Verwaltungsgericht Berlin:
Beschluss vom 14. Januar 2013
Aktenzeichen: 80 Dn 22.08

(VG Berlin: Beschluss v. 14.01.2013, Az.: 80 Dn 22.08)

Der Antrag auf Fristsetzung nach § 62 BDG löst keine Verfahrensgebühr nach Nr. 6203 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG aus (gegen Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Juli 2012 - OVG 1 K 85.10 -).

Tenor

Auf die Erinnerung des Erinnerungsführers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 21. Februar 2008 geändert.

Die der Erinnerungsgegnerin von dem Erinnerungsführer in dem Verfahren VG 80 Dn 47.07 zu erstattenden Kosten werden auf 110,67 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 7. Dezember 2007 festgesetzt.

Die Erinnerungsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 97,58 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Erinnerungsbeteiligten streiten über die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren für einen Antrag auf Fristsetzung zum Abschluss eines Disziplinarverfahrens (§ 62 Abs. 1 BDG i.V.m. § 41 DiszG).

II.

Die Erinnerung (Antrag auf gerichtliche Entscheidung, §§ 165, 151 VwGO) gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 21. Februar 2008 hat Erfolg. Zur Entscheidung ist im Rahmen seiner Annexzuständigkeit der im Hauptsacheverfahren zuständig gewesene Einzelrichter berufen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 3. Dezember 2003 € 1 N 01.1845 € bei juris).

Der Erinnerungsführer hat seine Erinnerung auf den zuerkannten Gebührenbetrag beschränkt, der den von ihm anerkannten Kostenumfang überschreitet. Mehr als die € danach nicht den Gegenstand des Erinnerungsverfahrens bildende € halbe Mittelgebühr nach Nr. 6203 VV RVG von 77,50 Euro zuzüglich einer Auslagenpauschale i.H.v. von 15,50 Euro (20 v.H. der Gebühr) und die Umsatzsteuer von 17,67 Euro € zusammen 110,67 Euro € sowie den darauf entfallenden Zinsanteil kann die Erinnerungsgegnerin nicht beanspruchen. Sie könnte nach Ansicht der Disziplinarkammer nicht einmal diesen Gebührenumfang beanspruchen; insoweit ist das Gericht jedoch durch die Beschränkung der Erinnerung an einer entsprechenden Entscheidung gehindert.

Der Antrag auf Fristsetzung nach § 62 BDG hat keine Verfahrensgebühr nach Nr. 6203 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG auslöst. Die Disziplinarkammer übersieht nicht, dass das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg sich dieser Auffassung nicht angeschlossen, sondern in einem Beschwerdeverfahren gegen einen entsprechenden Beschluss der Disziplinarkammer entschieden hat, dass für die Tätigkeit eines Rechtsanwalts im gerichtlichen Fristsetzungsverfahren nach § 62 BDG eine Verfahrensgebühr nach § 6203 VV RVG anfalle (Beschluss vom 6. Juli 2012 € OVG 1 K 85.10 €). Dieser Auffassung vermag sich die Disziplinarkammer indes im Ergebnis nicht anzuschließen. Dem Oberverwaltungsgericht könnte zwar darin gefolgt werden, dass bei isolierter Betrachtung der Gebührenbestimmung Nr. 6203 VV RVG Überwiegendes dafür spreche, einen Fristsetzungsantrag kostenrechtlich nicht als i.S.v. § 19 Abs. 1 Satz RVG dem behördlichen Disziplinarverfahren selbst zugehörig zu betrachten. Denn nach ihrem Wortlaut schließt Nr. 6203 gerichtliche Antragsverfahren nicht aus und die VV enthalten bei Nr. 6203 keinen Hinweis, der diesen Gebührentatbestand auf das Klageverfahren beschränkt.

Die Disziplinarkammer stellt jedoch entscheidend auf den Zusammenhang zwischen Nr. 6202 und Nr. 6203 VV RVG und die Systematik sowie Entstehungsgeschichte der disziplinarrechtlichen Kostenvorschriften ab. Anmerkung (2) zu Nr. 6202 € auch noch in der ab 1.11.2012 geltenden Fassung € beschreibt den Umfang der durch die Verfahrensgebühr im behördlichen Disziplinarverfahren abgedeckten anwaltlichen Tätigkeit. Danach erfasst die Verfahrensgebühr Nr. 6202 die Tätigkeit bis zum Übergang eines behördlichen Disziplinarverfahrens in ein abschließendes gerichtliches Verfahren; das ist das behördliche Disziplinarverfahren bis zum Eingang des €Antrags€ (d.h. auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 33 LDO Berlin bzw. § 31 BDO) € jetzt sinngemäß einer Klage gegen eine Disziplinarverfügung € oder der €Anschuldigungsschrift€ € jetzt Disziplinarklage €. Gebührenrechtlich abgedeckt ist dabei die €gesamte Tätigkeit im Verfahren€ (siehe Vorbemerkung 6.2 Abs. 2). Fraglich könnte sein, ob €des Antrags€ nur solche nach § 33 LDO Berlin bzw. § 31 BDO meinte. Dafür spricht entscheidend, dass es in Anm. 2 €des€ und nicht €eines€ Antrags heißt und dieser mit der Anschuldigungsschrift gleichgesetzt wird. Aus der Tatsache, dass es Anträge nach § 33 LDO Berlin bzw. § 31 BDO im Disziplinarverfahren gar nicht mehr geben kann, weil diese Vorschriften längst außer Kraft getreten sind, kann nicht geschlossen werden, dass die weitere Anknüpfung des Gesetzgebers an €Anträge€ nun als Erweiterung auf alle Anträge bei Gericht auszulegen ist. Warum der Gesetzgeber auch im Jahr 2012 noch an überholten Begriffen festgehalten hat, ist aus der Gesetzesbegründung nicht nachzuvollziehen.

Für Fristsetzungsverfahren, die nur während eines behördlichen Disziplinarverfahrens in Betracht kommen, sieht das RVG keinen Gebührentatbestand vor. Unter Nr. 6203 VV RVG lässt sich das Verfahren nicht subsumieren. Denn gerichtliches Disziplinarverfahren € jetzt i.S.d. Unterabschnitts 3 VV RVG € ist nach der Systematik des Gebührenrechts in Disziplinarsachen (nur) das sich an das behördliche Disziplinarverfahren (nach €Eingang des Antrags oder der Anschuldigungsschrift€) anschließende gerichtliche Hauptsacheverfahren. Dem entsprechend hatten Fristsetzungsverfahren auch nach der BRAGO keine gesonderte Gebühr ausgelöst (vgl. zur Änderung der Gebührenvorschriften nach Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts im Jahr 2002 Gebauer/Schneider, BRAGO Rn. 2 zu § 109). Das RVG hat insoweit keine Ausdehnung der Gebührentatbestände bringen sollen. Dafür ist jedenfalls nichts ersichtlich. Danach fehlen wie schon unter Geltung der BRAGO in Teil 6 Abschnitt 2 VV RVG Vergütungstatbestände für Einzeltätigkeiten in Disziplinarverfahren (vgl. Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, Kommentar, 19. Auflage, Rn. 14 VV Vorb. 6.2 m.w.N.). Einen solchen hat der Gesetzgeber zwar durch das Wehrrechtsänderungsgesetz vom 31. Juli 2008 (BGBl. I 2008, 1629) € wohl beschränkt auf anwaltliche Tätigkeiten im Bereich der Wehrbeschwerdeordnung (vgl. BT-Drs. 226/07 S. 44 und S. 65f zu Art. 6) € in einem neuen Abschnitt 5 VV RVG inzwischen geschaffen; nach Abs. 3 der Anmerkungen zum Vergütungstatbestand Nr. 6500 werden die danach entstandenen Gebühren jedoch auf die für die Vertretung entstehenden Gebühren angerechnet, wenn dem Rechtsanwalt die Vertretung für das Verfahren (später) übertragen wird, sie entsteht bzw. verbleibt mithin nicht gesondert.

Darüber, ob anwaltliche Kosten zu erstatten sind, sagt nichts aus, dass das Fristsetzungsverfahren einen eigenen Streitgegenstand darstellt, über den von der Disziplinarkammer abschließend entschieden wird € eine Beschwerde dagegen ist nicht statthaft (vgl. § 53 Abs. 2 Satz 5 i.V.m. § 62 Abs. 2 Satz 3 BDG) €, ebenso wenig wie die Tatsache, dass der Beschluss nach § 62 BDG nunmehr eine Kostenentscheidung enthalten muss (§ 77 Abs. 3 BDG). So hatte das Disziplinarrecht a.F. auch keine Kostenerstattung für die Tätigkeit eines Rechtsanwalts im disziplinarrechtlichen Vorermittlungsverfahren vorgesehen (vgl. § 115 Abs. 9 BDO, dazu Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. Mai 1991 € 2 A 3.89 €, bei juris). In Berlin sind Auslagen, die im Rahmen eines nichtförmlichen Disziplinarverfahrens im behördlichen Verfahren einschließlich des Beschwerdeverfahrens entstanden sind, vor dem 1. August 2004 mangels Rechtsgrundlage in der damaligen LDO nicht erstattungsfähig gewesen (vgl. Beschluss der Kammer vom 28. August 2007 € VG 80 A 18.07 €). Die Fristsetzungsentscheidung löst inzwischen eine Gerichtsgebühr aus (Abschnitt 4 Nr. 41 der Anlage zu § 78 BDG), so dass im Rahmen der Kostenentscheidung darüber zu entscheiden ist, wer diese zu tragen hat.

Im Übrigen hätte die Erinnerung auch deshalb Erfolg, weil eine halbe Mittelgebühr für einen Antrag auf Fristsetzung, wenn dieser entgegen der hier vertretenen Ansicht eine Gebühr auslösen sollte, angemessen wäre. Für den im behördlichen Disziplinarverfahren bereits tätigen und eingearbeiteten Rechtsanwalt, bedeutet die Entscheidung über die Stellung und Begründung eines Fristsetzungsantrags regelmäßig keinen erheblichen Aufwand. Das wäre hier nicht anders zu beurteilen .

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Werts des Verfahrensgegenstands beruht auf §§ 39 f., 52 ff. GKG.






VG Berlin:
Beschluss v. 14.01.2013
Az: 80 Dn 22.08


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