem vertragstreuen gebundenen Händler Schwierigkeiten bereiten kann (vgl. BGHZ 38, 90, 94 - Grote Revers; 40, 135, 139 - Trockenrasierer; 53, 76, 86 - Schallplatten II). Unabhängig davon ist der Preisbinder Normadressat des Diskriminierungs- und Behinderungsverbots des § 20 Abs. 1 GWB.

(2) Aus dem Umstand, dass der Beklagte den Einzelverkauf seiner Zeitschrift einer Preisbindung unterwirft, kann jedoch nicht geschlossen werden, dass es ihm verwehrt wäre, den aus seiner Sicht vorzugswürdigen Absatz über Abonnements mit besonders attraktiven Angeboten zu fördern.

Es liegt auf der Hand, dass für den Zeitschriftenverlag der Abonnent, der sich zur regelmäßigen Abnahme der Zeitschrift verpflichtet, ein wesentlich attraktiverer Leser ist als derjenige, der die Zeitschrift gelegentlich im Handel erwirbt. Mit dem Abonnenten kann der Verlag auf längere Zeit rechnen, während der Erwerber eines Einzelheftes keine Gewähr dafür bietet, dass er das nächste und übernächste Heft ebenfalls erwirbt. Es ist deswegen wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Verlag für ein Abonnement deutlich günstigere Konditionen anbietet als für den (preisgebundenen) Einzelverkauf.

Die Rücksichtnahmepflichten, die den preisbindenden Verleger dazu verpflichten, verschiedene miteinander im Wettbewerb stehende Zeitschriftenhändler gleich zu behandeln, hindern ihn grundsätzlich nicht daran, Probeabonnements zu besonders günstigen Konditionen anzubieten und auf diese Weise den Abonnementabsatz gegenüber dem Einzelverkauf zu fördern. Im Übrigen hat das Berufungsgericht zwar vermutet, dass die Attraktivität des Probeabonnements - wie vom Kläger unterstellt - zu Lasten des Einzelverkaufs gehe. Es hat aber hierzu keine Feststellungen getroffen. Bei seiner Vermutung hat das Berufungsgericht außer Acht gelassen, dass zwar der Dauerabonnent, nicht aber derjenige, der nur das Probeabonnement in Anspruch nimmt (vom Berufungsgericht als "Prämien-Shopper" bezeichnet), für den Einzelhändler als Kunde verloren ist. Je preisgünstiger das Probeabonnement und je attraktiver die versprochene Zugabe ist, desto höher wird der Anteil der Probeabonnenten sein, die sich zur Abnahme des Probeabonnements um seiner selbst willen verpflichten, die also nach Ablauf der Probezeit durch eine entsprechende Erklärung gegenüber dem Verlag verhindern, dass das Probeabonnement in ein reguläres Abonnement übergeht. Es ist ohne weiteres denkbar, dass dieser Personenkreis - wie der Beklagte vorgetragen hat - durch das Probeabonnement stärker an die Zeitschrift gebunden wird und die Zeitschrift in Zukunft regelmäßiger im Handel erwirbt. Dem Vortrag des Klägers ist auch nicht zu entnehmen, dass der Absatz der Zeitschrift "Echo der Frau" über den Zeitschriftenhandel in Folge von attraktiven Probeabonnements in nennenswertem Umfang zurückgegangen wäre.

cc) Das Bundeskartellamt ist in seinem Anerkennungsbescheid vom 30. März 2004 offenbar davon ausgegangen, dass die VDZ-Wettbewerbsregeln ungeachtet der besonderen Pflichten, denen der Beklagte als Preisbinder unterworfen ist, in etwa die Grenzen des ohnehin lauterkeitsrechtlich Zulässigen beschreiben, weil in den besonders attraktiven Probeabonnements ein übertriebenes Anlocken liege. Dabei hat das Bundeskartellamt die ältere Rechtsprechung zugrunde gelegt, die jedoch seit den - vom Bundeskartellamt in seinem Beschluss zitierten - Entscheidungen "Kopplungsangebot I und II" des Bundesgerichtshofs (BGHZ 151, 84 und BGH, Urt. v. 13.6.2002 - I ZR 71/01, GRUR 2002, 979 = WRP 2002, 1259) nicht mehr uneingeschränkt herangezogen werden kann. Danach bestehen keine durchgreifenden lauterkeitsrechtlichen Bedenken dagegen, dass Produkte, die nicht in einem Funktionszusammenhang stehen, zu einem gekoppelten Angebot zusammengefasst werden. Auch mit Blick auf den Wert der Zugabe stellt das beworbene Probeabonnement kein missbräuchliches Kopplungsangebot dar. Weder der günstige Preis noch die attraktive Zugabe kann den Vorwurf einer unsachlichen Beeinflussung der Verbraucher rechtfertigen.

2. Dem Kläger steht - wie sich aus den Ausführungen oben unter II.1.b)bb) ergibt - auch kein vertraglicher Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten zu.

III. Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben. Im Hinblick auf die getroffenen Feststellungen ist der Senat in der Lage, abschließend zu entscheiden. Da dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen, ist die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Hirsch Ball Bornkamm Raum Strohn Vorinstanzen:

LG Hamburg, Entscheidung vom 23.01.2004 - 416 O 141/03 -

OLG Hamburg, Entscheidung vom 10.02.2005 - 5 U 39/04 -






BGH:
Urteil v. 07.02.2006
Az: KZR 27/05


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