Landgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 28. August 2013
Aktenzeichen: 2-06 O 182/12, 2-6 O 182/12, 2-6 O 182/12

(LG Frankfurt am Main: Urteil v. 28.08.2013, Az.: 2-06 O 182/12, 2-6 O 182/12, 2-6 O 182/12)

Tenor

1.) Die Klage wird abgewiesen.

2.) Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3.) Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4.) Der Streitwert wird auf über 30 Mio. € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um kartellrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit der Nutzung von Kabelkanälen durch die Klägerin.

Die Klägerin betreibt in sämtlichen Bundesländern - mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg -Breitbandkabelnetze, über die sie ihren Kunden analoges und digitales Fernsehen sowie Telekommunikationsdienstleistungen (Breitbandinternetzugänge und Telefonie) anbietet. Die Beklagte betreibt in Deutschland ein flächendeckendes Telekommunikationsnetz und bietet darüber verschiedene Telekommunikationsdienstleistungen (Breitbandinternetzugänge und Telefonie) sowie ebenfalls digitales Fernsehen an. Teile der Kabelkanäle der Beklagten, in denen sie die für ihre Dienstleistungen benötigten Kabel führt, werden auch gegen Bezahlung von der Klägerin genutzt.

Das Breitbandkabelgeschäft hatte ursprünglich nur die Übertragung von Fernseh- und Hörfunksignalen zum Gegenstand und wurde von der Rechtsvorgängerin der Beklagten betrieben. Aufgrund von EU-Vorgaben über eine rechtliche Trennung zwischen Kabel- und Telekommunikationstätigkeiten sowie im Hinblick auf den beabsichtigten Verkauf ihrer Kabelnetze brachte die Rechtsvorgängerin der Beklagten das Breitbandkabelgeschäft Ende 1998 in eine zu diesem Zweck gegründete Tochtergesellschaft ein (A1 GmbH mit Sitz in Bonn, €A alt€).

Im Jahr 2001 erfolgte eine Regionalisierung durch Ausgliederung und Abspaltung des Breitbandkabelgeschäfts auf Tochtergesellschaften von A alt (sogenannte €Regionalgesellschaften€), deren Anteile sodann getrennt an die Firmen X, Y und die Klägerin verkauft wurden. Die Klägerin war von einer Investorengruppe gegründet worden und erwarb im Frühjahr 2003 unter der Firma A GmbH (€A neu€) die folgenden Regionalgesellschaften:

- A Hamburg/Schleswig Holstein/Mecklenburg-Vorpommern GmbH &Co KG (Region 1),

- A Niedersachsen/Bremen GmbH & Co. KG (Region 2),

- A Berlin/Brandenburg GmbH & Co. KG (Region 3),

- A Sachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen GmbH & Co. KG (Region 4),

- A Rheinland-Pfalz/Saarland GmbH & Co. KG (Region 7)sowie

- A Bayern GmbH & Co. KG (Region 9).

Mit den Regionalgesellschaften erwarb die Klägerin (A neu) als wesentliches Anlagevermögen und Grundlage des Breitbandkabelgeschäfts jeweils auch die Breitbandkabelnetze in den genannten Regionen, die teilweise in der Erde und im übrigen in Kabelkanalanlagen der Rechtsvorgängerin der Beklagten verlegt waren und sind. Die Kabelkanalanlagen selbst waren seinerzeit nicht Gegenstand der Veräußerung; sie blieben im Eigentum der Beklagten.

In den Jahren 2003/2004 wurde das Breitbandkabelgeschäft in den genannten Regionen über verschiedene Zwischenstationen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die A Vertrieb und Service GmbH & Co.KG (A-S) übertragen, deren Kommanditistin die Klägerin war. Durch Verschmelzung des persönlich haftenden Gesellschafters auf die Klägerin ist die A-S erloschen und ihr Vermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge am 01.08.2011 auf die Klägerin übergegangen.

Im Zusammenhang mit den oben geschilderten Übertragungsvorgängen kam es zu einer Reihe von vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Klägerin bzw. ihren Rechtsvorgängerinnen (im Folgenden: Klägerin)und der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin (im Folgenden:Beklagte):

Nach Einbringung des Breitbandkabelgeschäfts in die A alt schloss die Beklagte mit dieser im Jahr 2000 € noch konzernintern € für die einzelnen Regionen Rahmenleistungsverträge ab (Anlage K 4) und gestattete A alt jeweils in einem Term Sheet Nr. 1 die Mitbenutzung von Rohrzügen und Teilen von Rohrzügen in Kabelkanalanlagen der Beklagten, in denen zum Stichtag Breitbandkabel von A alt lagen. Für diese Breitbandkabel gestattete die Beklagte der A alt und anschließend den Regionalgesellschaften die Weiternutzung durch das Term Sheet Nr. 1. Eine Übertragung von €Sonder-Eigentum€ an den Teilen der Kabelkanalanlagen, in denen sich die Breitbandkabel befanden, war aufgrund der baulichen Verbindung von Kabelkanalanlagen und Rohrzügen nicht möglich. Gegenstand des Term Sheet Nr. 1 war die Überlassung der Rohrkapazitäten, in denen die Breitbandkabel lagen, unabhängig davon, ob in den betroffenen Rohrzügen noch andere Kabel lagen und in welchem Umfang (Kabellänge und -umfang) die Breitbandkabel die Rohre belegten. In einem weiteren Term Sheet Nr. 2 machte die Beklagte den Regionalgesellschaften und im Hinblick auf die erwartete Netzaufrüstung das Angebot, weitere Kabelkanalkapazitäten anzumieten (Anlage K 6). Zur Umsetzung war jeweils eine gesonderte Vereinbarung über eine bestimmte Strecke zu schließen (Einzelvereinbarung zum Term Sheet Nr. 2 in Anlage B 2).Hinsichtlich der Übertragungstechnik, die zusammen mit der sonstigen Technik der Beklagten in Technikräumen untergebracht war,wurde die Mitbenutzung in Term Sheet Nr. 4 €Mietflächen für BK Technik€ geregelt. Term Sheet Nr. 5 enthielt schließlich Regelungen zur Versorgung der Technik durch die Beklagte mit Strom.Diese Infrastrukturverträge und weitere Leistungen wurden unter einem Rahmenleistungsvertrag zusammengefasst.

Der Rahmenleistungsvertrag und die Term Sheets wurden erstmals in den Jahren 1999 und 2000 abgeschlossen und in der Folge mehrmals angepasst; die aktuellen Fassungen werden in Anlagen K 4 und K 5vorgelegt.

Die erste Fassung des für den Leistungsumfang und die Vergütung relevanten Term Sheets Nr. 1 aus dem Jahr 2000 (Anlage K 1)enthielt u.a. folgende Regelungen:

2.2 Der Leistungsgeber gestattet dem Leistungsnehmer die Mitbenutzung gemäß Ziffer 2.1 für die zum 1. Juli 2000, 0:00 Uhr bestehenden und zu diesem Zeitpunkt bereits in Kabelkanalanlagen des Leistungsgebers verlegten BK-Kabellinien. Ziffer 2.3 bleibt unberührt.

Die Vergütung wurde unter Ausweis der Länge und des Nutzungsentgeltes für die einzelnen Netzarten sowie der Gesamtlänge und der Gesamtkosten mit 6.674 DM/km festgesetzt.

Die zweite Fassung des Term Sheet Nr. 1 (Anlage K 2) aus dem Jahr 2002 enthielt u.a. folgende Regelung:

€2.2. Der Leistungsgeber ist verpflichtet, dem Leistungsnehmer gemäß den nachfolgend genannten Bedingungen dieses Term Sheets die Mitbenutzung von Rohrzügen und Teilen von Rohrzügen in Kabelkanalanlagen des Leistungsgebers zu gestatten, soweit und zu dem Zweck, dass darin die zum Änderungsstichtag verlaufenden BK-Kabel des Leistungsnehmers liegen. [€]€.

€6.1 Die Vergütung für die Mitbenutzung von Rohrzügen und Teilen von Rohrzügen beträgt im Kalenderjahr 2002 € xxxx und ab dem Kalenderjahr 2003 € xxxxx. Die Höhe der Vergütung ist,vorbehaltlich von Änderungen des Leistungsumfanges durch Kündigung,Stilllegung oder vorübergehende Mehrnutzung, unabhängig von der tatsächlichen Gesamtlänge der Kabelkanalanlagen.

6.2 Die Vergütung gemäß Ziffer 6.1 wird als Festvergütung für die Kalenderjahre 2002 - 2004 vereinbart. Ab dem Folgejahr kann sie nach § 3.2 des Rahmenleistungsvertrages angepasst werden.

6.3 Im Falle einer Veränderung des Leistungsumfangs verringert bzw. erhöht sich die Vergütung anteilig. Der Betrag der Verringerung bzw. Erhöhung entspricht dem Produkt von Länge der Erhöhung bzw. Verringerung (in km) und dem Preis pro km, der sich aus der Anlage 2 (a) bzw. Anlage 2 (b) ergibt.€

Regelungen im Hinblick auf die Länge der Kabelkanalanlagen enthält diese Fassung insoweit nicht. Weiterhin enthielt der Term Sheet Nr. 1 ein Wettbewerbsverbot zu Gunsten der Klägerin, das der Beklagten untersagte, für einen Zeitraum von drei Jahren ihre Kabelkanalanlagen Wettbewerbern der Klägerin zur Nutzung zu überlassen. Zusätzlich sagte die Beklagte in der Änderungsvereinbarung zu den Leistungsvereinbarungen zu,Wettbewerbern der Klägerin für den Zeitraum von vier Jahren keinen Zugang zu den Kabelkanalanlagen zu dem Zweck zu gewähren, frei empfangbare TV-Programme zu übertragen (Anlage B 5).

Nach dem Term Sheet Nr. 1 ist die Beklagte zu einer ordentlichen Kündigung nicht berechtigt; die Klägerin hingegen ist zu einer ordentlichen Kündigung mit einer Frist von zwölf Monaten berechtigt. Bei einer Teilkündigung bis Ende 2008 betrug die Kündigungsfrist neun Monate und danach fünfzehn Monate (Anlage B5).

Die dritte Fassung des Term-Sheet Nr. 1 aus dem Jahr 2003(Beispiel Bayern, Anlage K 5) enthielt folgende Regelungen:

€2.2 Der Leistungsgeber ist verpflichtet, dem Leistungsnehmer gemäß den nachfolgend genannten Bedingungen dieses Term Sheets die Mitbenutzung von Rohrzügen und Teilen von Rohrzügen in Kabelkanalanlagen des Leistungsgebers zu gestatten, soweit und zu dem Zweck, dass darin die zum Änderungsstichtag verlaufenden BK-Kabel des Leistungsnehmers liegen [€]

5. Leistungsumfang, Mengengerüst

Die Gesamtlänge der zur Mitbenutzung überlassenen Kapazität in den Kabelkanalanlagen stellt keine vereinbarte oder zugesicherte Eigenschaft des Mietgegenstandes dar.

6. Vergütung

6.1 Die Vergütung für die Mitbenutzung von Rohrzügen und Teilen von Rohrzügen beträgt € xxx [€] pro Kalenderjahr. Die Höhe der Vergütung ist, vorbehaltlich von Änderungen des Leistungsumfanges durch Kündigung, Stilllegung oder vorübergehende Mehrnutzung, unabhängig von der tatsächlichen Gesamtlänge der Kabelkanalanlagen.

[€]

6.3 Im Falle der Veränderung des Leistungsumfangs verringert sich bzw. erhöht sich (im Fall des By-Pass Kabels gemäß Ziffer 2.3.5) die Vergütung anteilig. Der Betrag der Verringerung bzw.Erhöhung entspricht, vorbehaltlich Ziffer 2.3.6, dem Produkt von Länge der Erhöhung bzw. Verringerung (in km, unabhängig von der Nutzungsform) und dem Preis (pro km und Jahr) von € xxx. Bei einer Anpassung der Vergütung gemäß Ziffer 6.2 ist dieser Preis entsprechend anzupassen.€

In Erfüllung dieser vertraglichen Verpflichtungen zahlte die Klägerin an die Beklagte folgende Vergütungen:

Im Jahr 2003xxx €,im Jahr 2004xxx €,im Jahr 2005xxx €,im Jahr 2006xxx €,im Jahr 2007xxx €,im Jahr 2008xxx €,im Jahr 2009xxx €,im Jahr 2010xxx €,im Jahr 2011xxx €,im Jahr 2012xxx €.Der Zugang zu etwa einem Drittel der Kabelkanalanlagen der Beklagten, in denen Breitbandkabel der Klägerin liegen, ist nach den Regelungen des Telekommunikationsgesetzes reguliert. Über diese Teile der Kabelkanalanlagen erhalten Wettbewerber der Beklagten Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung (TAL), die sogenannte €letzte Meile€. Für den Kabelkanalanlagenzugang zu diesem Zweck darf die Beklagte nicht mehr verlangen als das Entgelt, das die Bundesnetzagentur aufgrund entsprechender Kostenberechnungen auf Grundlage des TKG festgelegt hat. Das zum Festnetz der Beklagten gehörende Teilnehmeranschlussnetz verbindet etwa 8000 Hauptverteiler (HVT) über rund 330.000 Kabelverzweiger (KVZ) mit ca. 39 Mio. Endkundenanschlüssen (Anlage K 7).

Auf der Grundlage des Telekommunikationsgesetzes gab die Bundesnetzagentur der Beklagten durch Regulierungsverfügung vom 27.06.2007 auf, zum Zweck des Zugangs zur TAL den Zugang zu ihren Kabelkanalanlagen zwischen HVT und KVZ zu gewähren, soweit hierfür die erforderlichen Mehrkapazitäten vorhanden sind. Diese Anordnung wurde durch das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 27.01.2010 bestätigt (Anlage K 8).

Auf Antrag der Beklagten vom 15.01.2010 legte die Bundesnetzagentur mit Beschluss vom 26.03.2010 (Anlage K 9)erstmalig die Entgelte fest, welche die Beklagte für den Zugang zu ihren Kabelkanalanlagen auf den Strecken zwischen HVT und KVZ zum Zwecke des Zugangs zur TAL verlangen darf. Das Entgelt für die Überlassung eines Viertels eines Kabelkanalrohrs in ein Mehrfachrohr betrug danach bis 30.06.2011 monatlich je Rohrmeter € 0,12. Dies entsprach einem jährlichen Preis pro Meter von € 1,44. Die Entgeltanordnung der Bundesnetzagentur ist sowohl von der Beklagten als auch von der beteiligten Vodafone AG &Co. KG angefochten worden und bisher nicht rechtskräftig. Zur Begründung verwendete die Bundesnetzagentur ein analytisches Kostenmodell, welches das wissenschaftliche Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) für die Berechnung der Kosten der TAL entwickelt hatte. In diesem Modell wird das Netz von unten nach oben (€bottom up€) aus seinen Einzelteilen (Netzknoten und Übertragungswege) modellhaft aufgebaut. Die räumliche Verteilung der Netzknoten wird auf der Grundlage der von der Beklagten gelieferten Standortinformationen beibehalten, die Übertragungswege werden dagegen in Abhängigkeit von der Nachfrage effizienzbezogen modelliert. Der Investitionswert für das Netz wird sodann auf der Basis von Wiederbeschaffungswerten ermittelt. Hieraus errechnete die Bundesnetzagentur einen Gesamtinvestitionswert der Kabelkanalanlagen zwischen HVT und KVZin Höhe von € xxx. Dies ergab einen Investitionswert je Viertelrohrmeter von € xxx. Zu den Einzelheiten der Berechnung nach dem analytischen Kostenmodell wird auf die Anlage K 9 Bezug genommen.

Auf Antrag der Beklagten setzte die Bundesnetzagentur mit Beschluss vom 02.11.2011 (Anlage K 11) das monatliche Entgelt für die Überlassung eines Viertels eines Kabelkanalrohres in einem Mehrfachrohr rückwirkend ab 01.07.2011 auf € 0,09 monatlich je Rohrmeter fest, was einem jährlichen Preis pro Meter von €1,08 entsprach.

Auch in anderen EU Staaten existieren flächendeckende Netze nationaler Dimension von früheren TK-Monopolisten, wobei die regulatorischen Rahmenbedingungen teilweise von denen in Deutschland abweichen. Die Klägerin gab zur Ermittlung der auf diesen Märkten bestehenden Vergleichspreise bei der Fa. WIK Consult GmbH eine Studie in Auftrag, die in Anlage K 13 beigefügt ist.

Bereits am 08.03.2007 hatte die Klägerin die Beklagte zu Gesprächen im Hinblick auf die Höhe der zu zahlenden Vergütung aufgefordert, da aus ihrer Sicht die Vergütung für die Nutzung der Kabelkanalanlagen die Marktpreise für vergleichbare Produkte übersteige (Anlage B 16). Die nachfolgend geführten Gespräche zwischen der Klägerin und der Beklagten führten zur Gewährung eines Umsatzbonus auf bestimmte Vereinbarungen. Nach dem Bundesnetzagenturbeschluss vom 26.03.2010 forderte die Klägerin die Beklagte auf, Verhandlungen über eine Verringerung der nach dem Term Sheet Nr. 1 zu zahlenden Vergütung aufzunehmen. Die Klägerin widersprach ab Juli 2010 den Rechnungen der Beklagten und zahlte nur noch unter dem Vorbehalt der Rückforderung des Anteils, der die Angemessenheit der Entgelte überschreite (Anlagen K 14).

Die Klägerin trägt vor, ein Breitbandkabel der Klägerin belege in der Regel weniger, jedenfalls aber nicht mehr als ein Viertel eines Rohrzuges, der grundsätzlich einen Durchmesser von 100 mm habe. Die Rohrzüge könnten daneben mit TK-Linien der Beklagten oder anderen TK-Unternehmen (in Form von Kupfer- oder Glasfaserkabeln)belegt sein oder werden. Eine solche Mehrfachnutzung sei auch tatsächlich der Fall.

Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stehe ein Anspruch auf Vertragsanpassung bzw. Rückzahlung überzahlter Beträge zu, da die Vergütungsvereinbarung nach dem Term Sheet Nr. 1 zu den Rahmenleistungsverträgen nach § 134 BGB in Verbindung mit § 19 GWBnichtig sei. Die zu zahlende Vergütung übersteige den hypothetischen Wettbewerbspreis nach § 19 Abs. 4 Ziffer GWB und den Preis, den die Beklagte Vodafone und den anderen TK-Unternehmen für die Nutzung von Kabellehrrohren nach dem Bundesnetzagenturbeschluss vom 02.11.2011 berechnen dürfe (Preisspaltung nach § 19 Abs. 4Ziffer 3 GWB). Durch die Verpflichtung zur Zahlung eines überhöhten Entgeltes werde die Klägerin außerdem mit ihren Wettbewerbsmöglichkeiten ohne sachlich gerechtfertigten Grund erheblich beeinträchtigt (§ 19 Abs. 4 Ziffer 1 GWB) und gleichzeitig unbillig behindert und ungleich behandelt (§ 20 Abs. 1GWB).

Als sachlich relevanten Markt sieht die Klägerin den Markt der Nachfrage der Kabelnetzbetreiber und der TK-Unternehmen nach der Führung ihrer Kupfer- und Glasfaserkabel in Rohrzügen an. Für die unterirdische Führung von Breitband- bzw. anderen TK-Kabeln in Rohrzügen spiele es keine Rolle, ob es sich um Kupferkabel oder Glasfaserkabel handele. Darüber hinaus seien in der Regel auch beide Kabeltypen zusammen in einem Rohrzug verlegt. Der sachlich relevante Markt sei auf die Kabelkanalanlagen der Beklagten begrenzt. Die Rohrzüge der Beklagten seien zur Führung der Kupfer-und Glasfaserkabel der Klägerin mit Leitungssystemen anderer Anbieter, insbesondere in Abwasserkanälen, Leerrohren in U-Bahn-Trassen oder städtischen Verkehrs- und Ampelanlagen nicht austauschbar. Insbesondere stünden diese alternativen Infrastrukturen nicht flächendeckend zur Verfügung.

Die Beklagte nutze ihre beherrschende Stellung auf dem bundesweiten Markt für den Zugang zu ihren Kabelkanalanlagen und die Anmietung bzw. Nutzung der darin befindlichen Rohrzüge missbräuchlich im Sinne von § 19 Abs. 4 Ziffer 2 GWB aus. Denn das von der Beklagten geforderte Entgelt weiche erheblich von dem Entgelt ab, das sich bei wirksamem Wettbewerb auf dem relevanten Markt mit hoher Wahrscheinlichkeit ergebe. Der hypothetische Wettbewerbspreis könne zum einen nach dem Vergleichsmarktkonzept errechnet werden. Hieraus ergebe sich ein Missbrauch aus einem Vergleich des Entgelts von xxx € pro Meter und Jahr für die Nutzungsüberlassung eines Viertels eines Kabelkanalrohres gemäßTerm Sheet Nr. 1 mit dem Entgelt von € xxx für die Nutzungsüberlassung eines kompletten Leerrohres gemäß Term Sheet Nr. 2, dem Entgelt von € 1,44 bis 30.07.2011 und 1,08 €ab 01.07.2011, für die Überlassung eines Viertels eines Kabelkanalrohres in einem Mehrfachrohr nach den Beschlüssen der Netzagentur vom 26.03.2010 und 02.11.2011 sowie aus den Zugangsentgelten zu Leerrohrinfrastrukturen in West- und Südeuropa.Danach sei der Leerrohrzugang in allen anderen europäischen Ländern erheblich billiger. Insbesondere das Standardangebot der Swisscom für den Zugang zu ihrer Leerrohrinfrastruktur mit umgerechnet € 2,04 für den lfd. Meter sei im Vergleich zum Preis der Beklagten um ca. xxx % niedriger. In Frankreich und Großbritannien betrage das Zugangsentgelt einschließlich Schachtmiete zum aktuellen Umrechnungskurs für 10-Jahres-Verträge etwa 1,25 €,d.h. weniger als xxxx des Entgeltes nach Term Sheet Nr. 1.

Dass die Vergleichsmärkte im In- und Ausland reguliert seien,stehe ihrer Heranziehung zur Ermittlung eines Preismissbrauchs nicht entgegen. Insbesondere der durch die Bundesnetzagentur regulierte Preis könne schon deshalb als Vergleichspreis herangezogen werden, weil die Öffnung für den Wettbewerb grade das Ziel der Regulierung sei. Aber auch nach dem Grundsatz der Kostenkontrolle auf Grundlage der Kosten, die der Beklagten bei effizienter Leistungserbringung entstünden, ergebe sich unter Zugrundelegung der Entscheidungen der Bundesnetzagentur eine missbräuchlich überhöhte Preisgestaltung.

Eine sachliche Rechtfertigung für die Preisspaltung und für die Ungleichbehandlung nach § 20 Abs. 1 GWB bestehe nicht.

Infolge der missbräuchlich überhöhten Preise sei die Vergütungsvereinbarung nach § 134 BGB teilnichtig.

Die Klägerin beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, für die Mitbenutzung von Rohrzügen und Teilen von Rohrzügen

a) nach dem Term Sheet Nr. 1 zum Rahmenleistungsvertrag zwischen der Beklagten und der Klägerin (ursprünglich abgeschlossen zwischen der D AG und der A Hamburg/Schleswig-Holstein,Mecklenburg-Vorpommern GmbH & Co. KG) vom 27.01.2003 mehr als € 500.532,51 pro Monat und

b) nach dem Term Sheet Nr. 1 zum Rahmenleistungsvertrag zwischen der Beklagten und der Klägerin (ursprünglich abgeschlossen zwischen der D und der A Niedersachsen/Bremen GmbH & Co. KG) vom 27.01.2003 mehr als € xxx pro Monat und

c)nach dem Term Sheet Nr. 1 zum Rahmenleistungsvertrag zwischen der Beklagten und der Klägerin (ursprünglich abgeschlossen zwischen der D AG und der A Berlin/Brandenburg GmbH & Co. KG) vom 27.01.2003 mehr als € xxx pro Monat und

d) nach dem Term Sheet Nr. 1 zum Rahmenleistungsvertrag zwischen der Beklagten und der Klägerin (ursprünglich abgeschlossen zwischen der D AG und der A Sachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen GmbH & Co.KG) vom 27.01.2003 mehr als € xxx pro Monat und

e) nach dem Term Sheet Nr. 1 zum Rahmenleistungsvertrag zwischen der Beklagten und der Klägerin (ursprünglich abgeschlossen zwischen der D AG und der A Rheinlandpfalz/Saarland GmbH & Co. KG) vom 27.01.2003 mehr als € xxx pro Monat und

f) nach dem Term Sheet Nr. 1 zum Rahmenleistungsvertrag zwischen der Beklagten und der Klägerin (ursprünglich abgeschlossen zwischen der D AG und der A Bayern GmbH & Co. KG) vom 27.01.2003 mehr als € xxx pro Monatzu zahlen,wobei die genannten Beträge unter dem Vorbehalt des Preiserhöhungsrechts der Beklagten nach Ziffer 6.2 des jeweiligen Term Sheets Nr. 1 stehen und unter dem Vorbehalt einer Veränderung des Leistungsumfangs gemäß Ziffer 6.3 des jeweiligen Term Sheets Nr. 1 mit der Maßgabe, dass der dort genannte Preis (pro Kilometer und Jahr) nicht mehr als € xxx betragen darf.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € xxx zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus € xxx seit 14. Juni 2012 und aus € xxx seit Zustellung des Schriftsatzes vom 28.02.2013 sowie weitere € xxx zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Klägerin nutze in vielen Fällen mehr als ein Viertelrohr. Die Kabel lägen nach Netzen getrennt in den Rohren der Beklagten. Da die Kabelkanalanlagen der Beklagten ursprünglich für die Verlegung von Telefonkabeln errichtet worden seien und erst später die Kabelkanalanlagen auch mit Fernsehkabeln nachbelegt worden seien, sei aus technischen Gründen ein mit Telefonkabeln belegtes Rohr nicht ohne weiteres nachbelegt worden. Zudem sollten aus betriebstechnischen Gründen, insbesondere wegen der besseren Übersichtlichkeit für die Techniker, vermieden werden, dass ein Rohr mit Telefon- und Fernsehkabeln belegt werde. Deshalb seien aufgrund interner Vorgaben der Beklagten die nachträglich eingezogenen Breitbandkabel in andere, bis dato nicht belegte Rohre eingezogen worden. Eine Nachbelegung der mit Telefonkabeln belegten Rohre mit Breitbandkabeln sei technisch nicht möglich gewesen, da die Rohre, in denen die Telefonkabel lagen, nicht unterteilt gewesen seien. Im Ergebnis seien Breitbandkabel in leere Rohre eingezogen worden, die später auch nicht nachbelegt hätten werden können. Etwas anderes gelte nur, wenn ein Rohr mit einem sogenannten Viertelteiler ausgerüstet worden sei. Sei dieser nicht vorhanden, könne dieser nicht ohne weiteres nachgerüstet werden.

Die regulierte Kostenkalkulation sei ausschließlich relevant für den regulierten Zugang. Die Bundesnetzagentur errechne die Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung nach § 31 TKG. Dies geschehe auf der Grundlage von Wiederbeschaffungswerten nach einem €Green-Field-Ansatz€, das heißt, es werde so getan, als ob die Kosten für ein neues Netz relevant seien und kein altes,nach historischen Strukturen gewachsenes Netz existiere. Einer der Gründe für den Green-Field-Ansatz im Rahmen regulierter Entgelte sei, dass die Zugangsberechtigten heute erstmals Zugang erhalten sollten und ihnen die gewachsene, historische Netzstrukturerbschaft nicht zugerechnet werden solle. Die Klägerin hingegen habe ein historisch gewachsenes Netz übernommen und habe dauerhaften Zugriff auf die damalige Struktur der Kabelkanalanlagen der Beklagten erhalten. Ein Rückschluss auf Grundlage des von der Bundesnetzagentur ausdrücklich nur für einen Abschnitt der Kabelkanalanlagen ermittelten hypothetischen Preises auf den Preis aller Kabelkanalanlagen sei unzulässig. Der Vergleich zwischen der Pauschalvergütung, die die Klägerin für die Überlassung der Kabelkanalanlagen der Beklagten zahle und den regulierten Entgelten gehe fehl, weil sich die Produkte in den entscheidenden preisrelevanten Punkten unterschieden. Der regulierte Zugang berechtigte ausschließlich zum Zugang zu den Rohren zwischen den Hauptverteilern und den Multifunktionsgehäusen bzw.Kabelverzweigern. Der regulierte Zugang gelte jedoch nur für einen Teil des Kabelkanalnetzes der Beklagten. Die Klägerin nutze in erheblichem Umfang Rohre außerhalb des regulierten Bereiches. Bei den Verträgen, die aufgrund der Regulierung zustande kämen, dürfe der Mietgegenstand, d.h. das Viertelrohr, ausschließlich dazu genutzt werden, den Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung zu ermöglichen. Das Term Sheet Nr. 1 von 2003 enthalte dagegen keinerlei solche Beschränkungen. Die Klägerin sei frei, die in Kabelkanalanlagen liegenden Breitbandkabel so zu nutzen, wie es ihr beliebe, nicht nur für bestimmte Zwecke. Verträge im Rahmen der Regulierung seien darüber hinaus strikt an die Aufrechterhaltung der Zugangsverpflichtung gekoppelt. Sie seien daher von der Beklagten kündbar, sobald diese Verpflichtung entfalle. Die Regulierung werde im Abstand von zwei Jahren überprüft.Demgegenüber sei die ordentliche Kündigung des Term Sheets Nr. 1von 2003 für die Beklagte ausgeschlossen. Die Klägerin könne ihre Breitbandkabel auch ewig in den Kabelkanalanlagen der Beklagten liegen lassen. Sie selbst sei allerdings berechtigt, das Term Sheet zu kündigen, wenn sie die Leistung nicht mehr in Anspruch nehmen wolle. Weiterhin sei die Klägerin zur Untervermietung und zur Teilung der Verträge berechtigt. Schließlich habe die Beklagte einem Wettbewerbsverbot unterlegen.

Die Klägerin könne darüber hinaus auf alternative Infrastrukturen (z.B. von Energieversorgern) zurückgreifen.

Die Beklagte ist der Ansicht, es liege keine Teilnichtigkeit nach § 134 BGB in Verbindung mit § 19 GWB vor. Die Klägerin grenze bereits den relevanten Markt falsch ab. Sachlich relevanter Markt sei der Markt für den Erwerb des Verkaufs von Unternehmen, da die streitgegenständlichen Regelungen Teil eines Gesamtpakets anlässlich des Verkaufs des Breitbandkabelgeschäfts der Beklagten gewesen seien. Jedenfalls aber habe es sich lediglich um einen Annex zur Transaktion gehandelt. Die Leistungen, die die Beklagte insoweit erbracht habe und weiter erbringe, seien notwendig gewesen, um das Breitbandkabelnetz veräußern zu können. Die Beklagte biete derartige Leistungen, d.h. das Liegenlassen der Kabel in ihren Kabelkanalanlagen, im Markt ansonsten nicht an.Zugang zu ihren Kabelkanalanlagen gewähre die Beklagte nur im Weg der Regulierung. Jedenfalls aber sei der betroffene Markt weiter abzugrenzen. Es gebe eine Vielzahl anderer Infrastrukturanbieter,die uneingeschränkt zur Aufnahme von Breitbandkabeln geeignet seien und die in einen solchen sachlichen Markt einzubeziehen seien, z.B.Telekommunikationsnetzbetreiber, Schienennetzbetreiber, Strom-,Gas- und Wasserversorger. Jedenfalls aber fehle es an einem Missbrauch, da eine sachliche Rechtfertigung der Pauschalvergütung für die Funktion der Kabelkanalanlagen der Beklagten sich aus dem Zusammenhang mit dem Verkauf des Breitbandgeschäftes ergebe.

Die Pauschalvergütung stehe im unmittelbaren Zusammenhang mit dem von den Investoren gezahlten Kaufpreis für das Breitbandkabelgeschäft. Das Breitbandkabelgeschäft der Beklagten sei im Kaufpreis mit ungefähr dem xxx-fachen des EBITDA bewertet worden. Die Höhe des Entgelts für die Mitbenutzung der Kabelkanalanlagen sei eins zu eins in das EBITDA eingegangen und damit mit dem Faktor von ca. xxx in den Kaufpreis. Eine Änderung der Pauschalvergütung wäre ein mittelbarer Eingriff in den von professionellen Investoren ausgehandelten Kaufpreis für das Breitbandkabelgeschäft der Beklagten, für den es keine Rechtfertigung gebe.

Zur Vervollständigung des Tatbestandes wird auf sämtliche zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.06.2013 Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als nicht begründet

1.) Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist auch das nach § 256ZPO notwendige Feststellungsinteresse gegeben. Nach den Entscheidungen der Bundesnetzagentur besteht Unsicherheit über die Höhe des Betrages, den die Beklagte für den Zugang zu ihrer Kabelkanalanlagen verlangen darf.

2.) Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Klägerin stehen die begehrten Zahlungs- und Feststellungsansprüche aus § 33 GWBnicht zu, da mangels Vorliegens einer marktbeherrschenden Stellung der Beklagten die Vorschriften der §§ 19 ff. GWB nicht anwendbar sind.

a) Sämtliche Tatbestände der §§ 19, 20 GWB erfordern als gemeinsame Voraussetzung das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung auf einem bestimmten sachlich und örtlich abgegrenzten Markt.

Der sachlich relevante Markt ist entsprechend dem sogenannten Bedarfsmarktkonzept nach der funktionellen Austauschbarkeit der Produkte bzw. Dienstleistungen aus Sicht der Nachfrager abzugrenzen. Marktgleichwertig sind danach sämtliche Erzeugnisse,die sich nach ihren Eigenschaften, ihrem wirtschaftlichen Verwendungszweck und ihrer Preislage so nahestehen, dass der verständige Verbraucher sie als für die Deckung eines bestimmten Bedarfs geeignet in berechtigter Weise abwägend miteinander vergleicht und als gegeneinander austauschbar ansieht (BGH GRUR1996, 808 € Pay-TV-Durchleitung).

Das Bedarfsmarktkonzept hat Ergänzungen erfahren: Es birgt die Gefahr einer zu engen Marktabgrenzung, bei der nicht alle relevanten Wettbewerbsverhältnisse erfasst werden, denen die beteiligten Unternehmen ausgesetzt sind. Funktionell nicht austauschbare Produkte sind in die Marktabgrenzung einzubeziehen,wenn sie für ihren Hersteller die Grundlage bieten, kurzfristig und mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand sein Sortiment umzustellen und ein Konkurrenzprodukt anzubieten (Produktions- und Angebotsumstellungsflexibilität; BGH v. 16. 1. 2007 WuW/E DE-R1925, 1928 €National Geographic II). Im Ergebnis handelt es sich um eine Abgrenzung nach Produktgruppen, die einen typisierten Bedarf decken und für deren Entwicklung und Herstellung ein vergleichbares Entwicklungs- und Fertigungs-Know-how sowie gleichartige Fertigungseinrichtungen einsetzbar sind.

Die Kriterien des Bedarfsmarktkonzepts dürfen daher nicht mechanisch, sondern müssen zweckbezogen angewandt werden, was Differenzierungen erforderlich macht. So ist eine Austauschbarkeit auch dann zu verneinen, wenn Abnehmern zwar unterschiedliche Systeme zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehen, nach einer Entscheidung für ein System indessen kein Wechsel auf ein anderes stattzufinden pflegt. Dies gilt zum Beispiel für den Bezug von Betriebsmitteln für ein System, wenn zwar das System Substitutionswettbewerb ausgesetzt ist, nicht aber das Betriebsmittel nach einer einmal getroffenen Entscheidung. Diese Differenzierungen erklären sich sämtlich aus dem Zweck der Marktabgrenzung, den Bereich des tatsächlich stattfindenden Wettbewerbs und die damit korrelierenden Handlungsspielräume und Begrenzungen eines Unternehmens zu ermitteln (Immenga/Mestmäcker,Wettbewerbsrecht: GWB, 4. Aufl. 2007, § 19, Rnr. 28).

So hat der Bundesgerichtshof in dem Urteil €Soda Club II€ (NJW-RR 2008, 996, 997) ausgeführt, dass es darauf ankommt, welche Alternativen sich für den Nachfrager, der sich bereits für ein System entschieden hat, bei der Wahl des Betriebsmittels stellen. In dem Urteil €Fernwärme Börnsen€ (GRUR 2003, 77) hat der Bundesgerichtshof in dem Fall einer Verknüpfung des Verkaufs von Grundstücken mit der Verpflichtung der Deckung des Heizenergiebedarfs durch ein gemeindeeigenes Blockheizkraftwerk in diesem Sinne ausgeführt, dass die Nachfrage nach einem Heizsystem im Streitfall dem Grundstückserwerb €nicht nachgeschaltet€ ist. Vielmehr entscheidet sich die Marktgegenseite mit dem Erwerb des Grundstücks für ein bestimmtes Heizsystem. Die angebotenen Leistungen des Energiebezugs sind daher für diese Nachfrage mit einer Fülle anderer Grundstücksangebote in der Stadt austauschbar. Der BGH hat einen eigenen Markt für den Energieerwerb daher hier abgelehnt,sondern gewissermaßen einen Annex des Erwerbsmarktes angenommen.

In die gleiche Richtung zielt das Konzept der Systemmärkte bzw.der Sekundärmärkte, bei denen Primär- und Sekundärmarkt so eng verbunden sind, dass bereits von einem einheitlichen Systemmarkt auszugehen ist (Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Aufl.2012, Art. 102 AEUV, Rnr. 58; Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2,11. Aufl. 2011, Art. 82, Rnr. 41; Brück, WRP 2008, 1160; EuGGRURInt 2011, 537, 533; ). Ein Systemmarkt wird angenommen, wenn der Kauf des Primär- und Sekundärguts gleichzeitig erfolgt. In einer solchen Situation ist davon auszugehen, dass der Käufer bereits über die notwendigen Informationen verfügt und er bereits bei der Anschaffung des Primärguts die Kosten eventuell erforderlicher Sekundärgüter berücksichtigt. Dies gilt umso mehr,wenn die Kosten für das Sekundärgut nicht geringfügig und damit nicht vernachlässigbar sind. Insbesondere in Märkten mit gut informierten Kunden spielen die Kosten, die im Sekundärmarkt relevant werden, eine wichtige Rolle.

b) Nach Auffassung der Kammer ist unter Zugrundelegung der dargestellten Grundsätze nicht von einem eigenen Markt der Nachfrage von TK-Unternehmen und Netzbetreibern nach der Führung ihrer Kupfer- und Glasfaserkabel in Rohrzügen anzunehmen. Vielmehr handelt es sich im Sinne der €Stadtwerke-Börnsen€-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Entscheidung, ob die Klägerin nach Übernahme des Kabelgeschäfts der Beklagten (weiterhin) deren Kabelanlagen nutzt, nicht um eine nachgeschaltete Nachfrage,sondern um Teil der primären Entscheidung für ein bestimmtes System - hier den Erwerb eines Großteils des Kabelnetzes der Beklagten.Die wettbewerblichen Kräfte wirken auf der Ebene der Entscheidung für die Übernahme des Kabelnetzes und nicht auf einer zweiten nachgelagerten Ebene der Entscheidung über die Frage, wie und wo diese Netze nunmehr genutzt werden.

aa) Letztere Aufspaltung erschiene aus mehreren Gründen künstlich. So liegt auf der Hand, dass in der konkreten Ausgestaltung der Übernahme des Kabelgeschäfts durch die Klägerin eine sehr enge Verknüpfung zwischen dem Erwerbsgeschäft und dem Mietgeschäft im Hinblick auf die Kabelkanalanlagen vorliegt. Die Klägerin hat ein historisch gewachsenes Kabelnetz erworben, dass zu einem Großteil in Kabelkanalanlagen der Beklagten lag und liegt.Daher war aus wirtschaftlicher Sicht für die Klägerin unabdingbar,dass mit dem Erwerb des Kabelgeschäfts auch eine Vereinbarung hinsichtlich der Nutzung der Kabelkanalanlagen getroffen wird.Dementsprechend wurde diese Vereinbarung (Laufzeiten,Kündigungsfristen etc.) auch so ausgestaltet, dass sie trotz der fehlenden Eigentümerstellung der Klägerin eine erhebliche Rechts-und damit Planungssicherheit verschaffte. Die Vorstellung, es habe zunächst eine Entscheidung für den Erwerb des Kabelgeschäfts und sodann eine (im Sinne der BGH-Entscheidung)€nachgelagerte€ Entscheidung über die Nutzung der Kabelkanalanlagen der Beklagte gegeben, ist fernliegend. Vielmehr liegt eine enge inhaltliche Verknüpfung zwischen diesen beiden Entscheidungen vor. Eine funktionelle Austauschbarkeit für die Frage der Führung von Kupfer- und Glasfaserkabeln gab es nicht.

bb) Hinzu kommt, dass aufgrund des Zusammenhangs der Preisfestsetzung für die Miete der Kabelkanalanlagen mit dem Kauf des Kabelgeschäfts die Klägerin außerordentlich gut informiert war.Sie hat vor dem Kauf eine Due Dilligence durchgeführt und war daher nicht nur über den Zustand der zu übernehmenden Unternehmen,sondern auch über die wirtschaftlichen und tatsächlichen Parameter gut informiert. Sie hatte daher im Hinblick auf das €Sekundärgut€ die Möglichkeit, die hierdurch entstehenden Kosten bei der Entscheidung für das €Primärgut€ zu berücksichtigten.

cc) Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass für die Klägerin die Abnahme des Sekundärgutes nicht nur wahrscheinlich erforderlich (wie z.B. bei Druckern/Tintenpatronen), sondern absolut zwingend und zudem noch von den Kosten her nicht zu vernachlässigen war.Dies verstärkt die Wahrscheinlichkeit der Berücksichtigung beim Erwerb des Primärgutes.

dd) Der Annahme eines Systemmarktes steht auch nicht entgegen,dass die Klägerin nicht leicht von einem Lieferanten des Sekundärgutes zu einem anderen wechseln kann (vgl. Brück, WRP 2008,1160, 1162), da hier der Erwerb des Sekundärgutes zeitgleich mit dem des Primärgutes erfolgte. Beim gleichzeitigen Erwerb des Primär- und des Sekundärguts wirken die Wettbewerbskräfte auf dem Primärmarkt auch auf dem Sekundärmarkt. In diesem Fall hat der Anbieter nämlich nicht die Möglichkeit, zunächst das Primärgut günstig zu verkaufen, um dann nachträglich die erlangte Marktposition etwa durch ungerechtfertigte Preiserhöhungen auf dem Sekundärmarkt auszunutzen. Vielmehr kommt es durch den bestehenden funktionsfähigen Wettbewerb auf dem Primärmarkt zu einer Disziplinierung des Annexmarktes. Hier fiel die Entscheidung über den Erwerb der Regionalgesellschaften zeitgleich mit dem Abschluss des Term Sheet Nr. 1; rechtlich und tatsächlich waren die Geschäfte eng verbunden. Zudem war die Klägerin durch die Regelungen in Ziffer 6 Term Sheet Nr. 1 weitgehend vor Preiserhöhungen geschützt.Obwohl sich die Überlassungsvereinbarung rechtlich als Dauerschuldverhältnis darstellt, hat die Klägerin wirtschaftlich betrachtet das Sekundärgut zeitgleich mit dem Primärgut erworben,da die Bedingungen für das Dauerschuldverhältnis für die Zukunft weitgehend festgelegt waren. Die Beklagte hatte deshalb von vorneherein keine Möglichkeit, ihre vermeintlich starke Stellung auf dem Sekundärmarkt der Überlassung von Kabelkanalanlagen missbräuchlich auszunutzen.

ee) Schließlich steht auch die enge vertragliche Bindung bei möglicherweise eintretenden Veränderungen des wettbewerblichen Umfeldes der Annahme eines Systemmarktes nicht entgegen. Soweit die Klägerin im vorliegenden Verfahren die Regulierungsentscheidungen der Bundesnetzagentur in regulierten Telekommunikationsmärkten als Vergleichsmaßstab heranzieht, ist zu bemerken, dass dies eine Veränderung des wettbewerblichen Umfeldes ist, die ein allgemeines wirtschaftliches Risiko darstellt, das die Klägerin bei Vertragsschluss zu berücksichtigen und bei den Verhandlungen über die finanziellen Rahmenbedingungen zu berücksichtigten hatte. Der Klägerin war bewusst, dass es sich zum einen um einen technisch und wirtschaftlich dynamischen Markt handelte, in den sie eingetreten ist. Weiterhin war ihr bekannt, dass das wettbewerbliche Umfeld teilweise der Regulierung unterliegt. Die hieraus resultierenden entsprechenden Risiken hatte sie bei ihrer Entscheidung für oder gegen den Kauf des Primärgutes zu berücksichtigen.

c) Der sachlich relevante Markt ist daher nicht der Markt der Nachfrage nach der Führung von Kabeln in Rohrzügen, sondern vielmehr der Markt der Übernahme von Unternehmen. Hierzu hat die Klägerin jedoch zu einer marktbeherrschenden Stellung der Beklagten nichts vorgetragen.

3.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 709 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 3 ZPO.






LG Frankfurt am Main:
Urteil v. 28.08.2013
Az: 2-06 O 182/12, 2-6 O 182/12, 2-6 O 182/12


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/d8f980ce1311/LG-Frankfurt-am-Main_Urteil_vom_28-August-2013_Az_2-06-O-182-12-2-6-O-182-12-2-6-O-182-12




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