Bundespatentgericht:
Beschluss vom 30. November 2005
Aktenzeichen: 9 W (pat) 398/04

(BPatG: Beschluss v. 30.11.2005, Az.: 9 W (pat) 398/04)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Gegen das unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Voranmeldung 299 10 041.3 vom 9. Juni 1999 am 17. Dezember 1999 angemeldete und am 13. Mai 2004 veröffentlichte Patent mit der Bezeichnung

"Spritzschutz für ein Fahrrad"

ist von der R... GmbH Einspruch erhoben worden.

Zur Begründung ihres Einspruchs verweist die Einsprechende u. a. auf folgende Druckschriften:

- DE 299 02 644 U1 (D1)

- DE 196 44 968 A1 (D8).

Die Einsprechende ist der Auffassung, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig im Hinblick auf den in Betracht gezogenen Stand der Technik.

Sie stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Der Patentinhaber stellt den Antrag, das Patent aufrechtzuerhalten.

Er ist der Meinung, der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber dem aufgedeckten Stand der Technik neu und erfinderisch.

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

Spritzschutz für ein Fahrrad (1;101) mit einem Sattelstützrohr (5), das in einem koaxialen, ein nach unten offenes Ende (9) aufweisenden Rohrstück (4) halterbar ist, wobei der Spritzschutz einen in Gebrauchsstellung dem Rohrstück (4) zugeordneten Adapter (2;102) und einen hieran lösbar befestigbaren Radlaufschutz (3;103) umfasst, wobei der Adapter über eine Innenklemmung halterbar ist und die Innenklemmung zumindest zwei getrennte, gegeneinander bewegliche Klemmbacken (21,22; 121,122,123,124; 221,222; 321,322) umfasst.

An diesen Patentanspruch schließen sich 13 zumindest mittelbar rückbezogene Patentansprüche an.

II.

Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch PatG § 147 Abs. 3 Satz 1 begründet.

Der Einspruch ist zulässig. Er hat Erfolg durch den Widerruf des Patents.

1. Das Patent betrifft einen Spritzschutz für ein Fahrrad.

In der Beschreibungseinleitung der Streitpatentschrift ist sinngemäß ausgeführt, dass zur Befestigung von Spritzschutzen am Fahrrad u. a. Klemmeinrichtungen verwendet würden, die in das Innere eines rohrförmigen Bauteils am Fahrrad eingeschoben und dort zur Befestigung verspreizt würden. Mit diesen bekannten Klemmeinrichtungen ließen sich nur geringe Durchmesserunterschiede ausgleichen. Wegen der Vielzahl der unterschiedlichen Rohrdurchmesser im Fahrradbau müssten Fahrradhändler somit Klemmeinrichtungen in mehreren Größen, jeweils für einen begrenzten Durchmesserbereich, vorhalten.

Das dem Patent zugrunde liegende und mit der Aufgabe formulierte technische Problem besteht daher darin, eine Verbesserung zu schaffen derart, dass ein Adapter für alle möglichen Innendurchmesser von Rohren tauglich ist.

Dieses Problem soll durch den Spritzschutz mit den in Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen gelöst werden.

2. Einer Entscheidung über die Zulässigkeit des erteilten Patentanspruchs 1 hinsichtlich der ursprünglichen Offenbarung sowie über die Neuheit seines Gegenstands bedarf es nicht, da dieser - wie nachstehend ausgeführt - für den zuständigen Fachmann aus dem Stand der Technik nahe liegend auffindbar war.

Als Durchschnittsfachmann nimmt der Senat einen Zweiradmechaniker an, der seit mehreren Jahren schwerpunktmäßig auf dem Gebiet der Fahrradtechnik arbeitet und dabei sowohl in der Kundenberatung als auch in der Montage und Reparatur von Fahrrädern tätig ist.

Aus der DE 299 02 644 U1 ist ein Spritzschutz für ein Zweirad bekannt, der im Bereich der Gabel 2 des Zweirads angeordnet ist. Die Gabel weist einen Schaft 3 mit einem ein nach unten offenes Ende aufweisenden Rohrstück 11 auf. Der Spritzschutz umfaßt einen in Gebrauchsstellung dem Rohrstück zugeordneten Adapter und einen an dem Adapter lösbar befestigten Radlaufschutz 14. Der Adapter ist über eine Innenklemmung 10 in dem Rohrstück halterbar. Die Innenklemmung wird über eine mit einem Spreizkonus 10b zusammenwirkende Spreizhülse 10a bewerkstelligt (S. 11, Z. 21, bis S. 12, Z. 9, i. V. m. Fig. 2, 8). Die Spreizhülse besteht aus einem einen Hohlzylinderkörper bildenden Abschnitt und mit diesem starr verbundenen, in Umfangsrichtung voneinander beabstandeten und in Axialrichtung sich erstreckenden federnden Zungen 23. Die Zungen werden in dem Rohrstück verklemmt, indem ihre jeweils freien Enden durch den Spreizkonus 10b auseinandergedrückt und somit gegeneinander bewegt werden, wenn der Spreizkonus in Richtung auf den den Hohlzylinderkörper bildenden Abschnitt zu verspannt wird.

Von diesem Spritzschutz unterscheidet sich der Spritzschutz nach dem Patentanspruch 1 demnach dadurch,

- dass er über den Adapter dem das Sattelstützrohr halternden Rohrstück (Sitzrohr) mit nach unten offenem Ende zugeordnet ist,

- dass die Klemmbacken der Innenklemmung getrennt sind.

Ausgehend von der in der DE 299 02 644 U1 angegebenen Verwendung des Spritzschutzes für das Vorderrad eines Fahrrads ist es an sich selbstverständlich, auch für das Hinterrad einen Spritzschutz vorzusehen. Denn der Fahrer eines derartigen Fahrrads sitzt im Wurfbereich sowohl von Vorder- als auch Hinterrad, so dass er bei nur abgedecktem Vorderrad niemals ausreichenden Schutz gegen Schmutzbewurf hätte. Nur bei Abdeckung beider Laufräder ist ein ausreichender Schutz überhaupt möglich. Insofern ergibt sich das bloße Prinzip der Verwendung eines Spritzschutzes auch für das Hinterrad schon aus einfachen praktischen Erwägungen. Dies gilt insbesondere auch für ein Fahrrad mit einem in einem koaxialen, ein nach unten offenes Ende aufweisenden Rohrstück halterbaren Sattelstützrohr. Derartige Fahrräder waren, z. B. im Sportbereich für den Geländeeinsatz, am Prioritätstag des Streitpatents unstreitig bereits bekannt. Diese Fahrräder weisen wegen der Abfederung der das Hinterrad aufnehmenden Schwinge ein nur kurzes, nach unten offenes Sitzrohr auf, in dem das Sattelstützrohr gehaltert ist (vgl. die zum Stand der Technik genannte Figur 3 des Streitpatents). Bei diesen modernen Fahrrädern mit nach unten offenem Sitzrohr ist dort auch eine Befestigungsmöglichkeit für eine Innenklemmung nach dem Konstruktionsprinzip der DE 299 02 644 U1 grundsätzlich gegeben. Denn diese bekannte Innenklemmung ist wie oben ausgeführt in das Gabelschaftrohr, also in ein ein nach unten offenes Ende ausweisendes Rohrstück einsetzbar; folglich muss auch das kurze Sitzrohr des besagten Fahrrads zur Aufnahme einer Innenklemmung geeignet sein. Entsprechendes gilt für das Sattelstützrohr, denn dieses ist regelmäßig ebenfalls nach unten offen und kann bei niedrig eingestelltem Sattel - wegen des kurzen Sitzrohres - nach unten bündig mit dem Sitzrohr abschließen oder sogar nach unten aus diesem vorstehen. In diesem Falle verbleibt im Bereich des Hinterrades als offenes Rohrende zum Einsetzen des Adapters selbstverständlich nur das Sattelstützrohr. In dieser einfachen Schlussfolgerung kann der Senat etwas von erfinderischer Bedeutung nicht erkennen.

Eine Klemmeinrichtung mit getrennten, gegeneinander beweglichen Klemmbacken ist des weiteren aus der DE 196 44 968 A1 (D8) bekannt. Diese Klemmeinrichtung ist vorgesehen zur Befestigung einer Vorderradgabel am Steuerrohr eines Fahrrads.

Nach Auffassung des Patentinhabers würde der Fachmann eine Klemmeinrichtung dieser Art allerdings schon deshalb nicht in Betracht ziehen, weil hier eine Baugruppe betroffen sei mit einer Sicherheitsrelevanz, die bei einem Spritzschutz der streitpatentgemäßen Art nicht annähernd gefordert sei. Die in der Gabelbefestigung zu übertragenden Kräfte aus Längs-, Quer- und Vertikalbeschleunigungen seien ungleich höher als bei einer Radabdeckung für ein Laufrad. Des weiteren sei in der DE 196 44 968 A1 auch kein Hinweis gegeben auf eine etwaige Einstellbarkeit auf unterschiedliche Rohrdurchmesser. Vielmehr sei die Verbindung konkret für die Lenkeinrichtung konstruiert und bedürfe keiner Einstellbarkeit auf unterschiedliche Durchmesser. Denn die besagte Verbindung sei nicht zum Wechsel an andere Stellen des Fahrrads vorgesehen und verbliebe im üblichen Nutzungsschema des Fahrrads ständig unverändert an ihrem Platz. Selbst wenn dem Fachmann daher die Klemmeinrichtung nach der DE 196 44 968 A1 bekannt wäre, würde er eine Verwendbarkeit als Adapter für eine Spritzschutzbefestigung nicht erkennen.

Dieser Auffassung folgt der Senat nicht. Denn der oben definierte Fachmann befasst sich nicht nur mit der Befestigung von Schmutzabdeckungen am Zweirad, sondern baut ein Fahrrad z. B. ganz nach Kundenwünschen auf oder um. Dazu sucht er die gewünschten Einzelteile und Komponenten aus einer Vielzahl an Bauteilen oder -gruppen und bringt alle Teile am ausgewählten Rahmen an. Der Fachmann ist somit zuständig für alle Komponenten des Fahrrads. Ihm obliegt auf jeden Fall auch die Montage von Vorderradgabeln im Steuerrohr und die Einstellung des Steuersatzes. Von seiner Kenntnis über Konstruktion und Wirkungsweise eines Klemmmechanismus nach Art der DE 196 44 968 A1 muss deshalb ausgegangen werden.

Der Fachmann kennt somit einen Klemmmechanismus, der getrennte Klemmbacken 33 in Form von sich jeweils über einen Umfangsabschnitt erstreckenden Hohlzylinderteilen aufweist, die von einem elastischen Ring 34 zu einem vollständigen Hohlzylinderkörper zusammengespannt sind (Sp. 3, Z. 32 bis 57, und Fig. 1). Die Stirnflächen der Hohlzylinderteile sind konisch nach innen geneigt ausgebildet. An beiden Stirnflächen greifen mit jeweils korrespondierenden Konusflächen versehene Klemmkeile 27,31 an, die durch eine Schraube 29 aufeinander zugespannt werden. Dadurch werden die Hohlzylinderteile nach Maßgabe des Konuswinkels nach außen gedrückt und so in dem Schaftrohr 2 der Vorderradgabel 3 verspannt. Die Hohlzylinderteile bilden dabei getrennte Klemmbacken, die gegeneinander bewegbar sind. Zwar ist - wie der Patentinhaber zutreffend ausführt - in der DE 196 44 968 A1 über die Spannweite dieser Klemmeinrichtung oder gar über eine Anpassbarkeit an unterschiedliche Rohrdurchmesser keine Aussage gemacht, der Fachmann erkennt aber schon aufgrund seines technischen Sachverstandes, dass der Verstellbereich einfach abhängt von der Breite der Konusflächen. Denn solange ein Eingriff zwischen Konusfläche des Klemmkeils und Konusfläche der Klemmbacken besteht, ist eine Durchmesserveränderung möglich. Überdies weist gemäß Figur 1 dieser Druckschrift der eine Klemmkonus 27 auf seiner dem anderen Klemmkonus 31 zugewandten Stirnfläche eine Ausnehmung auf, in die der andere Klemmkonus 31 mit seiner Gewindehülse offensichtlich eintauchen kann. Dies weist den Fachmann darauf hin, dass an einen derart langen Stellweg gedacht ist, dass das Eintauchen erforderlich werden kann. Nach den in dieser Figur dargestellten Größenverhältnissen ergibt sich dann ein Durchmesser-Verstellbereich beträchtlicher Größe. Veranlassung zur Verwendung einer entsprechenden Klemmeinrichtung im Hinblick auf einen weiten Stellbereich ist dem Fachmann somit gegeben. Innerhalb des Verstellbereichs sind zudem die Klemmbacken zueinander und auch zur Gegenfläche des Rohrstücks stets parallel gerichtet und kommen flächig an der Gegenfläche - hier die Innenwandung des Gabelschaftrohrs - zur Anlage. Dadurch werden in für den Fachmann ohne weiteres ersichtlich vorteilhafter Weise zum einen ein sicher positionierter Sitz erreicht und zum anderen Einkerbungen in der Gegenfläche vermieden. Umso mehr Veranlassung hat der Fachmann somit zur Verwendung einer solchen Klemmeinrichtung mit getrennten, gegeneinander bewegbaren Klemmbacken. Da überdies der Verwendung einer Klemmeinrichtung dieser Art für einen Adapter zum Anbringen eines Spritzschutzes am Fahrrad erkennbar nichts hindernd im Wege steht, bedurfte es für den Fachmann keiner erfinderischen Tätigkeit, ausgehend von dem Spritzschutz nach der DE 299 02 644 U1 mit dem Klemmmechanismus nach Art der DE 196 44 968 A1 zum Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 zu kommen.

Patentanspruch 1 kann demnach keinen Bestand haben. Die Patentansprüche 2 bis 14 teilen dieses Schicksal (BGH GRUR 1997, 120 ff., "Elektrisches Speicherheizgerät").

Petzold Dr. Fuchs-Wissemann Bülskämper Reinhardt Pü






BPatG:
Beschluss v. 30.11.2005
Az: 9 W (pat) 398/04


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