Landesarbeitsgericht Hamm:
Urteil vom 4. Dezember 2003
Aktenzeichen: 4 Sa 1407/03

(LAG Hamm: Urteil v. 04.12.2003, Az.: 4 Sa 1407/03)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat in einer Entscheidung vom 4. Dezember 2003 festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger einen Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG zu zahlen. Das Gericht stützt sich dabei auf die Regelungen des § 10 KSchG, wonach die Abfindung je nach Alter und Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmers festgesetzt wird. Das Arbeitsgericht hatte bereits zuvor entschieden, dass der Kläger Anspruch auf einen Nachteilsausgleich hat und diesen in Höhe von 37.832,51 EUR zugesprochen. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt, jedoch wurde die Berufung vom Landesarbeitsgericht Hamm zurückgewiesen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

LAG Hamm: Urteil v. 04.12.2003, Az: 4 Sa 1407/03


1. Für die Bemessung der Höhe von Nachteilsausgleichsansprüchen kann das Maß des betriebsverfassungsrechtlichen Fehlverhaltens des Insolvenzverwalters von Bedeutung sein. Auch bei einem geringen Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus §§ 111, 112 BetrVG, kann für die Berechnung des Nachteilsausgleichs pro Beschäftigungsjahr ein halber Monatsverdienst in Betracht kommen. Dazu ist der letzte Monatsverdienst des Arbeitnehmers vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 10 Abs. 3 i.V.m. § 9 Abs. 2 KSchG) durch 24 Monate zu dividieren und mit der Anzahl der Beschäftigungsmonate zu multiplizieren.

2. Bei der Bemessung der Höhe der Abfindung sind zwar die Grenzwerte des § 10 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG zu beachten. Je nach Lebensalter und Beschäftigungsdauer dürfen danach gerichtlich maximal 12 bzw. 15 oder 18 Monatsverdienste als Abfindung festgesetzt werden. Eine weitergehende Kürzung unterhalb dieser Höchstgrenzen findet nicht statt

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 17.07.2003 (3 Ca 7643/02) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.783,25 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung des Nachteilsausgleichs an den Kläger.

Der am 04.07.1945 geborene Kläger war seit dem 01.09.1973 im Betrieb der Insolvenzschuldnerin als technischer Angestellter tätig. Das durchschnittliche monatliche Bruttoentgelt des Klägers betrug zuletzt 2.573,64 EUR.

Am 19.07.2002 fand ein erster Besprechungstermin beim Insolvenzgericht Dortmund statt. Am 22.07.2002 kam es zu einem Gespräch, an dem der Betriebsratsvorsitzende K3xxx teilnahm. Es wurde eine Betriebsversammlung für den 23.07.2002 für die gewerblichen und die angestellten Mitarbeiter anberaumt, die durch die Mitarbeiterin des Beklagten P2xxxxxx durchgeführt wurde. In dieser Betriebsversammlung wurden die Mitarbeiter über die Auswirkungen einer Insolvenz unterrichtet. Es fanden dann weitere Gespräche mit dem Betriebsratsvorsitzenden K3xxx über die Möglichkeit einer Transfergesellschaft und Weiterbeschäftigung statt. Bei den Verhandlungen im Zeitraum 29.07. bis 09.08.2002, am 13.08., am 16.08., vom 01.09. bis 23.09. und am 28.09.2002 nahm jeweils der Betriebsratsvorsitzende K3xxx teil.

Das Amtsgericht Dortmund hat durch Beschluß vom 01.09.2002 (251 IN 111/02) über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und den Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

Mit Datum vom 02.09.2002 richtete der Beklagte an den Betriebsrat zur Einleitung des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG ein Schreiben mit folgendem Inhalt:

Zur Kündigung sind vorgesehen sämtliche Mitarbeiter, die noch im Beschäftigungsverhältnis stehen. Die Kündigung erfolgt gemäß § 113 InsO. Die Listen der Arbeitnehmer liegen Ihnen vor und sind Ihnen bekannt.

Ich bitte Sie deshalb gemäß § 102 BetrVG, die Stellungnahme zu den geplanten Entlassungen abzugeben.

Wie Ihnen mitgeteilt, bin ich bereit, eine Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und Sozialplan gemäß §§ 111 ff BetrVG und 113 ff InsO mit Ihnen abzuschließen. Anbei überreiche ich Ihnen einen solchen Entwurf. Ich bitte um Prüfung.

Diesem Schreiben war ein Entwurf einer Betriebsvereinbarung über Interessenausgleich und Sozialplan beigefügt. Am 19.09.2002 fand eine Betriebsratssitzung statt, in der über die Entlassungen, den Interessenausgleich und den Sozialplan gesprochen wurde.

Nachdem am 14.10.2002 der Landschaftsverband Westfalen-Lippe als Integrationsamt zugestimmt hatte, hat der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Insolvenzschuldnerin mit Schreiben vom 16.10.2002 zum 31.01.2003 gekündigt.

Mit Schreiben vom 08.11.2002 übersandte der Betriebsrat eine "Betriebsvereinbarung über eine Sozialplan", die am 08.10.2002 unterzeichnet worden war. Diese "Betriebsvereinbarung über einen Sozialplan" ergänzte der Beklagte maschinenschriftlich, indem er unter der Überschrift die Worte "und einen Interessenausgleich" einfügte und vor der Präambel folgenden Text hinzufügte:

Zur Regelung der betriebl. Veränderungen wird gem. § 112 I BetrVG hiermit ein Interessenausgleich und Sozialplan vereinbart. § 111 BetrVG ist erfüllt.

Diese veränderte Fassung der Betriebsvereinbarung wurde vom Beklagten unterschrieben und unter dem 02.12.2002 an den Betriebsrat zurückgereicht.

Mit Schreiben vom 07.02.2003 hat der Beklagte die Masseunzulänglichkeit angezeigt.

Mit seiner Klage hat der Kläger die Zahlung eines Nachteilsausgleichs begehrt.

Er hat vorgetragen, der Beklagte habe keinen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat vereinbart. Das Arbeitsverhältnis sei gekündigt worden, ohne daß zuvor mit dem Betriebsrat ein Interessenausgleich versucht worden sei. Der Beklagte sei nicht in Verhandlungen mit dem Betriebsrat zum Abschluß eines Interessenausgleichs getreten. Es läge weder ein Interessenausgleich noch ein Sozialplan vor. Der Betriebsrat habe nur einen Sozialplan unterzeichnen wollen. Zu der Frage des "Ob" und des "Wie" der anstehenden Betriebsänderung habe zwischen dem Betriebsrat und dem Beklagten keine Einigkeit bestanden.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger einen Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, er habe in jeder Hinsicht versucht, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich herbeizuführen. Nach der Betriebsratssitzung vom 19.09.2002, in der über die Entlassungen, den Interessenausgleich und den Sozialplan gesprochen worden sei, habe die Zeugin P2xxxxxx fast wöchentlich den Betriebsratsvorsitzenden K3xxx gebeten, die Unterschrift unter die Vereinbarungen zu setzen. Erst mit Schreiben vom 08.11.2002 habe der Betriebsrat die streitgegenständliche, bereits am 08.10.2002 vom Betriebsratsvorsitzenden K3xxx unterzeichnete "Betriebsvereinbarung über eine Sozialplan" übersandt. Bevor er, der Beklagte, den Sozialplan mit dem Hinweis auf den Interessenausgleich am 02.12.2002 dem Betriebsratsvorsitzenden K3xxx übergeben habe, habe die Zeugin P2xxxxxx diesen darüber informiert, daß sie die Vereinbarung abändere, da vereinbart gewesen sei, daß Sozialplan und Interessenausgleich abgeschlossen würden. Dem habe der Betriebsratsvorsitzende K3xxx nicht widersprochen. Im Anschreiben vom 02.12.2002 habe er, der Beklagte, auf die Abänderungen ausdrücklich hingewiesen, so daß es zum wirksamen Abschluß eines Interessenausgleichs und Sozialplan gekommen sei.

Das Arbeitsgericht Dortmund hat durch Urteil vom 17.07.2003 (3 Ca 7643/02), auf welches vollinhaltlich Bezug genommen wird, wie folgt für Recht erkannt:

1. Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger einen Nachteilsausgleich gem. § 113 Abs. 3 BetrVG in Höhe von 37.832,51 EUR zu zahlen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.783,25 EUR festgesetzt.

Gegen das am 19.08.2003 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 25.08.2003 Berufung eingelegt und diese am 16.10.2003 begründet.

Er stellt das angefochtene Urteil in eingeschränktem Umfange zur gerichtlichen Überprüfung, nämlich soweit eine höhere Abfindung als 7.019,01 EUR als Nachteilsausgleich zugesprochen worden sei. Er trägt vor, das Arbeitsgericht gehe rechtsfehlerhaft in einer Masseverbindlichkeit in Höhe von 37.832,51 EUR aus. Dabei stelle es zentral rechtsfehlerhaft nur auf den Sanktionscharakter des § 113 Abs. 3 BetrVG ab und berücksichtige nicht, daß zusätzlich die Interessen der anderen Insolvenzgläubiger bei der Bemessung des Nachteilsausgleichs mit zu berücksichtigen seien. Mit Ausnahme der Anrufung der Eingangsstelle habe er alles versucht, um den Erfordernissen der §§ 111, 112 BetrVG Genüge zu tun. Er habe über den gesamten Zeitraum des eröffneten Insolvenzverfahrens und bereits zuvor während des Eröffnungsverfahrens den Betriebsrat der Insolvenzschuldnerin beteiligt und in allen zentralen Entscheidungen miteinbezogen. Es habe über den gesamten Zeitraum Einigkeit bestanden, daß die Betriebsstillegung unvermeidlich sei und ein Interessenausgleich sowie ein Sozialplan zwischen den Betriebsparteien abgeschlossen werden sollte und auch abgeschlossen werden würde. Den entsprechenden Entwurf habe er dem Betriebsrat mit Anschreiben vom 02.09.2002 vorgelegt. Der Betriebsrat habe dieses Schriftstück erst verspätet an ihn zurückgesandt und im übrigen auch noch Änderungen vorgenommen. Nachdem der Interessenausgleich/Sozialplan bei ihm endlich vom Betriebsrat unterschrieben vorgelegen habe, seien die Abweichungen von dem vorgelegten Entwurf festgestellt worden. Die Mitarbeiterin P2xxxxxx habe mit dem Betriebsratsvorsitzenden K3xxx Kontakt aufgenommen und mit diesem abgestimmt, daß eine Abänderung von ihm, dem Beklagten, vorgenommen und sodann das Schriftstück unterschrieben werden könne.

Die Besonderheiten der Insolvenz habe das Arbeitsgericht vollständig verkannt und bei der Bemessung der Höhe des Nachteilsausgleichs außer Acht gelassen. Er, der Beklagte, habe die Betriebsänderung in Form der Betriebsstillegung nicht verhindern können. Er habe schnell entscheiden müssen, um die Interessen der Insolvenzgläubiger zu wahren und weiteren Schaden abzuwenden. Mithin sei die Ausgangssituation für die Bemessung eines Nachteilsausgleichs ein anderer, als die, bei der der Unternehmer, der außerhalb der Insolvenz die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats wahren solle, dieser außer Acht lasse und durch sein Handeln in die Rechte der Arbeitnehmer eingreife. Er, der Beklagte, hingegen zeichne nicht finanziell verantwortlich für Fehlentscheidungen in der Vergangenheit in der Unternehmensführung, die zur zwingenden Konsequenz der Betriebsstillegung geführt hätten. Die Nachteile der Arbeitnehmer seien damit nicht vorrangig und maßgeblich bei der Bemessung des Nachteilsausgleichs zu berücksichtigen. Vielmehr seien auch die Interessen der anderen Gläubiger zu beachten. Daß das Arbeitsgericht einen halben Monatsverdienst in Ansatz gebracht habe, stehe im Widerspruch zur Entscheidung des Landesarbeitsgericht Hamm vom 13.01.1993 (15 Sa 1291/92) wonach pro Beschäftigungsjahr nur ein Viertel des Bruttomonatsverdienstes anzusetzen sei. Dies wären bei dem Kläger maximal 7.019,01 EUR.

Der Beklagte beantragt,

in Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Dortmund - 3 Ca 7643/02 - festzustellen, daß der Beklagte als Insolvenzverwalter verpflichtet ist, dem Kläger ein Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG in Höhe von 7.019,01 EUR zu zahlen, und im übrigen die Klage abzuweisen sowie den Wert des Streitgegenstandes festzusetzen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen sowie den Wert des Streitgegenstandes festzusetzen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt vor, das Arbeitsgericht habe in seinem Urteil richtigerweise darauf hingewiesen, daß die übrigen Insolvenzgläubiger durch die insolvenzrechtlichen Haftungsvorschriften geschützt seien. Die vom Beklagten immer wieder geforderte Privilegierung des Insolvenzverwalters im Interessenausgleichs- und Sozialplanverfahren könne nicht anerkannt werden, da das Beschlußverfahren nach § 122 InsO zur Verfügung stehe. Das Arbeitsgericht habe richtigerweise erkannt, daß das Beklagte in eklatanter Weise verabsäumt habe, vor Durchführung der Betriebsänderung ein Interessenausgleich zu versuchen. Deshalb sei auch deren Nachteilsausgleich mit der Formel 0,5 x Beschäftigungsjahre vom Arbeitsgericht zutreffend ermittelt worden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Gerichtsakten gereichten Urkunden Bezug genommen.

Gründe

Die aufgrund entsprechender Beschwer statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sowie rechtzeitig ordnungsgemäß begründete Berufung des Klägers hat keinen Erfolg und führt deshalb zur Zurückweisung des Rechtsmittels.

Das Arbeitsgericht hat der Klage auch hinsichtlich des zuerkannten Nachteilsausgleichs dem Grunde und der Höhe nach mit zwar knappen, aber dennoch abgewogenen und zutreffenden Gründen stattgegeben. Auf diese Ausführungen nimmt das Berufungsgericht ergänzend Bezug und macht sich diese zu eigen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO n.F.). Die Begründung der Berufungsentscheidung wird im Hinblick auf das Vorbringen des Beklagten auf folgende Erwägungen beschränkt:

1. Der Kläger hat dem Grunde nach Anspruch auf einen Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG. Der Anspruch auf einen Nachteilsausgleich setzt voraus, daß der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und daß infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

1.1. Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, daß auch ein Insolvenzverwalter, um Nachteilsausgleichsansprüche zu vermeiden, einen Interessenausgleich versuchen muß, bevor er die Betriebsänderung beginnt und damit vollendete Tatsachen schafft. Insoweit besteht Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BAG, Urt. v. 04.12.2002 - 10 AZR 16/02, BAGReport 2003, 89 = ZInsO 2003, 670; BAG, Urt. v. 22.07.2003 - 1 AZR 541/02, BAGReport 2004, 23 = ZInsO 2004, 107). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat grundsätzlich keinen Einfluß auf die Tätigkeit und die Befugnisse des Betriebsrates. Betriebsverfassungsrechtlicher Verhandlungs- und Vertragspartner der betrieblichen Vertretungsorgane der Arbeitnehmer (Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat, Jugendvertretung usw.) wird der Insolvenzverwalter, da auch insoweit die Arbeitgeberfunktion übergeht (LAG Hamm, Bes. v. 14.02.1990 - 3 TaBV 141/89, AiB 1991, 26 [Bichlmeier]). Der Insolvenzverwalter rückt nicht nur individualrechtlich, sondern auch betriebsverfassungsrechtlich in die komplette Rechtsstellung (BAG, Urt. v. 19.10.1977 - 5 AZR 359/76, KTS 1978, 174 = SAE 1978, 265 [W. Blomeyer]) und damit in den "gesamten" Pflichtenkreis des Arbeitgebers ein (BAG GS, Bes. v. 13.12.1978 - GS 1/77, KTS 1979, 150 [Henckel] = RdA 1979, 193 [Richardi] = SAE 1979, 105 [Sieg] = ZIP 1980, 83 [Beuthien]; siehe dazu auch Heinze, ZIP 1980, 1 ff.). Demgemäß ist der Insolvenzverwalter bei Abwicklung des Insolvenzverfahrens verpflichtet, alle gesetzlichen Vorschriften zu beachten, die eine Beteiligung des Betriebsrates vorschreiben (BAG, Urt. v. 20.11.1970 - 1 AZR 409/69, NJW 1971, 774 = SAE 1972, 64 [Buchner]; BAG, Urt. v. 17.09.1974 - 1 AZR 16/74, AP Nr. 1 zu § 113 BetrVG 1972 [Uhlenbruck, Richardi] = NJW 1975, 182 = SAE 1976, 18 [Otto]). Er hat die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats selbst dann zu beachten, wenn er im Rahmen der Liquidation nur noch Restaufträge abwickelt (ArbG Siegen, Urt. v. 03.06.1983 - 1 Ga 21/83, KTS 1983, 571 = ZIP 1983, 1117).

1.2.Es sind insbesondere die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei Betriebsänderungen gemäß §§ 111-112a BetrVG zu beachten, da ansonsten Ansprüche auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG ausgelöst werden (BAG, Urt. v. 09.07.1985 - 1 AZR 323/83, NZA 1986, 100 = ZIP 1986, 45). Hierfür ist der objektive Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Pflichten aus §§ 111, 112 BetrVG ausreichend, auf ein Verschulden kommt es nicht an (BAG, Urt. v. 23.09.2003 - 1 AZR 576/02, BAGReport 2004, 117 = ZInsO 2004, 352 = ZIP 2004, 627). Der Insolvenzverwalter kann eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG sanktionslos erst durchführen kann, wenn alle in § 112 Abs. 2 BetrVG vorgesehenen Verfahrensschritte durchlaufen sind (siehe auch BAG, Urt. v. 22.11.2001 - 1 AZR 11/01, ZInsO 2002, 1153; BAG, Urt. v. 22.11.2000 - 1 AZR 97/01, BAGReport 2002, 251 = NZA 2002, 992 = ZIP 2002, 817). Er darf sich nicht mit der Erklärung des Betriebsrats zufrieden geben, dieser sehe für Verhandlungen über einen Interessenausgleich keine Notwendigkeit und wolle an einem Interessenausgleich auch nicht mitwirken (LAG Hamm, Urt. v. 22.07.2003 - 19 Sa 541/03, LAGReport 2003, 340). Er muß vielmehr, falls keine Einigung mit dem Betriebsrat möglich ist, zur Vermeidung der Rechtsfolgen des § 113 Abs. 3 BetrVG im Zweifel selbst die Einigungsstelle anrufen, um dort einen Interessenausgleich zu versuchen (BAG, Urt. v. 18.12.1984 - 1 AZR 176/82, NZA 1985, 400 = ZIP 1985, 633). Dies gilt selbst dann, wenn der Betriebsrat anläßlich der geplanten Betriebsänderung nach § 112a Abs. 2 BetrVG einen Sozialplan nicht erzwingen kann (BAG, Urt. v. 08.11.1988 - 1 AZR 687/87, NZA 1989, 278 = ZIP 1989, 256).

1.3.Die Auffassung, die vom Arbeitgeber nur einen Einigungsversuch auf der ersten Stufe des Verfahrens (Verhandlungen mit dem Betriebsrat) verlangt (Kraft, SAE 1984, 257, 260), übersieht den Zweck des § 113 Abs. 3 BetrVG. Das Gesetz sieht Einigungsversuche zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat auf verschiedenen Stufen vor. Der Information über die geplante Betriebsänderung folgt die Beratung mit dem Betriebsrat (§ 111 Satz 1 BetrVG). Kommt eine Einigung über den Interessenausgleich nicht zustande, können außerhalb der Insolvenz oder im Eröffnungsverfahren der Arbeitgeber bzw. der vorläufige Insolvenzverwalter oder der Betriebsrat den Präsidenten des Landesarbeitsamtes um Vermittlung ersuchen (§ 112 Abs. 2 Satz 1 BetrVG a.F. [1972]), im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Unternehmers geht dem Verfahren vor der Einigungsstelle nur dann ein Vermittlungsversuch voran, wenn der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat "gemeinsam" um eine solche Vermittlung ersuchen (§ 121 InsO) oder gleich - d.h. ohne Vermittlungsversuch - die Einigungsstelle anrufen (§ 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Die Einigungsstelle soll eine Einigung der Betriebsparteien -auch über den Interessenausgleich - versuchen (§ 112 Abs. 3 Satz 2 BetrVG). In all diesen Verfahrensabschnitten geht es nicht nur um das "Ob" einer Betriebsänderung (hier einer Betriebsstillegung), sondern auch um die Modalitäten, also um das "Wie", mithin insbesondere um die Zeitpunkte, zu denen Kündigungen ausgesprochen werden und um etwaige Freistellungen, um die vollständige sofortige Betriebsstillegung einerseits, die zeitlich gestreckte Stillegung des Betriebs andererseits. Der Betriebsrat soll die Möglichkeit haben, auf die endgültige Entscheidung des Arbeitgebers im Interesse der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer einzuwirken, bevor der Arbeitgeber vollendete Tatsachen schafft (BAG, Urt. v. 14.09.1976 - 1 AZR 784/75, BB 1977, 142 = DB 1977, 309; BAG, Urt. v. 09.07.1985 - 1 AZR 323/83, NZA 1986, 100 = ZIP 1986, 45). Hat der Arbeitgeber den Betrieb tatsächlich schon stillgelegt, ohne daß der Betriebsrat ordnungsgemäß eingeschaltet war, ist eine Mitwirkung im Verfahren über den Interessenausgleich sinnlos geworden ().

1.4.Daß der Einigungsversuch bis in die Einigungsstelle hinein fortgesetzt wird, hat seinen guten Sinn. In dieser eher neutralen Atmosphäre ist der Arbeitgeber gezwungen, seine Gründe darzulegen, der Betriebsrat muß sich dazu äußern, wie angesichts der wirtschaftlichen Tatsachen soziale und wirtschaftliche Belange der Arbeitnehmer noch gewahrt werden können. Außerdem können bei Verhandlungen in der Einigungsstelle eher Mißverständnisse bereinigt und Spannungen beseitigt werden, die eine Einigung erschweren. Den Interessen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer wird daher nur eine Auslegung der Norm gerecht, die den Arbeitgeber zwingt, den Interessenausgleich noch in der Einigungsstelle zu versuchen und vorher keine vollendeten Tatsachen zu schaffen. Erst wenn der Einigungsversuch gescheitert ist, steht -aus der Sicht des zur Entlassung anstehenden Arbeitnehmers - fest, daß sein Arbeitsplatz nicht oder nicht mehr für einige Zeit zu erhalten war. Zu diesen Einigungsversuchen kann der Arbeitgeber dadurch veranlaßt werden, daß ein Nachteilsausgleich geschuldet wird für den Fall, daß er die Einigungsversuche zu früh abbricht, die Einigungsmöglichkeiten also nicht voll ausschöpft. Der Gesetzgeber geht jedenfalls davon aus, daß jede Chance einer Einigung genutzt wird. Wäre es dem Gesetzgeber allein darauf angekommen, die vorherige Unterrichtung des Betriebsrats und die Beratung der Betriebsänderung mit diesem durch Nachteilsausgleichsansprüche der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer sicherzustellen, hätte es genügt, den Nachteilsausgleichsanspruch nach § 113 Abs. 3 BetrVG an das Unterlassen der Unterrichtung oder der Beratung zu knüpfen. Der Gesetzgeber hat jedoch an das Unterlassen des Versuchs einer Einigung über den Interessenausgleich angeknüpft. Das rechtfertigt es, unter diesem Versuch auch die Ausschöpfung des dafür zur Verfügung gestellten Einigungsverfahrens zu verstehen. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, das Einigungsverfahren voll auszuschöpfen, führt nicht zu einer unzumutbaren Verlängerung des Zeitraums zwischen dem Beginn der Verhandlungen mit dem Betriebsrat über die geplante Betriebsänderung und dem Beginn ihrer Durchführung. Denn das gleiche Verfahren müßte auch dann ablaufen, wenn der Betriebsrat von seinem Initiativrecht Gebrauch macht, um zu vermeiden, daß der Arbeitgeber aus dem Untätigbleiben auf ein Einverständnis schließt. Der Arbeitgeber müßte in diesem Falle eine angemessene Frist abwarten, um feststellen zu können, ob der Betriebsrat die Einigungsstelle wegen des Interessenausgleichs anrufen will. Diese Zeit braucht nicht zu verstreichen, wenn der Arbeitgeber das Verfahren auf eigene Initiative zügig durchführt.

1.5. In der Insolvenz obliegt die Einhaltung dieser betriebsverfassungsrechtlichen Vorgehensweise dem Insolvenzverwalter. Hiernach durfte der Beklage seinen "Versuch" eines Interessenausgleiches vor Durchführung der Betriebsänderung und Entlassung der Arbeitnehmer nicht auf die Betriebsratsitzung vom 19.09.2002 und auf die Verhandlungen im Zeitraum 29.07. bis 09.08.2002, am 13.08., am 16.08., vom 01.09. bis 23.09. und am 28.09.2002 über die Möglichkeit einer Transfergesellschaft und Weiterbeschäftigung beschränken, sondern er hätte von sich aus die Einigungsstelle anrufen müssen. Der Beklagte wurde von dieser Obliegenheit nicht dadurch entbunden, daß die Zeugin P2xxxxxx in seinem Auftrag fast wöchentlich den Betriebsratsvorsitzenden K3xxx gebeten, die Unterschrift unter die Vereinbarungen zu setzen. Angesichts des beschleunigten Verfahrens in § 98 ArbGG und der Möglichkeit des § 122 Abs. 1 InsO hätten sich die Entlassungen durch die ordnungsgemäße Einhaltung das Verfahrens nicht, jedenfalls aber nicht erheblich verzögert. Vorliegend hat der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Insolvenzschuldnerin bereits mit Schreiben vom 16.10.2002 zum 31.10.2002 gekündigt. Ob dieses Schreiben ist zwar erst nach der Betriebsratssitzung vom 19.09.2002 zur Postgegeben worden ist, aber auch dieser (spätere) Zeitpunkt liegt vor Abschluß des Interessenausgleichsverfahrens, da dieses bis heute noch nicht beendet ist. In der Betriebsratssitzung vom 19.09.2002 ist selbst dann, wenn man das vorbringen des Beklagten als wahr unterstellt, er habe sich mit dem Betriebsrat an diesem Tage über den Interessenausgleich verständigt, kein wirksamer Interessenausgleich zustande gekommen. Kommt zwischen Unternehmer und Betriebsrat ein Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung zu Stande, so ist dieser schriftlich niederzulegen und vom Unternehmer und Betriebsrat zu unterschreiben (§ 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Mangels Einhaltung der gesetzlichen Schriftform (§ 126 Abs. 1 BGB) ist die "mündliche" Einigung vom 19.09.2002 unbeachtlich. Durch die Unterschriftsleistung am 08.10.2002 (Betriebsratsvorsitzender) und am 02.12.2002 (Beklagter), die zudem nach Ausspruch der Kündigung lagen, ist kein wirksamer Interessenausgleich zustande gekommen. Eine Annahme unter Erweiterungen gilt nämlich nach allgemeinem bürgerlichen Recht als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag (§ 150 Abs. 2 BGB). Selbst wenn der Betriebsratsvorsitzende die "mündliche" Einigung vom 19.09.2002 lediglich falsch, nämlich unvollständig zu Papier gebracht haben sollte, lösen die Ergänzungen, die der Beklagte vorgenommen hat und die im Tatbestand wiedergegeben sind, die Rechtsfolgen des § 150 Abs. 2 BGB aus. Ein Interessenausgleich wäre erst nach (erneuter) Gegenzeichnung durch den Betriebsratsvorsitzenden zustande gekommen. Damit ist nicht der 19.09.2002 das für das Zustandekommen des Interessenausgleichs maßgebliche Datum, so daß die Kündigungen vor Abschluß des Interessenausgleichsverfahrens ausgesprochen worden sind. Da der Beklagte damit bereits mit der Durchführung der Betriebsänderung, nämlich der Betriebsstillegung, begonnen hat, steht dem Kläger dem Grunde nach ein Nachteilsausgleichsanspruch gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG zu.

2. Der Nachteilsausgleich ist vom Arbeitsgericht zutreffend auf 37.832,51 EUR festgesetzt worden. Die gegen die Höhe der zuerkannten Abfindung erhobenen Rügen der Berufung greifen nicht durch.

2.1. Die Abfindungshöhe bemißt sich nach § 113 Abs. 1 BetrVG entsprechend den Grundsätzen zu § 10 Abs. 1 und 2 KSchG. Danach kann die Abfindung bis auf das Zwölffache eines Bruttomonatsverdienstes bestimmt werden. Hat ein Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr vollendet und das Arbeitsverhältnis mindestens 15 Jahre bestanden, so können bis zu 15 Monatsverdienste, hat er das 55. Lebensjahr vollendet und das Arbeitsverhältnis mindestens 20 Jahre bestanden, so können bis zu 18 Monatverdienste festgesetzt werden. Daraus folgt, daß bei der vom Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen festzusetzenden Höhe des Nachteilsausgleichs auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Alter des Arbeitnehmer besonderes Gewicht zu legen ist, wie in der Besprechungsentscheidung zutreffend ausgeführt und belegt wird. Während die Instanzrechtsprechung bei der Festsetzung der Abfindungshöhe im Rahmen des § 10 KSchG die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers - teils ohne Bindung an die weitergehenden Vorgaben des § 112 Abs. 5 BetrVG (LAG Niedersachsen, Urt. v. 12.08.2002 - 5 Sa 534/02, LAGE § 122 InsO Nr. 1 [Oetker]), teils nachrangig bei der Ermessensausübung des Gerichts (LAG Hessen, Urt. v. 25.07.2002 - 9 Sa 995/01, AiB 2003, 41 [Backmeister]) - berücksichtigen will, soll der Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BAG, Urt. v. 22.07.2003 - 1 AZR 541/02, BAGReport 2004, 23, 25 = ZInsO 2004, 107, 110) weder von der finanziellen Leistungsfähigkeit noch von der individuellen Leistungsbereitschaft des Arbeitgebers abhängen. Bei der Festsetzung der Höhe des Nachteilsausgleichs soll das Gericht deshalb die wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitgebers (völlig) außer Acht zu lassen müssen (BAG, Urt. v. 22.11.2001 - 1 AZR 11/01, ZInsO 2002, 1153). Dies folge aus der Funktion des Nachteilsausgleichs, der auch eine Sanktion für das betriebsverfassungswidrige Verhalten des Arbeitgebers darstelle (BAG, Urt. v. 22.11.2001 - 1 AZR 97/01, BAGReport 2002, 251 = NZA 2002, 992 = ZIP 2002, 817), heißt es zur Begründung (BAG, Urt. v. 22.07.2003 - 1 AZR 541/02, BAGReport 2004, 23, 25 = ZInsO 2004, 107, 110). Diese Auffassung verdient Zustimmung, denn der Sanktionszweck rechtfertigt es, die Berechnung des Abfindungsbetrages ohne Berücksichtigung der für die Bemessung einer Sozialplanleistung geltenden Kriterien durchzuführen (BAG, Urt. v. 10.12.1996 - 1 AZR 290/96, NZA 1997, 787 = WiB 1997, 933 [Krauß] = ZIP 1997, 1471).

2.2. Diese Grundsätze gelten auch in der Insolvenz. Der Nachteilsausgleich hat hier ebenfalls die Funktion, den Insolvenzverwalter zur Beachtung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach § 111 Satz 1 BetrVG anzuhalten und ein betriebsverfassungswidriges Verhalten zu sanktionieren. Auch sind die wirtschaftlichen Nachteile, die der Arbeitnehmer infolge seiner Entlassung erleidet, nicht geringer als bei einer Entlassung außerhalb eines Insolvenzverfahrens. Die Interessen der anderen Insolvenzgläubiger gebieten ebenfalls keine Begrenzung oder Minderung der Nachteilsausgleichsansprüche. Die Nachteile, die den übrigen Insolvenzgläubigern durch das gesetzeswidrige Verhalten des Insolvenzverwalters und die hieraus resultierenden Abfindungsansprüche der Arbeitnehmer nach § 113 Abs. 3 BetrVG möglicherweise entstehen, rechtfertigen nicht die Kürzung des Nachteilsausgleichs, sondern sind ggf. zwischen den Insolvenzgläubigern und dem Insolvenzverwalter über dessen Haftung nach § 60 Abs. 1 InsO abzuwickeln (so ausdrücklich BAG, Urt. v. 22.07.2003 - 1 AZR 541/02, BAGReport 2004, 23, 26 = ZInsO 2004, 107, 110). Bei dieser Einschätzung ist zu beachten, daß die Vorschriften über die Beschleunigung des Interessenausgleichsverfahrens gemäß den §§ 121, 122 InsO dazu führen, "daß durch die Erfüllung der betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten keine unzumutbaren Zeitverzögerungen eintreten" (so wörtlich BAG, Urt. v. 04.06.2003 - 10 AZR 586/02, ZInsO 2003, 1054, 1057). Für die Bemessung der Abfindungshöhe ist allein das Ausmaß des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens des Insolvenzverwalters ausschlaggebend (BAG, Urt. v. 04.12.2002 - 10 AZR 16/02, BAGReport 2003, 89 = ZInsO 2003, 670). Dies erlaubt es auch, Verzögerung einfließen zu lassen, die auf das Konto des Betriebsrats gehen, wenn dieser das Verfahren über den Interessenausgleich nicht ernsthaft betrieben, um nicht zu sagen, verzögert hat. Angesichts der Regelungen des § 122 Abs. 1 InsO über die Verhandlungsfristen für das Interessenausgleichsverfahren sind für die Nachteilsausgleichsansprüche in der Insolvenz gemäß § 113 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Hs. 2 BetrVG und § 10 Abs. 1 und 2 KSchG

• bis zu 12 bzw. 15 bzw. 18 Monatsverdienste anzusetzen,

• und zwar unter Anrechnung von Sozialplanansprüchen,

• aber ohne die Beschränkung des Gesamtbetrages auf ein Drittel der Insolvenzmasse und ohne anteilige Kürzung der einzelnen Forderungen.

2.3.Die Regelungen des § 123 Abs. 2 und 3 InsO gelten nur für Sozialplanansprüche und können auch nicht analog auf die Nachteilsausgleichsansprüche angewendet werden (so bereits Berscheid, ZInsO 1999, 27, 28; ebenso Griese, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., Satz 1513, 1518 Rn. 14; BAG, Urt. v. 4.6.2003 - 10 AZR 586/02, ZInsO 2003, 1054, 1057; BAG, Urt. v. 22.7.2003 - 1 AZR 541/02, ZInsO 2004, 107, 109; zust. Oetker, Anm. zu LAGE § 122 InsO Nr. 1; a.A. zum bisherigen Recht LAG Hamm, Urt. v. 13.01.1993 - 15 Sa 1291/92, AuR 1993, 306; a.A. zum geltenden Recht LAG Niedersachsen, Urt. v. 12.08.2002 - 5 Sa 534/02, LAGE § 122 InsO Nr. 1). Für eine analoge Anwendung des § 123 Abs. 1 InsO fehlt es bereits an einer Regelungslücke. Der Fall des unterbliebenen Versuchs eines Interessenausgleichs ist hinsichtlich der Höhe des Nachteilsausgleichs durch § 113 Abs. 3, Abs. 1 BetrVG i.V.m. § 10 KSchG ausdrücklich geregelt. Hätte der Gesetzgeber für die Insolvenz andere als die in § 10 Abs. 1 und 2 KSchG normierten Höchstgrenzen vorsehen wollen, hätte es sich aufgedrängt, eine entsprechende Regelung in §§ 121, 122 InsO zu treffen (BAG, Urt. v. 22.07.2003 - 1 AZR 541/02, BAGReport 2004, 23, 25 = ZInsO 2004, 107, 109), was gerade nicht geschehen ist. Im übrigen würde sich § 123 Abs. 1 InsO zu einer analogen Anwendung auf Nachteilsausgleichsansprüche der einzelnen Arbeitnehmer auch nicht eignen. § 123 Abs. 1 InsO begrenzt in der Insolvenz das Gesamtvolumen des Sozialplans auf 21/2 Monatsverdienste aller von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer. Ein derartiges Gesamtvolumen wird im Rahmen des § 113 Abs. 3, Abs. 1 BetrVG nicht ermittelt. Die individuellen Ansprüche der Arbeitnehmer auf Nachteilsausgleich stehen nicht in einer Relation zum Gesamtvolumen der Monatsverdienste aller betroffener Arbeitnehmer (BAG, Urt. v. 22.07.2003 - 1 AZR 541/02, BAGReport 2004, 23, 25 = ZInsO 2004, 107, 109).

2.4.Der Sanktionszweck kann in einer erheblich höheren Abfindung als 21/2 Monatsverdienste zum Ausdruck kommen, insbesondere, wenn der Insolvenzverwalter den Betriebsrat über seine Planungen überhaupt nicht unterrichtet und ihm keine Gelegenheit gibt, Vorstellungen vorzutragen, obwohl die zur Verfügung stehende Masse und Auftragslage objektiv verschiedene Möglichkeiten zur Fortführung bzw. Abwicklung erlaubt hätte. Andererseits folgt aus den Sanktionszweck des § 113 Abs. 3 BetrVG, daß das Gericht auch im Rahmen seiner Ermessensentscheidung nicht gehindert ist, eine Abfindung entsprechend niedriger anzusetzen, wenn nur ein geringer Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus §§ 111, 112 BetrVG vorliegt (insoweit zutreffend LAG Niedersachsen, Urt. v. 12.08.2002 - 5 Sa 534/02, LAGE § 122 InsO Nr. 1). In einem solchen Fall kann für die Berechnung des Nachteilsausgleichs pro Beschäftigungsjahr 1/2 Monatsverdienst angesetzt werden, und zwar in dem der letzte Monatsverdienst vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 10 Abs. 3 i.V.m. § 9 Abs. 2 KSchG) durch 24 Monate dividiert und mit der Anzahl der Beschäftigungsmonate multipliziert wird. Dies macht beim Kläger einen Betrag in Höhe von 37.855,72 EUR aus (2.573,64 EUR : 24 x 353 Monate). Da das Arbeitsgericht ihm nur 37.832,51 EUR zugesprochen hat, hat es mangels Anschlußberufung bei diesem Betrag verbleiben müssen. Bei der Bemessung der Abfindung sind zwar die Grenzwerte des § 10 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG zu beachten. Je nach Lebensalter und Beschäftigungsdauer dürfen maximal 12 bzw. 15 bzw. 18 Monatsverdienste gerichtlich als Abfindung festgesetzt werden. Da der Kläger das 55. Lebensjahr vollendet und das Arbeitsverhältnis mindestens 20 Jahre bestanden hatte, könnten für ihn also bis zu 18 Monatverdienste und damit die Höchstabfindung festgesetzt werden. Das Berufungsgericht hat jedoch vorliegend keine "Deckelung" vorgenommen, weil aufgrund der vorgenannten Berechnungsweise (= ein halber Monatsverdienst pro Beschäftigungsjahr) die Höchstsumme von 18 Monatsverdiensten noch nicht überschritten war.

3. Nach alledem hat die Berufung des Beklagten in vollem Umfang ohne Erfolg bleiben müssen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Wert des Streitgegenstandes war nach § 25 Abs. 1 GKG, § 9 BRAGO in Verbindung mit §§ 3 ff. ZPO auf erstinstanzlich ermittelten Wert festzusetzen, der sich nicht geändert hat. Der Streitwertbeschluß hat mit der Urteilsformel verbunden werden können. Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 1 ArbGG ist bei der vorliegenden Einzelfallgestaltung nicht ersichtlich.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil findet mangels Zulassung die Revision nicht statt (§ 72 Abs. 1 ArbGG).

Die Nichtzulassung der Revision kann jedoch von der unterlegenen Partei nach Maßgabe des § 72a ArbGG selbständig schriftlich durch

Berscheid Luther Rüffer

/Woi.






LAG Hamm:
Urteil v. 04.12.2003
Az: 4 Sa 1407/03


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/cdf64c8e4419/LAG-Hamm_Urteil_vom_4-Dezember-2003_Az_4-Sa-1407-03


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