Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 29. Oktober 2004
Aktenzeichen: 6 U 126/04

(OLG Köln: Urteil v. 29.10.2004, Az.: 6 U 126/04)

Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 27. Mai 2004 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O 199/04 - geändert.

Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 22. März 2004 wird unter Zurückweisung des auf Ihren Erlass gerichteten Antrags aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig.

Gründe

Begründung:

I.

Bei der Antragstellerin handelt es sich um einen branchenübergreifenden Zusammenschluss von Unternehmen und Wirtschaftsorganisationen, der sich zum Ziel gesetzt hat, einen funktionierenden Wettbewerb zu erhalten, Wettbewerbsverstöße zu verfolgen und den lauteren Geschäftsverkehr zu fördern. Die Antragsgegnerin, die Firma H. GmbH, ist eine Fluggesellschaft. Sie bietet günstige Flüge unter anderem von dem Flughafen Köln/Bonn zu europäischen Flugzielen im In- und Ausland an. Buchungen können über das Internet vorgenommen werden. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beanstandet die Antragstellerin, dass die Antragsgegnerin Preise ohne Mehrwertsteuer nennt, diese vielmehr unter der Rubrik "Steuern und Gebühren" gesondert ausweist.

Durch die Einwahl der Internetadresse der Antragsgegnerin gelangt man auf deren Startseite. Dort kann man zwischen Einfachflug und Hin- und Rückflug wählen, den Abflug- und Zielort sowie die gewünschten Flugtage und die Anzahl der Fluggäste eingeben. Durch Betätigung des Befehls "Flüge suchen" gelangt man dann auf die nächste Seite. Zu Beginn dieser Seite heißt es unter der Überschrift

"Ihre Flugauswahl

Flugpreise und Flugzeiten auf einen Blick. Wählen Sie aus!",

die ausgewiesenen Tarife verstünden sich zuzüglich Steuern und Gebühren, der endgültige Flugpreis werde nach Auswahl der gewünschten Flugverbindung auf der nächsten Buchungsseite angezeigt. Der Verbraucher hat nun die Möglichkeit, sich je nach Verfügbarkeit einen Hin- und Rückflug seiner Wahl auszusuchen, wobei bereits auf dieser Seite jeweils oneway-Preise angegeben sind. Wählt der Interessent die ihn interessierende Flugverbindung aus und klickt auf den Button "Weiter", öffnet sich eine weitere Internetseite, die mit den Worten

"Ihre Reiseübersicht

Tarifbestimmungen und Gesamtpreis Ihres Fluges"

überschrieben ist. Alsdann erhält der Flugreisewillige eine Preisübersicht über die ausgewählte Flugverbindung dergestalt, dass zunächst ein Preis genannt wird, dem ein weiterer Preis für "Steuern und Gebühren" folgt. Unmittelbar darunter ist das in Klammern gesetzte Wort "Einzelheiten" abgedruckt. Rechts daneben heißt es, die ausgewiesenen Tarife verstünden sich zuzüglich Steuern und Gebühren, die abhängig vom Flugziel und Routing erhoben würden. Diese Rubrik ist mit dem Wort "Tarifbestimmungen" überschrieben. Rechts daneben findet sich unter den Worten

"Steuern und Gebühren"

ein Hinweis darauf, dass der Gesamtpreis des Fluges Steuern und Gebühren enthalte, die von Flughäfen und aufgrund behördlicher Auflagen erhoben würden. Diese Kosten machten oftmals einen erheblichen Anteil des Flugpreises aus, unten fände man eine Auflistung der Steuern und Gebühren. Welche Abgaben bei der betroffenen Flugauswahl anfielen, erfahre man durch einen Klick auf das Wort "Einzelheiten". Klickt man dieses Wort an, erfolgt eine Aufstellung der Steuern und Gebühren nebst Preisen, unter anderem die Government Security Charge, die "Surcharge", aber auch die Mehrwertsteuer. Alsdann wird die Gesamtsumme der Steuern genannt. Am Ende der Preisübersicht erscheint dann der Gesamtpreis des Fluges. Wegen der Einzelheiten der Seitengestaltung wird beispielhaft auf die nachfolgenden Ausdrucke aus dem Internet verwiesen:

pp.

Den Umstand, dass die Antragsgegnerin bei Flügen innerhalb Deutschlands anfallende Mehrwertsteuer nicht in die Flugpreisangaben einbezieht, sie dem Preis vielmehr als Steuer zuschlägt, hat die Antragstellerin als Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 der PAngV in Verbindung mit § 1 UWG a.F. sowie als irreführend im Sinne des § 3 UWG a.F. beanstandet. Das Landgericht ist der Argumentation der Antragstellerin zum Irreführungstatbestand gefolgt und hat durch die von der Antragsgegnerin mit der Berufung angefochtene Entscheidung, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 91 ff. d.A.), eine zuvor von ihm erlassene, die konkrete Verletzungsform einbeziehende einstweilige Verfügung bestätigt. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Antragsgegnerin mit der Berufung. Sie beantragt,

die angefochtene Entscheidung zu ändern und die gegen sie gerichtete einstweilige Verfügung unter gleichzeitiger Zurückweisung des auf ihren Erlass gerichteten Antrags aufzuheben.

Die Antragstellerin verteidigt die angefochtene Entscheidung als richtig und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

II.

Der von der Antragstellerin vorgetragene Sachverhalt trägt, soweit er glaubhaft gemacht ist, das geltend gemachte Unterlassungsbegehren nicht. Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist deshalb auch in der Sache begründet. Sie führt zur Änderung der angefochtenen Entscheidung, zur Aufhebung der vom Landgericht erlassenen einstweiligen Verfügung und zur Zurückweisung des auf ihren Erlass gerichteten Antrags.

1.

Die Antragstellerin hatte ihr Unterlassungsbegehren zunächst primär auf die Vorschriften der Preisangabenverordnung in Verbindung mit § 1 UWG a.F. gestützt. Der diesbezüglichen Rechtsauffassung der Antragstellerin ist das Landgericht zu Recht nicht gefolgt. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH GRUR 2003, 889 ff. "Internet-Reservierungssystem") verstößt der Anbieter eines Reservierungssystems für Linienflüge im Internet nicht deshalb gegen § 1 Abs. 1 und Abs. 6 der Preisangabenverordnung, weil das System bei der erstmaligen Bezeichnung von Preisen nicht bereits den Endpreis angibt, sondern dieser erst bei der fortlaufenden Eingabe in das Reservierungssystem ermittelt wird, wenn der Nutzer hierauf zuvor klar und unmissverständlich hingewiesen wird. Das ist hier, wovon sich der Senat durch eine Überprüfung der Internetseiten der Antragsgegnerin selbst überzeugt hat, unzweifelhaft der Fall. Denn mit dem Aufruf der Flüge, die der Interessent zu buchen erwägt, wird er zugleich unter der fettgedruckten Überschrift

Ihre Flugauswahl

Flugpreise und Flugzeiten auf einen Blick. Wählen Sie aus!

klar und unmissverständlich darauf gewiesen, dass sich die ausgewiesenen Tarife zuzüglich Steuern und Gebühren verstehen, dass der endgültige Flugpreis erst nach Auswahl der gewünschten Flugverbindung auf der nächsten Buchungsseite angezeigt wird und dass deshalb der jeweils auf der Seite "Ihre Flugauswahl" angegebene Preis kein Endpreis ist. Beim Buchungsvorgang selbst kann der Endpreis von einem durchschnittlich informierten und situationsadäquat aufmerksamen Verbraucher schlichtweg nicht übersehen werden. Damit trägt § 1 Abs. 1 der Preisangabenverordnung in Verbindung mit §§ 3, 4 Nr. 11 UWG n.F. das Unterlassungsbegehren nicht, und es kommt im übrigen nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG a.F. in Form der wesentlichen Wettbewerbsbeeinträchtigung vorgelegen haben, die nunmehr in der Formulierung "nicht unerheblich" in § 3 UWG n.F. ihren Niederschlag gefunden haben

2.

Auch § 3 UWG a.F. = § 5 Abs. 1 UWG n.F. verhilft dem Verfügungsbegehren der Antragstellerin nicht zum Erfolg.

a.

Ein durchschnittlich informierter Verbraucher, sei es, dass er sich mit dem Internet bereits befasst hat und sich dort auskennt, sei es, dass er zum ersten Mal über die Internetseite der Antragsgegnerin einen Flug zu buchen versucht, kann aufgrund der konkreten Ausgestaltung der Internetseite der Antragsgegnerin nicht in relevanter Weise in die Irre geführt werden. Er wird sich dabei im Ausgangspunkt zunächst überhaupt keine Gedanken darüber machen, dass bei Inlandsflügen im Gegensatz zu Auslandsflügen Mehrwertsteuer anfällt. Dagegen weiß ein durchschnittlich informierter Verbraucher, dass je nachdem, welcher Flughafen (z.B. Frankfurt am Main oder Hahn) angeflogen wird und zu welchen Zeiten dies geschieht, sehr unterschiedliche Flughafengebühren anfallen können. Diese Gebühren können sehr niedrig oder aber auch sehr hoch sein. Ein durchschnittlich informierter Verbraucher rechnet deshalb stets damit, dass dem angegebenen Flugpreis Kosten hinzuzurechnen sind, und dass diese Kosten in Form von Steuern den eigentlichen, z.B. zum Preis von 1,99 EUR angebotenen Flugpreis um ein Mehrfaches übersteigen können. Möglicherweise wird ein Verbraucher, der die Internetseite der Antragsgegnerin aufsucht, und der nicht weiß, dass auf ihn bei Inlandsflügen nicht nur weitere variable Kosten zukommen, sondern auch Mehrwertsteuer anfällt, verwundert sein, dass die Antragsgegnerin zu dem Flugpreis eine Steuer auch in dem Sinne hinzuschlägt, dass nicht nur variable Flughafengebühren pp. anfallen, sondern auch die Mehrwertsteuer addiert wird. Irregeführt wird der Verbraucher gleichwohl nicht. Denn er wird hierüber bei dem Buchungsvorgang unmissverständlich aufgeklärt, und er weiß, dass er die Preise verschiedener Fluggesellschaften erst dann miteinander vergleichen kann, wenn er alle den Endpreis bildenden Faktoren zur Kenntnis genommen hat. Erst wenn er zum Beispiel eingibt, er möchte am 16. November 2004 als Einzelreisender von Köln nach Berlin und am 20. November 2004 von Berlin nach Köln zurückfliegen, sieht er, dass der Hinflug je nach Abflugzeit zwischen 55,00 und 124,00 EUR und der Rückflug je nach Abflugzeit zwischen 48,00 und 92,00 EUR kostet, dass dann aber Gebühren hinzukommen, die variabel sind und die je nach Abflugort und Abflugzeit unterschiedlich sind. Ein durchschnittlich informierter Verbraucher weiß aber, dass bei über das Internet zu buchenden Flügen der vorliegenden Art erst der Endpreis zählt und dass man erst diesen Preis durch die vollständige Eingabe aller Daten und durch das Durchlaufen mehrerer Internetseiten der Beklagten ermitteln muss, welchen Preis die Antragsgegnerin schlussendlich fordert. Erst dann kann er gegebenenfalls durch eine inhaltsgleiche Recherche bei anderen Fluganbietern herausfinden, ob diese zu ähnlichen oder gar günstigeren Flugzeiten billigere oder teurere Flüge anbieten. Selbst derjenige Verbraucher also, der unter "Steuern und Gebühren" ausschließlich variable Kosten versteht, wird nicht in relevanter Weise irregeführt, weil er ohne weiteres sieht, dass in den Steuern und Gebühren auch die der Höhe nach stets gleiche Mehrwertsteuer enthalten ist.

b.

Eine andere Beurteilung des Irreführungspotentials wäre allenfalls dann angezeigt, wenn in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen werden könnte, der Verbraucher orientiere sich bereits an der ersten Preisangabe und vergleiche diese Preisangabe mit den Preisen der Konkurrenz, weil variable Kosten in Form von Steuern und Gebühren bei dem Abflug- und/oder Zielflughafen stets identisch sein könnten, und zwar unabhängig von den Flugzeiten. In diesem Fall würde er möglicherweise relevant irregeführt, weil er bei einer Preisangabe von z.B. "100,00 EUR" und stets gleichen variablen Kosten bei allen Fluggesellschaften von z.B. 20,00 EUR annehmen könnte, er müsse bei einem Konkurrenzunternehmen der Antragsgegnerin insgesamt 120,00 EUR zahlen, während der von der Antragsgegnerin letztlich geforderte Preis dann aber nicht 120,00 EUR, sondern 136,00 EUR (100,00 EUR + 20,00 EUR + 16% Mehrwertsteuer auf 100,00 EUR) betrüge. Hiervon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Zum einen ist nicht glaubhaft gemacht, dass es einen relevanten Teil der Verbraucher gibt, der sich von der Maßgeblichkeit des zuerst genannten Preises ohne Rücksicht darauf leiten lässt, wie hoch die angekündigten, ihm aber noch nicht genannten Steuern und Gebühren sind. Die Buchungspraxis dürfte eine andere sein. Darüber hinaus ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich, dass z.B. die Flughafengebühren für einen bestimmten Flughafen ungeachtet der jeweiligen An- und Abflugzeiten stets identisch sind. Hinzu kommt, dass die einzelnen Fluggesellschaften unter Umständen auch noch unterschiedliche Flughäfen in einer Stadt, wie z.B. in Berlin anfliegen, und schon aus diesem Grunde die an dem jeweiligen in Berlin gelegenen Flughafen anfallenden Flughafengebühren unterschiedlich hoch sein können. Damit scheitert die Annahme, ein wesentlicher Teil des angesprochenen Verkehrs lese nicht alle Preisangaben der Antragsgegnerin, sondern nehme einen Preisvergleich ohne Rücksicht auf anfallende Steuern und Gebühren bereits anhand des ihm zuerst genannten oneway-Preises vor, bereits daran, dass die Antragstellerin dies nicht im einzelnen vorgetragen und erst recht nicht glaubhaft gemacht hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.






OLG Köln:
Urteil v. 29.10.2004
Az: 6 U 126/04


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