Hessisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 28. Februar 2012
Aktenzeichen: L 9 U 289/09 B

(Hessisches LSG: Beschluss v. 28.02.2012, Az.: L 9 U 289/09 B)

Tenor

Die Staatskasse hat dem Kläger seine notwendigenaußergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zuerstatten.

Gründe

Beteiligter des vorliegenden, die Übernahme von Kosten nach §109 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) betreffendenNebenverfahrens ist nur der Kläger, denn die Beklagte kommt alsKostenschuldner nicht in Betracht. Die Staatskasse ist bereits imHauptsacheverfahren formal nicht beteiligt, sodass sich auch fürdas Nebenverfahren ein formaler Beteiligtenstatus nicht begründenlässt (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. August 2006 €L 1 U 3854/06 KO-B). Ob dem Bezirksrevisor als Vertreter derStaatskasse eine Beschwerdebefugnis gegen einen Beschluss desSozialgerichts, der nach Anforderung eines Vorschusses die Kosteneines Gutachtens nach § 109 SGG ganz oder teilweise auf dieStaatskasse übernimmt, zusteht (vgl. dazu LSG Baden-Württemberg,Beschluss vom 16. August 2006 s.o. und LSG Baden-Württemberg,Beschluss vom 16. Mai 2006 € L 9 R 4263/04 KO-B), bedarfvorliegend keiner Entscheidung, da nur der Kläger Beschwerdeerhoben hat.

Nachdem der Kläger das Verfahren auf Anregung desBerichterstatters für erledigt erklärt hat, war auf seinen Antragnur noch über die Kosten des Verfahrens durch Beschluss zuentscheiden.

Der Berichterstatter entscheidet über die Kosten, wenn dieEntscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht (§ 155 Abs. 2 Nr.5, Abs. 4 SGG). Der Begriff €vorbereitendes Verfahren€erfasst auch Fälle, in denen € wie hier € eineHauptsachentscheidung nicht mehr ergeht (Meyer-Ladewig u.a., SGG,9. Aufl. 2008, § 155 Rdnr. 7 m.w.N.).

Eine Kostenentscheidung ist im vorliegenden Verfahren zutreffen, da nach § 18 Nr. 5 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG)i.V.m. der Gebührennummer 3501 der Anlage 1 zum RVG(Vergütungsverzeichnis) für ein Beschwerdeverfahren in Fällen des §3 Abs. 1 Satz 1 RVG eine eigene Gebühr von 15,00 bis 160,00 Euroanfällt. Damit entsteht neben der Gebühr, die derprozessbevollmächtigte Rechtsanwalt für das gerichtliche Verfahrenin der Hauptsache beanspruchen kann, eine gesonderte Gebühr für dasBetreiben eines Beschwerdeverfahrens. Angesichts dieserausdrücklichen Regelung und der Schaffung einer eigenenGebührennummer in sozialgerichtlichen Verfahren durch das RVG istdie früher zu § 116 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO)vertretene Auffassung, dass alle Nebenverfahren wie auchBeschwerdeverfahren grundsätzlich mit der für das Betreiben dessozialgerichtlichen Verfahrens in einem Rechtszug entstandenenGebühr abgegolten sind, nicht mehr aufrecht zu erhalten (Bayer.LSG, Beschluss vom 9. Februar 2009 - L 15 B 12/09 B -; LSGBaden-Württemberg, Beschluss vom 24. Oktober 2008 - L 6 SB 4170/08KO-B -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 24. Mai 2005 - L 2B 40/04 RI - ASR 2005, 131 und vom 15. September 2005 - L 2 B 40/04€ AnwBl. 2006, 146; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30.November 2006 € L 6 B 221/06 SB -). Eine andere Beurteilungergibt sich nicht daraus, dass das Sozialgericht über die Kostennach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG auch im Urteil entscheiden kann.Erfolgt die Entscheidung im Urteil, ist dieses nur mit demRechtsmittel der Berufung anfechtbar, wobei die isolierteAnfechtung der Kostenentscheidung mit der Berufung ausgeschlossenist (§ 144 Abs. 4 SGG). In diesem Fall entsteht neben der Gebührfür das Berufungsverfahren keine gesonderte Gebühr für die hier inRede stehenden Gutachterkosten. Entscheidet das Sozialgericht überdie Kosten nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG aber statt in derHauptsache in einem kostenrechtlichen Nebenverfahren durchgesonderten Beschluss, entsteht nach § 18 Nr. 5 RVG für dasBeschwerdeverfahren eine eigene Gebühr, so dass eineKostenentscheidung zu ergehen hat.

Das SGG enthält ausdrücklich keine Rechtsgrundlage zur Frage derKostenerstattung in Verfahren bzw. Beschwerdeverfahren nach § 109SGG. Die Frage, aufgrund welcher Rechtsgrundlage und von wem dieaußergerichtlichen Kosten zu erstatten sind, wird in derRechtsprechung der Landessozialgerichte überwiegend dahingehendbeantwortet, dass § 193 SGG entsprechend anwendbar sei (vgl. LSGBaden-Württemberg, Beschluss vom 24. Oktober 2008 - L 6 SB 4170/08KO-B -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. September 2005s.o.; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. November 2006 s.o.;Bayer. LSG, Beschluss vom 9. Februar 2009 s.o. und Beschluss vom15. Dezember 2008 - L 1 B 961/08 R -). Den davon abweichendenAuffassungen des 11. und des 10. Senats des LSG Baden-Württembergkann nicht gefolgt werden.

Nach Auffassung des 11. Senats des LSG Baden-Württemberg seienaußergerichtliche Kosten eines Beschwerdeverfahrens gegen die eineKostenübernahme auf die Staatskasse ablehnende Entscheidung desSozialgerichts in entsprechender Anwendung des § 67 Abs. 1 Satz 2i.V.m. § 66 Abs. 8 Gerichtskostengesetz (GKG) nicht zu erstatten(Beschluss vom 30. Oktober 2008 - L 11 R 3757/08 -). DieseVorschriften seien auf die vorliegende Fallkonstellationentsprechend anwendbar. Nach § 10 GKG dürfe die Tätigkeit derGerichte in weiterem Umfang als es die Prozessordnungen oder dasGKG gestatteten nicht von der Zahlung der Kosten abhängig gemachtwerden. Für diejenigen sozialgerichtlichen Verfahren, in denen dasGKG Anwendung finde, regele § 17 GKG eine Vorschusspflicht fürAuslagen. Die Regelung in § 109 SGG gebe den Gerichten derSozialgerichtsbarkeit ebenfalls das Recht, die Einholung des nachdieser Vorschrift beantragten Sachverständigengutachtens von derZahlung eines Auslagenvorschusses abhängig zu machen. BeideVorschriften - § 17 GKG für Verfahren nach § 197a SGG und § 109 SGGfür Verfahren nach § 183 SGG - regelten demnach vergleichbareSachverhalte. Während das Verfahren der Beschwerde gegen dieAnordnung einer Vorauszahlung in den vom GKG erfassten Verfahren in§ 67 SGG geregelt sei, seien für Beschwerden gegen Entscheidungenauf der Grundlage des § 109 SGG die Vorschriften der §§ 172 ff. SGGanwendbar. Im SGG sei jedoch keine Bestimmung enthalten, die dieKostentragung im Fall einer erfolgreichen Beschwerde bei derEntscheidung über die Anordnung des Kostenvorschusses oder dieÜbernahme der Kosten auf die Staatskasse regele. Die Bestimmung des§ 193 SGG sei nicht anwendbar, da das Verfahren, in dem zuentscheiden sei, ob die Kosten der Begutachtung auf die Staatskasseübernommen werden, kein Prozessverfahren, sondern einparteieinseitiges Verfahren des Kostenrechts sei, in dem sich - wiebei der Prozesskostenhilfe (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 15.November 1983, NJW 1984, 740) - als Beteiligter nur derAntragsteller und das Gericht als Bewilligungsstellegegenüberstünden. Daher sei es geboten, die Gesetzeslücke durcheine analoge Anwendung von § 67 Abs. 1 S. i. V. m. § 66 Abs. 8 GKGzu schließen. Diese Vorschriften seien sachnäher als § 46 Abs. 1des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) i.V.m. § 467 derStrafprozessordnung (StPO), bei deren analoger Heranziehung man zueiner Erstattungspflicht der Staatskasse käme (so aber LSGBaden-Württemberg, Beschluss vom 30. Juli 2008 - L 10 U 3522/08KO-B -). Der Auffassung des 11. Senats des LSG Baden-Württembergkann nicht gefolgt werden. Zwar handelt sich bei derKostenbeschwerde nach § 109 SGG um ein€parteieinseitiges€ Verfahren. Es trifft aber nicht zu,dass § 193 SGG in den Fällen des § 183 SGG nicht anwendbar ist.Anders als bei § 197a SGG, der auf die Kostenregelungen derVerwaltungsgerichtsordnung (VwGO) verweist, ist in den Fällen des §183 SGG über die Beschwerde nach den Vorschriften des SGG zuentscheiden, so dass § 193 SGG als für das sozialgerichtlicheVerfahren maßgebende Regelung über die Kostenerstattung anwendbarist (insoweit zutreffend LSG Baden-Württemberg - 10. Senat -,Beschluss vom 17. März 2009 - L 10 U 1056/09 KO-B - UV-RechtAktuell 2009, 536). Im Übrigen hat der Gesetzgeber in § 197a Abs. 1Satz 1 SGG die Anwendung des GKG ausdrücklich angeordnet, für denPersonenkreis des § 183 SGG hat er sie dagegen mit derKostenfreiheit nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGG ausdrücklichausgeschlossen, so dass die (entsprechende) Anwendung des GKG aufFälle des § 183 SGG mit Wortlaut und Systematik der genanntenVorschriften sowie der mit § 183 SGG bezweckten Privilegierung deserfassten Personenkreises schwerlich zu vereinbaren wäre (vgl. LSGBaden-Württemberg - 13. Senat -, Beschluss vom 6. Mai 2009 €L 13 R 339/09 KO-B). Die Kostenentscheidung beruht daher €hinsichtlich der Frage, ob eine Erstattung außergerichtlicherKosten zu erfolgen hat € auf der entsprechenden Anwendung des§ 193 Abs. 1 SGG.

Die entsprechende Anwendung des § 193 SGG ist jedoch nicht aufdie Frage begrenzt, ob eine Erstattung außergerichtlicher Kosten zuerfolgen hat, sondern erstreckt sich auch auf die Frage, werKostenschuldner ist. Die vom 10. Senat des LSG Baden-Württemberg(Beschluss vom 17. März 2009 s.o und Beschluss vom 30. Juli 2008s.o.) bejahte entsprechende Anwendung des § 46 OWiG i.V.m. § 467StPO ist nach Auffassung des Senats nicht möglich. Der Staat ist inAngelegenheiten des OWiG und in Strafsachen direkt beteiligt. Eineentsprechende Anwendung der genannten Kostenregelung auf die Frageder Kostenerstattung nach § 109 SGG ist deshalb zu verneinen, weildie verfahrenrechtlichen Ausgangslagen völlig verschieden sind. ImRahmen des OWiG und der StPO werden Verfahren geführt, in denen derStaat Sanktionen ausgesprochen hat. Eine vergleichbareKonstellation ist im Rahmen der Frage der Übernahme derGutachterkosten nach § 109 SGG nicht erkennbar. Vielmehr ist diedem sozialgerichtlichen Verfahren näherliegende Vorschrift des §193 SGG auch hier entsprechend anzuwenden (ebenso LSGBaden-Württemberg, - 13. Senat - Beschluss vom 6. Mai 2009s.o.).

Bei Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich, Klage-,Antrags- oder Rechtsmittelrücknahme, angenommenes Anerkenntnis undübereinstimmende Erledigungserklärung entscheidet das Gericht unterBerücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nachErmessen (Meyer-Ladewig u.a., SGG, § 193 Rdnr. 13 m.w.N.).Maßgebend für die Entscheidung sind insbesondere dieErfolgsaussichten des Verfahrens und die Gründe für dieAntragstellung und die Erledigung.

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien sind dem Kläger seinenotwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 4. November 2009 istunwirksam. In der als Beschluss bezeichneten Entscheidung desSozialgerichts, die sich in der Gerichtsakte befindet, fehlt dieUnterschrift der im Rubrum angegebenen Richterin, so dass es sichlediglich um einen Entscheidungsentwurf, nicht jedoch um einenwirksamen Beschluss handelt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschlussvom 11. November 2010 - L 25 AS 1969/10 B -). Zwar ist derBeschlussentwurf und gleichzeitig die Verfügung über die Zustellungbzw. Bekanntgabe der Entscheidung an die Beteiligten von derRichterin unterschrieben worden. Der Entwurf datiert aber vom 3.November 2009 und enthält überdies die weitere Verfügung:€Beschluss ausfertigen und zur Unterschrift vorlegen€.Dass der Beschlussentwurf den Beteiligten zugestellt wurde, istnicht ausreichend, um den zugestellten Entwurf dem Gerichttatsächlich als seine Entscheidung zurechnen zu können (vgl.BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 1985 - 2 BvR 498/84 - NJW1985, 788). Eine Nachholung der Unterschrift gemäß § 202 SGG i. V.m. § 319 Abs. 1 Zivilprozessordnung (vgl. dazu BGH, Beschluss vom24. Juni 2003 - VI ZR 309/02 - NJW 2003, 3057) ist nichtzulässig, denn das in §§ 142 Abs. 1, 134 Abs. 1 SGG enthalteneErfordernis der richterlichen Urteils- bzw. Beschlussunterzeichnunggehört zu den Anforderungen, die ein ohne mündliche Verhandlungergehender Beschluss erfüllen muss, damit er nach § 133 Satz 2 SGGi.V.m. Satz 1 durch Zustellung an die Beteiligten wirksam werdenkann (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1992 - 5 C 9/89 - NJW1993, 1811; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. November 2010s.o.).

Die Beschwerde war daher mit dem (sinngemäßen) Antragfestzustellen, dass es sich bei dem als Beschluss bezeichnetenSchriftstück des Sozialgerichts Kassel vom 4. November 2009 (S 9 U71/05) nicht um einen Beschluss im Sinne des § 142 SGG handelt,begründet, so dass die Staatskasse dem Kläger seine notwendigenaußergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstattenhat.

Das Verfahren ist damit weiterhin beim Sozialgericht anhängig,das nunmehr (zweckmäßigerweise nach Abschluss desBerufungsverfahrens) eine formwirksame Entscheidung über dasBegehren des Klägers zu treffen haben wird.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).






Hessisches LSG:
Beschluss v. 28.02.2012
Az: L 9 U 289/09 B


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