Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 2. Dezember 2011
Aktenzeichen: 19 U 131/10

(OLG Köln: Urteil v. 02.12.2011, Az.: 19 U 131/10)

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 14.07.2010 - Aktenzeichen: 90 O 78/08 - wird zurückgewiesen.

2. Die Widerklage der Beklagten wird als unzulässig verworfen.

3. Die Kosten der Berufungsinstanz hat die Klägerin zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen

Gründe

I.

Die Parteien sind Telekommunikationsnetzbetreiber, die um Entgelte für Verbindungsleistungen streiten. Die Klägerin beansprucht von der Beklagten Verbindungsentgelte in Höhe von 258.348,02 €, gegen welche die Beklagte mit Ansprüchen auf Rückerstattung gezahlter Nutzungsentgelte für inkriminierte 0900er-Rufnummern aufgerechnet hat.

Die zur Aufrechnung gestellten und hier allein streitigen Rückerstattungsansprüche betreffen Nutzungsentgelte für die Inanspruchnahme von 0900er-Rufnummern, die Dritte im Netz der Klägerin für Mehrwertdiensteanbieter geschaltet und bezüglich derer die Bundesnetzagentur gegenüber der Klägerin und der Beklagten Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbote verfügt hatte. Die Beklagte nutzte das Netz der Klägerin, indem sie Verbindungen zum 0900er-Service herstellen ließ, und sie stellte ihrerseits das Verbindungsnetz Mobilfunkbetreibern zur Verfügung, die Verträge mit Endkunden unterhielten und diesen die Verbindungsleistungen zu den inkriminierten 0900er-Rufnummern in Rechnung stellten.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen einschließlich der im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil des Landgerichts Köln vom 14.07.2010 (Bl. 198 ff GA) Bezug genommen.

Das Landgericht hat zunächst durch Urkunden-Vorbehalts-Urteil vom 11.03.2009 (Bl. 45 ff GA) der Klägerin den eingeklagten Betrag von 258.348,02 € nebst Zinsen zugesprochen. Zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil hat die Beklagte auf die Hauptforderung nebst Zinsen 282.763,27 € und auf Kosten nebst Zinsen weitere 12.744,72 € an die Klägerin gezahlt.

Durch weiteres, der Klägerin am 18.07.2010 zugestelltes und durch Beschluss des Landgerichts vom 01.09.2010 (Bl. 215 f GA) berichtigtes Urteil vom 14.07.2010 (Bl. 198 ff GA) hat das Landgericht die Klage unter Aufhebung des vorausgegangenen Urkunden-Vorbehalts-Urteils abgewiesen, da die Aufrechnung mit Rückerstattungsansprüchen zumindest in Höhe der Klageforderung durchgreife.

Hiergegen richtet sich die am 16.08.2010 eingelegte und mittels eines - nach gewährter Fristverlängerung für die Berufungsbegründung bis zum 29.11.2010 - am 29.11.2010 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatzes begründete Berufung der Klägerin. Die Beklagte ist mit Schriftsatz vom 16.02.2011 der Berufung binnen der bis zum 28.02.2011 gewährten Frist zur Erwiderung entgegengetreten. Mit Schriftsatz vom 01.07.2011, eingegangen bei Gericht am 04.07.2011, hat die Beklagte sodann Widerklage eingereicht.

Mit ihrer Berufung macht die Klägerin geltend, dass der Beklagten die aufgerechneten Rückerstattungsansprüche von Nutzungsentgelten für die Inanspruchnahme von 0900er-Rufnummern nicht zustünden.

Die Klägerin meint, dass das Landgericht zu Unrecht einen bereicherungsrechtlichen Anspruch auf Rückzahlung der Nutzungsentgelte aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB angenommen habe. Die Leistung der Entgelte habe ihren Rechtsgrund in der Zusammenschaltungs- und Nettingvereinbarung der Parteien. Die Rechnungsstellungs- und Inkassierungsverbote der Bundesnetzagentur wirkten sich nicht auf das Vertragsverhältnis der Parteien aus.

Auch habe das Landgericht die Reichweite der Rechnungsstellungs- und Inkassierungsverbote der Bundesnetzagentur zu Ungunsten der Klägerin überdehnt. Die Verfügungen hätten keine Geltung im „Inter-Carrier-Verhältnis“, wie sich aus einer gesetzeskonformen, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Auslegung der Verfügungen ergebe.

Weiter trägt die Klägerin vor, dass die Zahlungen der Beklagten, hinsichtlich derer diese Rückerstattungsansprüche geltend mache, allesamt vor den entsprechenden Verfügungen der Bundesnetzagentur erfolgt seien.

Jedenfalls habe das Landgericht den Kondiktionsausschluss nach § 814 BGB nicht gesehen. Als Adressatin gleichlautender Verfügungen habe die Beklagte Kenntnis vom Fehlen ihrer Leistungspflicht gehabt und von Anfang an die Ansicht vertreten, dass die Klägerin nicht zur Rechnungslegung berechtigt gewesen sei.

Zudem handele es sich um eine unzulässige Rechtsausübung, wenn die Beklagte die Rückzahlung der Entgelte verlange, obwohl sie die Gegenleistung genutzt und genossen habe.

Schließlich habe das Landgericht rechtsfehlerhaft die Aufrechnung mit Rückerstattungsansprüchen entgegen Ziffer 17.6 der Zusammenschaltungsvereinbarung zugelassen. Der Kondiktionsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB sei kein gesetzlicher Anspruch im Sinne der Regelung unter Ziffer 17.6 a.E. der Zusammenschaltungsvereinbarung. Im Übrigen unterfielen dem Einwendungsausschluss nicht nur Beanstandungen in Bezug auf die einzelnen Komponenten der in Rechnung gestellten Forderungen, sondern der Begriff der „Einwendungen“ sei weit zu verstehen, so dass eine Geltendmachung der streitgegenständlichen Gegenansprüche nach Ablauf der Fristen nicht mehr möglich sei. Dementsprechend habe die Beklagte nicht die Aufrechnung erklären können. Vielmehr hätte die Beklagte gemäß Ziffer 3.4.1 des Anhangs F Ziffer 3 der Zusammenschaltungsvereinbarung ein Eskalationsverfahren durchführen müssen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln - 90 O 78/08 - vom 14.07.2010 die Beklagte zu verurteilen, an sie 258.348,02 € nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 14.08.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Widerklage beantragt die Beklagte,

die Klägerin zu verurteilen, an sie 295.507,99 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 282.763,27 € seit dem 13.07.2009 sowie aus 12.744,72 € seit den 20.07.2009 zu zahlen.

Die Klägerin beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ihren widerklagend geltend gemachten Schadensersatzanspruch stützt sie auf §§ 600 Abs. 2, 302 Abs. 4 ZPO.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Die Widerklage der Beklagten ist unzulässig.

1.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil zu Recht die Klage abgewiesen und einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung von 258.348,02 € verneint, da der Anspruch durch Aufrechnung mit einem Rückerstattungsanspruch der Beklagten gemäß § 389 BGB erloschen ist.

Die Beklagte hat gegen die Klägerin zumindest in Höhe der Klageforderung einen zur Aufrechnung gestellten Kondiktionsanspruch auf Rückerstattung geleisteter Verbindungsentgelte für die inkriminierten 0900er-Rufnummern. Der Anspruch stützt sich - insoweit abweichend von den Erwägungen des Landgerichts - auf § 813 BGB und nicht auf § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.

a.

Gemäß § 813 Abs. 1 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete auch dann zurückgefordert werden, wenn dem Anspruch eine Einrede entgegenstand, durch welche die Geltendmachung des Anspruchs dauernd ausgeschlossen wurde. Diese Voraussetzungen liegen vor.

Mit Zahlung von Entgelten für Verbindungsleistungen betreffend die inkriminierten 0900er-Rufnummern oder mit dem durch Einstellung der Entgelte für Verbindungsleistungen in die Nettingaufstellung erklärten Anerkenntnis hat die Beklagte auf eine Verbindlichkeit aus der Zusammenschaltungs- und der Nettingvereinbarung der Parteien eine Leistung erbracht. Der Rechtsgrund für diese Leistungen liegt in diesen Vereinbarungen der Parteien, weshalb die Leistungen nicht nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kondizierbar sind.

Die Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbote der Bundesnetzagentur führen nicht zur Nichtigkeit oder zur nachträglichen Unwirksamkeit des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien. Die Verbotsverfügungen haben keine privatrechtsgestaltende Wirkung. Eine solche Wirkung ist weder angeordnet, noch ergibt sie sich aus dem Gesetz. Der Zahlungsanspruch ist insbesondere nicht nach § 66g TKG erloschen. Diese Vorschrift betrifft lediglich sonstige Verstöße gegen das Telekommunikationsgesetz, nicht aber den hier vorliegenden Verstoß gegen § 66a TKG.

Auch aus § 134 BGB ergibt sich keine Nichtigkeit der den Entgeltzahlungen zugrunde liegenden Vereinbarungen der Parteien. § 67 Abs. 1 Satz 1 und 6 TKG begründet ebenso wenig wie § 66 a TKG ein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB, sondern lediglich eine Ermächtigungsgrundlage für Verfügungen der Bundesnetzagentur. Die hier einschlägigen Verstöße gegen § 7 in Verbindung mit § 3 UWG führen nicht zur Nichtigkeit nach § 134 BGB, da sie nur die Art des Zustandekommens und nicht den Inhalt des Rechtsgeschäfts betreffen (Palandt/Ellenberger, BGB, 70. Aufl., § 134 Rn. 24). Soweit die Beklagte meint, dass der Forderung der Klägerin eine nicht vertragsgemäße Leistung zugrunde liege, führte eine solche Pflichtverletzung jedenfalls nicht dazu, dass die Entgeltzahlungen ohne Rechtsgrund erfolgt wären. Vielmehr wären mögliche Rechtsfolgen solcher Pflichtverletzungen etwa Ansprüche aus §§ 280, 281 BGB oder Kündigungsrechte.

b.

Den Ansprüchen der Klägerin auf Verbindungsentgelte für die inkriminierten 0900er-Rufnummern stand im Hinblick auf die Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbote der Missbrauchseinwand gemäß § 242 BGB entgegen (vgl. Berliner Kommentar/Brodkorb, TKG, 2. Aufl., § 67 Rn. 14).

Die Ausübung einer formalen Rechtsstellung ist gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlich und unzulässig, wenn dem Berechtigten eine grobe Verletzung eigener Pflichten zur Last fällt, so etwa, wenn die Rechtsstellung offensichtlich Beschränkungen unterliegt (vgl. Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 242 Rn. 49).

Dies ist vorliegend der Fall. Die Geltendmachung der sich aus dem Vertragsverhältnis der Parteien ergebenden Zahlungsansprüche betreffend die streitgegenständlichen 0900er-Rufnummern verstieß gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB, weil es der Klägerin auf Grund der Bescheide der Bundesnetzagentur verboten war, für Verbindungsleistungen in Bezug auf die inkriminierten Rufnummern Rechnung zu legen und zu inkassieren. Angesichts der ausdrücklichen Verbote handelte die Klägerin mit Vereinnahmung der Gelder treuwidrig.

Der Klägerin war es verboten, gegenüber der Beklagten die streitgegenständlichen Verbindungsleistungen in Rechnung zu stellen und entsprechende Leistungen zu vereinnahmen. Die von der Bundesnetzagentur verfügten Verbote erfassen auch - so zu Recht die erstinstanzliche Entscheidung - das „Inter-Carrier-Verhältnis“ und regeln nicht nur das Rechtsverhältnis zwischen dem Verfügungsadressaten und Endkunden, die Anrufe unter einer der inkriminierten 0900er-Rufnummer getätigt haben.

Der Inhalt der Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbote ist durch Auslegung zu ermitteln. Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO kommt insoweit nicht in Betracht. Die Bescheide unterliegen keiner Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte mehr, da sie bestandskräftig sind.

Die Auslegung der Verbote der Bundesnetzagentur ergibt, dass jene auch das „Inter-Carrier-Verhältnis“ erfassen. Ausdrücklich heißt es in den gleichlautenden Verfügungen der Bundesnetzagentur (s. etwa Bl. 139 ff AH):

„…4. Sie werden - soweit Sie selbst Rechnungssteller sind - aufgefordert, für Verbindungen über die Rufnummer …keine Rechnungslegungen vorzunehmen oder durch einen anderen vornehmen zu lassen, soweit dies bislang nicht erfolgt ist. …Dem Verbot der Rechnungslegung gleichgestellt ist das Verbot der Inkassierung von Entgelten, die über die o.g. Rufnummer … entstanden sind. …“

Dem eindeutigen Wortlaut nach verfügen die Bescheide ein allumfassendes Beitreibungsverbot. Die Verbote untersagen klar und unmissverständlich jegliche Rechnungslegung und Inkassierung für Verbindungsleistungen hinsichtlich der inkriminierten 0900er-Rufnummern. Rechnungslegung und Inkassierung erfolgen nicht nur bei der Inanspruchnahme von Endkunden, sondern auch bei der Abrechnung von Leistungen im „Inter-Carrier-Verhältnis“. Eine Einschränkung auf bestimmte Abrechnungsbeziehungen sehen die Bescheide nicht vor.

Soweit die Klägerin aus dem Begriff der „Verbindung“ eine einschränkende Auslegung der Bescheide herleiten will, weil sie keine Verbindung, sondern lediglich die Nutzung des Netzes durch die Beklagte abgerechnet habe, geht sie fehl. Indem die Klägerin der Beklagten die Nutzung des Netzes ermöglichte, schaffte sie eine Verbindung zu den inkriminierten Rufnummern, für welche Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbote der Bundesnetzagentur vorlagen.

Auch eine Auslegung der Verfügungen der Bundesnetzagentur nach ihrem Sinn und Zweck unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ergibt keine einschränkende Geltung der Verbote dergestalt, dass das „Inter-Carrier-Verhältnis“ ausgenommen wäre. Die ergangenen Bescheide der Bundesnetzagentur bezwecken die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften zum Schutz von Kunden und Verbrauchern, indem sie eine (weitere) Gewinnschöpfung aus der rechtswidrigen, nämlich wettbewerbs- und verbraucherschutzwidrigen, Nutzung von inkriminierten Rufnummern verhindern. Dadurch, dass Einnahmen wegfallen und Ausgaben nicht kompensiert werden, wird das rechtswidrige Vorgehen der Mehrwertdiensteanbieter uninteressant. Dem Ziel, einem „Geschäft mit 0900er-Rufnummern“ die Lukrativität zu nehmen, wird ein alle Rechnungssteller von verbindungsbasierten Rechnungen betreffendes Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbot in besonderem Maße gerecht. Es verhindert, dass ein Anbieter von Mehrwertediensten unter einer inkriminierten 0900er-Rufnummer noch Gewinne aus Entgelten verbuchen kann, die der Endkunde bereits bezahlt, über die aber in der Kette der Verbindungsnetzbetreiber noch nicht abschließend abgerechnet ist. Sofern ein Verbot nicht an alle Telekommunikationsbetreiber in einer Carrier-Kette gerichtet ist und deshalb ein nicht berücksichtigter Betreiber möglicherweise weiter abrechnen könnte, kann dies zu Ungereimtheiten, nicht aber zu einer Unangemessenheit der Bescheide gegenüber den anderen Rechnungsstellern in der Kette führen.

c.

Der Missbrauchseinwand aus § 242 BGB ist unter § 813 BGB einzuordnen (BGH, MDR 1954, 286 (287); OLG Naumburg, NJW-RR 1999, 1144). Die Einrede unzulässiger Rechtsausübung gestattet es der Beklagten, die Befriedigung der vertraglichen Ansprüche dauernd zu verweigern.

d.

Das zum Zwecke der Erfüllung Geleistete beläuft sich zumindest auf einen Betrag in Höhe der Klageforderung. Die Klägerin hat entgegen wirksamer Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbote Entgelte im Umfang der von der Beklagten aufgelisteten Beträge in der fünften Spalte der als Anlage B 20 (Bl. 152 AH) vorgelegten Aufstellung entsprechend der dortigen Reihenfolge bis zur Höhe der Klageforderung vereinnahmt. Soweit die Klägerin mit der Berufung ausführt, dass die Zahlungen der Beklagten, hinsichtlich derer diese Rückerstattungsansprüche geltend macht, allesamt vor den entsprechenden Verfügungen der Bundesnetzagentur erfolgt seien, handelt es sich um neues Vorbringen im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO, mit dem die Klägerin ausgeschlossen ist. Im Übrigen fehlt es an jeglicher Konkretisierung des Vorbringens, worauf der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 22.07.2011 hingewiesen hat. Auf die detaillierten Darlegungen der Beklagten zu dem Leistungszeitpunkt der jeweiligen Entgeltzahlungen und dem Wirksamwerden der einzelnen Rechnungsstellungs- und Inkassierungsverbote ist die Klägerin nicht eingegangen.

e.

Die Beklagte ist nicht gemäß § 814 BGB gehindert, die geleisteten Verbindungsentgelte zurückzufordern, da der Kondiktionsausschluss in seinen Voraussetzungen nicht zum Tragen kommt.

Der Kondiktionsausschluss gemäß § 814 BGB ist auch auf einen Anspruch aus § 813 BGB anwendbar, so dass bei Leistung in Kenntnis der dauernden Einrede eine Rückforderung ausgeschlossen ist. Die Leistung in Kenntnis der Einrede setzt eine positive Kenntnis der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung, also das Wissen, dass nichts mehr geschuldet ist, voraus (vgl. Palandt/Sprau, a. a. O., § 814 Rn. 3). Die Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich das Fehlen der rechtlichen Verpflichtung ergibt, reicht nicht aus. Der Leistende muss daraus auch die zutreffenden rechtlichen Folgerungen ziehen.

Vorliegend fehlt es an der für den Kondiktionsausschluss notwendigen Kenntnis um die Rechtslage. Soweit die Klägerin hierzu mit der Berufung vorträgt, dass die Beklagte als Adressatin gleichlautender Verbotsverfügungen seit Beginn der diesbezüglich aufgekommenen Streitigkeiten zwischen den Parteien die Ansicht vertreten habe, die Klägerin sei nicht berechtigt gewesen, die streitgegenständlichen Forderungen in Rechnung zu stellen, hat sie ein Wissen der Beklagten um die Nichtschuld im Zeitpunkt der Leistung nicht hinreichend dargetan. Hierauf hat der Senat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 22.07.2011 hingewiesen. Abgesehen davon, dass es an der Darlegung eines zeitlichen Kontextes zwischen der Vornahme der einzelnen Leistungshandlungen und der angeblichen Kenntnis um die Rechtslage fehlt, lässt das Vorbringen nicht erkennen, dass ein mit der jeweiligen Leistung betrauter und verantwortlicher Mitarbeiter der Beklagten um die Unzulässigkeit der Rechnungslegung und Inkassierung durch die Klägerin wusste. Bei arbeitsteiligen Organisationen kommt es auf die Kenntnis des betrauten Mitarbeiters an, der die Leistung tatsächlich bewirkt oder verfügt hat (OLG Köln, NJW-RR 2010, 244 f., zitiert nach juris Rn. 5).

Auch lässt sich aus dem Wissen der Beklagten um die Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbote im Hinblick auf Verbindungen über die streitgegenständlichen inkriminierten 0900er-Rufnummern und aus ihrem Wissen um die Kommunikationsdatensätze, auf denen die Abrechnung der Verbindungsleistungen für die inkriminierten 0900er-Rufnummern basierte, nicht auf die notwendige Kenntnis von der Rechtslage schließen. Die Beklagte wusste damit lediglich um Tatsachen, aus denen sich das Fehlen der rechtlichen Verpflichtung ergab.

f.

Im Übrigen steht der Geltendmachung eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs durch die Beklagte auch nicht der Einwand unzulässiger Rechtsausübung gemäß § 242 BGB, und zwar unter dem Gesichtspunkt, dass die Rückzahlung einer Leistung verlangt wird, obwohl die Gegenleistung genutzt und genossen wurde, entgegen. Die Beklagte hat zwar die Verbindungsleistungen der Klägerin in Anspruch genommen. Es ist jedoch gerade Inhalt der Verbotsverfügungen, dass die erfolgte Leistung nicht entgolten wird, um so die Gewinnaussichten des wettbewerbswidrigen Geschäfts zu schmälern.

g.

Die Aufrechnung der Beklagten mit Rückerstattungsansprüchen gegen die Klägerin ist auch nicht nach 17.6 Abs. 1 der Zusammenschaltungsvereinbarung verfristet, wie schon das Landgericht ausgeführt hat; denn gesetzliche Ansprüche der Vertragsparteien sind bei Einwendungen nach Fristablauf nicht ausgeschlossen. Im Übrigen unterfällt die Aufrechnung nicht dem Einwendungsbegriff der genannten Regelung.

Unter Ziffer 17.6 Abs. 1 a.E. der Zusammenschaltungsvereinbarung ist ausdrücklich geregelt, dass gesetzliche Ansprüche der Vertragsparteien bei Einwendungen nach Fristablauf unberührt bleiben. Einen solchen - nicht ausgeschlossenen - gesetzlichen Anspruch macht die Beklagte vorliegend geltend. Der Rückforderungsanspruch stützt sich auf § 813 BGB.

Soweit die Klägerin meint, dass nach Sinn und Zweck der Regelung der Anspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB von der Verfristung dennoch erfasst sei, weil die Regelung der Verfristung sonst leer laufe, da sämtliche inhaltlichen und rechnerischen Fehler zu einem solchen bereicherungsrechtlichen Anspruch führten, greift dieser Einwand schon deshalb nicht, weil sich der Rückforderungsanspruch der Beklagten auf § 813 BGB und nicht auf § 812 BGB stützt.

Im Übrigen ist die Aufrechnung auch deshalb nicht verfristet, weil, wie schon das Landgericht zu Recht ausgeführt hat, Einwendungen im Sinne der Klausel unter Ziffer 17.6 der Zusammenschaltungsvereinbarung nur Beanstandungen in Bezug auf die einzelnen Komponenten der in Rechnung gestellten Forderungen (z.B. Verbindungsdauer und Preis), also nur reine Mechanismen zur Regelung rechnerisch unrichtiger Abrechnungen, sind. Der Begriff der Einwendung ist lediglich eng in der aufgezeigten Weise und nicht weit unter Erfassung aller rechtshindernden und rechtsvernichtenden Einwendungen zu verstehen. Dies zeigt sich an der Regelung unter Absatz 2 der Ziffer 17.6 der Zusammenschaltungsvereinbarung. Dort heißt es, dass „Einwendungen“ zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich bei offensichtlichen Fehlern der Rechnung, berechtigen. In diesem Zusammenhang und damit einheitlich für die gesamte Regelung unter Ziffer 17.6 der Zusammenschaltungsvereinbarung können nur Beanstandungen in Bezug auf die Komponenten der in Rechnung gestellten Forderung gemeint sein, da es um Fehler in der Rechnung selbst geht.

h.

Die Beklagte ist auch nicht durch Ziffer 17.6 Abs. 3 in Verbindung mit Teil B Ziffer 3 des Anhangs F der Zusammenschaltungsvereinbarung darauf verwiesen, zunächst im Zuge eines Eskalationsverfahrens ein Schiedsgericht anzurufen. Die Regelungen gelten nur bei Zweifeln „an der Richtigkeit der in Rechnung gestellten Entgeltforderung“ und betreffen daher den Aufrechnungseinwand jedenfalls nicht, der die Richtigkeit der Rechnung als solche nicht in Frage stellt.

Ebenso wenig greift das Aufrechnungsverbot unter Ziffer 17.7 der Zusammenschaltungsvereinbarung. Wie bereits das Landgericht in dem vorausgegangenen Urkunden-Vorbehalts-Urteil vom 11.03.2009 ausgeführt hat, ist eine Berufung auf das Aufrechnungsverbot ausgeschlossen, wenn - wie hier - die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung mit der Klageforderung entscheidungsreif und begründet ist.

2.

Die Widerklage der Beklagten ist unzulässig.

Die Erhebung einer Widerklage in zweiter Instanz setzt als allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung eine zulässige Berufung oder Anschlussberufung des Beklagten voraus (MünchKomm/Rimmelspacher, ZPO, 3. Aufl., § 533 Rn. 37; Musielak/Ball, ZPO, 8. Aufl., § 533 Rn. 18; Prütting/Oberheim, ZPO, 3. Aufl., § 533 Rn. 29; Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 533 Rn. 2). Das Berufungsgericht bescheidet, wie sich aus § 528 ZPO ergibt, allein Berufungsanträge und entscheidet nicht, wie ein erstinstanzliches Gericht, über Klage und Widerklage. Soweit § 302 Abs. 4 Satz 4 ZPO es gestattet, den Anspruch nach § 600 Abs. 2 in Verbindung mit § 302 Abs. 4 Satz 3 ZPO „in dem anhängigen Rechtsstreit“ geltend zu machen, nimmt jene Regelung die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches lediglich von den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 533 ZPO aus (Thomas/Putzo, a. a. O., § 717 Rn. 15; MünchKomm/Rimmelspacher, a. a. O., § 533 Rn. 34). Eine Ausweitung des Streitstoffes über die Berufungsanträge hinaus ist dagegen nicht möglich, da insoweit § 528 ZPO entgegensteht.

Mit der durch Schriftsatz vom 01.07.2011 eingereichten Widerklage hat die Beklagte weder eine Berufung noch eine Anschlussberufung zulässig eingelegt. Die Fristen für eine Berufung (§ 517 ZPO) und Anschlussberufung (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO) sind nicht gewahrt. Die Beklagte hat erst nach Ablauf der ihr zur Berufungserwiderung gesetzten Frist bis zum 28.02.2011 die Widerklage am 04.07.2011 angekündigt.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2, § 97 ZPO. Die Beklagte war im Hinblick auf ihre unzulässige Widerklage nicht mit Kosten zu belasten; denn wirtschaftlich betrachtet erleidet die Beklagte mit Abweisung der Widerklage keine Einbuße.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt. Weder hat die Rechtssache über die Rechtsanwendung auf den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung, noch fordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Streitwert für das Berufungsverfahren: 258.348,02 €

Die Widerklage führt zu keiner Werterhöhung, da Klage und Widerklage denselben Streitgegenstand betreffen, § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG.






OLG Köln:
Urteil v. 02.12.2011
Az: 19 U 131/10


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