Bundespatentgericht:
Beschluss vom 8. November 2005
Aktenzeichen: 14 W (pat) 305/04

(BPatG: Beschluss v. 08.11.2005, Az.: 14 W (pat) 305/04)

Tenor

Das Patent 198 58 187 wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

Patentansprüche 1 bis 10, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 8. November 2005, Beschreibung Spalten 1 und 2 vom 30. September 2004, Spalten 3 bis 6, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 8. November 2005 und Spalte 7 gemäß Patentschrift Zeichnungen 6 Seiten, Figuren 1a, 1b, 2 bis 7 gemäß Patentschrift.

Gründe

I Die Erteilung des Patents 198 58 187 mit der Bezeichnung

"Verfahren und Vorrichtung zur Reduzierung der organischen Anteile eines ausfaulbaren Substrats"

ist am 2. Oktober 2003 veröffentlicht worden.

Gegen dieses Patent ist mit dem am 24. Dezember 2003 eingegangenen Schriftsatz Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist auf die Behauptungen gestützt, dass die Gegenstände des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten, das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne und die Gegenstände des Patents über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgingen, in der sie bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde ursprünglich eingereicht worden seien. Durch den im nunmehr geltenden Anspruch 1 eingefügten Disclaimer könne die gerügte unzulässige Erweiterung nicht beseitigt werden, da die Streichung zu einer Erweiterung des Schutzumfangs führe und unklar sei, was unter Schutz gestellt werde. Bezüglich des Mangels an erfinderischer Tätigkeit verweist die Einsprechende insbesondere auf die Druckschrift D1: FR 27 11 980 A1.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten mit den aus dem Tenor ersichtlichen Unterlagen.

Sie tritt dem Vorbringen des Einsprechenden in allen Punkten entgegen und macht im wesentlichen geltend, dass durch den im geltenden Anspruch 1 eingefügten Disclaimer keine unzulässige Erweiterung des Streitpatents mehr vorliege und keine Rechtsunsicherheit darüber bestehe, was unter Schutz gestellt werde, da die ausgenommenen Merkmale bei der Ermittlung des Schutzbereichs zu berücksichtigen seien, der Gegenstand des Restanspruchs aber ohne diese Merkmale gegenüber dem Stand der Technik patentfähig sein müsse. Dies treffe auch für den nunmehr geltenden Anspruch 1 ohne Berücksichtigung der ausgenommenen Merkmale zu. Auch die Nacharbeitbarkeit des Streitpatents sei gegeben, da im Patent die entscheidenden Lehren beschrieben seien, nach denen vorgegangen werden müsse.

Die geltenden unabhängigen Ansprüche 1 und 7 lauten:

1. Verfahren zur Reduzierung der organischen Anteile eines ausfaulbaren Substrats mit mindestens zwei Faulstufen, dadurch gekennzeichnet, daß das ausfaulbare Substrat nach mindestens einer anaeroben mesophilen als Endprodukt Methan bildenden Faulstufe (3) bei etwa 35¡C einer zweistufigen thermischen Desintegration (2) unterzogen wird, die in zwei Phasen erfolgt, wobei dem ausfaulbaren Substrat in der ersten Phase (6) Wärme zugeführt wird und das ausfaulbare Substrat in der zweiten Phase (7) über eine substanzspezifische Zeit (t) auf einer substanzspezifischen Temperatur (T) gehalten wird und anschließend Wärme entzogen wird und anschließend einer zweiten anaeroben thermophilen als Endprodukt Methan bildenden Faulstufe (4) zugeführt wird (die Merkmale "mesophil", "bei etwa 35¡C" und "thermophil" stellen unzulässige Erweiterungen dar, aus denen keine Rechte abgeleitet werden können).

7. Vorrichtung zur Minderung der organischen Anteile eines ausfaulbaren Substrats mit mindestens zwei Fäulnisbehältern (3, 4) und einer Zwischeneinrichtung (2, 2'), dadurch gekennzeichnet, daß zwischen dem ersten Fäulnisbehälter (3, 3') und dem zweiten Fäulnisbehälter (4, 4') ein zweistufiger Desintegrationsreaktor (2) geschaltet ist, welcher aus einer Wärmeübertragungseinheit (8) und einem Verweilreaktor (10) besteht.

Wegen weiterer Einzelheiten, insbesondere zum Wortlaut der Ansprüche 2 bis 6 und 8 bis 10 wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II 1. Der Einspruch ist frist- und formgerecht erhoben und mit Gründen versehen. Er ist somit zulässig und führt zu dem im Tenor angegebenen Ergebnis.

2. Die Patentansprüche 1 bis 10 sind zulässig.

Der geltende Anspruch 1 ist aus dem erteilten Anspruch 1 sowie Sp 4 Z 45 bis 52 iVm Sp 2 Z 32 bis 36 der Patentschrift ableitbar und geht aus den ursprünglichen Ansprüchen 1, 2, 4, 7 und 8 sowie S 7 Z 1 bis 7 iVm S 3 Z 7 bis 10 der Erstunterlagen hervor. Die Merkmale "mesophil", "bei etwa 35oC" und "thermophil" sind dabei als unzulässige Erweiterungen durch Disclaimer ausgenommen. Durch diesen Disclaimer ist das erteilte Patent von der unzulässigen Erweiterung befreit und es wird sichergestellt, dass die erweiternden Merkmale nicht zur ursprünglichen Offenbarung gehören und damit nicht zur Begründung der Patentfähigkeit herangezogen werden können, aber der Patentinhaber die erweiternden Merkmale bei der Bestimmung des Schutzbereichs gegen sich gelten lassen muss (vgl Schulte PatG 7. Aufl § 21 Rdn 70 bis 72, Busse PatG 6. Aufl § 21 Rdn 93, 94, § 38 Rdn 41, 42, BPatG GRUR 2000, 302 - Fernsehgerätbetriebsparameteranzeige, BPatG BlPMZ 2000, 282 - Streuverfahren). Das von der Einsprechenden schriftsätzlich als ursprünglich nicht offenbart gerügte Merkmal "substanzspezifisch" für Zeit und Temperatur ist hingegen aus dem ursprünglichen Anspruch 8 ableitbar. Die Einfügung "als Endprodukt Methan bildenden" für die beiden Faulstufen im geltenden Anspruch 1 stellt klar, dass unter diesen Faulstufen beim Streitpatent jeweils ein vollständiger anaerober Abbau bei dem als Endprodukt Methan gebildet wird, zu verstehen ist. Die geltenden Ansprüche 2 bis 10 basieren auf den erteilten Ansprüchen 2, 4, 5, 8 bis 12 und 15, wobei die Ansprüche 2 bis 6, 8, 9 und 10 aus den ursprünglichen Ansprüchen 5, 9, 10, 13, 14, 20 iVm S 9 Abs 2 der Erstunterlagen, sowie den Ansprüchen 21 und 25 und der Anspruch 7 aus ursprünglichen Ansprüchen 15, 17, 18 und 19 ableitbar sind.

Das Streitpatent offenbart auch die Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann. In der Beschreibung sind mehrere Beispiele angegeben, nach denen ein Fachmann das Verfahren zur Reduzierung der organischen Anteile eines ausfaulbaren Substrats durchführen und die Vorrichtung zur Minderung der organischen Anteile eines ausfaulbaren Substrats bereitstellen kann. Damit werden dem Fachmann, einem Ingenieur der Abwasser- und Umwelttechnik, die entscheidenden Lehren an die Hand gegeben, nach denen er vorzugehen hat. Um nun diese Lehren an verschiedene Substrate anzupassen, bedarf es lediglich einfacher, dem Fachmann zumutbarer Versuche.

3. Das Verfahren nach Anspruch 1 und die Vorrichtung nach Anspruch 7 sind neu.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 betrifft ein Verfahren mit den Merkmalen:

1. Verfahren zur Reduzierung der organischen Anteile eines ausfaulbaren Substrats 2. mit mindestens zwei Faulstufen, bei dem 3. das ausfaulbare Substrat nach mindestens einer anaeroben als Endprodukt Methan bildenden Faulstufe (3)

4. einer zweistufigen thermischen Desintegration (2) in zwei Phasen unterzogen wird, 5. wobei dem Substrat in der ersten Phase (6) Wärme zugeführt wird und 6. das ausfaulbare Substrat in der zweiten Phase (7) über eine substanzpezifische Zeit (t) auf einer substanzspezifischen Temperatur (T) gehalten und anschließend Wärme entzogen wird, 7. und das Substrat einer zweiten anaeroben als Endprodukt Methan bildenden Faulstufe zugeführt wird.

Aus der dem Verfahren nach Anspruch 1 am nächsten kommenden Druckschrift D1 ist zwar ein Verfahren zur Behandlung von Abfallstoffen bekannt, bei dem zwischen zwei anaeroben Faulstufen eine thermische Behandlung zwischen 85oC und 175oC über eine Zeitdauer von einigen Minuten bis 30 Minuten durchgeführt wird (Ansprüche 1 bis 3 iVm S 2 Z 15 bis S 3 Z 8). Dabei wird aber der Abfall in der ersten anaeroben Faulstufe lediglich einer Hydrolyse und Versäuerung unterzogen und erst in der zweiten anaeroben Faulstufe Methan gebildet (vgl S 1 Z 28 bis 31 und S 2 Z 4 bis 13), wogegen beim Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Merkmal 3 auch bei der ersten anaerobe Faulstufe bereits als Endprodukt Methan gebildet wird.

Auch die Vorrichtung gemäß Anspruch 7 ist gegenüber der Druckschrift D1 neu. Daraus ist es zwar bekannt, zwei Fäulnisbehälter zur Minderung der organischen Anteile eines ausfaulbaren Substrats nacheinander anzuordnen und dazwischen eine thermische Flashbehandlung durchzuführen (Ansprüche 1 bis 3). Aus D1 geht aber nicht hervor, entsprechend der Vorrichtung gemäß Anspruch 7 zwischen dem ersten Fäulnisbehälter und dem zweiten Fäulnisbehälter einen zweistufiger Desintegrationsbehälter anzuordnen, welcher aus einer Wärmeübertragungseinheit und einem Verweilreaktor besteht.

Die weiteren dem Senat vorliegenden, in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufgegriffenen Druckschriften liegen den Gegenständen der Ansprüche 1 und 7 ferner und können die Neuheit dieser Ansprüche ebenfalls nicht in Frage stellen.

4. Das Verfahren und die Vorrichtung nach den geltenden Ansprüchen 1 und 7 beruhen auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Dem Patent liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren und eine Vorrichtung bereitzustellen, die in der Lage sind, eine befriedigende Verringerung der organischen Trockensubstanz in einem ausfaulbaren Substrat und einen energieautarken kostengünstigen Betrieb der Anlage zu gewährleisten (vgl Sp 5 Abs [0012] der geltenden Unterlagen). Diese Aufgabe wird durch die Gegenstände der Ansprüche 1 und 7 gelöst. Durch das Verfahren nach Anspruch 1 wird ermöglicht, das in einem Faulturm bereits ausgefaulte Substrat mit einem Anteil an beispielsweise 45% organischer Trockensubstanz nach einer thermischen Desintegration bei einer substanzspezifischen Temperatur und Zeit einer zweiten Faulung zuzuführen und dadurch den Anteil an organischer Trockensubstanz auf beispielsweise 36% zu verringern (vgl Sp 5 Abs [0038] der geltenden Unterlagen). Diese Verfahrensweise wird vom Stand der Technik nicht nahegelegt. Bei dem aus D1 bekannten Verfahren findet nämlich innerhalb eines einzigen Faulungsprozesses in der ersten Faulstufe keine vollständige Faulung statt, da ein relativ kurzer anaerober Abbau unter bestimmten Bedingungen lediglich zu einer Hydrolyse und Versäuerung führt, die, wie die Patentinhaberin vorträgt, nur von einer geringen Methangasbildung begleitet wird, und bei der kein ausgefaultes Substrat gebildet wird. Nach einer thermischen Flashbehandlung, die die weitere Faulung des Substrats und dessen Handhabbarkeit durch Viskositätserniedrigung verbessert, wird dann in der zweiten Faulstufe des einzigen Faulungsprozesses die Faulung mit der Bildung von Methan in der Endstufe und dem Erhalt eines ausfaulten Substrats abgeschlossen (vgl S 1 Z 20 bis S 3 Z ). Einen Hinweis darauf, ein bereits ausgefaultes Substrat durch eine spezielle thermische Desinteration einer weiteren Faulung zuzuführen, wie es im Streitpatent gelehrt wird, kann D1 nicht liefern.

Auch für die Vorrichtung gemäß Anspruch findet sich kein Vorbild im Stand der Technik. In D1 wird zwar eine thermische Flashbehandlung zwischen zwei Faulungsstufen zur Reduzierung der organischen Anteile eines ausfaulbaren Substrats vorgeschlagen. Eine Anregung entsprechend der Vorrichtung nach Anspruch , einen zweistufigen Desintegrationreaktor zwischen zwei Fäulnisehältern anzuordnen, welcher aus einer Wärmeübertragungseinheit und einem Verweilreaktor besteht, findet sich in D1 nicht.

Die Berücksichtigung der weiteren dem Senat vorliegenden, in der mündlichen Verhandlung von der Einsprechenden nicht mehr aufgegriffenen Druckschriften führt zu keiner anderen Beurteilung des Sachverhalts.

5. Nach alledem weisen die Gegenstände nach den Ansprüchen 1 und 7 des Streitpatents alle Kriterien der Patentfähigkeit auf. Diese Ansprüche sind daher rechtsbeständig. Mit ihnen haben die besondere Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1 und der Vorrichtung nach Anspruch 7 betreffenden Unteransprüche 2 bis 6 und 8 bis 10 Bestand.

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