Verwaltungsgericht Gießen:
Urteil vom 29. April 2013
Aktenzeichen: 21 K 1887/11.GI.B

(VG Gießen: Urteil v. 29.04.2013, Az.: 21 K 1887/11.GI.B)

1. Die Ausgabe von Wertgutscheinen beim Einlösen von Rezepten über verschreibungspflichtige Arzneimittel in Apotheken ist als Verstoß gegen die Preisbindung im Arzneimittelrecht unzulässig und darf grundsätzlich berufsrechtlich geahndet werden.

2. Die sogenannte wettbewerbsrechtliche Spürbarkeitsschwelle besteht im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Pflicht zur Beachtung der Preisbindung im Arzneimittelrecht nicht. Der Apothekenabgabepreis ist der wirtschaftlichen Disposition von Apothekeninhabern entzogen.

3. Die berufsrechtliche Sanktionierung von Verstößen gegen die Verpflichtung von Apothekern und Apothekerinnen zur Beachtung dieser strikten Preisbindungsregeln ist grundsätzlich zulässig. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist im Rahmen der Sanktionsbemessung zu beachten.

Tenor

Der Beschuldigten wird wegen Verstoßes gegen ihre Berufspflichten als Apothekerin unter Erteilung eines Verweises eine Geldbuße in Höhe von 700,00 Euro auferlegt.

Die Beschuldigte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Gebühr wird auf 750,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beschuldigte betreibt als Filialapotheke die easy-Apotheke in A-Stadt. Zusätzlich betreibt sie eine als Hauptapotheke geführte Apotheke in C-Stadt, ihr Ehemann leitet die D-Apotheke in E-Stadt,bei der es sich nicht um eine easy-Apotheke handelt.

Nach den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 9. September 2010 (Az.: I ZR 37/08 und I ZR 98/08), welche wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche unter Apothekeninhabern wegen Ermöglichens zum Sammeln von Bonuspunkten für die Einlösung eines Rezeptes zum Gegenstand hatten, fand ein Kooperationstreffen der easy-Apotheken in Deutschland statt, an welchem die Beschuldigte teilnahm. Es wurden dort Lösungswege für die Kundenbindung auf der Grundlage der vorzitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs gesucht. Die Beschuldigte ließ sodann Flyer in den Haushalten des Einzugsbereichs ihrer Apotheke verteilen, mit welchen für eine "easyRezept€Prämie bis zu 3,00 €" geworben wurde. Wörtlich heißt es auf diesem Aufdruck weiter: "Für die Einlösung eines Rezeptes bekommen Sie pro verschreibungspflichtigem Arzneimittel einen 1,00 Euro Einkaufsgutschein geschenkt €sofort einlösbar!" Auf dem Flyer (kleiner gedruckt und in anderer Farbe): "Pro Rezept erhalten Sie für maximal drei Arzneimittel einen Einkaufsgutschein. Einkaufsgutscheine können nur beim Kauf von nicht-rezeptpflichtigen Artikeln eingelöst werden.Eine Barauszahlung des Gutscheinbetrages und eine Auszahlung von Restbeträgen ist nicht möglich." Diese "easyRezept-Prämie-Aktion" wurde in der Zeit vom 1.November bis 31. Dezember 2010 durchgeführt.

Ferner erschien in der Ausgabe vom 18. November 2010 der Zeitung €F. Heimatblatt€ eine Anzeige der easy-Apotheke A-Stadt der Beschuldigten, mit unter anderem folgendem Text:€easyRezept-Prämie bis zu 3,00 € geschenkt! Für die Einlösung eines Rezeptes bekommen sie pro verschreibungspflichtigem Arzneimittel einen 1,00 Euro Einkaufsgutschein geschenkt €sofort einlösbar! Pro Rezept erhalten Sie für maximal drei Arzneimittel einen Einkaufsgutschein, Einkaufsgutscheine können nur beim Kauf von nicht-rezeptpflichtigen Artikeln eingelöst werden.Eine Barauszahlung des Gutscheinbetrages und eine Auszahlung von Restbeträgen ist nicht möglich.€ Rechts neben diesem Anzeigentext in verschiedenen Schriftgrößen und verschiedenen Farben stand folgendes: €Aktion bis zum 31.12.2010.€

Nachdem die Landesapothekerkammer Hessen durch ein Kammermitglied auf die vorbezeichneten Texte hingewiesen worden war, richtete ihr Geschäftsführer mit Datum vom 25. November 2010folgendes Schreiben an die Beschuldigte:

€ Rezeptgutschein in der easy ApothekeSehr geehrte Frau A.,Sie bewerben mittels eines Flyers der easy Apotheke in der Zeit vom 01.11. € 31.12.2010 eine easy Rezept-Prämie-Aktion. Hierbei bekommt der Kunde bei der Einlösung eines Rezeptes pro verschreibungspflichtigem Medikament 1,00 Euro Einkaufsgutschein geschenkt. Dieser Gutschein kann von dem Kunden sofort bei dem Erwerb eines nicht rezeptpflichtigen Artikels eingelöst werden.Ein solcher Gutschein stellt einen Verstoß gegen die Arzneimittelpreisverordnung dar, welcher berufsrechtlich zu verfolgen ist.In den Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 9. September 2010 zu den Boni und Rabatten ist entschieden worden, dass jeglicher Rabatt bei der Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels gegen die Arzneimittelpreisverordnung verstößt und auch dementsprechend geahndet wird. Die Tatsache, dass es sich bei Rabatten bis zu einem Wert von 1 Euro wettbewerbsrechtlich gesehen um einen Bagatellwert handelt, ist für das berufsrechtliche Vorgehen nicht relevant.Um einen Rabatt handelt es sich bereits dann, wenn Apotheken für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel den korrekten Preis berechnen, dem Kunden aber gleichzeitig einen Vorteil gewähren,dies kann ein Rabatt bei dem Erwerb eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels oder ein Gutschein sein.Auf Grundlage dieser Rechtsprechung und den Vorschriften der Arzneimittelpreisverordnung weisen wir Sie ausdrücklich darauf hin,dass bei Gewährung von jeglichen Rabatten oder Gutscheinen bei dem Erwerb eines verschreibungspflichtigen Medikamentes ein Verstoßgegen die Arzneimittelpreisverordnung und damit ein Verstoß gegen §12 Nr. 6 der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Hessen vorliegt und dieser dementsprechend von der Kammer berufsrechtlich verfolgt werden wird.Wir fordern Sie daher auf,

bis spätestens dem 13. Dezember 2010

eine Unterlassungserklärung abzugeben, in welcher Sie versichern es für die Zukunft zu unterlassen Boni, Rabatte oder Gutscheine bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten durch eine Ihrer Apotheken zu gewähren. Sollte dieser Erklärung nicht fristgemäß bei uns eingehen, behalten wir uns vor, rechtliche Schritte einzuleiten.Zur Wahrung Ihrer Recht machen wir Sie darauf aufmerksam, dass es Ihnen nach den gesetzlichen Vorschriften freisteht, sich zu äußern oder keine Angaben zur Sache zu machen.€

Per Rundfax Nr. 62 vom 18. November 2010 richtete der Hessische Apothekerverband e. V. folgendes Rundschreiben an seine Mitglieder:

€ Bundesgerichtshof: Boni und Rabatte sind verboten!Sehr geehrter Herr G.,der Bundesgerichtshof hat in fünf Urteil vom 9. September 2010entschieden, dass ein Verstoß gegen die Arzneimittelpreisverordnung vorliegt, wenn Apotheken für ein preisgebundenes Arzneimittel zwar den korrekten Preis berechnen, dem Kunden aber mit dem Erwerb dieses Arzneimittels Vorteile wie z. B. Einkaufsgutscheine oder Prämientaler gewähren. Zu diesen Arzneimitteln zählen verschreibungspflichtige Arzneimittel sowie nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden. Diese Entscheidungen machen klar: Es ist rechtswidrig, als Apotheke den Patienten Barrabatte (= Abweichen vom einheitlichen Apothekenverkaufspreis nach der Arzneimittelpreisverordnung) wie auch Zuwendungen in Form von Gutscheinen etc. für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu gewähren. Solche Boni werden als Verstoß gegen die Arzneimittelpreisverordnung berufsrechtlich geahndet. Apotheken sind daher gehalten, die Vorschriften der Arzneimittelpreisverordnung nicht durch Boni jedweder Form zu verletzen. Anderenfalls fordern sie ein Einschreiten der Aufsichtsbehörden und Apothekerkammern heraus. Die vom Bundesgerichtshof problematisierte €Spürbarkeitsgrenze€ von einem Euro hat nur Bedeutung im speziellen wettbewerbsrechtlichen Zivilprozess, im berufsrechtlichen Verfahren ist sie ohne Bedeutung.€

Mit Schreiben vom 13.12.2010 meldete sich die Kanzlei der Verteidiger der Beschuldigten unter Vollmachtsvorlage und nahm zu der Rechtsauffassung der Landesapothekerkammer Hessen ablehnend Stellung und teilte abschließend mit, dass die Mandantin nach alledem derzeit keine Veranlassung sehe, die von der Landesapothekerkammer Hessen €angegriffene Werbung€einzustellen.

II.

Mit der am 30. Mai 2011 eingegangenen Anschuldigungsschrift der Landesapothekerkammer Hessen vom 26. Mai 2011 wirft diese der Beschuldigten vor, aufgrund des vorstehend dargestellten Sachverhaltes standesrechtliche Verfehlungen gemäß §§ 1 Abs. 4 und 6, 4 Absatz 1 der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Hessen in der Fassung vom 17. März 2003 (veröffentlicht in der PZ Nr.17/2003, Seite 1588 und der DAZ Nr. 17/2003, Seite 2083) -Berufsordnung - i. V. m. §§ 78 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1Arzneimittelgesetz und 1 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, Abs. 4, 3Arzneimittelpreisverordnung € AMPreisV € begangen zu haben. Den Vorwurf des Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 Berufsordnung hat der Vertreter der Landesapothekerkammer Hessen in der Hauptverhandlung vom 29.04.2013 zurückgenommen. Zur Begründung des Vorwurfs ist in der Anschuldigungsschrift folgendes vorgebracht:Mit der zugesagten Gewähr eines Rezeptbonus verstoße die Beschuldigte gegen die gesetzliche Preisbindung, die sich aus dem Arzneimittelgesetz und der Arzneimittelpreisverordnung ergebe. Ein Verstoß gegen die gesetzliche Preisbindung liege nämlich nicht nur dann vor, wenn ein Apotheker ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem anderen als dem nach der Arzneimittelpreisverordnung zu berechnenden Preis an seine Kunden abgebe, sondern auch dann, wenn er für das betreffende Arzneimittel zwar den korrekten Preis ansetze, seinen Kunden beim Erwerb des Arzneimittels zugleich jedoch Vorteile gewähre, die den Erwerb des Arzneimittels für diese wirtschaftlich günstiger erscheinen ließen. Einen solchen arzneimittelrechtlich unzulässigen wirtschaftlichen Vorteil stelle der von der Beschuldigten in Aussicht gestellte und gewährte Rezeptbonus dar, bei dem es sich der Sache nach um einen auf einen bestimmten Geldbetrag lautenden, bei einem Folgekauf einlösbaren Gutschein handele.

III.

Die vorstehenden Feststellungen beruhen auf den in der Ermittlungsakte der Landesapothekerkammer Hessen (1 Band) und der vorliegenden Gerichtsakte (2 Bände) vorhandenen Urkunden und Unterlagen, sowie der Einlassung der Beschuldigten, soweit ihr zu folgen ist. Aufgrund des Ergebnisses der Hauptverhandlung vom 29.April 2013 steht der oben unter Abschnitt II wiedergegebene Sachverhalt zur Überzeugung des Gerichts fest.

IV.

Das angeschuldigte Verhalten der Kammerangehörigen stellt einen Verstoß gegen § 22 Hessisches Heilberufsgesetz (HeilBG) i. V. m. §§1 Abs. 4 und 6 der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Hessen vom 16. September 1993 (PZ 1993, 3420 ff.) i. V. m. § 78 Abs. 2Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz € AMG -) sowie § 1Abs. 1 Nrn. 1 und 2, Abs. 4, § 3 AMPreisV vom 14. November 1980(BGBl. I S. 2147) dar. Gemäß § 22 HeilBG sind die Kammerangehörigen € vorliegend die Apothekerinnen und Apotheker €verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Zur gewissenhaften Berufsausübung zählt auch die Pflicht zur Einhaltung der für diese Berufsausübung geltenden Gesetze einschließlich der auf ihrer Grundlage erlassenen Verordnungen, die Einhaltung des Satzungsrechts der Landesapothekerkammer sowie der darauf gegründeten Anordnungen und Richtlinien.

Durch die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel unter Überreichung eines 1,00 Euro-Einkaufsgutscheins (€sofort einlösbar€) € maximal 1,00 Euro für drei Arzneimittel pro Rezept, also maximal 3,00 Euro pro Rezept € hat die Beschuldigte gegen § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3 AMG verstoßen. Danach ist für die verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel ein einheitlicher Apothekenabgabepreis zu gewährleisten. Die auf der Grundlage des § 78 Abs. 1 Satz 1 AMG erlassene Arzneimittelpreisverordnung setzt in § 2 die Preisspannen des Großhandels bei der Abgabe im Wiederverkauf an Apotheken und in § 3die Preisspannen der Apotheken bei der Abgabe im Wiederverkauf jeweils zwingend fest. Ausnahmen hiervon sieht die Arzneimittelpreisverordnung nicht vor (vgl. auch Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 03.05.2012 € 9 U192/11, Rdnrn. 38 bis 43 € juris).

Der somit festgelegte €centgenaue€ einheitliche und verbindliche Apothekenabgabepreis an die Endverbraucher von rezeptpflichtigen Medikamenten soll gewährleisten, dass die im öffentlichen Interesse gebotene flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln unter Ausschluss eines insoweit dem entgegenwirkenden ruinösen Wettbewerbs sichergestellt wird (vgl. die Stellungnahme des Bundesrats zum Regierungsentwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes,BT-Drucksache 11/5373 Seite 27).

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Beschuldigte den über den sogenannten €Rezeptbonus€ erlangbaren Preisvorteil erst für den Kauf eines weiteren (nicht-rezeptpflichtigen) Artikels in Aussicht gestellt hat. Ein Apotheker bzw. eine Apothekerin verstößt nämlich bereits dann gegen die Arzneimittelpreisbindung, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar zunächst der korrekte Preis verlangt wird, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen (so auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.07.2011,Az.: 13 ME 111/11 € juris € unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den Urteilen vom 09.09.2010 € I ZR 193/07, I ZR 37/08, I ZR 98/08, I ZR125/08, I ZR 26/09; ebenso Landesberufsgericht für Heilberufe bei dem OVG Koblenz, Urteil vom 08.10.2012, Az.: LBG-HA 10353/12; juris -). Bei dem Apothekenabgabepreis handelt es sich nämlich um eine allein aufgrund öffentlichen Rechts vom Apotheker/der Apothekerin zu beachtende Größe, welche dessen wirtschaftlicher Disposition entzogen ist. Der Zweck der Preisbindung, nämlich die Sicherstellung der flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln unter Ausschluss eines, gegebenenfalls in den Ruin einzelner Apotheken führenden Wettbewerbes, wird nämlich bereits dann beeinträchtigt,wenn dem potenziellen Kunden Vorteile gewährt werden, welche an die Abgabe eines Arzneimittels geknüpft sind, welche den Erwerb dieses Arzneimittels gerade in dieser Apotheker für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen als in einer anderen Apotheke (vgl. OVGLüneburg, a.a.O., m. w. N.).

Wie sich aus den in der Ermittlungsakte abgehefteten und in der Hauptverhandlung verlesenen Werbeträgern der Beschuldigten ergibt,verfügt sie in ihrer Apotheke über ein breit gefächertes Sortiment nicht-apothekenpflichtiger Artikel, welche auf ein differenziertes Kundeninteresse abgestimmt sind. Der Anreiz für Kunden, durch die Einlösung von Rezepten € unabhängig davon, wie viele Arzneimittel auf einem Rezept ärztlicherseits verordnet sind € gerade in der Apotheke der Beschuldigten, um sodann sonstige Artikel entsprechend verbilligt kaufen zu können, ist offensichtlich gegeben. Dabei ist im Hinblick auf das konkret von der Beschuldigten angewandte Kundenbindungssystem davon auszugehen,dass eine Nähe zu dem gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2Heilmittelwerbegesetz im Zusammenhang mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln bei produktbezogener Werbung stets unzulässigen Barrabatt festzustellen ist (vgl. insoweit auch die Ausführungen des OVG Lüneburg im vorzitierten Beschluss vom 08.07.2011, Rdnr.19).

Nicht zuletzt auch unter diesem Gesichtspunkt unterscheidet sich der vom erkennenden Gericht zu bewertende Sachverhalt von der in der Hauptverhandlung von der Verteidigung erörterten Überreichung eines Päckchens Papiertaschentücher oder der kostenfreien Überlassung einer Kundenzeitschrift. Letztgenannte Gaben sind nämlich als bloßer Ausdruck allgemeiner Kundenfreundlichkeit zu bewerten, welche der Apotheker bzw. die Apothekerin im Einzelfall überreichen kann oder eben auch nicht. Insbesondere hat hier der Kunde gerade nicht die Möglichkeit, aus dem sonstigen rezeptfreien Sortiment der Apotheke sich nach eigener Vorstellung einen bestimmten Artikel auszuwählen und den Gutschein quasi als Geldersatz dafür einzusetzen.

Unerheblich für die Bewertung des von der Beschuldigten praktizierten €Rezeptbonussystems€ ist die von der Verteidigung erörterte Frage, ob dieses Verhalten wettbewerbsrechtlich zulässig sein könnte, weil etwa die sogenannte Spürbarkeitsschwelle des § 3 Abs. 1 UWG im Hinblick auf die Höhe des Bonus (1,00 Euro pro Medikament, maximal 3,00 Euro pro Rezept)nicht überschritten sein könnte. Die öffentlich-rechtlichen Preisbindungsvorschriften des Arzneimittelgesetzes bzw. der Arzneimittelpreisverordnung gelten nämlich neben den Regelungen des Heilmittelwerbegesetzes (so auch OVG Koblenz, Urteil des Landesberufsgerichts für Heilberufe vom 08.10.2012, a.a.O., sowie VG Osnabrück, Beschluss vom 14.03.2011 € 6 B 94/10 -,juris, Rdnr. 14). Im Hinblick auf die unterschiedlichen Zielrichtungen bzw. Gesetzeszwecke der Vorschriften über die Arzneimittelpreisbindung einerseits und der Wettbewerbsregelungen im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) andererseits, ist auch unter dem Gesichtspunkt der €Einheit der Rechtsordnung" eine Übertragung der Ausführungen des Bundesgerichtshofs in den Urteilen vom 09.09.2010 (vgl. oben a.a.O.) zur Spürbarkeitsschwelle im Wettbewerbsrecht auf öffentlich-rechtlich zu bewertender Verstöße gegen die Arzneimittelpreisbindung nicht angezeigt. Der Bundesgerichtshof hat, worauf das Verwaltungsgericht Osnabrück (a.a.O.) zutreffend hinweist, deutlich zwischen den unterschiedlichen Regelungsbereichen unterschieden und seine Ausführungen zur Frage der €Spürbarkeitsgrenze€ auf die Regelungen im UWGbezogen.

Europarechtliche Vorgaben stehen der Anwendung der arzneimittelrechtlichen Regelungen des nationalen Rechts nicht entgegen, wie sich aus Artikel 94 Abs. 4 der Richtlinie 201/83/EGdes Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001eindeutig ergibt. Von daher erübrigt sich auch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof, wie von der Verteidigung angeregt.

Entsprechendes gilt für die Frage der Vereinbarkeit der arzneimittelrechtlichen Regelung über die Preisbindung mit Artikel 12 Abs. 1 GG. Nach der €Stufentheorie€ des Bundesverfassungsgerichts sind Eingriffe in die Berufsausübung zulässig, wenn sie durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt und verhältnismäßig sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.06.2011 € 1 BvR 233/10 -, juris). Die oben dargestellte Zielsetzung der hier in den Blick zu nehmenden Vorschriften, nämlich die Gewährleistung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, welche abstrakt durch das Zulassen eines Preiswettbewerbs unter Apotheken gefährdet wird,stellt solche die Einschränkung rechtfertigende Gründe dar. Durch das Verbot derartiger Kundenbindungsversuche wird auch die Freiheit der Berufsausübung von Apothekerinnen und Apothekern nur marginal eingeschränkt. Demgegenüber ist die Zielsetzung der Arzneimittelpreisbindung auch im Hinblick darauf höher zu gewichten, dass den flächendeckend, und damit auch außerhalb der Ballungsräume, vorhandenen Apothekerinnen und Apothekern ein wirtschaftliches Auskommen gesichert werden soll, so dass sich ihnen einen Standortwechsel nicht €aufdrängt€.

Soweit schließlich in der Hauptverhandlung erörtert wurde, ob angesichts der von der Beschuldigten behaupteten Geringfügigkeit eines eventuellen Verstoßes gegen die arzneimittelrechtlichen Preisbindungsvorschriften die Apothekerkammer Hessen ihr €Einschreitensermessen€ im vorliegenden Fall überschritten habe, weist das Gericht auf folgendes hin:

Der aus dem Bereich verwaltungsrechtlicher Eingriffsverfügungen abgeleitete Begriff des €Eingriffs- oder Einschreitensermessens€ ergibt sich nicht aus dem Wortlaut der vorliegend einschlägigen Regelung des § 57 Hessisches Heilberufsgesetz. Nach dieser Vorschrift stellt der Kammervorstand Ermittlungen an, wenn Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht eines Berufsvergehens rechtfertigen und teilt dies €dem Beschuldigten€ mit. Bei der Durchführung von Ermittlungen sind gemäß Absatz 2 der Vorschrift nicht nur die belastenden,sondern auch die entlastenden und die für die Bemessung der berufsgerichtlichen Maßnahmen bedeutsamen Umstände zu ermitteln.Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass es sich selbst bei - nach Auffassung des Berufsgerichts €unverhältnismäßigem Einschreiten im Einzelfall € was hier nicht vorliegt - um ein Verfahrenshindernis im Sinne des § 63Abs. 1 Satz 2 HeilBG handeln könnte. Nach § 63 Abs. 1 Satz 2 HeilBGkann €der Vorsitzende des Berufsgerichts€ die Eröffnung des Verfahrens vor dem Berufsgericht nur dann ablehnen, wenn er entweder den Verdacht eines Verstoßes gegen Berufspflichten für offensichtlich unbegründet oder das Verfahren für unzulässig hält.Eine fehlerhafte Gewichtung eines von einer berufsständischen Kammer ermittelten Verstoßes gegen Berufspflichten führt jedoch offensichtlich nicht zu einem so schwerwiegenden Verfahrensverstoß,dass die Durchführung des Hauptverfahrens vor dem Berufsgericht unzulässig wäre. Vielmehr ist die sich als Ergebnis des Hauptverfahrens bzw. der Hauptverhandlung herausstellende Schwere der Tat bei der Bemessung der Sanktion €angemessen€oder € mit anderen Worten €€verhältnismäßig€ zu gewichten.

Lediglich zur Klarstellung weist das Gericht darauf hin, dass die Kammer auch durchaus fallangemessen verhältnismäßig eingeschritten ist, denn sie hat der Beschuldigten mit Schreiben vom 25. November 2010 ihre Rechtsauffassung mitgeteilt und ihr die Möglichkeit eröffnet, ohne Durchführung eines berufsgerichtlichen Verfahrens das beanstandete Verhalten in Zukunft zu unterlassen.

Der festgestellte Verstoß gegen ihre Berufspflichten erfolgte im Falle der Beschuldigten auch vorsätzlich, soweit sie sich auf einen Verbotsirrtum beruft, ist dieser angesichts der oben dargestellten Hinweise der Apothekerkammer vermeidbar gewesen.

V.

Bei der Auswahl und Bemessung der berufsgerichtlichen Maßnahmen auf der Grundlage des § 50 HeilBG ist grundsätzlich das Gewicht der Verfehlung der Beschuldigten, ihre Persönlichkeit, das Ausmaß ihrer Schuld, aber auch die Notwendigkeit zu berücksichtigen, das Ansehen der Angehörigen der Heilberufe zu wahren und das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität und Zuverlässigkeit der Berufsangehörigen, hier des Apothekerstandes, zu sichern (vgl. § 50Abs. 3 HeilBG), um so die Funktionsfähigkeit des Berufsstandes zu gewährleisten (ständige Rechtsprechung; vgl. Landesberufsgericht für Heilberufe bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 27.08.2008, Az.: 25 A 141/08.B m. w. N.).

Das kammerständige Berufsrecht ist als Teil des staatlichen Disziplinarrechts - anders als das Strafrecht € nicht repressiv und damit nicht tatbezogen. Daher ist vorrangig das Gesamtverhalten und die Gesamtpersönlichkeit zu würdigen im Hinblick auf die sich aus dem gezeigten Verhalten ergebenden Zweifel an der Zuverlässigkeit im Rahmen ihrer Berufsausübung. Im Vordergrund steht dabei die individuelle Pflichtenmahnung. Die Prognose des künftigen Verhaltens der Beschuldigten ist neben dem Gewicht des Berufsvergehens entscheidend für die Beantwortung der Frage, in welchem Umfang es einer pflichtenmahnenden Einwirkung bedarf, um ein berufsrechtliches Fehlverhalten zukünftig zu unterlassen (vgl. Berufsgericht für Heilberufe bei dem Verwaltungsgericht Gießen, Urteil vom 17. Mai 2010 € Az.: 21K 1334/09.GI.B -).

In Anwendung dieser Grundsätze hielt es das Gericht zunächst für geboten, durch Ausspruch eines Verweises die berufsrechtliche Missbilligung der Vorgehensweise der Beschuldigten zum Ausdruck zu bringen. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Beschuldigte im Verlaufe des gesamten berufsrechtlichen wie auch berufsgerichtlichen Verfahrens und auch nach Erörterung in der Hauptverhandlung nicht erkennen ließ, dass eine Bereitschaft zur Einsicht in ihr Fehlverhalten gegeben ist. Vielmehr ließ ihr gesamtes Vorbringen zu den Grundsätzen, nach denen sie ihre easy-Apotheke betreibt bzw. ihre Haupt- und Zweigniederlassung führt, auf eine kommerzielle Ausrichtung schließen. Das Gericht hat in der Hauptverhandlung aufgrund ihres Gesamtverhaltens den Eindruck gewonnen, dass die Wahrung des Ansehens des Berufsstandes und das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand der Apothekerinnen und Apotheker als Angehörige des öffentlichen Heilwesens hinter den Gesichtspunkt der Gewinnerzielung bzw. der gewerblichen Gewinnausrichtung zurückgetreten ist. Von daher erschien es dem Gericht nachvollziehbar, dass im Vordergrund ihrer rechtlichen Überlegungen Fragen des Wettbewerbsrechts standen.

Da die über den Zeitraum von zwei Monaten (01.11. bis 31.12.2010) betriebene €easyRezept-Prämie-Aktion€ mit der oben unter Abschnitt II dargestellten Verfahrensweise der sofortigen Einlösbarkeit des Wertgutscheins, entsprechend dem Betrag von 1,00 Euro bis zu 3,00 Euro, die zudem wirtschaftlich betrachtet eine Nähe zu den aufgrund der Arzneimittelpreisverordnung untersagten Barrabatten aufweist, hielt das Gericht vorliegend zusätzlich die Verhängung einer Geldbuße für angezeigt, um die Beschuldigte in Zukunft zu berufsgerechtem Verhalten im Rahmen der Preisvorschriften auf der Grundlage des Arzneimittelgesetzes anzuhalten. Die Höhe von 700,00 Euro erschien im Hinblick darauf, dass die Beschuldigte erstmalig berufsrechtlich in Erscheinung getreten ist zur Erreichung der vorgenannten Ziele als ausreichend.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 HeilBG. Danach hat die Beschuldigte die Kosten zu tragen, weil sie verurteilt worden ist (§ 74 Abs. 4 Satz 1 HeilBG).

Die Festsetzung der Gebühr beruht auf § 78 Abs. 2 Satz 2HeilBG.






VG Gießen:
Urteil v. 29.04.2013
Az: 21 K 1887/11.GI.B


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/c9ad4fb29ff3/VG-Giessen_Urteil_vom_29-April-2013_Az_21-K-1887-11GIB




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share