Bundespatentgericht:
Beschluss vom 10. Mai 2004
Aktenzeichen: 19 W (pat) 309/02

(BPatG: Beschluss v. 10.05.2004, Az.: 19 W (pat) 309/02)

Tenor

Das Patent 199 58 306 wird mit den erteilten Unterlagen aufrechterhalten.

Gründe

I Für die am 3. Dezember 1999 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Anmeldung ist die Erteilung des Patents am 14. März 2002 veröffentlicht worden. Das Patent hat die Bezeichnung "Koordinatenmessvorrichtung".

Gegen das Patent hat die W... GmbH am 14. Juni 2002 Einspruch eingelegt. Zur Begründung hat sie behauptet, der Gegenstand des Patents beruhe unter Berücksichtigung des Standes der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der erteilte (mit einer eingefügten Gliederung in Merkmalsgruppen versehene) Patentanspruch 1 lautet:

"Koordinatenmeßvorrichtung mit 1. einem Grundgestell (1), einem auf diesem abgestützten Meßtisch (3) zum Haltern eines zu vermessenden Objektes, einer Abtasteinrichtung (5) zum Abtasten der Oberfläche des Objektes und mit einer die Abtasteinrichtung (5) tragenden Positioniereinrichtung (4) zum Verfahren der Abtasteinrichtung (5) in drei zueinander senkrechten Richtungen (X, Y, Z) oberhalb des Meßtisches (3), 2. wobei die Positioniereinrichtung (4) unterhalb des Meßtisches (3) einen ersten, in einer ersten Richtung (Y) verfahrbaren Schlitten 10 aufweist, an dem ein in einer zur ersten Richtung (Y) senkrechten zweiten Richtung (X) verfahrbarer zweiter Schlitten (12) angebracht ist, der einen Stützabschnitt (14) aufweist, der einen an ihm längs einer zur ersten (Y) und zur zweiten (X) Richtung senkrechten dritten Richtung (Z) verfahrbaren Bügelarm (16) trägt, 3. welcher seitlich am Meßtisch (3) vorbei diesen überragt, als ein in sich starres Element ausgeführt ist, an seinem freien Ende (22) oberhalb des Meßtisches (3) die Abtasteinrichtung (5) trägt und mittels der Positioniereinrichtung (4) zwischen einer seitlich dem Meßtisch (3) benachbarten Einfahrstellung und einer von dieser und dem Meßtisch (3) seitlich beabstandeten Ausfahrstellung verfahren werden kann, dadurch gekennzeichnet, 4. daß der erste Schlitten (10) am Grundgestell (1) gelagert ist und seine Verfahrrichtung (Y) die Verfahrrichtung des Bügelarmes (16) zwischen dessen Ein- und Ausfahrstellung festlegt, 5. daß der Stützabschnitt 14 am zweiten Schlitten 12 an dessen in Richtung zur Ausfahrstellung des Bügelarmes (16) hin vorderem Endbereich angebracht ist und am Meßtisch (3) seitlich nach oben ragt, 6. und daß der in Richtung zur Einfahrstellung des Bügelarmes (16) vor dem Stützabschnitt (14) liegende Vorderbereich des zweiten Schlittens (12) beim Verfahren des Bügelarmes (16) in dessen Einfahrstellung zusammen mit dem ersten Schlitten (10) unter den Meßtisch (3) unterfahrbar ist."

Es soll die Aufgabe gelöst werden, eine Koordinatenmessvorrichtung nach dem Stand der Technik so zu verbessern, dass sie mit besonders großer Genauigkeit und großer Dynamik zu arbeiten im Stande ist und eine besonders kompakte Bauweise ermöglicht (Abs 0009).

Die Einsprechende ist der Ansicht, dass abweichend von der Lehre des Patentanspruchs 1 beim vorbenutzten Koordinatenmessgerät SKM 1000 der Fa. Dr. S... Messtechnik die Säule nicht von der X-Achse, sondern von der Y-Achse ausgehe. Hierdurch ergebe sich jedoch weder ein besonderer technischer Effekt noch eine andere Wirkung. Vielmehr werde durch die diesbezüglichen Maßnahmen in glatt äquivalenter Weise die Möglichkeit geschaffen, die Abtasteinrichtung auf gewünschte X-, Y-Positionen der ein zu messendes Objekt aufnehmenden Aufnahme auszurichten. Ferner gehe bei dem bekannten Koordinatenmessgerät die Abtasteinrichtung nicht von einem gesonderten Bügelarm aus, der mit einem Stützabschnitt des entlang der X-Achse verlaufenden Schlittens verbunden ist. Hierbei handele es sich jedoch um eine rein konstruktive Maßnahme, um eine Abtasteinrichtung aufzunehmen und diese entsprechend der Zielbestimmung eines Koordinatenmessgerätes in Z-Richtung verstellen zu können. Diesbezügliche Halterungen für Abtasteinrichtungen zum Verstellen dieser entlang der Z-Richtung gehörten jedoch zum Stand der Technik. Die Koordinatenmessvorrichtung des Patentanspruchs 1 ergebe sich demnach für den Fachmann aufgrund seines Fachwissens in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent 199 58 306 zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent 199 58 306 mit den erteilten Unterlagen aufrechtzuerhalten.

Die Patentinhaberin ist der Meinung, ausgehend von dem bekannten Koordinatenmessgerät SK1000 habe es für den Fachmann nicht nahegelegen, aufgrund seines Fachwissen zur anspruchsgemäßen Koordinatenmessvorrichtung zu gelangen, da es für ihn hierfür weder Anregungen noch eine Veranlassung gegeben habe. Die Koordinatenmessvorrichtung des Patentanspruchs 1 beruhe demnach auf einer erfinderischen Tätigkeit durch den Fachmann.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Gemäß § 147 Abs 3 PatG ist die Entscheidungsbefugnis auf den hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts übergegangen.

Dieser hatte aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung zu entscheiden, vgl BPatGE 46, 134.

Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.

Der Einspruch ist zulässig, bleibt aber erfolglos, da das Koordinatenmessgerät des Patentanspruchs 1 patentfähig ist.

1. Neuheit Die Koordinatenmessvorrichtung des Patentanspruchs 1 ist unstreitig neu.

Das Koordinatenmessgerät SKM 1000, wie es aus dem Katalog der Fa. Dr. ... S...: "Optische 2D-3D Koordinatenmessgeräte mit Bildverarbeitung, Mess- projektoren, Lasermessgeräte, Sondermessgeräte", Stand 10/98 (D1) und aus dem Katalog: "S... Koordinaten-Messgeräte mit Bildverarbeitung für 2D und 3D Messungen" (D2) hervorgeht, gehört unstreitig zum Stand der Technik. Da die Offenkundigkeit des Koordinatenmessgerätes SKM 1000 von der Patentinhaberin nicht bestritten wird, sind die sich aus den Prospekten ergebenden Tatsachen nicht beweisbedürftig.

Merkmalsgruppe M1: Die bekannte Koordinatenmessvorrichtung SKM 1000 weist auf in Übereinstimmung mit der anspruchsgemäßen Vorrichtung (vgl Anlage 3 zum Einspruchsschriftsatz mit den handschriftlich eingetragenen Buchstaben, die ein vergrößertes Bild aus dem Prospekt D2 aaO wiedergibt) ein Grundgestell A, einen auf diesem abgestützten Messtisch zum Haltern eines zu vermessenden Objektes, eine Abtasteinrichtung D zum Abtasten der Oberfläche des Objektes C, eine die Abtasteinrichtung D tragende Positioniereinrichtung zum Verfahren der Abtasteinrichtung C in drei zueinander senkrechten Richtungen X, Y, Z oberhalb des Messtisches (vgl S 4 unten in D1). Ein Messtisch ist in der Figur auf Seite 4 der D2 dargestellt und ersetzt somit die Aufnahme für rotationssymmetrische Teile, wie sie in der Anlage 3 gezeigt ist (S 4 li Sp Abs in D1).

M2: Die bekannte Positioniereinrichtung weist auch unterhalb des Messtisches einen ersten, in einer ersten Richtung Y verfahrbaren Schlitten K auf. An dem Schlitten K ist weiterhin ein in einer zur ersten Richtung Y senkrechten zweiten Richtung X verfahrbarer Schlitten (unter der Abdeckung G) angebracht.

M3: Das Koordinatenmessgerät SKM 1000 weist einen Bügelarm L, M auf, der seitlich am Messtisch vorbei diesen überragt, als ein in sich starres Element ausgeführt ist, an seinem freien Ende oberhalb des Messtisches B die Abtasteinrichtung D trägt und mittels der Positioniereinrichtung zwischen einer seitlich dem Messtisch benachbarten Einfahrstellung und einer von dieser und dem Messtisch seitlich beabstandeten Ausfahrstellung verfahren werden kann.

M4: Die Verfahrrichtung Y legt hierbei die Verfahrrichtung des Bügelarms L, M zwischen dessen Ein- und Ausfahrstellung fest.

Abweichend vom Koordinatenmessgerät SKM 1000 weist bei der anspruchsgemäßen Koordinatenmessvorrichtung der in X-Richtung verfahrbare zweite Schlitten einen Stützabschnitt auf, der den an ihm längs einer zur ersten (Y) und zur zweiten (X) Richtung senkrechten dritten Richtung Z verfahrbaren Bügelarm trägt (M2), während bei dem bekannten Koordinatenmessgerät SKM 1000 der in Y Richtung verfahrbare ersten Schlitten den Bügelarm aufweist, der nicht in Z-Richtung verfahrbar ist, da dort lediglich die am Bügelarm befestigte Abtasteinrichtung innerhalb der Abdeckung M in diese Richtung verfahrbar ist.

Ferner ist bei der anspruchsgemäßen Koordinatenmessvorrichtung der in Y-Richtung verfahrbare erste Schlitten am Grundgestell gelagert (M4), während beim bekannten Koordinatenmessgerät SKM 1000 der in X-Richtung verfahrbare zweite Schlitten am Grundgestell gelagert ist.

Anspruchsgemäß ist der Stützabschnitt am in X-Richtung verfahrbaren zweiten Schlitten an dessen in Richtung zur Ausfahrstellung des Bügelarms hin vorderem Endbereich angebracht und ragt am Messtisch seitlich nach oben (M5); die bekannte Vorrichtung weist dagegen keinen Stützabschnitt auf und der Bügelarm ist am in Y-Richtung verfahrbaren ersten Schlitten an dessen in Richtung zur Ausfahrstellung des Bügelarmes hin vorderen Endbereich angebracht und ragt am Messtisch seitlich nach oben.

Weiterhin ist bei der Koordinatenmessvorrichtung des Patentanspruchs 1 der in Richtung zur Einfahrstellung des Bügelarms vor dem Stützabschnitt liegende Vorderbereich des zweiten in X-Richtung verfahrbaren Schlittens beim Verfahren des Bügelarms in dessen Einfahrstellung zusammen mit dem ersten in Y-Richtung verfahrbaren Schlitten unter den Messtisch unterfahrbar (M6). Beim Koordinatenmessgerät SKM 1000 ändert sich beim Verfahren des Bügelarms in dessen Einfahrstellung und der damit verbundenen Bewegung des ersten Schlittens in Y-Richtung die Position des zweiten Schlittens (in X-Richtung verfahrbar) nicht.

Die weiteren noch im Verfahren befindlichen Druckschriften liegen weiter ab; sie wurden in der mündlichen Verhandlung weder vom Senat noch von den Beteiligten im Detail aufgegriffen. Sie bringen auch keine neuen Gesichtspunkte als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, so dass auf sie hier nicht eingegangen zu werden braucht.

2. Erfinderische Tätigkeit Die Koordinatenmessvorrichtung des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Als Fachmann ist ein Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit Fachhochschulabschluss anzusehen, der auf dem Gebiet der Konstruktion von Koordinatenmessgeräten arbeitet.

Ausgehend von dem bekannten Koordinatenmessgerät SKM 1000 stellt sich dem Fachmann die Aufgabe, diese Vorrichtung so zu verbessern, dass sie mit besonders großer Genauigkeit und großer Dynamik zu arbeiten im Stande ist und eine besonders kompakte Bauweise ermöglicht, von selbst. Denn der Fachmann wird immer bestrebt sein, bei Präzisionsmessinstrumenten die Messgenauigkeit zu erhöhen bei gleichzeitiger Verringerung des baulichen Aufwandes.

Für die im Patentanspruch 1 im Einzelnen ausgeführten Maßnahmen, nämlichden in X-Richtung verfahrbaren zweiten Schlitten mit einem Stützabschnitt zu versehen, der den an ihm längs einer zur ersten (Y) und zur zweiten (X) Richtung senkrechten dritten Richtung Z verfahrbaren Bügelarm trägt (M2), den in Y-Richtung verfahrbaren ersten Schlitten am Grundgestell zu lagern (M4), den Stützabschnitt am in X-Richtung verfahrbaren zweiten Schlitten an dessen in Richtung zur Ausfahrstellung des Bügelarms hin vorderem Endbereich in der Weise anzubringen, dass er am Messtisch seitlich nach oben ragt (M5), und den in Richtung zur Einfahrstellung des Bügelarms vor dem Stützabschnitt liegenden Vorderbereich des zweiten Schlittens beim Verfahren des Bügelarms in dessen Einfahrstellung zusammen mit dem ersten Schlitten unter den Messtisch unterfahrbar auszubilden (M6), erhält der Fachmann jedoch aus seinem Fachwissen und aus dem Stand der Technik keine Hinweise bzw Anregungen. Auch ist kein Anlass zu erkennen, warum der Fachmann das Koordinatenmessgerät SKM 1000 entsprechend diesen Maßnahmen umkonstruieren sollte.

Der Austausch von erstem und zweitem Schlitten - wie die Einsprechende meint - führt nicht zu einer äquivalenten Wirkung, denn bei dem Koordinatenmessgerät SKM 1000 würde dies ohne weitere konstruktive Änderungen (insbesondere an der Aufnahme B für die rotationssymmetrischen Teile bzw den Messtisch und an der Befestigung des Bügelarms an einem der Schlitten) zu einem Nicht-Funktionieren führen.

Auch die Hinweise in der FR 2 560 985 A1, in der am 7. Mai 2004 vorgelegten Zeichnung "W... Messtechnik, 1S.0617" bzw in dem am gleichen Tag vorgeleg- ten Prospekt: "W...-Video-Check", einen an einer senkrechten Säule in Z-Rich- tung verschiebbaren horizontalen Tragarm vorzusehen, mag den Fachmann zu einem Einzelmerkmal führen, jedoch nicht zu der Merkmalskombination, wonach der in X-Richtung verfahrbare zweite Schlitten mit einem Stützabschnitt zu versehen ist, der den an ihm längs einer zur ersten (Y) und zur zweiten (X) Richtung senkrechten dritten Richtung Z verfahrbaren Bügelarm trägt. Die öffentliche Zugänglichkeit der Zeichnung und des Prospekts kann daher dahingestellt bleiben.

Um zu der Koordinatenmessvorrichtung des Patentanspruchs 1 zu kommen, bedurfte es somit für den Fachmann einer Reihe von Überlegungen, die insgesamt nicht nahegelegen haben.

Eine gegenteilige Beurteilung, wie sie von der Einsprechenden vertreten wird, würde auf einer unzulässigen rückschauenden Betrachtung in Kenntnis der Erfindung beruhen.

3. Die Koordinatenmessvorrichtung des Patentanspruchs 1 ist somit patentfähig. Zusammen mit dem Patentanspruch 1 haben die auf diesen rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 15 Bestand.

Dr. Kellerer Schmöger Dr. Mayer Dipl.-Ing. Groß

Pr






BPatG:
Beschluss v. 10.05.2004
Az: 19 W (pat) 309/02


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/d5f31393aa86/BPatG_Beschluss_vom_10-Mai-2004_Az_19-W-pat-309-02




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share