Bundespatentgericht:
Beschluss vom 1. Dezember 2003
Aktenzeichen: 30 W (pat) 230/02

(BPatG: Beschluss v. 01.12.2003, Az.: 30 W (pat) 230/02)

Tenor

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die international registrierte Marke 681 688 L-CARNIPURE begehrt Schutzerstreckung für Deutschland für die Waren 5 L-Carnitine, leurs sels et derives à usage pharmaceutique ou en tant qu'ingredients de produits pharmaceutiques et de substances dietetiques à usage medical.

Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der seit 1991 unter der Nr 1 171 008 für die Waren

"Pharmazeutische Erzeugnisse, welche Carnitine als aktive Wirksubstanz enthalten"

eingetragenen Marke L-CARN.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat durch Beschluß des Erstprüfers der IR-Marke den Schutz verweigert. Ausgehend von einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke reichten die bei der vorliegenden Warenidentität bestehenden Zeichenunterschiede nicht aus, um Verwechslungsgefahr auszuschließen. Die angegriffene Marke enthalte die Widerspruchsmarke vollständig und unterscheide sich von ihr im wesentlichen nur durch die beschreibende Endsilbe PURE.

Auf die Erinnerung der Inhaberin der IR-Marke hat die genannte Markenstelle jedoch den Beschluß aufgehoben und den Widerspruch zurückgewiesen. Begründend ist dies darauf gestützt, daß sich die Marken durch die verschiedenen Zeichenlängen ausreichend unterschieden. Auch für eine assoziative Verwechslungsgefahr bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte.

Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt und diese insbesondere darauf gestützt, daß auch die angegriffene Marke durch den Bestandteil L-CARN, also die Widerspruchsmarke wesentlich geprägt werde. Wer L-CARNIPURE auf identischen Waren sehe, werde unweigerlich an das ältere L-CARN erinnert, da er den abweichenden Zusatz nur als Reinheitshinweis verstehe.

Die Widersprechende beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und der IR-Marke den Schutz in Deutschland zu verweigern.

Die Markeninhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie weist insbesondere darauf hin, daß bei den vorliegenden Waren Hinweise auf besondere Reinheit nicht üblich seien und außerdem kaum durch das englische Wort pure ausgedrückt würden. Durch die Anlehnung an den beschreibenden Inhaltsstoff L-CARNITIN habe die Widerspruchsmarke auch nur einen eingeschränkten Schutzumfang, der vom angegriffenen Zeichen nicht verletzt werde.

Im übrigen gesteht sie zwar eine Benutzung des Widerspruchszeichens für ein Präparat zur Therapie von Carnitin-Mangelerkrankungen zu. Die dafür vorgelegten Umsatzzahlen zwischen ... DM und ... € seien jedoch relativ gering und könnten die der Widerspruchsmarke von Haus aus innewohnende Kennzeichnungsschwäche in keiner Hinsicht verbessern oder gar aufheben.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, sachlich jedoch nicht begründet. Es besteht keine Verwechslungsgefahr im Sinn von § 9 Absatz 1 Nr 2 MarkenG, so daß der Widerspruch zu Recht zurückgewiesen worden ist (§ 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG).

Für den Rechtsbegriff der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr sind die dafür maßgebenden Umstände entscheidend, insbesondere die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, die Ähnlichkeit der Waren und die Ähnlichkeit der Marken, wobei zwischen diesen Parametern eine Wechselwirkung besteht. In Abwägung dieser Umstände kommen sich die Zeichen nicht verwechselbar nahe.

Bei der Bewertung der Kenzeichnungskraft der Widerspruchsmarke kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß diese aus den ersten fünf Buchstaben von L-Carnitin besteht. L-Carnitin ist aber eine verkehrsübliche Bezeichnung des Wirkstoffs Levocarnitin (vgl etwa Rote Liste, Ausgabe 2003, Verzeichnis chemischer Kurzbezeichnungen von Wirkstoffen Stichwort L-Carnitin). Auch das Warenverzeichnis der Markeninhaberin verwendet den Begriff L-Carnitine. Mag gelegentlich die Verkürzung eines Wirkstoffs, der ohnehin bereits zumeist eine Zusammenfassung umständlicher chemischer Formeln darstellt, diesen nicht ohne weiteres durchscheinen lassen, so ist dies hier anders, da bereits die Schreibweise L-CARN auch ohne Zusammenhang mit den hier beanspruchten Waren keinen rechten anderen Sinn haben kann, als auf L-Carnitin hinzuweisen. Dies wird sodann durch die Waren (Carnitin-Produkte), die bei der Beurteilung nicht außer Betracht bleiben dürfen, noch besonders deutlich vor Augen geführt.

Dafür, daß es der Widersprechenden gelungen sei, durch eine ungewöhnlich starke Benutzung eine besondere Verkehrsbekanntheit für ihr Produkt zu gewinnen und dadurch die dem Zeichen innewohnende Kennzeichnungsschwäche zu beeinflussen, reichen die von ihr vorgelegten Unterlagen nicht aus. In dem Bereich der Arzneimittel sind bereits bei den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln allein in Deutschland Umsätze im zweistelligen Milliardenbereich seit langem üblich. Der Bereich der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel ist eher noch größer einzuschätzen, jedenfalls so groß, daß die angeführten Umsatzzahlen mit durchschnittlich über ... €/Jahr eher unterdurchschnitt- lich erscheinen müssen, jedenfalls keinesfalls ausreichen können, eine höhere Verkehrsbekanntheit zu belegen.

Ausgehend demnach von einem unterdurchschnittlichen Schutzumfang reichen die Unterschiede in den Marken aus, um trotz bestehender Warenidentität auch bei den angesprochenen allgemeinen und damit nur durchschnittlich aufmerksamen Verbrauchern Verwechslungen auszuschließen. Die Widerspruchsmarke wird geprägt durch ihre charakteristische Verkürzung der Sachangabe L-Carnitin. Gerade insoweit fehlt es aber an einer Übereinstimmung mit der angegriffenen Marke. Diese wirkt als geschlossenes Wort, das sich schon durch seine Länge wie auch durch eine unterschiedliche Betonung von der Widerspruchsmarke deutlich genug abhebt. Ein Vernachlässigen des Bestandteils PURE könnte allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Abspaltung in Betracht gezogen werden. PURE ist aber im Gegensatz zu den "Schulbeispielen" aktiv, forte, oder extra keine allgemein verständliche, lediglich eine Verstärkung bezeichnende Angabe, sondern verschmilzt im Gesamtzeichen zu einem insgesamt geschlossenen Wort. Hinzu kommt, daß selbst diejenigen, denen sich der Bedeutungsgehalt von PURE ohne weiteres erschließt, keinen Anlaß haben, diesen Zeichenteil völlig zu vernachlässigen. Wirkstoffe in Arzneimitteln werden nämlich üblicherweise nicht in einer unreinen oder reinen Art angeboten, jedenfalls ist das Publikum nicht daran gewöhnt, zwischen unterschiedlicher Reinheit der Wirkstoffe zu unterscheiden. Nur bei deutlicher und ohne weiteres als beschreibend erkennbaren Wortteilen und einer in dem Warenbereich zusätzlich bestehenden langjährigen und allgemeinen Branchenübung kann jedoch Abspaltung in Betracht gezogen werden (vgl im einzelnen Ströbele/Hacker, MarkenG, 7. Aufl, § 9 Rdn 444 f).

Soweit die Widersprechende auf die Entscheidung Salvent/Salventerol (BGH GRUR 1998, 924) verweist, unterscheidet sich der Streitfall schon dadurch, daß dort keine Kennzeichnungsschwäche des übereinstimmenden Markenteils Salvent festgestellt wurde. Im übrigen scheint die vom Bundesgerichtshof damals angesprochene Formulierung, wonach auch innerhalb eines geschlossenen Wortes ein Worteil das Gesamtzeichen allein prägen könne, auf diesen Einzelfall beschränkt zu sein, jedenfalls ist sie in späteren Entscheidungen nicht wieder aufgegriffen worden, sondern im Gegenteil selbst bei lediglich durch einen Bindestrich verbundenen Zeichenteilen von einem Gesamtwort ausgegangen worden (BGH GRUR 2002, 342 ASTRA/ESTRA-PUREN). Eher vergleichbar erscheint der vorliegende Streitfall dagegen mit der neueren Entscheidung des Bundesgerichtshofs AntiVir/AntiVirus (GRUR 2003, 963). Danach ist aus Rechtsgründen die Verwechslungsgefahr zwischen einer an eine freihaltungsbedürftige Sachangabe angelehnten Marke und der als Marke benutzten Sachangabe selbst zu verneinen. Dies muß erst recht gelten, wenn die angegriffene Marke zwar nicht selbst die Sachangabe darstellt, aber ihrerseits an die Sachangabe angelehnt ist, dabei jedoch von den die Widerspruchsmarke kennzeichnenden Anlehnungsmerkmalen ihrerseits keinen Gebrauch macht.

Für eine assoziative Verwechslungsgefahr fehlen ausreichende Anhaltspunkte. Die Widersprechende hat keine Zeichenserie mit dem Bestandteil L-CARN. Dieser ist wegen seines beschreibenden Anklangs auch ungeeignet, als Stammbestandteil zu wirken (Ströbele/Hacker, MarkenG, 7. Aufl. § 9 Rdn 484).

Zu einer Kostenauferlegung bietet der Streitfall jedoch keinen Anlaß (§ 71 Abs 1 Satz 1 MarkenG).

Dr. Buchetmann Winter Schramm Hu






BPatG:
Beschluss v. 01.12.2003
Az: 30 W (pat) 230/02


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