Bundespatentgericht:
Beschluss vom 29. April 2004
Aktenzeichen: 25 W (pat) 262/02

(BPatG: Beschluss v. 29.04.2004, Az.: 25 W (pat) 262/02)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Bezeichnung Agileraist am 9. Juli 2001 für "Seifen, Parfümerien, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Haarwässer; Zahnputzmittel; pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Babykost; Pflaster, Verbandmaterial, Desinfektionsmittel; Medizinprodukte, soweit in Klasse 05 enthalten" in das Markenregister eingetragen worden.

Hiergegen hat die Inhaberin der älteren Marke 398 58 994 AGILO die seit dem 20. Januar 1999 für "Pharmazeutische Erzeugnisse, nämlich Tonika, Psychopharmaka und antriebssteigernde Mittel, ausschließlich Antirheumatika" eingetragen ist, Widerspruch erhoben. Das Widerspruchsverfahren gegen die ältere Marke wurde am 22. November 2001 abgeschlossen.

Mit Beschluß vom 15. Juli 2002 durch einen Beamten des höheren Dienstes hat die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts die Gefahr von Verwechslungen verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Bei durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und bei Annahme einer möglichen Warenidentität bestehe selbst bei strengen Maßstäben keine Verwechslungsgefahr auf Grund der unterschiedlichen Wortlänge und Silbenzahl der Marken. Die Betonung liege bei der Widerspruchsmarke auf den ersten beiden Silben, bei der angegriffenen Marke dagegen auf der gedehnt gesprochenen Mittelsilbe. Die Vokalfolge unterscheide sich ebenfalls deutlich voneinander. Eine mögliche Übereinstimmung des begrifflichen Anklangs an "agil" könne die Verwechslungsgefahr nicht begründen, weil mit diesem Wort die Wirkung der Waren beschrieben werde.

Mit der hiergegen erhobenen Beschwerde beruft sich die Widersprechende darauf, dass die Markenstelle den von den Marken ausgehenden Gesamteindruck und die Warenidentität außer Acht gelassen habe. Die Produkte gehörten dem typischen Selbstmedikationsbereich an. Nach den Eintragungen in der Roten Liste 2002 sei die Widerspruchsmarke die einzige, die mit dem für den Sinngehalt entscheidenden Bestandteil "AGIL-" aufgelistet sei. Auch sei die von der Markenstelle unterstellte Aussprache nicht zwingend. Es sei davon auszugehen, dass der Verkehr dem Sinngehalt der Marken entscheidende Bedeutung beimesse und daher die Endung "-(l)era" nicht immer deutlich zweisilbig ausgesprochen werde, sondern verschmelze. Ergänzend wird auf die Begründung des Widerspruchs vor der Markenstelle Bezug genommen, in der die Widersprechende insbesondere auf die Wechselbeziehung zwischen der Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der Waren hingewiesen hatte.

Die Widersprechende beantragt, den Beschluß der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 15. Juli 2002 aufzuheben, dem Widerspruch stattzugeben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass wegen der deutlichen Unterschiede zwischen den Marken keine Verwechslungsgefahr bestehe, auch wenn die Waren im Ähnlichkeitsbereich lägen. Die Verbraucher seien im Umgang mit Arzneimitteln besonders aufmerksam, weswegen bereits geringere Unterschiede zur Verneinung einer Verwechslungsgefahr ausreichten. Neben der Widerspruchsmarke existierten zudem weitere Marken auf dem Gebiet der Klasse 5 mit den Anfangsbuchstaben "Agil-", so dass der Verkehr gezwungen sei, auf weitere Merkmale zu achten. Zudem sei dieser Wortanfang beschreibend im Sinne von beweglich, flink, gewandt, leicht zu führen und somit nicht kennzeichnungsfähig. Die Marken wiesen deutliche Unterschiede in der Silbenzahl, im Sprechrhythmus, in der Betonung, in der Vokalfolge und im Klangbild auf. Der Ansicht der Widersprechenden, dass die Endung "-era" der angegriffenen Marke insbesondere bei einer dialektgefärbten Aussprache zu einer einzigen Silbe verschliffen werde, müsse widersprochen werden. Auch im Schriftbild unterschieden sich die Marken. Ebenso wenig seien Verwechslungen infolge eines gedanklichen In-Verbindung-Bringens trotz eines wesensgleichen Wortstamms zu befürchten, zumal die Widersprechende nicht vorgetragen habe, sie hätte den Verkehr bereits an mehrere Marken mit diesem Stammbestandteil gewöhnen können, so dass die Verbraucher die Marken unter diesem Aspekt miteinander verwechseln könnten.

II.

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Auch nach Ansicht des Senats besteht zwischen den Marken keine Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Abs 2 Nr 1 MarkenG.

Nachdem Benutzungsfragen keine Rolle spielen, ist von der Registerlage und den für die Marken jeweils registrierten Waren auszugehen. Soweit die angegriffene Marke für pharmazeutische (und veterinärmedizinische) Erzeugnisse eingetragen ist, kann mit den Waren der Widerspruchsmarke Warenidentität bestehen, was grundsätzlich strenge Anforderungen an den Abstand der Marken zueinander nach sich zieht. Da diese keiner Rezeptpflicht unterliegen, sind die allgemeinen Verkehrskreise bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen (vgl BGH MarkenR 2002, 49 - ASTRA/ESTRA-PUREN). Dabei ist allerdings grundsätzlich nicht auf den sich nur flüchtig mit der Waren befassenden, sondern auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher abzustellen, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Waren oder Dienstleistung unterschiedlich hoch sein kann (vgl EuGH MarkenR 1999, 236, Abs 24 - Lloyd/Loints; EuGH MarkenR 2002, 231 - Philips/Remington; BGH MarkenR 2002, 124 - Warsteiner III). Im Umgang mit Medikamenten legt dieser wegen der Auswirkungen auf die Gesundheit eine größere Aufmerksamkeit an den Tag als bei Produkten des sog täglichen Bedarfs (vgl BGH GRUR 1995, 50 - Indorektl/Indohexal; BPatGE 44, 33 - ORBENIN).

Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke könnte für den Bereich der Psychopharmaka als eher unterdurchschnittlich einzustufen sein, soweit der Verkehr die Lautfolge "AGIL-" als Hinweis auf die Wirkungsweise der Präparate erkennt.

Selbst wenn aber zugunsten der Widersprechenden bei der Prüfung von einer normalen Kennzeichnungskraft ausgegangen wird und daher strenge Maßstäbe an den Markenabstand angelegt werden, besteht aus Sicht des Verbrauchers keine Verwechslungsgefahr.

Nach dem Gesamtklangbild unterscheiden sich die Markenwörter deutlich in ihrem Wortaufbau. Besteht die angegriffenen Marke aus 7 Buchstaben mit 4 Sprechsilben, wobei der Anfangsvokal als eine Silbe gezählt wird, enthält die ältere Marke nur 5 Buchstaben mit 3 Sprechsilben. Dies führt zu weiteren Unterscheidungskriterien bei der Betonung, die beim Erfassen eines Wortes unbewusst mit wahrgenommen wird, und bei der Aussprache der Markenwörter, wobei von einer ungezwungenen Sprechweise auszugehen ist. Die Betonung liegt bei der angegriffenen Marke eher auf der 3. Silbe mit dem gedehnt gesprochenen Vokal "e", während bei der älteren Marke der helle Vokal "i" betont wird, wodurch die Abweichung in der Vokalfolge "aiea" gegenüber "aio" hervorgehoben wird.

Auch in schriftbildlicher Hinsicht bestehen durch die Unterschiede in der Wortlänge und in der Form der Buchstaben besonders im Bereich der abweichenden Buchstabenfolge "-era" bzw "-O" bei jeder üblichen Schreibweise ausreichend Unterscheidungsmerkmale, die dazu führen, dass die Marken ihrem Umriß nach im Verkehr hinreichend sicher unterschieden werden können.

Daß beide Marken über denselben Wortanfang "Agil-" verfügen, kann hier zu keiner anderen Beurteilung der Markenähnlichkeit führen. Abgesehen davon, dass mit dieser Lautfolge ein für den Bereich der Psychopharmaka beschreibender Wirkungshinweis verbunden ist, dem daher kaum Kennzeichnungskraft zukommt, beschränkt sich die Übereinstimmung der Marken hierauf. In Verbindung mit den weiteren, zur Unterscheidung geeigneten klanglichen sowie schriftbildlichen Merkmalen geht von den Vergleichswörtern jedoch ein unterschiedlicher Gesamteindruck aus, der eine markenrechtliche Verwechslungsgefahr verhindert.

Daß die Marken wegen des gemeinsamen Wortanfangs gedanklich miteinander in Verbindung gebracht werden könnten, ist schließlich ebenfalls nicht zu befürchten, zumal dem die Lautfolge "Agil-" als warenbeschreibender Bestandteil entgegenstünde und die Widersprechende nicht vorgetragen hat, dass dieser Wortanfang als Teil einer Markenserie auf ihren Geschäftsbetrieb hinweise. Der Umstand, dass in der Roten Liste die Marke der Widersprechenden als einzige mit der entsprechenden Lautfolge eingetragen ist, rechtfertigt für sich allein genommen noch nicht, diesen Wortteil als Stammbestandteil einer Markenserie anzusehen. Hierzu bedürfte es weiterer Angaben durch die Widersprechende, die jedoch nicht vorliegen (vgl hierzu Ströbele/Hacker, MarkenG, 7. Aufl, § 9, Rdnr 454 ff).

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der vorliegende Fall keinen Anlaß, § 71 Abs 1 MarkenG.

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BPatG:
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Az: 25 W (pat) 262/02


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