Verwaltungsgericht Düsseldorf:
Urteil vom 20. März 2012
Aktenzeichen: 27 K 603/11

(VG Düsseldorf: Urteil v. 20.03.2012, Az.: 27 K 603/11)

Tenor

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.

Ziffern 4 und 5 des Bescheides der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) werden aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine Beanstandungs- und Untersagungsverfügung nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV), wegen des von ihm unter der Domain www.N. -C. .de verbreiteten satirischen Angebots, und zwar wegen im Zusammenhang mit einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan gezeigten - zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrufbaren - Bildern. Es handelte sich dabei um vier in Farbe gezeigte Bilder, die jeweils mit der Überschrift versehen waren "Bundeswehr Blut stinkt nicht", linksseitig den Text "Offensive für Kampfeinsätze in Afghanistan" und unten den Zusatz "Deutsche Soldaten, die schöneren Leichen!" aufführten. Das erste Bild zeigte (menschliche) Beine vor dem Hintergrund einer Plastikplane. Das eine Bein war zerfetzt. Es fehlten Fleischteile des Oberschenkels, so dass ein Knochen zu sehen war. Der Fuß war vom Bein getrennt und wurde unten im Bild gezeigt. Darunter fand sich der Text:

"Mach mit bei der Kampagne der Offensive für Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan, mit dem Motto: Deutsche Soldaten - die schöneren Leichen!Lange genug haben die anderen Nato Staaten deutsche Kampfeinsätze verschmäht, und warum eigentlich€ Ist das Blut deutscher Soldaten etwa nicht gut genug€ Mit dieser schäbigen Diskriminierung deutschen Kanonenfutters muß jetzt endlich Schluß sein, fordern nicht nur deutsche Generäle und Politiker, nein, sozusagen in Tateinheit mit den gleichgeschalteten Medien fordert es auch der Souverän, das deutsche Volk, und Luft und Äther füllen sich mit dem Schrei aus Millionen kehlen: `Bundeswehr Blut stinkt nicht!´Und laßt euch bloß nicht von den Weicheiern und Warmduschern verarschen, die darüber klagen, daß deutsche Soldaten sterben werden! Der deutsche Soldat stirbt gern, dafür wurde er schließlich ausgebildet und bezahlt, und das freiwillig, von niemandem gezwungen außer seiner vorbildlichen Aufopferungsbereitschaft für das deutsche Volk einerseits und jeden noch so fragwürdigen Beschluß der Nato andererseits.Denn das ist die wahre Tugend des deutschen Soldaten und auch die eines jeden treuen Untertanen der hochdeutschen Verwaltung: Er fragt nicht nach dem Sinn von Verordnungen, sondern befolgt sie und stirbt, wenn es befohlen ist."

Nachfolgend wurden drei Bilder ohne Text gezeigt: Ein Bild zeigte einen Torso. Der Kopf war vom Körper getrennt. Die Arme waren nicht zu sehen. Ein weiteres Bild zeigte eine mumifizierte Leiche auf dem Rücken liegend. Der Unterkörper war nicht zu sehen. Das vierte Bild zeigte das Gesicht und Teile des Oberkörpers einer Brandleiche. Alle Bilder ließen sich durch einen Klick vergrößern (ca. 14 x 20 cm).

Unter dem 21. Januar 2010 wandte sich jugendschutz.net an den Kläger und wies darauf hin, dass die Organisation einige Bilder unter Jugendschutzgesichtspunkten für besonders bedenklich halte, es möge geprüft werden, ob es weiterhin für erforderlich gehalten werde, diese drastischen Darstellungen zu präsentieren. Der Kläger äußerte sich diesbezüglich ablehnend. Die Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten (KJM) legte daraufhin die Stellungnahme von jugendschutz.net und die gefertigte Camtasia-Aufzeichnung vom 1. März 2010 der Beklagten mit dem Hinweis auf die Prüfung in einer der nächsten Präsenzprüfungen vor. Zum Zeitpunkt der Fertigung dieser Aufzeichnung war auf dem Internetauftritt des Klägers Werbung ("Google-Anzeigen") geschaltet.

Die Prüfgruppe der KJM bejahte in ihrer Sitzung am 21. April 2010 mit einem Abstimmungsergebnis von 3:2 einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und 4 JMStV (entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte) sowie mit einem Abstimmungsergebnis von 5:0 einen Verstoß gegen § 7 JMStV (Jugendschutzbeauftragter). Als Ergebnis wurde ausgeführt:

"In der Gesamtbetrachtung ist das Angebot in einem satirischen Kontext zu sehen. Dies macht der Anbieter auch explizit innerhalb seines Impressums deutlich. Bei den angebotenen Inhalten handele es sich um pure Fiktion. Sämtliche Inhalte dienten allein zu Unterhaltungszwecken und seien ausschließlich als Persiflage, Satire oder Parodie zu verstehen. Merkmale der Satire sind unter anderem Übertreibungen und Überspitzungen, um provokativ auf Missstände hinzuweisen. Zu ihren Stilmitteln gehörten neben der Parodie und der Persiflage auch Spott und Sarkasmus. Obwohl in der Gesamtbetrachtung dieser Kontext zu erkennen ist, bleibt die Frage, ob auch Kinder und Jugendliche in der Lage sind, das Dargestellte als Satire zu erkennen. Lediglich ein Klick führt den eventuell auch sehr jungen Besucher von der sehr spärlich, inhaltlich gestalteten Startseite zu den in Rede stehenden Darstellungen, die sich zusätzlich durch einen weiteren Klick vergrößern lassen. Selbst mit einer intensiven Auseinandersetzung mit den im Anschluss gegebenen Textelementen sowie dem Gesamteindruck der Website und ihrem provokativem Hintergrund bleiben die unkommentiert, aneinander gereihten Darstellungen verstörend. Die Menge der Bilder sowie die Möglichkeit der Vergrößerung sind nicht notwendig, um die satirische Aussage zu verdeutlichen. Obwohl auch die existierende Berührung von Kindern und Jugendlichen mit grausamen Darstellungen im Alltag diskutiert wurde, können im vorliegenden Fall die Drastik der Darstellungen und der darin enthaltene achtungslose Umgang mit Verstorbenen nach Ansicht der Mehrheit der Prüfgruppe zu einer Verstörung und Ängstigung von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren führen."

Hiervon setzte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 18. August 2010 in Kenntnis und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers kündigte daraufhin eine Stellungnahme bis spätestens zum 30. September 2010 an. Parallel wurde von der Beklagten ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen den Kläger eingeleitet, in dem der Kläger eine Stellungnahme abgab.

Nach weiterer Sichtung des Angebots am 1. Oktober 2010 - auch zu diesem Zeitpunkt war auf dem Internetauftritt des Klägers Werbung geschaltet - übersandte die Beklagte der KJM unter dem 22. Oktober 2010 ihre Beschlussempfehlung vom 13. September 2010, das Internetangebot medienrechtlich zu beanstanden und den Verstoß gegen den JMStV zukünftig zu untersagen. Eine erneute Sichtung am 16. November 2010 ergab, dass die Seite offline gestellt war.

In der Sitzung vom 15. Dezember 2010 entschied die KJM - der Beschlussvorlage folgend - einstimmig, es lägen Verstöße gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und 4 Satz 2 JMStV sowie § 7 Abs. 1 i.V.m. Abs.3 und 4 JMStV, vor und stellte ferner fest, dass gegenüber dem Anbieter gemäß § 20 Abs. 1 und 4 JMStV sowie § 24 Abs. 1 Nr. 4 JMStV i.V.m. § 59 Abs. 3 RStV eine Beanstandung auszusprechen sei und der Verstoß zukünftig untersagt werde. Der Prüfausschuss habe nicht einstimmig entschieden. Ein Mitglied habe einen Antrag auf Behandlung des Falles im Plenum gestellt, da das Angebot nicht mehr abrufbar sei und es fraglich sei, ob das Verfahren fortgeführt werden sollte. Allerdings sei das Angebot nach Überprüfung der Stabsstelle und der Beklagten nun wieder unverändert abrufbar.

Bei einer weiteren Sichtung des Angebots durch die Beklagte am 28. Dezember 2010 war die Internetseite mit den streitbefangenen Bildern wieder aufrufbar. Werbung fand sich auf dem Internetauftritt nicht mehr.

Mit Bescheid vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) entschied die Beklagte, (Ziffer 1) das von dem Kläger verbreitete Angebot "www.N. -bloed.de" verstoße gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und 4 JMStV und § 7 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und 4 JMStV. Dies werde medienrechtlich beanstandet (§ 20 Abs. 1 und 4 JMStV i.V.m. § 59 Abs. 3 RStV). Dem Kläger wurde untersagt, das genannte Angebot in dieser Fassung weiter zu verbreiten. Ferner (Ziffer 2) entschied die Beklagte, dass der Kläger in Zukunft seine Verpflichtungen nach § 5 Abs. 1 JMStV erfülle, wenn er dafür Sorge trage, dass Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren die problematischen Inhalte üblicherweise nicht wahrnähmen. Dies könne gemäß § 5 Abs. 3 und 4 JMStV durch die Begrenzung der Sendezeit oder die Vorschaltung eines technischen oder sonstigen Schutzes geschehen. Darüber hinaus bleibe dem Kläger auch die Möglichkeit, alle entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte von seinem Angebot zu entfernen. Weiter (Ziffer 3) wurde dem Kläger aufgegeben, für sein Angebot einen Jugendschutzbeauftragten im Sinne von § 7 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und 4 JMStV zu bestellen. Die Kosten (Gebühren und Auslagen) habe der Kläger zu tragen (Ziffer 4). Für den Bescheid erhob die Beklagte eine Verwaltungsgebühr in Höhe von insgesamt 1.000 Euro (750 Euro für den Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und 4 JMStV und 250 Euro für den Verstoß gegen § 7 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und 4 JMStV). Im Rahmen der Begründung beschrieb die Beklagte die vier unter der Überschrift "Bundeswehr Blut stinkt nicht" gezeigten Bilder nebst den zu diesen Bildern führenden Pfaden, legte die Einschätzung der KJM zur Entwicklungsbeeinträchtigung dar und führte weiter aus: Angebote der Satire und der Parodie unterfielen dem Schutz der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG finde dieses Recht seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Die notwendige Güterabwägung zwischen der Forderung nach umfassendem Grundrechtsschutz und dem verfassungsrechtlich herausgehobenem Interesse an einem effektiven Jugendschutz falle vorliegend zu Lasten der Meinungsfreiheit und somit zu Lasten des Angebots des Klägers aus. Zu beachten sei dabei gewesen, dass die kritische Auseinandersetzung mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan an sich nicht beanstandet werde. Die Beanstandung richte sich ausschließlich gegen die beschriebenen Darstellungen, welche in ihrer Menge und der Möglichkeit der Vergrößerung nicht notwendig seien, um die satirische Aussage zu verdeutlichen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Darstellungen in der vergrößerten Ansicht in keinem Kontext zu den kritischen und satirischen Aussagen stünden. Soweit das Angebot unter den Schutz der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG falle, finde es seine Schranken in kollidierendem Verfassungsrecht. Der Jugendschutz sei ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut. Die Abwägung zwischen den kollidierenden Verfassungsgütern falle ebenfalls zu Lasten der Kunstfreiheit aus. Insbesondere sei die Beanstandung der beschriebenen Darstellung verhältnismäßig. Wie bereits erwähnt, sei die Menge der Bilder sowie die Möglichkeit der Vergrößerung nicht notwendig, um die satirische Aussage zu verdeutlichen. Die Gebührenfestsetzung beruhe auf der gesetzlichen Grundlage des § 35 Abs. 11 Rundfunkstaatsvertrag.

Der Kläger hat am 29. Januar 2011 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor: Das Angebot sei nicht geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen. Zunächst komme weder der KJM noch dem Beklagten ein Beurteilungsspielraum zu, inwieweit ein Angebot im Sinne von § 5 Abs. 1 JMStV geeignet sei, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen. Dies sei vielmehr von den Gerichten uneingeschränkt zu überprüfen. Es liege auf der Hand, dass gerade bei politischen Abbildungen und Texten das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG in besonderer Weise zu berücksichtigen sei. Hinzu komme, dass das GG der Bundesrepublik Deutschland in mehrfacher Hinsicht eine Friedenspflicht enthalte. Dem habe der Gesetzgeber u.a. durch das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte Rechnung getragen. Bei seiner Veröffentlichung gehe es gerade nicht um die Verherrlichung des Krieges, sondern um die Warnung vor einem solchen. Dabei bediene er sich sowohl einer satirischen Textsprache als auch einer Bebilderung. Sein Werk sei damit sowohl von der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 als auch durch die Meinungsfreiheit des Art 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Ein Eingriff in diese Rechte bedürfe einer umfassenden Abwägung, die sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen lasse. Umgekehrt stelle es sich als jugendgefährdend dar, wenn der Krieg verharmlost werde und in der Öffentlichkeit durch Hochglanzbilder von Soldaten bei Kindern und Jugendlichen ein unzutreffendes Bild vom Krieg vermittelt werde. Gerade Jugendliche würden durch eine derartige Werbung der Bundeswehr angesprochen, da in dieser Gruppe der Nachwuchs rekrutiert werden solle. Erinnert werde in diesem Zusammenhang auch an das Buch "Krieg dem Kriege" des Pazifisten und Anarchisten F. G. . Dieses Buch prangere auf ähnliche Weise wie er den Krieg mit Bildern des Krieges und Untertiteln an. Das Buch sei ohne weiteres im Buchhandel erhältlich und auch Jugendlichen zugänglich. Soweit Anstoß genommen werde an Bildern verbrannter Leichen - die übrigen Bilder seien unschwer als unrealistische Nachbildung erkennbar -, empfehle sich ein Blick in die Schulbücher. Im Hinblick auf den Vulkanausbruch bei Pompeji würden vielfach Bilder auch in Schulbüchern verbreitet, die Abdrücke von Opfern des Vulkanausbruchs zeigten und seinen Bildern zum Verwechseln ähnlich seien.

In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, nur die Hauptseite sei zurzeit nicht aufrufbar. Die Unterseite sei aber weiterhin aufrufbar. Wenn sie über Google gesucht werde, finde man sie. Die Bilder habe er im Hinblick auf das Ordnungswidrigkeitsverfahren entfernt; dieses sei auf Grund der eingetretenen Verjährung eingestellt worden. Die früher auf seiner Website über Google geschaltete Werbung habe Google nach Beschwerden über seine Seite entfernt.

Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides hob die Beklagte daraufhin auf. Insoweit erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) in der Fassung der Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung wurden auszugsweise die in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen DVDs, die von den Mitarbeitern der Beklagten bzw. von jugendschutz.net gefertigte D. -Aufzeichnungen vom 1. März 2010, 21. April 2010, 1. Oktober 2010 und 28. Dezember 2010 enthalten, abgespielt und in Augenschein genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten nebst den darin enthaltenen DVDs zu den gefertigten D. -Aufzeichnungen vom 1. März 2010, 21. April 2010, 1. Oktober 2010 und 28. Dezember 2010 Bezug genommen.

Gründe

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

Im Übrigen ist die zulässige Klage begründet, soweit sie sich gegen die Kostenentscheidung in den Ziffern 4 und 5 des Bescheides der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) richtet (II.), in Hinsicht auf die Regelungen in Ziffern 1 und 2 des Bescheides ist sie hingegen unbegründet (I).

I. Die gegen die Beanstandung und Untersagung in Ziffer 1 sowie die Vorgabe in Ziffer 2 des Bescheides der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) gerichtete Klage ist zulässig aber unbegründet. Diese Regelungen sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 VwGO. Maßgeblich für diese Beurteilung ist der Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides.

Zu diesem Zeitpunkt vgl. VG München, Urteil vom 20. April 2011 - M 17 S 11.635 -, Juris Rnd. 55 und VG Minden, Urteil vom 18. August 2010 - 7 K 721/10 -, Juris Rnd. 37; offen gelassen VG Gelsenkirchen, Urteil vom 16. Dezember 2009 - 14 K 4086/07 -, Juris, Rdn. 30. Abstellend für das Vorliegen eines Verstoßes gegen § 5 JMStV auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung der KJM VG Osnabrück, Urteil vom 29. Januar 2010 - 4 A 62/09 -, Juris, Rdn. 19, 22 und 31.Der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hingegen wäre für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der von der Beklagten aufgehobenen Regelung in Ziffer 3 des streitbefangenen Bescheides - der Aufforderung zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten - maßgeblich gewesen, da mit dieser Regelung ein in der Zukunft liegendes aktives Handeln gefordert wurde.

1. Rechtsgrundlage der Beanstandung und Untersagung ist § 20 Abs. 1 und 4 des Jugendmedienschutzstaatsvertrags (JMStV) vom 28. Februar 2003 (GV. NRW S. 83) in der seit dem 1. Januar 2009 geltenden Fassung. Nach § 20 Abs. 1 JMStV trifft die Landesmedienanstalt die erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter, wenn sie feststellt, dass dieser gegen die Bestimmungen des JMStV verstoßen hat. Für Anbieter von Telemedien trifft die Landesmedienanstalt die jeweilige Entscheidung durch die KJM entsprechend § 59 Abs. 2 bis 4 RStV unter Beachtung der Regelungen zur Verantwortlichkeit nach den §§ 7 bis 10 TMG (§ 20 Abs. 4 JMStV). Nach § 59 Abs. 3 RStV trifft die Aufsichtsbehörde die zur Beseitigung eines Verstoßes erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter. Sie kann insbesondere Angebote untersagen und deren Sperrung anordnen. Die Untersagung darf nicht erfolgen, wenn die Maßnahme außer Verhältnis zur Bedeutung des Angebots für den Anbieter und die Allgemeinheit steht. Eine Untersagung darf nur erfolgen, wenn ihr Zweck nicht in anderer Weise erreicht werden kann. Die Untersagung ist, soweit ihr Zweck dadurch erreicht werden kann, auf bestimmte Arten und Teile von Angeboten oder zeitlich zu beschränken.

Im Rahmen der Auswahl der Aufsichtsmittel hat die Landesmedienanstalt sonach ein Ermessen. Die Aufzählung in § 59 Abs. 3 Satz 2 RStV ist, wie die Formulierung "insbesondere" zeigt, nur beispielhaft. Der Sanktionskatalog erfasst neben der Untersagung auch als mildestes Mittel die - in § 38 Abs. 2 Satz 2 RStV ausdrücklich vorgesehene - Beanstandung.

Vgl. VG Münster, Urteil vom 12. Februar 2010 - 1 K 1608/09 -, Juris (Rd. 40); VG Hamburg, Urteil vom 4. Januar 2011 - 4 K 262/11 -, Juris (Rdn. 76) Juris; Hartstein/ Ring/ Kreile u.a., Jugendmedienschutzstaatsvertrag Kommentar, Stand: Mai 2008, § 20 JMStV Rdn. 9 und 32. Abweichend geht das VG Berlin, Beschluss vom 21. September 2011 - 27 L 60.11 -, Juris (Rdn. 21), davon aus, dass eine Beanstandung als Aufsichtsmaßnahme nach § 20 Abs. 1 und 2 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 RStV ausgeschlossen ist.

2. Die formelle Rechtmäßigkeit der Beanstandung und Untersagung in Ziffer 1 sowie der Vorgabe in Ziffer 2 des Bescheides begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.

Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Beklagten ergibt sich aus § 20 Abs. 1, 4 und 6 JMStV i. V. m. § 14 Abs. 1 JMStV. Das im JMStV vorgesehene Verfahren wurde eingehalten. Im Besonderen hat die auf der Grundlage des § 14 Abs. 2 JMStV gebildete KJM, die nach § 16 Abs. 1 JMStV für die abschließende Beurteilung von Angeboten nach diesem Staatsvertrag zuständig ist, die durch die Beklagte ausgesprochene Beanstandung und Untersagung einstimmig beschlossen (§ 17 Abs. 1 Satz 2 JMStV). Schließlich ist der Kläger vor Erlass der angefochtenen Verfügung durch Schreiben der Beklagten vom 18. August 2010 in einer den Anforderungen des § 28 VwVfG NRW genügenden Weise angehört worden. Es war aus dem Anhörungsschreiben unzweifelhaft hinreichend erkennbar, weshalb und wozu er sich äußern kann und mit welcher Entscheidung er zu rechnen hat. In dem Anhörungsschreiben wurden die von der KJM festgestellten Verstöße gegen die Vorschriften des JMStV im Einzelnen aufgezeigt und es wurde unmissverständlich auf die Möglichkeit einer Aufsichtsmaßnahme nach dem JMStV hingewiesen.

Auch genügen die Regelungen in Ziffer 1 und 2 dem Bestimmtheitserfordernis des § 37 Abs. 1 VwVfG NRW. Der Kläger konnte hier ungeachtet der im Tenor verwendeten unpräzisen Formulierung "in dieser Fassung" von sich aus erkennen, was in der Sache verbindlich durch den Bescheid beanstandet, also festgestellt und untersagt wurde und vermochte sein Verhalten danach auszurichten. Denn für die inhaltliche Bestimmtheit ist es ausreichend, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsaktes und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der Begründung, im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann.

Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Auflage 2011, § 37 Rdn. 12 m.w.N.

Das ist hier angesichts der Ausführungen in der Begründung, die Beanstandung beziehe sich allein auf die im Einzelnen beschriebenen Bilder, der Fall.

3. Die Beanstandung und Untersagung in Ziffer 1 und 2 des angegriffenen Bescheides erweisen sich zugleich als materiell rechtmäßig.

a. Der Kläger war Anbieter von Telemedien i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 3 RStV sowie §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 2 Nr. 1 und 2 JMStV. Da es sich bei den über die Website zugänglichen Informationen um von ihm selbst, als sog. Admin-C, ins Netz eingestellte eigene Inhalte handelt, ist er nach § 7 Abs. 1 TMG für diese verantwortlich und damit richtiger Adressat für die von der Beklagten durch die KJM zu treffenden Maßnahmen.

b. Mit seinem unter der Domain www.N. -C.de abrufbaren zeitlich und personell ungehindert zugänglichen Internetangebot hat der Kläger gegen § 5 Abs. 1 JMStV - dessen Anwendbarkeit hier nicht durch § 5 Abs. 6 JMStV ausgeschlossen ist - verstoßen. Denn dieses Angebot in seiner damaligen Form war geeignet, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, ohne dass der Kläger dafür Sorge getragen hätte, dass Kinder oder Jugendliche sie üblicherweise nicht wahrnehmen. Der Kläger hat weder durch technische oder sonstige Mittel die Wahrnehmung der Angebote durch Kinder oder Jugendliche unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV) noch die Ausstrahlungszeit so gewählt, dass Kinder oder Jugendliche sie üblicherweise nicht wahrnehmen (vgl. § 5 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 JMStV).

Ob ein Angebot im Sinne von § 5 Abs. 1 JMStV geeignet, ist, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen, ist vom Gericht uneingeschränkt überprüfbar; ein Beurteilungsspielraum kommt insoweit weder der Beklagten noch der KJM zu.

Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gebietet grundsätzlich die letztverbindliche Interpretation und Subsumtion unbestimmter Rechtsbegriffe durch die Gerichte. Dass im Anwendungsbereich des JMStV anderes gelten sollte und die Länder der KJM als Organ der Landesmedienanstalten (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 2 JMStV) einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich des Vorliegens einer Entwicklungsbeeinträchtigung einräumen wollten, lässt sich dem Gesetz weder ausdrücklich noch bei systematischer Auslegung entnehmen. Ausdrücklich ist lediglich den Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle (vgl. § 20 Abs. 3 Satz 1, 2 JMStV) ein Beurteilungsspielraum zugewiesen. Die Zusammensetzung der KJM in Verbindung mit der Art der Entscheidung rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme eines gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums. Die der KJM gemäß § 14 Abs. 1, § 17 Abs. 1 Sätze 5 und 6 JMStV mit intern bindender Wirkung übertragene Entscheidung, ob ein Angebot mit § 5 Abs. 1 JMStV vereinbar ist, ist weder zeitgebunden noch unwiederholbar. Sie hat zwar wertenden Charakter. Auch sind die Mitglieder der KJM, die über besondere Sachkunde verfügen, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben gem. § 14 Abs. 6 Satz 1 JMStV an Weisungen nicht gebunden. Anders als bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien gemäß § 19 JuSchG, der im Übrigen gleichwohl hinsichtlich der Eignung zur Jugendgefährdung kein Beurteilungsspielraum zukommt,

vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 1992 - 7 C 20/92 -, BVerwGE 91, 211 (zur Rechtslage nach dem GjS); VG Köln, Urteil vom 16. November 2007 - 27 K 3012/06 -, Juris (zur aktuellen Rechtslage);

gewährleistet aber die Zusammensetzung der KJM nicht, dass die Entscheidungen aufgrund einer pluralistischen Meinungsbildung in Staatsferne ergehen. Dem Gremium gehören gemäß § 14 Abs. 3 JMStV sechs Mitglieder aus dem Kreis der Direktoren der Landesmedienanstalten und sechs Mitglieder von den für den Jugendschutz zuständigen Landes-/Bundesbehörden an. Vertreter gesellschaftlicher Gruppen sind nicht beteiligt. Die Zusammensetzung des Gremiums entspricht damit dem Ziel ihrer Gründer,

vgl. Amtliche Begründung zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, A., S. 2 und 25; http://www.kjmonline.de/files/pdf1/Amtliche_Begrndung_zum_JMStV_korrigiert.pdf.,

durch die Schaffung einer zentralen Aufsichtsinstanz eine bundesweit einheitliche Rechtsanwendung in einem föderal ausgestalteten Bereich mit bisher zersplitterten Aufsichtsstrukturen zu sichern.

Zum Vorstehenden: VG Münster, Urteil vom 12. Februar 2010 - 1 K 1608/09 -, Juris.

Zur weiteren Begründung verweist die Kammer ferner auf die Ausführungen des Bayerischen VGH im Urteil vom 23. März 2011 - 7 BV 09.2512, 7 BCV 09.2513 -, Juris, Rdn. 33 bis 42.

Bayerischer VGH, Urteil vom 23. März 2011 - 7 BV 09.2512, 7 BCV 09.2513 -, Juris; VG Münster, Urteil vom 12. Februar 2010 - 1 K 1608/09 -, Juris; ebenso: VG Berlin, Urteile vom 9. November 2011 - 27 A 63.07 - , Juris und vom 28. Januar 2009 - 27 A 61.07 -, Juris; VG München, Urteil vom 20. April 2011 - M 17 S 11.635 -, Juris; VG Minden, Urteil vom 18. August 2010 - 7 K 721/10 -, Juris; a.A.: VG Augsburg, Beschluss vom 31. Juli 2008 - Au 7 S 08.659 -, Juris und Schulz/Held, in: Hahn / Vesting, Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, § 20 JMStV, Rdn. 63.

Kommt der KJM hinsichtlich der Frage, ob eine Sendung geeignet ist, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, zwar kein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zu, ist ihre Einschätzung jedoch als sachverständige Aussage zu begreifen, die im gerichtlichen Verfahren nur mit dem gleichen Aufwand in Frage gestellt werden kann, der notwendig ist, um die Tragfähigkeit fachgutachtlicher Äußerungen zu erschüttern. Ist die Bewertung der KJM in diesem Sinn nicht in Frage gestellt, so ist es dem Gericht verwehrt, seine eigene Bewertung an die Stelle der Bewertung der KJM zu setzen.

Vgl. z.B. Bayerischer VGH, Urteil vom 23. März 2011 - 7 BV 09.2512, 7 BCV 09.2513 -, Juris, Rdn. 32.

Hiernach kann zugrunde gelegt werden, dass das Angebot www.N. -C.de in seiner damaligen Fassung unter Zeigen der im angegriffenen Bescheid beschriebenen Bilder geeignet war, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen.

Die KJM hat einstimmig der Entscheidungsempfehlung der Beklagten vom 13. September 2010 (in der die Beklagte zur Bewertung des Angebots auf das Ergebnis der Prüfgruppe vom 21. April 2010 verwiesen hat) sowie der Bewertung der Prüfgruppe zugestimmt. Diese im Bericht der Prüfgruppe vom 21. April 2010 sowie im angegriffenen Bescheid wiedergegebene und abwägend begründete Einschätzung der KJM hält der gerichtlichen Nachprüfung stand und wird vom Gericht bei Auswertung der vorgelegten D. -Aufzeichnungen und Berücksichtigung der Anforderungen an eine "Entwicklungsbeeinträchtigung" i.S. des § 5 Abs. 1 JMStV geteilt.

Für die Auslegung des Begriffs der Entwicklungsbeeinträchtigung kann an das Kinder- und Jugendhilfegesetz angeknüpft werden (vgl. § 1 Abs. 1 SGB VIII), in dem festgelegt ist, dass jeder junge Mensch das Recht auf Förderung seiner Entwicklung hat. Es muss also gewährleistet sein, dass Minderjährige bei ihrer Entwicklung zu selbstbestimmten und verantwortungsbewussten Menschen innerhalb der sozialen Gemeinschaft vom Staat nach Kräften unterstützt werden. Daher umfasst das Recht auf Erziehung die Stärkung einer individuellen (Eigenverantwortlichkeit) und einer sozialen (Gemeinschaftsfähigkeit) Komponente. Die Formulierung der Entwicklungsbeeinträchtigung in § 5 Abs. 1 JMStV, die wortgleich mit § 14 Abs. 1 JuSchG ist, verdeutlicht den Ansatz des Gesetzgebers, die Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu sozialkontaktfähigen und verantwortungsbewussten Mitgliedern der Gesellschaft in den Vordergrund zu stellen. Beeinträchtigungen der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen liegen demnach vor, wenn Störungen durch Reizüberflutung oder sonstige übermäßige Belastungen auftreten können, wenn sozialethische Desorientierungen beispielsweise durch Verwischung von Realität und Fiktion zu befürchten sind oder wenn auf andere Weise die Erziehung der Kinder und Jugendlichen zu verantwortungsbewussten Menschen gefährdet ist. Zu berücksichtigen sind danach alle Beeinträchtigungen, die von dem Angebot im Ganzen oder seinen Einzelheiten ausgehen können, wobei die Gesamtwirkung nicht außer Acht zu lassen ist. Für die Beurteilung der Beeinträchtigung ist nicht auf die durchschnittlichen, sondern auch auf die schwächeren und nicht so entwickelten Mitglieder der Altersgruppe abzustellen. Die mögliche Wirkung auf bereits gefährdungsgeneigte Kinder und Jugendliche ist angemessen zu berücksichtigen; vgl. 3.1.2 der Gemeinsamen Richtlinien der Landesmedienanstalten zur Gewährleistung des Schutzes der Menschenwürde und des Jugendschutzes [Jugendschutzrichtlinien - JuSchRiL] vom 8./9. März 2005.

Vgl. zum Vorstehenden VG Berlin, Urteil vom 9. November 2011 - 27 A 63.07 -, Juris; VG Osnabrück, Urteil vom 29. Januar 2010 - 4 A 62/09 -, Juris; jeweils m.w.N.; s, auch Hertel in: Hahn/ Vesting, Beckscher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2. Aufl. 2008, § 5 Rdn. 5; Hartstein/ Ring/ Kreile u.a., Jugendmedienschutzstaatsvertrag Kommentar, Stand: Mai 2008, § 5 IV. 3.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die von der KJM bejahte Eignung zur Entwicklungsbeeinträchtigung hinsichtlich der beanstandeten Bilder auch bei Anerkennung des satirischen Gesamtzusammenhangs ohne weiteres nachzuvollziehen. Die Einschätzung der KJM, es bestehe die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche nicht in der Lage seien, die Bilder als Satire zu erkennen, teilt die Kammer ebenso wie die Annahme, die Drastik der Darstellungen, die Menge der unkommentiert aneinander gereihten Darstellungen und zudem die Möglichkeit der Vergrößerung wirke auf die Kinder verstörend. Der Kläger hat auch keine Einwände vorgetragen, die diese Bewertung in Frage stellen könnten. Sein Hinweis auf das in Bibliotheken und im Buchhandel frei erhältliche Buch "Krieg dem Kriege" und die darin gezeigten Bilder ist hierzu nicht geeignet. Ungeachtet der Frage nach der Vergleichbarkeit der Bilder verkennt der Kläger die Bedeutung der unterschiedlichen Möglichkeiten des Zugriffs auf die Bilder. Das Internet zeichnet sich durch die jederzeitige und leichte, auch ohne gezielte Suche, vielmehr zufällig eröffnete Zugangsmöglichkeit für jede Altersgruppe aus. Aufgrund dieser umfassend für jedermann jederzeit eröffneten Zugangsmöglichkeit ist das Risiko der Wahrnehmung entwicklungsbeeinträchtigender Inhalte in Telemedien durch Kinder und Jugendliche in besonderem Maße gegeben. Zudem blendet der Kläger die hier angebotene Möglichkeit der Vergrößerung der streitbefangenen Bilder aus. Soweit der Kläger erstmals mit der Klagebegründung vom 6. März 2012 einwendet, mit Ausnahme des Bildes der Brandleiche handele es sich unschwer erkennbar um unrealistische Nachbildungen, teilt die Kammer diese Einschätzung nach Inaugenscheinnahme der D. -Aufzeichnungen sowie der von der Beklagten im Termin überreichten und zur Gerichtsakte genommenen Farbausdrucke dieser - durchaus realistisch anmutenden - Fotos nicht. Im Übrigen ist es nicht entscheidungserheblich, ob diese Bilder tatsächlich menschliche Leichenteile zeigen oder Nachbildungen. Maßgeblich ist der Eindruck des kindlichen oder jugendlichen Betrachters, der hier nach Einschätzung der KJM sowie der Kammer den Eindruck einer unrealistischen Nachbildung nicht haben wird. Vor diesem Hintergrund trägt auch der Hinweis auf die in Schulbüchern zur Vulkankatastrophe in Pompeji gezeigten Bilder nicht. Denn dort fehlt der unmittelbare Realitätsbezug; es handelt sich bei den abgebildeten Körpern offensichtlich um gefertigte Nachbildungen (Abguss) der sich im versteinerten Vulkanstaub abzeichnenden Körper der Verstorbenen.

Die Anwendung des § 5 Abs. 1 JMStV scheidet auch nicht im Hinblick auf die Regelung des § 5 Abs. 6 JMStV aus, wonach § 5 Abs. 1 JMStV nicht für Nachrichtensendungen, Sendungen zum politischen Zeitgeschehen im Rundfunk und vergleichbare Angebote bei Telemedien gilt, soweit ein berechtigtes Interesse gerade an dieser Form der Darstellung oder Berichterstattung besteht. Dabei kann zu Gunsten des Klägers unterstellt werden, dass es sich bei seinem Internetauftritt vor dem Hintergrund seiner satirischen Auseinandersetzung mit dem Afghanistaneinsatz der Bundeswehr um ein "vergleichbares Angebot" in diesem Sinne handelt. Denn ein berechtigtes Interesse gerade an dieser Form der Darstellung kann im Rahmen der hierfür vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Berichterstattungs- und Informationsinteresse einerseits und der Beeinträchtigung der Interessen der Kinder und Jugendlichen andererseits

vgl. hierzu Hartstein/ Ring/ Kreile u.a., Jugendmedienschutzstaatsvertrag Kommentar, Stand: Mai 2008, § 5 IX,

nicht festgestellt werden. Zwar kann ein überwiegendes berechtigtes Interesse vor allem dann anzunehmen sein, wenn Geschehnisse im Hinblick auf deren Hintergründe und menschliche Auswirkungen dem Zuschauer verdeutlicht, ggf. auch drastisch vor Augen geführt werden sollen.

Vgl. Hertel in: Hahn/ Vesting, Beckscher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2. Aufl. 2008, § 5 Rdn. 22 f.; s. auch Hartstein/ Ring/ Kreile u.a., Jugendmedienschutzstaatsvertrag Kommentar, Stand: Mai 2008, § 5 IX.

Dieser Aspekt erlangt hier auch besondere Bedeutung, da das Ziel des Klägers gerade die Warnung vor den Folgen eines Krieges und der damit verbundenen Gewalt mit drastischen Mitteln, nämlich der Darstellung der Folgen der Gewalt, ist. Dafür bedarf es aber nicht der Präsentation dieser unkommentierten Bilder in dieser Anzahl. Keinesfalls kann ein berechtigtes Interesse gerade an dieser Form der Darstellung darüber hinaus angenommen werden im Hinblick auf die vom Kläger angebotene Möglichkeit, die Bilder jeweils mit einem Klick auf eine Größe von ca. 14 x 20 cm zu vergrößern. Insbesondere das Angebot dieser Vergrößerungen geht über das durch den Berichterstattungs- und Informationszweck gebotene Maß hinaus. Während die Bilder in der vergrößerten Ansicht in keinem Kontext zu den kritischen und satirischen Aussagen im Text mehr stehen, steigern sie in der Vergrößerung auf Seiten von Kindern und Jugendlichen das Maß der Entwicklungsbeeinträchtigung. Sind die Bilder schon in der Ausgangsgröße für Kinder und Jugendliche - wie ausgeführt - als verstörend einzuordnen, gilt dieses umso mehr in der isolierten und vergrößerten Präsentation der drastischen Darstellungen.

Die angegriffenen Regelungen waren im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses des Weiteren erforderlich und genügten auch im Übrigen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Der Kläger vermag nicht mit Erfolg einzuwenden, durch diese Regelungen in seinen Grundrechten verletzt zu sein.

Seiner Ansicht, die angegriffenen Maßnahmen gegen sein Angebot seien schon deshalb unzulässig, weil sein Angebot durch die schrankenlose Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) geschützt sei, ist nicht zu folgen. Selbst wenn der Kläger mit seinem Angebot Träger des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG ist, sind die von der Beklagten getroffenen Maßnahmen verfassungskonform. Der Schutz der Jugend hat Verfassungsrang. Dies hat das BVerfG u.a. in seiner Entscheidung vom 27. November 1990

BVerfG , Beschluss vom 27. November 1990 1 BvR 402/87 - Mutzenbacher - Juris, Rdn. 32 ff.

hervorgehoben. Danach ist der Schutz der Jugend nach einer vom Grundgesetz selbst getroffenen Wertung ein Ziel von bedeutsamem Rang und ein wichtiges Gemeinschaftsanliegen. Der Jugendschutz, der in Art. 5 Abs. 2 GG ausdrücklich erwähnt ist, genießt vor allem aufgrund des in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verbrieften elterlichen Erziehungsrechtes Verfassungsrang. Ein solcher kommt dem Kinder- und Jugendschutz daneben aber auch aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG zu. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit im Sinne dieser Grundrechtsnormen. Sie bedürfen des Schutzes und der Hilfe, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln. Der Gesetzgeber ist daher befugt, der vorbehaltlos gewährleisteten Kunstfreiheit Belange des Kinder- und Jugendschutzes gegenüberzustellen, wenn eine Gefährdung von Kindern und Jugendlichen nicht vernünftigerweise auszuschließen ist.

BVerfG , Beschluss vom 27. November 1990 1 BvR 402/87 - Mutzenbacher - Juris, Rdn. 37.

Die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an ein solches Gesetz werden vom JMStV erfüllt, wobei - gegenüber der vom BVerfG entschiedenen Indizierung eines einzelnen Literaturwerkes - das Risiko einer Gefährdung von Kindern und Jugendlichen durch Beiträge in Telemedien, wie oben ausgeführt, schon aufgrund der umfassend für jedermann jederzeit eröffneten Zugangsmöglichkeiten in besonderem Maße gegeben ist. Insbesondere vor diesem Hintergrund rechtfertigt sich, dass der Gesetzgeber des JMStV in § 5 die Entscheidung, welche Angebote geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, nicht selbst trifft, sondern sie einem sachverständigen Gremium - der KJM bzw. anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle (§§ 14,19 JMStV) - überlässt. Der erforderliche Ausgleich mit den Grundrechten aus Art. 5 GG im Wege praktischer Konkordanz ist gesetzlich durch § 5 Abs. 3 JMStV erfolgt, danach ist gewährleistet, dass auch ein entwicklungsbeeinträchtigendes Angebot weiter verbreitet werden kann, sofern sichergestellt wird, dass der geschützte Personenkreis der Kinder und Jugendlichen dieses Angebot nicht ohne weiteres wahrnehmen kann. Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistet keinen Anspruch des Grundrechtsträgers darauf, dass ein zur Beeinträchtigung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen geeignetes Kunstwerk Kindern und Jugendlichen jederzeit frei - also ohne Einwilligung der Erziehungsberechtigten - zugänglich ist, weil gerade im Fall der Kollision zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz dem Verfassungsgebot des Jugendschutzes Rechnung zu tragen ist. Die gesetzliche Folge - bei jugendgefährdenden Angeboten hat der Anbieter dafür zu sorgen, dass Kinder oder Jugendliche (§ 3 Abs. 1 JMStV) sie üblicherweise nicht wahrnehmen, was durch technische Mittel oder zeitliche Einschränkung des Angebots erfolgen kann (§ 5 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4 S. 1 JMStV) - trägt den kollidierenden Grundrechten hinreichend Rechnung und unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

VG Berlin, Beschluss vom 16. Dezember 2010 - 27 L 355/10 -, Juris, Rdn. 22 m.w.N..

Gleiches gilt für den Einwand des Klägers, in seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt zu sein. Denn auch ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil die Vorschriften des JMStV "gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend" gemäß Art. 5 Abs. 2 GG sind und der Beklagte hier auch bei der Anwendung des JMStV im Einzelfall dem Jugendschutz in zulässiger Weise und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips Vorrang vor etwa betroffenen Grundrechten des Klägers eingeräumt hat.

Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg einwenden, dass ihm die Einhaltung zeitlicher Grenzen oder die Vornahme technischer Maßnahmen im Sinne von § 5 Abs. 3 und 4 JMStV, die die Beklagte dem Kläger in Ziffer 2 des Bescheides aufgeführt hat, nicht zumutbar sei, da die beanstandeten Bilder nur einen untergeordneten Teil seines Internetangebots ausmachen und derartige Maßnahmen dann insgesamt den Zugang zu seinem - auch nicht entwicklungsbeeinträchtigenden - Angebot einschränken. Erscheint unter diesem Aspekt die Einführung der genannten Maßnahmen aus Sicht des Klägers nicht sinnvoll, so ist er darauf zu verweisen, die beanstandeten Bilder aus seinem Internetangebot www.N. -C.de zu entfernen und diese ggf. in einer gesonderten - den Anforderungen des § 5 Abs. 3 und 4 JMStV Rechnung tragenden - Domain anzubieten. § 5 Abs. 3 JMStV gewährleistet, wie bereits ausgeführt, den erforderlichen Ausgleich im Wege praktischer Konkordanz zwischen dem verfassungsrechtlich geforderten Schutz der Jugend mit den Grundrechten des Telemedienanbieters aus Art. 12, 14 GG oder Art. 5 Abs. 3 GG.

c. Als Anbieter der Inhalte hat der Kläger in der Zeit, in der er auf seinem Internetauftritt Werbung geschaltet und dafür ein Entgelt erhalten hat - d.h. z.B. zum Zeitpunkt der Seitenaufrufe am 1. März und 1. Oktober 2010 - geschäftsmäßig gehandelt

vgl. zur Geschäftsmäßigkeit im Fall von Werbebannern und Werbeanzeigen Heckmann in JurisPK-Internetrecht, 2. Auflage 2009, Kapitel 1.5 Rdn. 9

und damit zugleich gegen seine Verpflichtung nach § 7 Abs. 1 JMStV verstoßen. Er hatte weder einen Jugendschutzbeauftragten bestellt, noch hatte er sich im Sinne des § 7 Abs. 2 JMStV einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle angeschlossen und diese zur Wahrnehmung der Aufgaben des Jugendschutzbeauftragten bestellt. Eine solche Beanstandung ist auch im Fall eines in der Vergangenheit liegenden Verstoßes möglich,

s. hierzu Urteil der Kammer vom heutigen Tag - 27 K 6228/10 - sowie VG Münster, Urteil vom 12. Februar 2010 - 1 K 1608/09 -, Juris, Rdn. 19,

zumal der Kläger hier die Werbung nicht aus eigenem Willensentschluss entfernt hat, sondern diese nach Bekunden des Klägers seitens Google entfernt worden ist.

II. Soweit sich die Klage gegen die Kostenentscheidung in den Ziffern 4 und 5 des Bescheides der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) richtet, ist sie begründet. Die Festsetzung der Verwaltungsgebühren in Höhe von 1.000,00 Euro ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Gebührenfestsetzung findet eine Rechtsgrundlage weder in § 35 Abs. 11 RStV i. V. m. §§ 1, 2, 3 und 7 der Satzung zur Erhebung von Kosten im Bereich des bundesweiten privaten Rundfunks (Kostensatzung), worauf die Beklagte die Verwaltungsgebühren gestützt wissen will, noch in § 116 Abs. 2 LMG NRW i. V. m. den Gebührentatbeständen der Satzung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) über die Erhebung von Verwaltungsgebühren und Auslagen (Gebührensatzung).

Die angefochtene Beanstandung und Untersagung wird von der Regelung des 35 Abs. 11 RStV i. V. m. §§ 1, 2, 3 und 7 Kostensatzung nicht erfasst. Die Kammer schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Münster im Urteil vom 12. Februar 2010 - 1 K 1608/09 - (Juris) und des Verwaltungsrecht Oldenburg an, welches in seinem (in Rechtskraft erwachsenen) Urteil vom 23. August 2011 - 1 A 2903/10 - (Juris) ausgeführt hat:

"Die Anwendung von § 35 Abs. 11 des Rundfunkstaatsvertrages in der Fassung des 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrages (Nds. GVBl. 2008 S. 198) - RStV-10 - scheidet schon deshalb aus, weil diese Vorschrift nur für den privaten Rundfunk, nicht aber für Telemedien gilt, wie schon durch die Zuordnung zum III. Abschnitt mit der Überschrift "Vorschriften für den privaten Rundfunk" deutlich wird. Internetauftritte gehören zu den Telemedien, für deren Regulierung die Landesmedienanstalten (auch) zuständig sind, sie sind aber kein Rundfunk im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages. Der in § 1 RStV-10 definierte Anwendungsbereich des Staatsvertrages erfasst die Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunk in Deutschland in einem dualen Rundfunksystem. Für Telemedien gelten nur der 4. bis 6. Abschnitt sowie § 20 Abs. 2 des Staatsvertrages. Wegen der eindeutigen Zuordnung der Kostenregelung in § 35 Abs. 11 zum III. Abschnitt "Vorschriften für den privaten Rundfunk" scheidet eine Anwendung dieser Regelung auf Kostenerhebungen für Aufsichtsmaßnahmen im Internetbereich aus (VG Münster, Urteil vom 12.02.2010, 1 K 1608/09, Rdn. 51, juris; a. A. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 16. Dezember 2009, 14 K 4085/07, Rdn. 87; juris; offen gelassen VG Minden, Urteil vom 18.08.2010, 7 K 721/10, Rdn. 46, juris).

Die systematische Einordnung der Kostenregelung in die Vorschriften "für den privaten Rundfunk" mit der Folge der Unanwendbarkeit für Maßnahmen im Telemedienbereich ist eindeutig und kann nicht etwa durch Verweis auf die Überschrift des 4. Unterabschnitts in Frage gestellt werden. Es mag sein, dass der Titel "Organisation der Medienaufsicht, Finanzierung" auch den Bereich von Telemedien abdecken könnte, wenn er ein Abschnitt für sich wäre. Da sich der 4. Unterabschnitt aber im III. Abschnitt " Vorschriften für den privaten Rundfunk" befindet, kann der Anwendungsbereich des Unterabschnitts nicht über den Bereich des Abschnitts hinausgehen.

Auch die Erwähnung der KJM, für deren Tätigkeit hier Kosten erhoben werden, in § 35 Abs. 2 RStV-10 als Organ der Landesmedienanstalt reicht nicht, um § 35 Abs. 11 RStV-10 unabhängig von seiner systematischen Zuordnung als Grundlage für die Kostenpflicht auch bei Entscheidungen im Telemedienbereich heranzuziehen. Die KJM hat auch im Bereich des bundesweiten privaten Rundfunks einen weiten Aufgabenbereich. Auch dort muss die Einhaltung von Bestimmungen des Jugendschutzes überwacht werden. Deshalb besteht Anlass für eine Kostenregelung für die Aufsicht über den privaten Rundfunk. Für Internetangebote greift diese Kostenregelung jedoch nicht ein. In § 36 RStV-10 sind Aufgaben und Befugnisse der in § 35 Abs. 2 RStV-10 aufgeführten Gremien definiert, die eine Kostenpflicht nach § 35 Abs. 11 RStV-10 auslösen können. Diese Aufgaben und Befugnisse können nur dem privaten Rundfunk, nicht aber den Telemedien zugeordnet werden.

Durch die auf § 35 Abs. 11 RStV-10 gestützte Kostensatzung der Beklagten vom 02.09.2009 (Nds. MBl. 847) wird die Beschränkung des Anwendungsbereich des § 35 Abs. 11 auf den privaten Rundfunk betätigt. Schon allein die Überschrift als "Satzung zur Erhebung von Kosten im Bereich des bundesweiten privaten Rundfunks" schließt die Anwendung auch auf Telemedien aus. Dass in dem Kostenverzeichnis der Satzung in Lfd. Nr. IV 8 auch ein Gebührentatbestand für die Feststellung eines Verstoßes gegen Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages enthalten ist, führt nicht zur Anwendung auch auf Telemedien, da auch im Bereich des bundesweiten privaten Rundfunks für derartige Maßnahmen ein großer Aufgabenbereich und Bedarf für Überwachung besteht."

Die sich aus der Systematik des Vertrages ergebende Unanwendbarkeit der Kostenregelung auf Telemedien kann nicht aus rechtsmethodisch übergeordneten Gründen in Frage gestellt werden. Insbesondere sind die Gründe für die Einführung des § 35 Abs. 11 Rundfunkstaatsvertrag im Zuge der 10. Änderung des Rundfunkstaatsvertrages nicht geeignet, die oben dargelegten Gründe für die Beschränkung der Vorschrift auf den privaten Rundfunk zu überwinden. Es mag sein, dass durch die Änderung von Kostenvorschriften des Jugendmedienschutzstaatsvertrags - auf den noch einzugehen sein wird -für alle Maßnahmen der Medienanstalten eine umfassende Kostenregelung in § 35 Abs. 11 Rundfunkstaatsvertrag geschaffen werden sollte. Es heißt dazu in der Begründung für Art. 4 zur Änderung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages, dass die bisherigen Bestimmungen über die Kommission für Jugendmedienschutz - KJM - in § 14 Abs. 8 - 10, die die Finanzierung und Personalausstattung betrafen, nunmehr in § 35 des Rundfunkstaatsvertrages enthalten seien (vgl. dazu S. 38 der Anlage 4 zum Schriftsatz der Beklagten vom 26. Juli 2011). Wenn es Zweck des Staatsvertrages gewesen sein sollte, mit § 35 Abs. 11 Rundfunkstaatsvertrag auch eine Kostenregelung für Tätigkeiten der KJM im Internetbereich zu schaffen, dann ist dieser gesetzgeberische Wille nicht hinreichend umgesetzt worden.

Ob es vertragstechnisch möglich gewesen wäre, den Unterabschnitt 4 des Abschnitts III RStV-10 als eigenen Abschnitt, also gleichrangig mit den übrigen Abschnitten auszugestalten und damit auch auf Telemedien auszudehnen, ist nicht relevant, weil es dazu nicht gekommen ist. Außerdem wäre es mit der Aufwertung zu einem eigenen Abschnitt nicht getan gewesen. Auch § 1 RStV-10 hätte geändert werden müssen, indem dort ausdrücklich hätte aufgeführt werden müssen, dass der zum eigenen Abschnitt erhobene 4. Unterabschnitt sowohl für Rundfunk- als auch für Telemedien gelten soll. Wegen seiner Ausrichtung auf den privaten Rundfunk wäre dies jedoch ohne gravierende inhaltliche Änderungen gar nicht möglich gewesen."

In gleicher Weise scheidet eine analoge Anwendung des 35 Abs. 11 RStV i. V. m. §§ 1, 2, 3 und 7 Kostensatzung aus. Die Kammer schließt sich insoweit wiederum der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Oldenburg im Urteil vom 23. August 2011- 1 A 2903/10 - (Juris) an:

"Die fehlende Ermächtigungsgrundlage für die Kostenerhebung kann nicht durch die analoge Anwendung etwa von § 35 Abs. 11 RStV-10 geschaffen werden. Die Ausdehnung auch auf die Aufgabenerfüllung im Bereich von Telemedien scheidet aus Rechtsgründen aus. Es mag zwar sein, dass hier eine Lücke vorliegt, die eine Voraussetzung für die Zulässigkeit einer analogen Anwendung wäre. Eine Analogie ist jedoch ausgeschlossen, weil damit gegen den Vorbehalt des Gesetzes verstoßen würde. Bei hoheitlichen Eingriffen besteht generell ein Analogieverbot. Es verstößt nicht nur gegen das Rechtsstaatsprinzip, sondern auch gegen das Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG, wenn gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen für einen belastenden Verwaltungsakt im Wege der analogen Anwendung einer Norm gewonnen werden (BVerfG, Beschl. v. 14.08.1996 - 2 BvR 2088/93 - NJW 1996, 3146; VG Minden, Urteil vom 29.07.2002 - 6 K 2617/01 -, juris). Der Inhalt von Gesetzen als Grundlage für belastende Maßnahmen kann durch Auslegung ermittelt werden, wenn er sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut ergibt. Die sich nach den anerkannten Auslegungsregeln ergebenden Grenzen bei der Gesetzesanwendung dürfen bei belastenden Maßnahmen nicht durch eine analoge Anwendung überschritten werden."

Ebenso wenig lässt sich die angefochtene Gebührenfestsetzung auf § 116 Abs. 2 LMG NRW i. V. m. den Gebührentatbeständen der Gebührensatzung stützen. Es mangelt an einem wirksamen Gebührentatbestand.

Nach § 116 Abs. 2 Satz 1 LMG NRW erhebt die LfM für Amtshandlungen nach dem LMG NRW, nach dem RStV und nach dem JMStV Verwaltungsgebühren. Die Gebührentatbestände und die Höhe der Gebühren und des Auslagenersatzes werden durch Satzung festgelegt (§ 116 Abs. 2 Satz 2 LMG NRW). Auf Grundlage des § 116 Abs. 2 Satz 2 LMG hat die Beklagte die Satzung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) über die Erhebung von Verwaltungsgebühren und Auslagen vom 22. Januar 2010 erlassen. Die Beklagte erhebt Verwaltungsgebühren und Auslagen nach Maßgabe dieser Gebührensatzung (§ 1 Satz 1 Gebührensatzung). Die Erhebung von Gebühren und Auslagen durch die Beklagte nach Maßgabe der Satzung zur Erhebung von Kosten im Bereich des bundesweiten privaten Rundfunks bleibt hiervon unberührt (§ 1 Satz 2 Gebührensatzung). Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Gebührensatzung erhebt die Beklagte für die im der Gebührensatzung angefügten Gebührenverzeichnis aufgeführten Amtshandlungen die dort genannten Verwaltungsgebühren. Das Gebührenverzeichnis führt Maßnahmen auf Grund des JMStV gegenüber Anbietern von bundesweiten Angeboten - wie dem Internetangebot des Klägers - jedoch nicht auf. Das Gebührenverzeichnis erfasst in Ziffer 11 in Bezug auf den JMStV ausschließlich Maßnahmen gegenüber Anbietern von lokalen, regionalen oder landesweiten Angeboten.

Zugleich kann die Gebührenfestsetzung nicht auf den Auffangtatbestand des § 2 Abs. 2 Gebührensatzung gestützt werden.

Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Gebührensatzung wird für Amtshandlungen, die nicht im Gebührenverzeichnis enthalten sind, eine Gebühr erhoben, die nach im Gebührenverzeichnis bewerteten vergleichbaren Amtshandlungen zu bemessen ist.

Offen gelassen werden kann, ob die Vorschrift im Lichte des Bestimmtheitsgebots einen wirksamen Auffangtatbestand darstellt. Jedenfalls bedarf sie ausgehend von der Rechtsprechung des OVG NRW zu dem Auffangtatbestand der Tarifstelle 30.5 AGT zur AVerwGebO zumindest einer einschränkenden Auslegung. Das OVG NRW hat im Urteil vom 9. April 2008 - 9 A 111/05 - (Juris) zu der Tarifstelle 30.5 AGT ausgeführt:

"Die Gebührenerhebung konnte auch nicht auf die Tarifstelle 30.5 AGT gestützt werden. Diese regelt die Gebührenpflicht für "Amtshandlungen, für die keine andere Tarifstelle vorgesehen ist und die nicht einem von der handelnden Behörde wahrzunehmenden besonderen öffentlichen Interesse dienen."

Diese Tarifstelle stellt nach der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts trotz ihrer sehr weitgehenden Formulierung einen wirksamen Auffangtatbestand dar und widerspricht insbesondere nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen über die Bestimmtheit gesetzlicher Grundlagen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Oktober 1997 - 9 A 2976/97 - und Urteil vom 30. November 1983 - 3 A 2247/82 -; ihre Zulässigkeit ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten, vgl. Susenberger/Weißauer, GebG NRW, Stand: Dezember 2006, § 1 GebG NRW Anm. 17; VG Minden, Urteil vom 15. Juli 1999 - 9 K 1895/98 -.

Unabhängig davon, ob weiterhin von der Wirksamkeit der Tarifstelle 30.5 AGT auszugehen ist, bedarf sie im Hinblick auf die Ermächtigungsgrundlage in § 2 Abs. 1 GebG NRW und das darin zum Ausdruck kommende rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot zumindest einer einschränkenden Auslegung. Nach § 2 Abs. 1 GebG NRW sind die einzelnen Amtshandlungen, für die Gebühren erhoben werden, und die Gebührensätze unter Beachtung der §§ 3 bis 6 in Gebührenordnungen zu bestimmen. Damit verlangt das Gesetz dem Verordnungsgeber die Festlegung einzelner gebührenpflichtiger Amtshandlungen ab und gibt zumindest für den Regelfall ein gewisses Maß an inhaltlicher Bestimmtheit vor. Zwar gelingt es angesichts der Vielgestaltigkeit und Kompliziertheit aller zu erfassender Vorgänge nicht immer, einen Abgabetatbestand mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Wo dies nicht möglich ist, mögen auch allgemeiner gefasste Gebührentatbestände noch den Anforderungen an die gebotene Bestimmtheit genügen können, wenn die verbleibenden Zweifelsfragen mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln beantwortet werden können. Das Bestimmtheitsgebot verlangt aber vom Normgeber, die einzelnen Gebührentatbestände so genau zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2006 - 10 C 9.05 -, BVerwGE 126, 222, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BVerfG.

Diesen Vorgaben entsprechend hat sich der Verordnungsgeber bemüht, den Katalog der gebührenpflichtigen Amtshandlungen so erschöpfend wie möglich zu fassen. Demgegenüber soll und darf die Tarifstelle 30.5 AGT allenfalls solche Fallgestaltungen erfassen, die nicht konkret vorhersehbar waren und nur deshalb nicht rechtzeitig genauer geregelt werden konnten.

Vgl. Susenberger/Weißauer, a.a.O., § 2 Anm. 6 f. sowie Erläuterungen zur AVwGebO NRW, Allgemeines, Anm. 4; OVG NRW, Urteil vom 30. November 1983 - 3 A 2247/82 -."

Gleiches gilt in Bezug auf den Auffangtatbestand des § 2 Abs. 2 Satz 1 Gebührensatzung. Für den Satzungsgeber war es konkret vorhersehbar, dass sich die Frage der Gebührenpflichtigkeit von Maßnahmen im Rahmen der Aufsicht nach dem JMStV in Bezug auf Telemedien, welche in der Regel bundesweite Angebote sind, stellen würde. Diese Amtshandlungen ließen sich auch - wie der Gebührentatbestand der Nr. 11 im Gebührenverzeichnis der Beklagten zeigt - erkennbar präzise regeln, so dass keine Notwendigkeit bestand, insoweit auf den Auffangtatbestand des § 2 Abs. 2 Satz 1 Gebührensatzung zurückzugreifen.

III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1 und 161 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 Abs. 2 und 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

IV. Die Berufung war nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat in Hinsicht auf die höchstrichterlich und durch die Rechtsprechung des OVG NRW noch nicht geklärte Frage, ob der KJM ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zukommt, und in Hinsicht auf die Erhebung von Gebühren für Aufsichtsmaßnahmen nach dem JMStV grundsätzliche Bedeutung.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 6.000,00 Euro festgesetzt.






VG Düsseldorf:
Urteil v. 20.03.2012
Az: 27 K 603/11


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/d5ab728c249f/VG-Duesseldorf_Urteil_vom_20-Maerz-2012_Az_27-K-603-11




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