Oberlandesgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 26. November 2009
Aktenzeichen: I-24 U 57/09

(OLG Düsseldorf: Beschluss v. 26.11.2009, Az.: I-24 U 57/09)

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuwei-sen. Den Klägern wird Gelegenheit gegeben, hierzu binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.

Der für den 15. Dezember 2009 geplante Senatstermin findet nicht statt.

Gründe

Die Berufung der Kläger hat keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat aufgrund von Rechenfehlern und einer in Teilen fehlerhaften Rechtsanwendung den Klägern deutlich mehr Honorar zugesprochen, als ihnen zusteht. Denn insgesamt beläuft sich der Anspruch auf nur EUR 4.178,80 und nicht auf die vom Landgericht zuerkannten EUR 5.869,88. Zu einer Abänderung der angefochtenen Entscheidung besteht deshalb kein Anlass. Sie ist dem Senat auch nicht möglich, denn die Beklagten haben Anschlussberufung nicht eingelegt.

A.

Die Kläger wenden sich mit ihrer Berufung gegen die in Ansatz gebrachten Gegenstandswerte, die vom Landgericht teilweise unzutreffend ermittelt wurden. Darüber hinaus enthalten die Abrechnungen weitere Fehler, die zu einer Reduzierung der Honoraransprüche führen. Im Einzelnen gilt hierzu Folgendes:

I.

Das Landgericht ist bei der Bemessung des Gegenstandswerts für die Tätigkeit der Kläger gegenüber der A. Aktienbank AG (im Folgenden: Aktienbank) zwar fälschlich von einem Gegenstandswert von EUR 138.600,-- ausgegangen, denn richtigerweise hätten EUR 139.960,80 berücksichtigt werden müssen. Dieses Versehen hat sich indes nicht ausgewirkt, denn das Landgericht hat insoweit zutreffend den gemäß Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 RVG angesetzten Gebührenrahmen bis EUR 140.000,-- in Ansatz gebracht.

1.

Der Gegenstandswert für die Tätigkeit der Kläger bei der Beratung und Vertretung der Beklagten gegenüber der Aktienbank zum Abschluss von Darlehensverträgen über eine Summe von EUR 1.110.800,-- (und nicht, wie vom Landgericht zugrunde gelegt von EUR 1.000.000,--) bemisst sich, wie vom Landgericht ansonsten zutreffend zugrunde gelegt, nach der Zinsdifferenz zwischen dem von den Beklagten gewünschten, in der Finanzierungsanfrage vom 2. März 2006 genannten effektiven Zinssatz von 4,22 % und den von der Aktienbank unter dem 7. August 2007 angebotenen effektiven Zinssätze von höchstens 5,48%. Diese Differenz von 1,26 % (im Urteil fälschlich als 1,62 % bezeichnet, rechnerisch wurden aber 1,26 % zugrunde gelegt) ergibt, bezogen auf die jährliche Zinslast, einen Betrag von EUR 13.996,08 und im Hinblick auf eine zehnjährige Zinsfestschreibung dann EUR 139.960,80. Da es sich um eine Wertschätzung nach § 3 ZPO handelt, ist es, auch im Hinblick auf § 4 ZPO vertretbar, die Zinseszinseffekte außer Betracht zu lassen.

Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung ist indes nicht der Gesamtbetrag der Darlehenssummen als Gegenstandswert in Ansatz zu bringen, sondern lediglich die Zinsdifferenz. Ausgangspunkt für die Bemessung des Gegenstandswerts sind die §§ 23 Abs. 1 S. 3 RVG, 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO. Denn die Tätigkeit der Kläger für die Beklagten hätte auch Gegenstand einer gerichtlichen Tätigkeit sein können. Dabei ist auf den Streitwert für ein entsprechendes Gerichtsverfahren abzustellen, da die anwaltliche Tätigkeit auch in einem Gerichtsverfahren hätte entfaltet werden können (vgl. Senat, MDR 2005, 1140 = OLGR 2005, 693 sub II. 2b, dd, ferner Urteil vom 10. März 2009, Az. I-24 U 150/08 n.v.). Dafür genügt es, dass ohne eine außergerichtliche Regelung die gerichtliche Auseinandersetzung der Beteiligten unumgänglich wäre und dass zwischen der außergerichtlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts und derjenigen in einem etwaigen nachfolgenden Gerichtsverfahren ein innerer Zusammenhang bestehen würde (BGH NJW 1997, 188; Senat OLGR 2005, 651; 2006, 171; NJW-RR 2007, 129 ff.). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

Die Kläger haben nämlich für die Beklagten gegenüber der Aktienbank mit Schreiben vom 20. August 2007 geltend gemacht, man habe sich auf niedrigere Zinssätze verständigt und diese Absprache sei verbindlich gewesen. Auch wenn entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung noch keine Darlehensverträge geschlossen worden waren, so bestanden zwischen den Parteien Vertragsverhandlungen und damit ein Schuldverhältnis gemäß § 311 Abs. 2 BGB, weshalb Schadensersatzansprüche der Beklagten gemäß § 280 Abs. 1 BGB möglicherweise entstanden waren.

2.

Eine gemäß §§ 23 Abs. 1 S. 3 RVG, 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO nach billigem Ermessen zu treffende Wertfestsetzung führt allerdings entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung nicht dazu, den vollen Betrag der Darlehensverträge in Ansatz zu bringen. Zwar hat der Bundesgerichtshof in einer früheren Entscheidung (NJW 1959, 1493) den Streitwert einer Klage auf Gewährung eines Darlehens in Höhe des Darlehensbetrags in Ansatz gebracht. Diese vor 50 Jahren getroffene, vereinzelt gebliebene Entscheidung ist jedoch nicht begründet worden (vgl. Anmerkung Geißler, NJW 1959, 1493). Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass es im dortigen Streitfall aufgrund der besonderen Umstände auch unter Berücksichtigung der nachfolgend dargelegten Grundsätze angezeigt gewesen wäre, den Gesamtbetrag der Darlehenssumme anzusetzen.

Gegenüber jener pauschalen und nicht näher begründeten Auffassung des Bundesgerichtshofs bringt die überwiegende Meinung (LAG Stuttgart JurBüro 1992, 627; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Auflage, Anh § 3 Rn. 131; Musielak, ZPO, 7. Auflage, § 3 Rn. 37; MünchKomm/Wöstmann, ZPO, 3. Auflage, § 3 Rn. 129; Schneider/Herget, Streitwertkommentar für den Zivilprozess, 12. Auflage, Rn. 6014; Hartmann, Kostengesetze, 38. Auflage, § 3 ZPO Rn. 131) zutreffend nur das gemäß § 3 Halbsatz 1 ZPO zu schätzende, wirtschaftliche Interesse des Klägers am Vertragsschluss in Ansatz und nicht die Leistung, auf die der Vertrag gerichtet ist (vgl. auch Senat OLGR 2005, 651). Dies ist auch folgerichtig, denn die Gebühren eines Rechtsanwalts werden entsprechend § 2 Abs. 1 RVG nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand seiner Tätigkeit hat. Unter dem Gegenstand ist das Recht oder Rechtsverhältnis zu verstehen (auch Streitgegenstand oder Streitverhältnis genannt), auf welches sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nach dem Inhalt des Auftrags bezieht (BGH MDR 1976, 742; Senat OLGR 2006, 171).

Hier war Gegenstand der Beauftragung das Erreichen des niedrigeren Zinssatzes, welcher den Beklagten von der Aktienbank in der Finanzierungsanfrage vom 23. Juni 2006 zugesagt worden war. Andere Klauseln der zu schließenden Darlehensverträge standen nicht im Streit. Damit war auch das Interesse der Beklagten am Abschluss des Vertrages gemäß § 3 ZPO klar definiert. Es ging den Beklagten nicht um den Abschluss von Darlehensverträgen, gleich zu welchen Konditionen. Soweit sie dazu vortragen, es hätten auch Angebote anderer Finanzierungsinstitute vorgelegen, ist dies nachvollziehbar und von den Klägern auch nicht bestritten worden. Das wirtschaftliche Interesse der Beklagten am Vertragsschluss mit der Aktienbank war somit begrenzt auf die streitige Zinsmarge. Weiteres sollte durch die Kläger nicht erreicht werden.

Darüber hinaus streiten die Parteien nicht über die Abrechnung dieser Tätigkeit. Der vom Landgericht unter Bezugnahme auf das Gutachten der Anwaltskammer vom 7. Oktober 2008 zugrunde gelegte Satz von 1,3 für die Rahmengebühr nach Nr. 2300 VV RVG wurde zudem von den Klägern selbst bei ihrer Abrechnung vom 13. Dezember 2007 zugrunde gelegt.

3.

Allerdings ist die Abrechnung des Landgerichts teilweise fehlerhaft. Zutreffend ist vielmehr, dass die Kläger ein wie folgt zu berechnendes Honorar verdient haben:

Geschäftsgebühr 1,3 nach Nr. 2300 VV RVG 1.960,40

Erhöhung 0,3 nach Nr. 1008 VV RVG 452,40

Postpauschale nach Nr. 7002 VV RVG 20,00

Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG 12,00

Zwischensumme 2.444,80

./. Vorschuss 750,00

Zwischensumme 1.694,80

19 % Umsatzsteuer 322,01

Gesamtbetrag 2.016,81

Soweit das Landgericht bei seiner Entscheidung einen Betrag von 30 % von EUR 1.960,40 als 1,3 Gebühr, also EUR 588,12, zugrunde gelegt hat, ist dies unzutreffend. Denn die Gebühr von 0,3 richtet sich nach der 1,0 Gebühr, weil es sich bei der Geschäftsgebühr um eine Wertgebühr gemäß § 13 RVG handelt (vgl. Hartung/Römermann, RVG, 2. Auflage, VV 1008 Rn. 2; Gebauer/Schneider, RVG, 2. Auflage, VV 1008 Rn. 44; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 18. Auflage, VV 1008 Rn. 2; Hartmann, a.a.O., RVG VV Nr. 1008 Rn. 7; vgl. auch OLG Düsseldorf Beck RS 200600748; LG Frankfurt/Main NJW 2004, 3642; siehe auch die abweichende, aber nicht begründete Berechnung bei OLG Köln AGS 2008, 443, Rn. 8 und 9, dort wurden 30 % der 1,6 Gebühr nach VV 3200 angesetzt). Deshalb sind hier als 0,3 Gebühr nur EUR 452,40 anzusetzen. Davon sind im Übrigen die Kläger auch selbst ausgegangen. Denn sie haben in ihrer Abrechnung vom 13. Dezember 2007 ebenfalls die 0,3-Gebühr anhand der 1,0-Gebühr des von ihnen zugrunde gelegten Streitwerts errechnet.

Soweit das Landgericht als Gesamtbetrag EUR 3.168,64 errechnet hat, ist ihm zudem ein Rechenfehler unterlaufen. Offenbar wurde der Betrag von EUR 588,12 (die unrichtig errechnete 0,3-Gebühr, s.o.) versehentlich ein weiteres Mal addiert (Rechnung des Landgerichts netto: 1.960,40 + 588,12 + 588,12 + 20 + 12 = 3.168,64).

II.

Die Berufung der Kläger hat ebenfalls keinen Erfolg, soweit sie einen höheren Streitwert für die Vertretung der Beklagten bei Widerruf der Anträge auf Abschluss einer Lebensversicherung in Form einer "aufgeschobenen Rentenversicherung" mit garantierter Kapitalabfindung (künftig: Ansparrentenverträge) anstreben. Zwar ist der vom Landgericht als Gegenstandswert in Ansatz gebrachte Betrag von EUR 35.283,43 zu niedrig. Der Senat erachtet vielmehr einen Gegenstandswert von EUR 54.989,52 für angemessen. Bedingt durch Rechenfehler des Landgerichts steht den Klägern trotzdem nicht der vom Landgericht ausgeurteilte Honorarbetrag von EUR 2.991,69, sondern nur ein solcher von EUR 2.161,99 zu. Die Kläger sind folglich durch die unrichtige Bemessung des Gegenstandswerts nicht beschwert.

Die außergerichtliche Anwaltstätigkeit bemisst sich auch hier nach den Wertvorschriften des Gerichtskostengesetzes (§ 23 Abs. 1 S. 3 RVG, §§ 41 ff. GKG). Denn der von den Klägern für die Beklagten im Schreiben vom 18. Oktober 2007 erklärte Widerruf der Ansparrentenverträge stellte eine Tätigkeit dar, die Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens hätte sein können.

Die Auslegung dieser Vorschrift und wann eine Berechnung der Gebühren einer außergerichtlichen anwaltlichen Tätigkeit nach den Wertvorschriften des Gerichtskostengesetzes zu erfolgen hat, ist umstritten, aber höchstrichterlich inzwischen geklärt, soweit es die außergerichtliche Kündigung eines Mietvertrages betrifft (vgl. BGH NJW 2007, 2050 mit ausführlicher Darstellung des Meinungsstandes).

1.

Nach einer sich jüngst ausbreitenden Auffassung handelt es sich bei der außergerichtlichen Kündigung eines Mietverhältnisses und der darauf gestützten späteren Räumungsklage um zwei unterschiedliche Gegenstände anwaltlicher Tätigkeit (LG Karlsruhe, NJW 2006, 1526 f.; LG Mönchengladbach NJW 2006, 705; Mayer, aaO., Teil 3, Vorb. 3, Rn. 61; Onderka/N. Schneider in AnwK-RVG, 3. Aufl., VV Vorb. 3, Rn. 197; Jungjohann MDR 2005, 904, 905; Peter NZM 2006, 801 und NJW 2007, 2298; N. Schneider NZM 2006, 252; OLG Köln MDR 2004, 178 [zu § 118 BRAGO]). Dies wird damit begründet, dass zwischen der Kündigung des Mietverhältnisses und dem Räumungsprozess kein innerer Zusammenhang bestehe (Onderka/N. Schneider, aaO). Bei der Kündigung handele es sich um eine Vorfrage der Räumung. Während die Kündigung auf die Beendigung des Mietverhältnisses abziele, setze der Räumungsanspruch die Beendigung gerade voraus (LG Mönchengladbach, aaO). Hierfür spreche auch, dass allenfalls die Feststellung, ob das Mietverhältnis noch bestehe, Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein könne, nicht aber die Kündigung als solche (LG Karlsruhe, aaO, S. 1527). Entscheidend sei, ob der Rechtsanwalt mit der Geltendmachung eines Anspruchs beauftragt wird (Schneider/Wolf/E.Schneider, AnwK-RVG aaO. § 23 Rn. 29; N. Schneider MDR 2002, 1030 und 2004, 178).

2.

Demgegenüber vertritt die überwiegende Auffassung zur Kündigung eines Mietvertrages die Ansicht, dass Kündigung und nachfolgender Räumungsprozess identische Gegenstände beträfen (OLG Frankfurt, AGS 2005, 390 zu § 118 BRAGO; AG Köln MDR 2002, 1030, noch zu § 16 Abs. 2 GKG a.F.; Gerold/Schmidt/Madert RVG, 18. Aufl. § 23 Rn. 17; Riedel/Sußbauer/Fraunholz RVG 9. Aufl., § 23 Rn. 9; vgl. auch Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 3 Rn. 16 Stichwort "Mietstreitigkeiten/ Kündigung"; Hartmann, Kostengesetze, 37. Aufl., § 23 RVG Rn. 8). Die Kündigung sei als anspruchsbegründende Voraussetzung für den Herausgabeanspruch Gegenstand des Räumungsprozesses. Die Aufspaltung der anwaltlichen Tätigkeit in zwei unterschiedliche Gegenstände sei willkürlich. Sie widerspreche dem gesetzgeberischen Ziel der Anrechnungsnorm (Anlage 1 Teil 3, Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG), die verhindern solle, dass die gleiche Tätigkeit zweimal honoriert werde, wenn sie zunächst als außergerichtliche und erst später als gerichtliche betrieben werde, während sie nur einmal vergütet werde, wenn die Angelegenheit sofort zu Gericht gebracht werde.

3.

Dieser Auffassung hat sich der Bundesgerichtshof angeschlossen. Der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit wird nach allgemeiner Auffassung durch das Recht oder das Rechtsverhältnis definiert, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Rahmen des ihm von seinem Mandanten erteilten Auftrags bezieht (Hartmann, aaO, § 2 RVG Rn. 4; Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., § 2 Rn. 10 f.; Madert, aaO, § 2 Rn. 3 f.; Riedel/Sußbauer/ Fraunholz, aaO., § 2 Rn. 2 f.). Gegenstand einer vom Anwalt erklärten Kündigung ist dementsprechend das Mietverhältnis, auf dessen Beendigung die Kündigung zielt. Dies legt zwar nach dem Wortlaut eher die Annahme nahe, dass es sich um zwei unterschiedliche Gegenstände handele; das Begehren eines Vermieters, der einen Rechtsanwalt wegen aufgelaufener Mietrückstände mit der außergerichtlichen Wahrnehmung seiner Interessen, insbesondere der Beratung über eine Kündigung und mit deren Ausspruch beauftragt, ist aber bei lebensnaher Betrachtung darauf gerichtet, dass der Mieter die Wohnung räumt und sie dem Vermieter zurückgibt. Die Beendigung des Mietverhältnisses durch den Ausspruch einer Kündigung ist insoweit lediglich das Mittel zur Verwirklichung des von dem Mandanten des Rechtsanwalts verfolgten Rechtsschutzziels. Überdies betrifft die vom Anwalt zu entfaltende Tätigkeit in beiden Fällen dieselben rechtlichen und tatsächlichen Punkte, so dass ein enger inhaltlicher Zusammenhang besteht. Für den im Räumungsprozess vom Vermieter beauftragten Rechtsanwalt reduziert sich der mit der Prozessführung verbundene Aufwand in der Regel wesentlich, wenn er zuvor schon mit der außergerichtlichen Wahrnehmung der Interessen seines Mandanten beauftragt war und die Kündigung erklärt oder ausdrücklich den Räumungsanspruch im Auftrag seines Mandanten geltend gemacht hat. Die vom Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorgesehene Anrechnung der Gebühren für die denselben Gegenstand betreffende vorgerichtliche Tätigkeit beruht aber gerade auf der Erwägung, den in diesen Fällen typischerweise geringeren Aufwand des Rechtsanwalts bei der Höhe der insgesamt verdienten Gebühren zu berücksichtigen (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 15/1971, S. 209). Deshalb ist der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, die Kündigung und Räumungsverlangen als einen Gegenstand anwaltlicher Tätigkeit wertet, der Vorzug einzuräumen.

Die von der Gegenmeinung vertretene "formale" Betrachtungsweise würde dazu führen, dass sich die Gebühren für die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts unangemessen erhöhen würden. Diese Betrachtungsweise wird daher dem gesetzgeberischen Anliegen, die Gebühren des Rechtsanwalts - wenn auch in generalisierender Weise - an dem Aufwand der anwaltlichen Tätigkeit auszurichten, im Ergebnis nicht gerecht (BGH aaO.).

4.

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (aaO) richtet sich der Gegenstandswert der außergerichtlichen Tätigkeit im Zusammenhang mit der Kündigung folgerichtig auch nicht nach § 25 KostO, sondern nach §§ 23 Abs. 1 S. 3 RVG, 41 Abs. 2 GKG. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist auch im außergerichtlichen Verfahren das Räumungsverlangen des Vermieters Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit. Die zu einem verhältnismäßig niedrigen Gegenstandswert führende Regelung des § 41 GKG beruht auf sozialen Erwägungen des Gesetzgebers; insbesondere Wohnraummietstreitigkeiten sollen für die Beteiligten "bezahlbar" bleiben (vgl. Hartmann, aaO, § 41 Rn. 2). Auch diese Zielsetzung spricht gegen die von der Revision bevorzugte Berechnung der Geschäftsgebühr nach dem sich aus § 25 KostO ergebenden weitaus höheren Gegenstandswert (BGH aaO).

5.

Zur Bewertung der außergerichtlichen Tätigkeit eines Rechtsanwalts, der von seinem Auftraggeber mit der Abwehr einer angedrohten Kündigung des Arbeitsverhältnisses beauftragt worden war und an einem Vergleichsabschluss mitgewirkt hatte, hat sich auch der Senat noch in Anwendung des § 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO, der auf den seinerzeit zu entscheidenden Fall noch anzuwenden war, der überwiegenden Auffassung angeschlossen (Senat OLGR Düsseldorf 2005, 651 sub B. I., 3 a m.w.N.). Der vereinbarten außergerichtlichen Abwehr der angedrohten Kündigung entspricht im gerichtlichen Verfahren die Vertretung des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess gemäß §§ 4 ff KSchG (BAG NJW-RR 2001, 495). Nicht maßgeblich ist, dass die außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts im Vorfeld der Kündigungserklärung nicht unmittelbar in die gerichtliche Tätigkeit übergehen kann, sondern davon abhängt, ob die erst angedrohte Kündigung auch tatsächlich erklärt wird (BAG aaO). Sinn der Regelung des § 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO war es nach ganz herrschender Meinung, die gesamte außergerichtliche Tätigkeit und die gerichtliche Tätigkeit mit Blick auf § 118 Abs. 2 BRAGO (Anrechnung der Geschäftsgebühr gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO auf die Prozessgebühr gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) gebührenrechtlich zu vereinheitlichen (Senat aaO unter Hinweis auf den kontroversen Meinungsstand). In der bis zum 30. Juni 1994 geltenden Fassung des § 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO (BGBl 1986 I S. 2326) war das durch die Bildung von Beispielsfällen (darunter auch die Kündigung und damit auch die Kündigungsabwehr) eindeutig ausgedrückt. Ausweislich der Begründung zur Gesetzesneufassung (BT-Drs 12/6992 S. 100 und 12/7657 S. 107) sollte mit der Kostenrechtsnovelle (BGBl 1994 I S. 1325), die den § 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung (jetzt ohne Beispielsfälle) geschaffen hat (jetzt im Wortlaut unverändert § 23 Abs. 1 S. 3 RVG), aber nur eine sprachlich vereinfachte und nicht eine sachliche Änderung herbeigeführt werden (Senat aaO m.w.N.; a. A. Gebauer/N. Schneider, BRAGO, § 8 Rn. 66 ohne Auseinandersetzung mit Verlauf und Motiven des Gesetzgebungsverfahrens in der unzutreffenden Meinung, der jetzige Wortlaut der Fassung spreche gegen die dargestellte Auslegung).

6.

An dieser Auslegung hält der Senat im Hinblick auf die Bestätigung seiner Rechtsauffassung durch die zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Kündigung des Mietvertrags (NJW 2007, 2050) auch für die Bewertung der Tätigkeit eines Rechtsanwalts fest, der wie hier auftragsgemäß den ausbedungenen Widerruf eines Vertrages erklären soll. Im vorliegenden Fall gelten dieselben Erwägungen wie zu der vorgerichtlich von einem Rechtsanwalt erklärten Kündigung. Hier wie dort scheitert die entsprechende Anwendung der für das gerichtliche Verfahren heranzuziehenden Bestimmungen nicht daran, dass ein Gericht diese Erklärung nicht aussprechen könnte (vgl. N. Schneider MDR 2002; 1030).

a) Zwar kann der Widerruf eines Vertrages durch den Berechtigten unmittelbar weder Gegenstand einer Leistungsklage noch einer Feststellungsklage sein, ebenso wenig wie dies eine Kündigung sein kann (so zutreffend N. Schneider aaO entgegen AG Köln aaO). Denn als deren Ergebnis könnte nur das Fortbestehen oder der Wegfall des Vertragsverhältnisses infolge des Widerrufs festgestellt werden. Die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des Widerrufs selbst wäre nicht selbst Streitgegenstand, sondern nur mit zu entscheidende Vorfrage. Die Abgabe einer Willenserklärung (§ 130 BGB) ist keinem Rechtsverhältnis, sondern der Ausübung eines Gestaltungsrechts ähnlich (vgl. hierzu LG Karlsruhe NJW 2006, 1526, 1527; Schneider/Wolf aaO., § 23 Rn. 24 f.). Die eigene Ausübung dieses Rechts hätten die Beklagten im Rahmen eines Prozesses nicht durchsetzen können, weil sie diesbezüglich keinen "Anspruchsgegner" hatten. Die in § 894 ZPO geregelte "Vollstreckung" eines zur Abgabe einer Willenserklärung verpflichtenden Urteils setzt eine vom Schuldner, also dem Prozessgegner, geschuldete und gegen ihn gerichtlich durchgesetzte Willenserklärung voraus.

Der Gegenmeinung ist ferner zuzugeben, dass es an klaren Abgrenzungskriterien der herrschenden Meinung fehlt, wenn im Anschluss an die außergerichtliche Tätigkeit ein gerichtliches Verfahren "denkbar" wäre oder es genüge, dass zwischen außergerichtlicher Tätigkeit und der anwaltlichen Tätigkeit, die in einem gerichtlichen Verfahren entfaltet werden würde, ein innerer Zusammenhang bestände (Riedel/Sußbauer/Fraunholz aaO.). Madert (Gerold/Schmidt/Madert RVG 18. Aufl., § 23 Rn. 17) stellt darauf ab, ob es sich um Tätigkeiten handelt, die üblicherweise ein gerichtliches Verfahren vorbereiten oder vermeiden sollen, wie zum Beispiel Kündigungen, Mahnungen, außergerichtliche Versuche einer gütlichen Einigung; ein gerichtliches Verfahren müsse "im Hintergrund stehen", ohne dass der Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit zu eng gezogen werden dürfe.

b) Im Anschluss an die Entscheidung des BGH (aaO) hält der Senat die GKG-Wertvorschriften aber bereits dann für anwendbar, wenn sich die außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts auftragsgemäß auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines wenn auch nur vermeintlichen Rechtsverhältnisses bezieht. Wird der Rechtsanwalt im Rahmen bestehender, behaupteter oder geleugneter Beziehungen, seien es vertragliche, quasivertragliche oder gesetzliche, tätig, so ist bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise der Gegenstandswert diesem, ggfls. vermeintlichen Rechtsverhältnis zu entnehmen. Geht der Auftrag des Mandanten demgegenüber dahin, mit dem Verhandlungspartner ein neues Rechtsverhältnis zu begründen, insbesondere einen Vertrag zu entwerfen, dürfte gemäß § 23 Abs. 1 S. 3 RVG ein Rückgriff auf das GKG ausgeschlossen sein (zu einer Ausnahme im Rahmen eines Vergleichsabschlusses bei streitigem Rechtsverhältnis sh. Senat, OLGR Düsseldorf 2005, 651 m.w.N.). Stehen auf der Grundlage eines Rechtsverhältnisses der beschriebenen Art besondere Wertbestimmungen, wie § 41 GKG, zur Verfügung, sind sie anzuwenden. Ist dies nicht der Fall sind die §§ 3 ff. ZPO über § 48 GKG anwendbar.

c) So liegen die Dinge hier. Der von den Klägern auftragsgemäß erklärte Widerruf bezog sich unzweifelhaft auf ein bestehendes Rechtsverhältnis. Dieses war dadurch begründet worden, dass die Beklagten als künftige Versicherungsnehmer der ZDH Lebensversicherungs AG am 8. Oktober 2007 rechtlich verbindliche, aber bis zum 18. Oktober 2007 frei widerrufliche Anträge auf Abschluss der Ansparrentenverträge über ein garantiert zu erzielendes Kapital von insgesamt EUR 1.371.555,70 übersandt hatten. Wäre der Widerruf unterblieben, hätte am 1. November 2007 ein Lebensversicherungsverhältnis begonnen. Ein Streit über die Wirksamkeit des Widerrufs hätte die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des Versicherungsvertrages zur Folge haben können.

d) Ist der Wert somit entsprechend den Vorschriften des GKG zu bestimmen, so gilt folgendes:

aa) Maßgebend für die Bemessung des Gegenstandswerts ist gemäß §§ 48 GKG, 3 ZPO das nach billigem Ermessen zu schätzende wirtschaftliche Interesse, das der Auftraggeber mit der Mandatserteilung verfolgt (vgl. OLG Düsseldorf NZI 2008, 252 f.; Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 17. Aufl., § 28 Rn. 11). Denn der Wert bemisst sich nicht nach dem wirtschaftlichen Schaden, der dem Auftraggeber durch die Aufrechterhaltung des Vertrages entstünde. Soweit nicht besondere Umstände vorliegen, ist vielmehr maßgebend der Wert derjenigen Leistung, von der der Auftraggeber infolge der Auflösung des Vertrages freigestellt werden will (OLG Celle KostRspr ZPO § 3 Nr. 666; OLG München JurBüro 1984, 1235; NJW-RR 1988, 190; OLG Rostock AGS 2004, 161; Senat, Urteil vom 10. März 2009, Az. I-24 U 150/08; Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 12. Auflage, Rn. 6017 ff.).

bb) Die Beklagten hätten die Ansparrentenverträge spätestens nach Ablauf des ersten Versicherungsjahres zum 31. Oktober 2008 kündigen können. Ob ihnen sogar ein monatliches Recht zur Kündigung des Ansparrentenvertrages zugestanden hätte, weil auch die Zahlungsverpflichtung monatlich zu erbringen war (vgl. § 168 Abs. 1 VVG = § 165 Abs. 1 VVG in der Fassung vom 22. Mai 2007 bis 31. Dezember 2007) kann auf sich beruhen. Nach § 6 Abs. 1 ALB 94 (Musterbedingungen) gilt allerdings das monatliche Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers erst nach Ablauf des ersten Versicherungsjahres. Zu Lasten der Beklagten kann hier die Geltung der Musterbedingungen unterstellt werden. In diesem Fall überstieg nämlich das Interesse der Beklagten an der Vertragsbeendigung nicht den Betrag von insgesamt EUR 54.989,52 (12 x 4.582,46). Diese Summe hätten die Beklagten jährlich an die ZDH Lebensversicherungs AG zahlen müssen. Eine negative Feststellungsklage eines Versicherten wäre nach dem Interesse an der Befreiung von Prämienzahlungen zu bewerten, längstens nach dem möglichen Kündigungszeitraum (Zöller/Herget, ZPO, 28. Auflage, § 3 Rn. 16 "Lebensversicherung"). Diese Grundsätze können aufgrund der Vergleichbarkeit der Interessenlage auch auf den hier zu entscheidenden Fall angewendet werden.

Nicht anwendbar ist über § 48 GKG die Vorschrift des § 9 ZPO. Das Recht des Versicherers auf wiederkehrende Leistungen war nicht Gegenstand des anwaltlichen Auftrags. Aus Sicht der Beklagten als Auftraggeber der Kläger bestand keine Berechtigung, Leistungen aus dem Ansparrentenvertrag zu fordern. Ihnen ging es allein darum, von ihrer Verpflichtung, ab Vertragsbeginn die monatlichen Raten zu zahlen, frei zu werden. Am Fortbestand des Versicherungsvertrages hätte allein der Versicherer ein Interesse gehabt (vgl. OLG Hamm AnwBl. 1994, 45; ähnlich OLG Stuttgart JurBüro 2007, 144 zum Franchise-Vertrag).

cc) Damit ergibt sich nach einem Gegenstandswert von EUR 54.989,52 folgende Abrechnung:

Geschäftsgebühr 1,3 nach Nr. 2300 VV RVG 1.459,90

Erhöhung 0,3 nach Nr. 1008 VV RVG 336,90

Postpauschale nach Nr. 7002 VV RVG 20,00

Zwischensumme 1.816,80

19 % Umsatzsteuer 345,19

Gesamtbetrag 2.161,99

Damit wirkt sich der zu niedrig angesetzte Streitwert im Hinblick auf die den Klägern bereits fehlerhaft zuerkannten EUR 2.991,69 nicht zu ihrem Nachteil aus. Die vom Landgericht ermittelte Summe von EUR 2.991,69 ist nicht nachvollziehbar. Die Addition der vom Landgericht genannten Beträge ergibt allenfalls EUR 2.911,19. Möglicherweise wurde rechtsirrig eine "einfache Gebührenhöhe von 902,00 Euro" in die Berechnung einbezogen, was allerdings nur eine Summe von EUR 2.911,19 erklären würde aber nicht EUR 2.991,69. Zudem hat das Landgericht, wie auch bei der unter A. I.3. aufgeführten Abrechnung, die Erhöhung aufgrund der Vertretung von mehr als einem Auftraggeber mit 30 % der 1,3-Gebühr abgerechnet und nicht, wie es zutreffend gewesen wäre, mit 30 % der 1,0-Gebühr. Hier wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.

B.

Die weiteren in § 522 Abs. 2 Ziffer 2 und 3 ZPO genannten Voraussetzungen liegen ebenfalls vor.

Der Senat weist darauf hin, dass die Rücknahme der Berufung vor Erlass einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO gemäß GKG KV 1222 S. 1, 2 kostenrechtlich privilegiert ist; statt vier fallen nur zwei Gerichtsgebühren an.






OLG Düsseldorf:
Beschluss v. 26.11.2009
Az: I-24 U 57/09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/d6cb7feebae5/OLG-Duesseldorf_Beschluss_vom_26-November-2009_Az_I-24-U-57-09




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share