Anwaltsgerichtshof München:
Urteil vom 11. Mai 2011
Aktenzeichen: BayAGH I - 1/11

(AGH München: Urteil v. 11.05.2011, Az.: BayAGH I - 1/11)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1. Der in Insolvenz befindliche Kläger will wieder zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden.

Am 07.09.20000 wurde der am € geborene Kläger zur Rechtsanwaltschaft bei der Rechtsanwaltskammer Karlsruhe zugelassen. Nach Wechsel in den Bezirk des OLG München zum 02.03.2001 und weiterem Wechsel in den Bezirk des OLG Stuttgart verzichtete er schließlich mit Schreiben an die Rechtsanwaltskammer Stuttgart vom 15.06.2010 auf die Zulassung. Nach seinen Ausführungen müsse er seine Zulassung als Rechtsanwalt krankheitsbedingt bis auf weiteres zurückgeben. Die Krankheit würde sich voraussichtlich einige Monate hinziehen; auch sei ein längerfristiger Klinikaufenthalt erforderlich. Das vom Kläger vorgelegte ärztliche Attest bescheinigte dem Kläger, an einer akuten depressiven Störung erkrankt zu sein, die zu einer Arbeitsunfähigkeit führe und es bis auf weiteres nicht ermögliche, die beruflichen Verpflichtungen als Rechtsanwalt wahrzunehmen. Auf den Hinweis der Rechtsanwaltskammer Stuttgart, dass die Möglichkeit bestehe, für die Dauer der Erkrankung einen Vertreter zu bestellen, ging der Kläger nicht ein. Am 09.07.2010 widerrief die Rechtsanwaltskammer Stuttgart daraufhin die Zulassung des Klägers; dieser wurde am 15.07.2010 aus den Listen gelöscht.

Mit Beschluss des Amtsgerichts € Insolvenzgericht € Ulm vom 15.10.2010 (1 IN 423/10) wurde wegen Zahlungsunfähigkeit des Klägers das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen eröffnet

Mit Schreiben vom 09.11.2010 an den Präsidenten der Rechtsanwaltskammer Stuttgart teilte die Staatsanwaltschaft Ulm gem. Nr. 23 Abs. 2 Mistra mit, dass gegen den Kläger unter dem Geschäftszeichen €/10 ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue eingeleitet worden sei. Zugrunde liege eine Strafanzeige, in der dem Kläger vorgeworfen werde, Mandantengelder in Höhe von 1.020,-- € und 2.000,-- € veruntreut zu haben.

Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hat das insoweit geführte anwaltsgerichtliche Ermittlungsverfahren (€/10) mit Verfügung vom 26.11.2010 aufgrund Verfahrenshindernisses eingestellt, nachdem der Kläger seine Zulassung als Rechtsanwalt zurückgegeben hatte und damit nicht mehr der Berufsgerichtsbarkeit unterlag.

2. Am 14.09.2010 stellte der Kläger bei der Beklagten erneut einen Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft.

Auf das laufende Insolvenzverfahren wies der Kläger hin. Dieses sollte seiner Auffassung nach jedoch die Zulassung nicht hindern, da die Interessen der Rechtsuchenden aufgrund der Ausgestaltung des (vom Kläger als Nachweis vorgelegten) Anstellungsvertrags zwischen ihm und der Kanzlei S. vom 16.09.2010 mit Zusatzvereinbarungen vom 17.11.2010 nicht gefährdet seien. Der Kläger befände sich in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, die Überwachung durch die Partner bzw. einen weiteren Rechtsanwalt sei sichergestellt, er habe keinerlei Berührung zu Konten und insbesondere Fremdgeld, sein Name werde auf dem Briefpapier nicht geführt; überdies habe er einen Eigeninsolvenzantrag gestellt und habe sein bisheriges Verhalten keinerlei Anlass zu Beanstandungen gegeben.

3. Den Antrag des Klägers lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.01.2011, der dem Kläger am 07.01.2011 zugestellt wurde, ab.

Dies begründete sie damit, dass die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 7 Nr. 9 BRAO zu versagen sei, ohne dass die Kammer hierbei Ermessenserwägungen anstellen dürfe.

a) Der Kläger sei in Vermögensverfall geraten. Ein solcher könne vorliegend aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vermutet werden.

Gestützt auf den Beschluss des BGH vom 07.03.2005 (AnwZ (B) 7/04, NJW 2005, 1944) und dessen Begründung zitierend führte die Beklagte weiter aus, es sei - anders als in den Fällen des Widerrufs einer bestehenden Zulassung gem. § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO - unerheblich, ob im Fall des Klägers eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausgeschlossen sei. Der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO geregelte Ausnahmetatbestand gelte nicht für die Versagung der Zulassung. Dies sei auch verfassungsgemäß.

b) Im übrigen lägen auch keine besonderen Umstände vor, die trotz fortbestehenden Vermögensverfalls eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausschließen würden. Die Beschränkungen, denen der Kläger durch die Ausgestaltung des Arbeitsvertrags unterworfen sei, würden hierzu nicht ausreichen.

aa) Zum einen seien die Partner der Kanzlei keine Rechtsanwälte. Dem BGH komme es aber aus nachvollziehbaren Gründen darauf an, dass es sich bei den beaufsichtigenden Personen um Rechtsanwälte handle, denen bei einer Verletzung der von ihnen eingegangenen Verpflichtungen berufsrechtliche Konsequenzen nach § 43 BRAO drohen würden.

bb) Nur eine Sozietät mit mehreren Rechtsanwälten biete Gewähr, dass auch während der Urlaubszeit oder bei einer etwaigen Erkrankung eines Sozius die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen des Klägers überwacht werden können.

cc) Die Anstellung in einer Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzlei würde den Kläger auch in seiner Rechtsdienstleistungsbefugnis beschränken.

c) Eine Prüfung der Frage, ob dem Kläger die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ggf. auch aufgrund einer schweren Erkrankung zu versagen sei, hat die Beklagte ausdrücklich nicht vorgenommen.

4. Dem Ansinnen der Beklagten, seinen Antrag zurückzunehmen, kam der Kläger nicht nach.

Mit Klageschrift vom 13.01.2011, beim Bayerischen Anwaltsgerichtshof eingegangen am 17.01.2011, beantragt der Kläger,

den Bescheid der Beklagten vom 05.01.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Rechtsanwalt zuzulassen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

In der Klagebegründung gibt der Kläger zunächst an, sein Insolvenzverfahren solle Mitte des Jahres 2011 abgeschlossen sein. Den Gläubigern solle eine Quote von 15-20 % angeboten werden. Ein Insolvenzplan solle bis zum 15.04.2011 vorliegen.

Die rechtswidrige Entscheidung der Beklagten verletze den Kläger in seinen Rechten.

Der unstreitige Vermögensverfall des Klägers würde nicht ausreichen, um die Zulassung zu versagen.

Bei verfassungskonformer Auslegung des § 7 Nr. 9 BRAO am Maßstab des Art 12 GG und der darin unter anderem. gewährleisteten Berufswahlfreiheit sei der Kläger wieder zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen. Eine Versagung sei nur gerechtfertigt, wenn materiell der Eingriff im Interesse des Gemeinwohls erfolgt, er geeignet und vor allem erforderlich und schließlich verhältnismäßig und damit zumutbar ist. Dies sei beim Kläger nicht der Fall.

Auch bei § 7 Nr. 9 BRAO müsse € wie es im Rahmen des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO in den gesetzlichen Tatbestand ausdrücklich aufgenommen sei - geprüft werden, ob durch die Zulassung eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden zu besorgen sei. Würde, wie im Fall des Klägers, eine Gefährdung ausscheiden, bestehe ein Anspruch auf Zulassung.

Dass im Fall des Klägers Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet seien, ergebe sich aus der Ausgestaltung des Anstellungsvertrags des Klägers mit der Kanzlei S. würde damit die Voraussetzungen erfüllen, wie sie der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 18.10.2004 (AnwZ (B) 43/03 = NJW 2005, 511) thematisiere.

a) Der Kläger sei bei einer angesehenen Wirtschaftsprüfungs- und Steuerkanzlei lediglich angestellt; sein Name erscheine nicht auf dem Briefkopf; er habe auch keinen Zugang zu Konten etc..

b) Auf den nichtanwaltlichen Status einzelner Partner der Kanzlei komme es nicht an.

Auch Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern würden bei einer Verletzung der gegenüber der Rechtsanwaltskammer eingegangenen Verpflichtungen nach dem vergleichbaren Berufsrecht entsprechende Sanktionen drohen.

c) Es sei ausreichend, dass der weitere zur Beaufsichtigung befugte Kollege nur angestellter Rechtsanwalt sei. Dieser Kollege sei im Hinblick auf die Berufsausübung des Klägers auch weisungsbefugt.

d) Auch im Hinblick auf die Größe der Kanzlei könne keine Gefährdung angenommen werden. Es sei sichergestellt, dass auch während der Urlaubszeit oder bei einer etwaigen Erkrankung eines Sozius oder angestellten Rechtsanwalts die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen des Klägers überwacht werden kann.

e) Der Kläger sei in der Kanzlei auch nicht in seiner Rechtsdienstleistungsbefugnis beschränkt.

f) Das Verhalten des Klägers sei zudem stets beanstandungsfrei gewesen.

In die Bewertung müsse auch miteinbezogen werden, dass der Kläger seine bis Juli 2010 bestehende Zulassung aufgrund einer schweren Erkrankung unverschuldet und freiwillig zurückgegeben habe.

5. Die Beklagte beantragt mit Klageerwiderung vom 15.02.2011,

die Klage abzuweisen und dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Sie vertieft hierzu ihren Vortrag, wie er bereits im Ablehnungsbescheid enthalten ist.

6. Der Senat hat am 11.05.2011 mündlich verhandelt.

Zu seiner wirtschaftlichen Situation hat der Kläger hierbei ausgeführt, dass seine finanziellen Schwierigkeiten durch seine letztlich missglückte Beteiligung an einem in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts geführten Hotelprojekt in Ulm entstanden seien. Er sehe sich mehreren Gläubigern gegenüber, bei denen es sich vornehmlich um Banken handle.

Sein Schuldenstand belaufe sich auf circa 800.000,-- €. Zur Beendigung des Insolvenzverfahrens und zu einer Einigung mit den Gläubigern benötige er 180.000,-- €, von denen er bereits über 120.000,-- € verfüge, so dass lediglich noch 60.000,-- € fehlen würden.

Die Gläubiger seien ausweislich eines Protokolls über eine Gläubigerversammlung vom Dezember 2010 damit einverstanden, dass mit der Bezahlung eines Bruchteils der Schulden der Rest erlassen werde. Bei der Versammlung seien allerdings nur die Hauptgläubiger, 3 Banken € zugegen gewesen, deren Forderungen sich jedoch auf 650.000,-- bis 700.000,-- € belaufen dürften. Es sei jedoch damit zu rechnen, dass sich auch die anderen Gläubiger anschließen würden.

Der Kläger hat darauf hingewiesen, dass das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren €/10 der Staatsanwaltschaft Ulm nach Zahlung an seinen früheren Mandanten gemäß § 153 StPO eingestellt werde.

Zu seiner Erkrankung führte der Kläger aus, dass er in schwieriger Lebenssituation in eine Krise geraten, daraufhin 2 Monate in der Klinik gewesen und Mitte/Ende August 2010 als geheilt entlassen worden sei. Er sei allerdings weiterhin in therapeutischer Behandlung, wobei einmal pro Woche eine Gesprächstherapie durchgeführt werde.

Gründe

I. Die Verpflichtungsklage ist gemäß § 112 c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 42 Abs. 1, 2. Alternative VwGO statthaft sowie form- und fristgerecht (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO) erhoben. Dies gilt gleichermaßen für den hilfsweise gestellten, im Hauptantrag auf Verpflichtung als Minus enthaltenen Neubescheidungsantrag gem. § 113 Abs. 5, Satz 2 VwGO.

Gemäß Art 15 Abs. 2 BayAGVwGO war ein Vorverfahren nach § 68 Abs. 1, Abs. 2 VwGO nicht durchzuführen.

II. Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Der Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Satz 1 VwGO). Die für die Versagung der Zulassung gemäß § 33 Abs. 1 und Abs. 2 BRAO zuständige Beklagte hat dem zuvor nach § 32 BRAO i.V.m. § 28 VwVfG angehörten Kläger die (erneute) Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu Recht verwehrt.

Nach § 7 Nr. 9 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn der Bewerber sich im Vermögensverfall befindet; ein Vermögensverfall wird unter anderem vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Bewerbers eröffnet ist.

Diese Voraussetzung liegt beim Kläger unstreitig vor. Da das Insolvenzverfahren bislang nicht aufgehoben worden ist, besteht die Grundlage der Vermutung weiterhin fort.

Die Vermutung des Vermögensverfalls hat der Kläger nicht entkräftet. Auch seine Angaben in der mündlichen Verhandlung belegen, dass es letztlich noch völlig offen ist, ob und wann er sich mit seinen Gläubigern einigen kann. Bislang ist eine solche Einigung nicht zustande gekommen und nur unverbindlich in Aussicht gestellt, zumal der Kläger auch nach eigenem Vortrag die von ihm behauptete Voraussetzung hierfür, wenigstens 180.000,-- € von seinen circa 800.000,-- € betragenden Schulden begleichen zu können, nicht erfüllen kann. Die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen hat der Kläger nicht zurückerlangt. Geordnete Vermögensverhältnisse liegen bei ihm nicht im Ansatz vor.

1. Im Rahmen einer Entscheidung nach § 7 Nr. 9 BRAO ist es unerheblich, ob eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausgeschlossen ist, so dass der dahingehende Vortrag des Klägers an sich nicht weiter überprüft zu werden braucht.

51Anders als der Widerrufsgrund des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO knüpft § 7 Nr. 9 BRAO an eine abstrakte Gefährdung der Rechtspflege an und stellt nicht darauf ab, ob eine Gefährdung der Interessen von Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls ausgeschlossen ist (BGH vom 07.03.2005, AnwZ (B) 7/04 = NJW 2005, 1944). Dementsprechend ist auch die Wiederzulassung eines Rechtsanwalts nur davon abhängig, ob Tatsachen belegen, dass sich der Bewerber nicht mehr in Vermögensverfall befindet.

a) Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, kann bei der unterschiedlichen Ausgestaltung der Voraussetzungen für die Versagung der Zulassung und deren Widerruf nicht von einem gesetzgeberischen Versehen ausgegangen werden. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde trotz der Einführung des Versagungsgrundes des § 7 Nr. 9 BRAO und der gleichzeitigen Änderung des § 14 BRAO hinsichtlich des Vermögensverfalls nur in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ein Ausnahmetatbestand eingefügt. Es ergibt sich kein Hinweis darauf, dass der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO geregelte Ausnahmetatbestand auch für die Versagung der Zulassung gelten solle.

b) Auch bestehen entgegen der Auffassung des Klägers keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung unterschiedlicher Voraussetzungen für die Versagung und den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft.

aa) Es liegt keine unverhältnismäßige, mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbare Beschränkung der Berufsfreiheit des Klägers vor.

55Der Zwang zur Aufgabe eines frei und zulässig gewählten Berufs wirkt ungleich stärker als das Hindernis, in einen Beruf einzutreten (BGH vom 07.03.2005; BVerfGE 21, 173(182f) = NJW 1967, 1317)). Dies rechtfertigt im Interesse des Vertrauens- und Bestandsschutzes für den bereits zugelassenen Rechtsanwalt die im Vergleich zu § 7 Nr. 9 BRAO einschränkende Gestaltung des Widerrufsgrundes des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO.

§ 7 Nr. 9 BRAO steht insofern als abstrakter Gefährdungstatbestand dem konkreten Gefährdungstatbestand des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO gegenüber.

57Dabei kann es auch keinen Unterschied machen, ob ein Bewerber erstmals oder € wie der Kläger € erneut die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft begehrt. Derjenige, dem, gleich aus welchen Gründen, die Zulassung entzogen wurde oder der sie freiwillig zurückgegeben hat, befindet sich nicht mehr in einer Position, in der er einen Vertrauens- oder Bestandsschutz geltend machen könnte. Auf den Grund des Verzichts des Klägers auf seine Zulassung kommt es damit auch nicht an.

bb) Die von der Beklagten getroffene Entscheidung begegnet auch nicht im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG Bedenken.

Art 3 Abs. 1 GG kann dann verletzt sein, wenn die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche Regelung fehlt. Ein solcher Fall läge vor, wenn zwischen den Gruppen, die ungleich behandelt werden, keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Schlechterstellung rechtfertigen können.

Unterschiede in diesem Sinn zwischen einer Person, die bereits als Rechtsanwalt zugelassen ist und einer Person, die eine solche Zulassung erst erstrebt, bestehen jedoch. Vergleichbar gleiche Sachverhalte liegen damit nicht vor.

2. Selbst wenn man der Auffassung des Klägers folgen würde, dass auch bei einem Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ebenso wie bei einem Widerruf der Zulassung zu prüfen wäre, ob eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausgeschlossen ist und für diesen Fall die Zulassung zu erteilen wäre, hätte die Klage keinen Erfolg.

Der Widerruf der Zulassung scheidet nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH vom 18.10.2004, AnwZ (B) 43/03 = NJW 2005, 511) trotz Vermögensverfalls dann aus, wenn der Rechtsanwalt bisher seinen Beruf ohne jede Beanstandung ausgeübt hat, wenn er den Insolvenzantrag selbst gestellt hat und wenn nach Auskunft des Insolvenzverwalters keine Anmeldungen von Insolvenzgläubigern vorliegen, die aus Mandaten des Rechtsanwalts herrühren, und der Rechtsanwalt zudem in seinem Arbeitsvertrag als angestellter Rechtsanwalt in einer größeren Rechtsanwaltssozietät erheblichen Beschränkungen unterworfen ist. Dies lasse, so der BGH, ausnahmsweise den Schluss zu, dass trotz des Vermögensverfalls eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden nicht gegeben sei.

Diese besonderen Umstände liegen beim Kläger jedoch nicht in ausreichender Weise vor, wie die Beklagte in ihrem Ablehnungsbescheid schon zutreffend dargestellt hat.

a) Zwar hat sich der Kläger durch die Ausgestaltung des Arbeitsvertrags mit der wohl angesehenen Wirtschaftsprüfungs- und Steuerkanzlei S. einigen Beschränkungen hinsichtlich geschützter Belange von Rechtsuchenden unterworfen, indem danach sein Name nicht auf dem Briefkopf erscheint, er keinen Zugang zu Konten hat und er darüber hinaus auch einer gewissen Überwachung unterliegt.

Jedoch sind die Voraussetzungen dafür, eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausschließen zu können, damit noch nicht erfüllt.

Zu prüfen ist in objektiver Hinsicht, auf welche Weise die Annahme eigener Mandate € auch unter Rechtsscheingesichtspunkten € und der Kontakt mit Fremdgeldern unterbunden bzw. kontrolliert wird. Eine hinreichende Kontrolle und Kontrolldichte ist im Fall des Klägers durch den Arbeitsvertrag und den Arbeitgeber dabei nicht gewährleistet.

aa) Dies ergibt sich bereits daraus, dass die beiden Partner der Kanzlei keine Rechtsanwälte sind.

68Nur Rechtsanwälte, nicht auch Wirtschaftsprüfer und Steuerberater mit ihren jeweiligen anders gearteten Berufspflichten können die Annahme rechtlicher Mandate ausreichend kontrollieren, und zwar schon deshalb, weil nur Rechtsanwälte umfassend zur Rechtsberatung befugt sind. Zwar dürfen Wirtschaftsprüfer und Steuerberater mit Rechtsanwälten interprofessionelle Partnerschaften eingehen. Sie dürfen aber keine rechtsanwaltlichen Mandate annehmen, die Mandate von Rechtsanwälten bearbeiten oder auch kontrollieren. Entscheidend ist überdies darauf abzustellen, ob es sich bei den beaufsichtigenden Personen um Personen handelt, denen bei einer Verletzung der von ihnen der Rechtsanwaltskammer gegenüber eingegangenen Verpflichtungen berufsrechtliche Konsequenzen nach § 43 BRAO drohen. Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer sind immer nur gegenüber ihrer eigenen Kammer verpflichtet und könnten nicht von der Rechtsanwaltskammer berufsrechtlich belangt werden.

bb) Eine Beaufsichtigung nicht durch die Partner, sondern durch einen weiteren angestellten Rechtsanwalt entspricht ebenfalls nicht dem Sinn und Zweck einer Regelung, mit der eine Gefährdung der Interessen von Rechtsuchenden ausgeschlossen werden soll. Nur die Partner sind aus dem Arbeitsvertrag verpflichtet, nicht jedoch der angestellte Rechtsanwalt. Zudem sind nur die Partner weisungsbefugt. Dass auch der angestellte Rechtsanwalt im Hinblick auf die Berufsausübung des Klägers diesem gegenüber weisungsbefugt wäre, ergibt sich aus der schriftlichen Vereinbarung nicht. Weitere mündliche Vereinbarungen bestehen danach nicht.

cc) Schließlich böte nur eine Sozietät mit mehreren Rechtsanwälten, die im Fall des Klägers nicht gegeben ist, die vom Bundesgerichtshof geforderte Gewähr, dass auch während der Urlaubszeit oder bei einer etwaigen Erkrankung eines Sozius die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen des Klägers überwacht werden kann. Die Sachlage ist beim Kläger nicht anders zu beurteilen, als wenn er bei einem Einzelanwalt angestellt wäre. Der bei einem einzigen Rechtsanwalt angestellte Anwalt ist jedoch bei zeitweiliger Verhinderung dieses einzigen Rechtsanwalts wesentlich eher in der Lage, entgegen seiner vertraglichen Verpflichtung Handlungen vorzunehmen, die die Interessen der Rechtsuchenden gefährden könnten. Eine entsprechende Gefährdung ließe sich damit in der Regel nicht ausschließen (BGH vom 18.10.2010, AnwZ (B) 21/10 = BeckRS 2010, 29061).

dd) Letztlich kann, ohne dass es aber darauf noch entscheidend ankäme, die Anstellung in einer Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzlei, wie sie beim Kläger ausgestaltet ist, diesen auch in seiner Rechtsdienstleistungsbefugnis beschränken.

b) In subjektiver Hinsicht dürfte der Kläger, um den von ihm reklamierten Ausnahmetatbestand zu erfüllen, in der Vergangenheit auch keinerlei Anlass zu berufsrechtlichen oder gar berufsbezogenen strafrechtlichen Beanstandungen gegeben haben (Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., Rn. 35 zu § 14 BRAO). Ein Fehlverhalten verbietet bereits, von einem Ausnahmefall auszugehen (BGH vom 31.03.2008, AnwZ (B) 8/07 = NJW-Spezial 2008, 702).

Vorliegend bestehen zumindest Zweifel, ob der Kläger keinerlei Anlass zu Beanstandungen gegeben und seine Tätigkeit berufsrechtlich untadelig ausgeübt hat, als er noch dem anwaltlichen Beruf nachging. Insoweit ist auf das nach dem Vortrag des Klägers nicht nach § 170 Abs. 2 StPO sondern nur nach § 153 StPO einzustellende Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung von Mandantengeldern und das sich daraus ableitende und nur wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellte anwaltsgerichtliche Verfahren bei der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hinzuweisen.

Die Möglichkeit einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden besteht beim Kläger letztlich nicht nur allenfalls theoretisch sondern geht darüber hinaus.

Die Klage war abzuweisen.

III. Nebenentscheidungen:

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112 c BRAO i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil liegen nicht vor. (§ 112 e BRAO i.V.m. § 124 Abs. 2, 124 a Abs. 1 VwGO).






AGH München:
Urteil v. 11.05.2011
Az: BayAGH I - 1/11


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