Oberlandesgericht Bremen:
Beschluss vom 5. Januar 2011
Aktenzeichen: 2 W 125/10

(OLG Bremen: Beschluss v. 05.01.2011, Az.: 2 W 125/10)

Der Gerichtskostenstreitwert für eine Klage, mit der ein Kommanditist einer Publikums-KG (hier eines geschlossenen Schiffsfonds) geltend macht, dass der Beschluss der Gesellschafterversammlung über eine Betriebsfortführung sowie über die Aufnahme zusätzlichen Kapitals von 15 % des ursprünglichen Kommanditkapitals unter entsprechender Änderung des Gesellschaftsvertrages nichtig sei, ist in entsprechender Anwendung des § 247 Abs. 1 AktG festzusetzen.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird die Streitwertfestsetzung des Landgerichts Bremen vom 02.11.2010 unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde abgeändert und der Streitwert auf € 100.000,00 festgesetzt.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).

Gründe

I.

Die Beklagte ist eine Kommanditgesellschaft, die als geschlossener Schiffsfonds das Schiff €P.€ betreibt. Der Kläger ist mit einer Einlage von DM 30.000,00 (= € 15.338,76) Kommanditist der Beklagten, die ein Kommanditkapital von insgesamt € 15.901.178,00 aufweist. Die 1995 auf unbestimmte Zeit gegründete Beklagte konnte nach § 14 des Gesellschaftsvertrages mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende des Kalenderjahres gekündigt werden, erstmals jedoch zum 31.12.2012.

Auf einer ordentlichen Gesellschafterversammlung vom 22.07.2010 wurde zu Top 9 mit qualifizierter Mehrheit ein Betriebsfortführungskonzept für den Weiterbetrieb des Schiffes bis 2020 einschließlich Aufnahme zusätzlichen Kapitals in Höhe von 15 % des ursprünglichen Kommanditkapitals mit entsprechenden Änderungen des Gesellschaftsvertrages beschlossen. Der Kläger hatte beantragt, die Beschlussfassung über das Sanierungskonzept für drei Monate zu verschieben. Über diesen als Top 12 angekündigten Antrag soll in der Gesellschafterversammlung zu Top 4 (€Aussprache€) nur diskutiert, aber nach Beschlussfassung zu Top 9 nicht mehr abgestimmt worden sein.

Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger beantragt, den Beschluss zu Top 9 für nichtig zu erklären, weil über seinen Antrag auf Verschiebung der Beschlussfassung nicht abgestimmt worden sei. Er hat sodann die Klage zurückgenommen.

Das Landgericht Bremen hat mit Beschluss vom 02.11.2010 analog § 247 Abs. 1 AktG den Streitwert auf € 500.000,00 festgesetzt.

Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde gegen diese Streitwertfestsetzung. Sein wirtschaftliches Interesse sei mit 15 % seines Kapitalanteils, also mit € 2.300,81, allenfalls aber mit € 15.338,76 zu bemessen. § 247 Abs. 1 AktG sei bei einer Personengesellschaft wie der Beklagten nicht anwendbar.

Die Beklagte hält eine analoge Anwendung des § 247 Abs. 1 AktG bei der Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen einer Publikums GmbH & Co. KG für geboten. Das beschlossene Betriebsfortführungskonzept habe Einzahlungen der Gesellschafter von € 2.385.000,00 vorgesehen, wobei diese Kapitalerhöhung Voraussetzung für die Bereitschaft der finanzierenden Bank gewesen sei, die Tilgung hinsichtlich Verbindlichkeiten der KG von € 1.850.000,00 auszusetzen und einen zusätzlichen Betriebsmittelkredit von € 500.000,00 auszureichen.

II.

Die gemäß § 68 Abs. 1 GKG zulässige Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung des Landgerichts ist nur teilweise begründet. Der Senat teilt die Ansicht des Landgerichts, dass im vorliegenden Rechtsstreit bei der gemäß §§ 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO vorzunehmenden Streitwertfestsetzung § 247 Abs. 1 AktG analog zur Anwendung kommt, hält aber den vom Landgericht angesetzten Betrag für deutlich übersetzt.

Nach der herrschenden Meinung wird § 247 Abs. 1 AktG auch auf die Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen einer GmbH analog angewendet (siehe BGH NJW-RR 1999, 1485; OLG München, Beschluss v. 18.12.07, 7 W 1875/07 BeckRS 2008, 25354), während der Bundesgerichtshof eine analoge Anwendung dieser Norm auf das Vereinsrecht ebenso abgelehnt hat wie bei Rechtsstreitigkeiten um die Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen einer zweigliedrigen Kommanditgesellschaft (siehe BGH NJW-RR 1992, 1209f. zum Vereinsrecht und NJW-RR 2002, 823 zur KG). Dagegen wird wiederum die analoge Anwendung des § 247 Abs. 1 AktG im Genossenschaftsrecht bejaht (siehe OLG Schleswig NZG 2009, 434, 435 m.w.Nw.).

Die Regelung des § 247 Abs. 1 AktG beruht wesentlich darauf, dass die gerichtliche Erklärung oder Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft infolge der ihr nach §§ 248, 249 AktG zukommenden erweiterten Rechtskraftwirkung nicht nur das Interesse des klagenden Aktionärs, sondern auch die möglicherweise sehr viel bedeutenderen Interessen der Gesellschaft und anderer Aktionäre berührt. Dabei hatte der Gesetzgeber vor allem die Absicht, Kleinaktionäre mit möglicherweise nicht mehr als einer einzigen Aktie davon abzuhalten, mutwillig ohne echtes eigenes wirtschaftliches Interesse mit geringstmöglichem Kostenrisiko Klagen zu erheben, welche die wirtschaftlichen Belange der Gesellschaft erheblich in Mitleidenschaft ziehen können (siehe BGH NJW-RR 1992, 1209). Das rechtfertigt es, bei der Streitwertbemessung nicht € wie sonst nach § 3 ZPO € allein auf das wirtschaftliche Interesse des Klägers abzustellen, sondern die Interessen der von der Entscheidung gleichfalls wirtschaftlich Betroffenen zusätzlich zu berücksichtigen. Die Erwägung, dass insbesondere bei Klägern mit einer Kleinstbeteiligung eine eklatante Diskrepanz zwischen den wirtschaftlichen Interessen des Klägers und den durch die Klage bedrohten wirtschaftlichen Belangen der Gesellschaft besteht, hat zu einer analogen Anwendung des § 247 Abs. 1 AktG auch im Bereich des Genossenschaftsrechts geführt (siehe OLG Schleswig a.a.O.).

Bei Klagen gegen die Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen einer Publikums-KG besteht nach Auffassung des Senats im Grundsatz dieselbe Situation, auf die der Gesetzgeber im Aktienrecht mit § 247 Abs. 1 AktG reagiert hat, dass nämlich die Beteiligung des einzelnen Kommanditisten an der KG und damit sein regelmäßig hierdurch nach oben begrenztes wirtschaftliches Interesse an der Beschlussanfechtung in einem krassen Missverhältnis zu dem Gesamtkapital und zu den durch eine erfolgreiche Anfechtung der Gesellschafterbeschlüsse verursachten wirtschaftlichen Auswirkungen für die Gesellschaft und die anderen Gesellschafter steht. Auch im vorliegenden Fall hält der Kläger mit seiner Einlage von € 15.338,76 nur 0,097 % des Gesamtkapitals.

Soweit der Bundesgerichtshof eine analoge Anwendung des § 247 Abs. 1 AktG auf das Vereinsrecht abgelehnt hat, beruht dies auf der Besonderheit des Vereinsrechts, dass dort die Mitgliedschaft grundsätzlich nicht durch den Erwerb von Anteilen in unterschiedlicher Höhe bestimmt wird, die über den Umfang der Beteiligung am Verbandsvermögen wie überhaupt über deren wirtschaftlichen Wert entscheidet. Vielmehr verkörpert die Vereinsmitgliedschaft im Allgemeinen keinen Anteil am Verbandsvermögen, sondern sichert im Grundsatz allen Mitgliedern die gleichen Rechte gegenüber dem Verein, so dass es im Vereinsrecht keine tatsächliche Grundlage für ein Auseinanderklaffen zwischen sehr geringem wirtschaftlichen Interesse des Klägers und den nachteilig betroffenen wirtschaftlichen Belangen der Gesellschaft gibt (siehe BGH NJW-RR 1992, 1209). Die Situation in einer Publikums-KG ist dagegen der einer Aktiengesellschaft durchaus ähnlich, weil es hier eine Vielzahl von Kommanditisten mit im Verhältnis zum Gesamtkapital relativ kleinen Einlagen gibt, deren Gesellschaftsrechte durch den Umfang ihrer Kapitalbeteiligung bestimmt wird (hier nach § 11 Nr. 10 der Satzung: eine Stimme je DM 1.000,00).

Einer analogen Anwendung des § 247 Abs. 1 AktG steht auch nicht entgegen, dass der Bundesgerichtshof diese Analogie bei einer zweigliedrigen Kommanditgesellschaft gleichfalls abgelehnt hat (siehe BGH NJW-RR 2002, 823). Bei einer zweigliedrigen KG besteht allerdings aufgrund der Existenz von lediglich zwei Gesellschaftern von vornherein keine der Aktiengesellschaft vergleichbare Situation, dass eine Orientierung des Streitwertes allein am Interesse des Klägers angesichts der Vielzahl der von dem Rechtsstreit betroffenen weiteren Beteiligten zu mutwilligen Klagen ohne echtes eigenes Risiko des Klägers zu Lasten der durch die Klage wirtschaftlich erheblich in Mitleidenschaft geratenden anderen Gesellschafter führen kann. Bei der auf eine Vielzahl von Anlegern mit im Verhältnis zum Gesamtkapital geringfügigen Einlagen ausgelegten Publikums-KG, bei der die Gründung als KG im Wesentlichen zur Erlangung der Mitunternehmerschaft nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG für die Anleger erfolgt, ist dagegen im Hinblick auf den § 247 Abs. 1 AktG die Nähe zur Aktiengesellschaft wesentlich größer als zur klassischen Form der KG, bei der sich wenige Gesellschafter in einer von einem besonderen Vertrauensverhältnis und persönlicher Mitarbeit geprägten Interessengemeinschaft befinden. Dies rechtfertigt nach Auffassung des Senats auch unter Berücksichtigung der angeführten BGH-Rechtsprechung zur zweigliedrigen KG hier bei der Streitwertfestsetzung die analoge Anwendung des § 247 Abs. 1 AktG.

Schließlich steht der Anwendung dieser Vorschrift auch nicht entgegen, dass im vorliegenden Fall die Klage gegen die KG gerichtet war. Allerdings sind nach der Rechtsprechung bei einer KG € auch wenn es sich um eine Publikumsgesellschaft handelt € Prozesse über die Grundlagen der Gesellschaft, zu denen auch die Wirksamkeit von Gesellschaftsvertragsänderungen gehört, grundsätzlich nur unter den Gesellschaftern auszutragen und nicht zwischen einem Gesellschafter bzw. allen Gesellschaftern und der Gesellschaft selbst, weil letztere keine Dispositionsbefugnis über das Gesellschaftsverhältnis besitzt (siehe OLG Rostock, NZG 2009, 705; BGHZ 85, 350, 353; BGH WM 1983, 785). Eine wegen solcher Streitigkeiten nur gegen die KG gerichtete Klage ist daher im Regelfall von vornherein nicht geeignet, mit Wirkung für alle Gesellschafter über die Wirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses zu entscheiden, so dass deren Interessen bei der Streitwertbemessung auch nicht zu berücksichtigen sind. Der Bundesgerichtshof lässt aber eine hiervon abweichende Satzungsbestimmung der Gesellschaft zu und hat in einem der hier im KG-Vertrag getroffenen Schiedsabrede sehr nahe kommenden Schiedsvertrag die konkludente Satzungsbestimmung gesehen, derartige Beschlussmängelklagen auch gegen die Gesellschaft zu erheben (siehe BGH BB 1999, 1835, 1836 zu II. 2.).

Der Senat hält es aber nicht für gerechtfertigt, wie das Landgericht den Streitwert nach der bei geringerem Interesse des Klägers in § 247 Abs. 1 AktG vorgegebenen Obergrenze von € 500.000,00 zu bemessen. Das vernachlässigt, dass die Streitwertfestsetzung unter Berücksichtigung aller Umstände zu erfolgen hat. Das Interesse des Klägers übersteigt jedenfalls nicht den Betrag seiner Einlage von € 15.338,76, wobei sein in der Gesellschafterversammlung seiner Auffassung nach unzutreffend behandelter Antrag auch nicht auf eine Verhinderung des vorgeschlagenen Betriebsfortführungskonzeptes abzielte, sondern nur auf dessen Hinausschieben um drei Monate. Angesichts des andererseits erheblichen Interesses der Gesellschaft sowie der anderen Gesellschafter an der vorgesehenen Kapitalerhöhung und des damit zusammenhängenden weiteren Kredits hält der Senat einen Streitwert von € 100.000,00 für angemessen. Dieser Streitwert ist einerseits geeignet, mutwilligen Klagen vorzubeugen, und orientiert sich auch an den Interessen der Gesellschaft und der anderen Gesellschafter, wahrt andererseits aber noch den auch im Rahmen des § 247 Abs. 1 AktG zu berücksichtigenden Anspruch des Anlegers, dass ihm der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird (siehe BVerfG NJW 1997, 311f. m.w.Nw.).






OLG Bremen:
Beschluss v. 05.01.2011
Az: 2 W 125/10


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