Bundespatentgericht:
Beschluss vom 16. März 2004
Aktenzeichen: 14 W (pat) 319/02

(BPatG: Beschluss v. 16.03.2004, Az.: 14 W (pat) 319/02)

Tenor

Das Patent 198 53 785 wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

Patentansprüche 1 bis 19, Beschreibung Spalten 1 bis 6, 1 Blatt Zeichnungen, sämtlich überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 16. März 2004.

Gründe

I Die Erteilung des Patents 198 53 785 mit der Bezeichnung

"Verfahren und Messanordnung zum Bestimmen von Veränderungen des Betriebszustandes von feuerfesten Baustoffen an Glasschmelze führenden Behältern"

ist am 20. Juni 2002 veröffentlicht worden.

Gegen dieses Patent ist am 12. September 2002 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist auf die Behauptung gestützt, der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber dem durch die Entgegenhaltung

(1) L.H. Kotacska und L.K. Smith, Prediction of Glass Furnace Life by Refractory Thermal Conductivity, CESP-Ceramic Engineering & Science Proc., (1981) S 1189 - 1194 belegten Stand der Technik nicht mehr neu und beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten.

Sie tritt dem Vorbringen der Einsprechenden entgegen. Sie ist der Ansicht, das Patent werde wegen der flächenhaften Anordnung der Temperatur-Meßsonden im Wannenboden nicht neuheitsschädlich vorweggenommen. Es beruhe ferner wegen der Möglichkeit der Darstellung der Langzeitdynamik der Verschleißvorgänge nach einer Art Zeitraffer auch auf einer erfinderischen Tätigkeit Die geltenden Ansprüche 1 und 13 lauten (nach Berichtigung jeweils eines offensichtlichen Schreibfehlers durch den Senat):

"1. Verfahren zum Bestimmen von Veränderungen des Betriebszustandes von feuerfesten Baustoffen an Begrenzungsflächen von Schmelze führenden Behältern von Glasschmelzanlagen durch örtliche Erfassung von Temperaturgradienten mittels innerhalb der Baustoffe, und mit Abstand von deren glasseitiger Oberfläche und/oder innerhalb der Wärmeisolierung angeordneter Temperatur-Meßsonden, wobei die Meßwerte unter Zuordnung zu ihren Raumkoordinaten angezeigt werden, dadurch gekennzeichnet, daß man zur Bestimmung von Temperaturfeldern im Wannenboden mindestens eine Matrix von Temperatur-Meßsonden (T1, T2, T3, Tn) anordnet, eine Folge von Daten mehrerer Messungen zu Zeitpunkten (t0, t1, t2,t3, tn) nacheinander in einem Rechner (9) abspeichert und die einzelnen Temperatur-Meßwerte und die zugehörigen Raumkoordinaten der Messungen nacheinander aus dem Rechner (9) abruft und die gespeicherten Werte mit früheren Messungen vergleicht und aus der Folge von gemessenen Temperatur-Werten in zeitraffenden optischen Darstellungen die zeitlichen und örtlichen Veränderungen des Betriebszustandes bestimmt.

13. Meßanordnung zum Bestimmen von Veränderungen des Betriebszustandes an Begrenzungsflächen von Schmelze führenden Behältern von Glasschmelzanlagen durch örtliche Erfassung von Temperaturgradienten, wobei innerhalb der Baustoffe und mit Abstand von deren glasseitiger Oberfläche und/oder innerhalb von Isolierstoffen mehrere Temperatur-Meßsonden angeordnet sind, dadurch gekennzeichnet, daß zur Bestimmung von Temperaturfeldern im Wannenboden mindestens eine Matrix von Temperatur-Meßsonden (T1, T2, T3, ....Tn) vorhanden ist und daß eine Meßwert-Erfassungseinrichtung (8) und ein Rechner (9) mit jeweils mindestens einem Speicher (11, 12) und einer Zeitschaltung füra) die Abspeicherung der einzelnen Temperatur-Meßwerte unter Zuordnung zu den Raumkoordinaten der Temperatur-Meßsonden (T1, T2, T3, ....Tn) und fürb) die Abspeicherung einer Folge von weiteren Temperatur-Meßwerten der Temperatur-Meßsonden (T1, T2, T3, ....Tn) in zeitlichen Abständen nach (t1, t2, t3 .... tn) nach Maßgabe der Zeitschaltung vorgesehen ist, und daß

eine Wiederholungsschaltung vorgesehen ist, durch die die gespeicherten Temperatur-Meßwerte abgerufen und in zeitraffenden optischen Darstellungen mit den örtlichen Veränderungen des Betriebszustandes darstellbar sind."

Wegen weiterer Einzelheiten, insbesondere zum Wortlaut der Ansprüche 2 bis 12 und 14 bis 19, wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II 1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs 3 Satz 1 Ziff 1 PatG durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.

2. Der Einspruch ist frist- und formgerecht erhoben und mit Gründen versehen. Er ist somit zulässig und führt zu dem im Tenor angegebenen Ergebnis.

3. Die geltenden Patentansprüche 1 bis 19 sind zulässig.

Anspruch 1 geht inhaltlich auf die ursprünglichen Ansprüche 1 und 4 iVm S 9 Abs 2 der ursprünglichen Beschreibung bzw auf die erteilten Ansprüche 1, 4 und Sp 6 Abs 0034 der Streitpatentschrift zurück. Die geltenden Ansprüche 2, 3 und 4 bis 8 entsprechen den ursprünglichen und erteilten Ansprüchen 2, 3 und 5 bis 9. Die geltenden Ansprüche 9 bis 12 sind die erteilten Ansprüche 10 bis 13; sie sind aus den ursprünglichen Ansprüchen 10 bis 12 herleitbar.

Der geltende Anspruch 13 geht auf den ursprünglichen Anspruch 13 iVm S 3 letzter Abs und S 9 Abs 2 der ursprünglichen Beschreibung zurück; er entspricht dem erteilten Anspruch 14 iVm Anspruch 19 und Sp 6 Abs 0034 der Streitpatentschrift. Die geltenden Ansprüche 14 bis 19 sind aus den ursprünglichen Ansprüchen 10 und 14 bis 17 herleitbar und entsprechen den erteilten Ansprüchen 15 bis 20.

Die Einsprechende hat geltend gemacht, dass im geltenden Anspruch 1 nicht eindeutig angegeben sei, wo die Temperatur-Meßsonden anzuordnen seien. Für den Fachmann liegt es indessen auf der Hand, dass zur Bestimmung der Temperaturfelder im Wannenboden die Messsonden auch dort angebracht sein müssen. Weiterer Angaben im Anspruch 1 bedurfte es daher nicht.

4. Das Verfahren nach dem geltenden Anspruch 1 ist neu.

In der entgegengehaltenen Druckschrift (1) ist ein Verfahren mit sämtlichen im Anspruch 1 aufgeführten Merkmalen nicht beschrieben.

Die Einsprechende hat zwar eingewandt, in (1) sei schon offenbart, die Temperatur-Meßsonden an kritischen Stellen anzuordnen, wozu auch Areale, an denen höhere Strömungsgeschwindigkeiten auftreten -wie etwa die Spiegellinie der Glasschmelze-, zu zählen seien. Ebenso sei in (1) sowohl die Zuordnung der Temperatur-Meßwerte zu den Raumkoordinaten der Meßsonden und die zeitraffende Darstellung beschrieben (Tab 1 iVm Fig 3 und 4) als auch die Speicherung der Daten vorgesehen. Insofern sei das Verfahren nicht mehr neu.

Das vorliegend beanspruchte Verfahren unterscheidet sich von dem in (1) beschriebenen Verfahren indessen schon dadurch, dass die Messdaten in einem Rechner abgespeichert werden. Zwar ist in (1) davon die Rede (S 1190 Setup), worauf die Einsprechende zurecht hinweist, dass die Temperatur-Meßwerte für jedes Thermoelement aufgezeichnet werden. Hieraus liest der Fachmann aber nicht zwangsläufig und ohne Weiteres die Abspeicherung in einem Rechner mit, zumal im Jahr 1981, dem Zeitpunkt der Veröffentlichung von (1), der Einsatz von Rechnern bei derartigen Prozessen noch nicht üblich war.

Hinzu kommt, dass bei der in Fig 3 von (1) dargestellten Verteilung der Temperatur-Meßsonden die Anbringung in einer Ebene in den Seitenwänden der Glasschmelze führenden Wanne in unterschiedlichem Abstand zur deren glasseitiger Oberfläche vorgesehen ist. Beim Verfahren nach geltendem Anspruch wird dagegen eine Anordnung zur Bestimmung von Temperaturfeldern im Wannenboden innerhalb mindestens einer Matrix vorgeschlagen.

5. Das Verfahren nach dem geltenden Anspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Aufgabe des Streitpatentes ist es, ein Verfahren und eine Messordnung anzugeben, durch die eine frühzeitige Erkennung des Trends fortschreitenden flächenmäßigen Verschleißes der Feuerfestmaterialien unter wiederholtem oder wiederholbarem Vergleich mit gespeicherten historischen Daten zeitraffend, statistisch und optisch innerhalb verschiedener Betriebszeiträume darstellbar ist, um auch den zeitabhängigen Grad der Veränderungen des Betriebszustandes zu bestimmen (Sp 3 Abs 0017).

Die Aufgabe wird durch das Verfahren nach dem geltenden Anspruch 1 gelöst.

Zu dieser Lösung kann die entgegengehaltene Druckschrift (1) dem Fachmann keine Anregungen geben, mit denen er ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Streitpatents gelangen konnte.

Druckschrift (1) strebt die Bestimmung der Restwanddicke eines Glasofens auf Grund der Erosion durch die Verfolgung des Temperaturverlaufs über die Wannenreise an. Zur Lösung wird dort vorgeschlagen, basierend auf bisheriger Erfahrung zur Überwachung des Betriebzustandes von Feuerfestmaterialien Glasschmelze führender Wannen Temperatur-Meßsonden in einer Linie an den Seitenwänden der Wannen in unterschiedlichem Abstand zu deren glasseitiger Oberfläche anzuordnen (S 1190 Setup iVm Fig 3). Der Verschleiß an den Feuerfestmaterialien ist an der Spiegellinie des geschmolzenen Glases erfahrungsgemäß hoch, so dass die Erfassung der Temperaturen in diesen Wandabschnitten als Maßstab für die fortschreitende Erosion des Materials dient. Damit kann die rechtzeitige Einleitung von Gegenmaßnahmen, wie Kühlung, die zum Erstarren des Glases im kritischen Bereich und damit zum Verschluss des Lecks führt, vorgesehen werden (S 1190 vorl Abs). Die Gefährdung von weiteren Anlageteilen durch Austritt der Glasschmelze in diesem Bereich der Schmelzwannen ist hierdurch minimiert.

Veränderungen des Betriebszustandes von feuerfesten Baustoffen treten indessen auch im Bereich höherer Strömungsgeschwindigkeiten unterhalb der Spiegellinie des geschmolzenen Glases oder am Wannenboden auf. Korrosion der Schamottesteine oder der Verfugungen unter dem Einfluss von Temperatur, Zeit und Alkalien in diesem Bereich können aber durch die aus (1) bekannte Anordnung der Temperatur-Meßsonden dort nicht erfasst werden. Das Verfahren nach geltendem Anspruch 1 begegnet dieser Schwachstelle dadurch, dass zur prophylaktischen Bestimmung von Temperaturfeldern im Wannenboden mindestens eine Matrix von Temperatur-Meßsonden angeordnet wird. Es ermöglicht dadurch im Zusammenwirken mit den übrigen Verfahrensmaßnahmen aus Anspruch 1 die Darstellung der Langzeitdynamik der Verschleißvorgänge nach einer Art Zeitraffer in einem Bereich der Schmelze führenden Behälter, der sich einer Sichtung entzieht. Hinweise auf diese patentgemäße Anbringung von Temperatur-Meßsonden im Wannenboden in der Art einer Matrix, dh in einer flächenförmigen Anordnung der Meßpunkte zur Bestimmung von Temperaturfeldern, die diesbezügliche Veränderungen des Betriebszustandes von feuerfesten Baustoffen ermöglichen, finden sich indessen in (1) nicht.

Auch den übrigen im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen lassen sich keine weitergehenden Anregungen in Richtung auf den Patentgegenstand entnehmen.

Die Fachwelt hat jedenfalls, wie aus dem im Prüfungsverfahren entgegengehaltenen und in der Streitpatentschrift gewürdigten Stand der Technik ersichtlich, keine Lösungen vorgeschlagen, die aus der Anordnung der Temperatur-Meßsonden in mindestens einer Matrix zur Bestimmung von Temperaturfeldern im Wannenboden und aus der Verarbeitung der Daten in konsekutiver Form nebst deren Darstellung in optischer Aufbereitung eine Veränderung des Betriebszustandes der feuerfesten Baustoffe ermöglicht haben.

6. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist somit neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, so dass dieser Anspruch Bestand hat.

Der nebengeordnete Anspruch 13 ist auf eine Messanordnung zum Bestimmen von Veränderungen des Betriebszustandes an Begrenzungsflächen von Schmelze führenden Behältern von Glasschmelzanlagen gerichtet. Bezüglich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit gelten für ihn die oben dargelegten Gesichtspunkte gleichermaßen, so dass dieser Anspruch ebenfalls Bestand hat.

Das Gleiche gilt für die auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 12 sowie für die auf den Anspruch 13 rückbezogenen Ansprüche 14 bis 19, die jeweils weitere, über platte Selbstverständlichkeiten hinausgehende Ausführungsformen betreffen.

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BPatG:
Beschluss v. 16.03.2004
Az: 14 W (pat) 319/02


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