Bundespatentgericht:
Beschluss vom 4. Juli 2007
Aktenzeichen: 19 W (pat) 310/06

(BPatG: Beschluss v. 04.07.2007, Az.: 19 W (pat) 310/06)

Tenor

Das Patent 100 57 025 wird widerrufen.

Gründe

I Für die am 17. November 2000 im Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Patentanmeldung ist die Erteilung des nachgesuchten Patents am 1. Juli 2004 veröffentlicht worden. Es betrifft

"Phasensparende Tiefpassfilter zur Antriebsregelung bei hoher Regeldynamik".

Gegen das Patent hat die Einsprechende mit Schreiben vom 1. Oktober 2004, eingegangen per Fax am selben Tag, Einspruch erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei nicht patentfähig, weil er nicht neu sei und der Gegenstand des nebengeordneten Patentanspruchs 3 sei nicht patentfähig, weil er nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Die Patentinhaberin bestreitet dies; sie reicht neue Ansprüche gemäß Hilfsanträgen 1 bis 3 ein.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent aufrecht zu erhalten, hilfsweise, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrecht zu erhalten:

Patentansprüche 1 bis 10 nach Hilfsantrag 1 gemäß Eingabe vom 11. Juni 2007, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Hilfsweise:

Patentansprüche 1 bis 8 nach Hilfsantrag 2 gemäß Eingabe vom 11. Juni 2007, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Hilfsweise:

Patentansprüche 1 bis 6 nach Hilfsantrag 3, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2007, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag betrifft (unter Einfügung von Gliederungsziffern 1.1 bis 1.8 entsprechend einer Merkmalsgliederung der Einsprechenden) eine

"1.1 Antriebsregelung für einen elektrischen Antrieb mit hoher Regeldynamik 1.2 in Form einer vermaschten Regelstruktur 1.3 mit einer Drehzahlregelschleife (D, S)

1.4 und mit einer innerhalb dieser (D, S) angeordneten Stromregelschleife (S), 1.5 wobei die Drehzahlregelschleife (D, S) eine Drehzahlregelung (D) mit einem Regler (Pl) mit Proportionalanteil und Integralanteil 1.6 sowie ein nachgeschaltetes Filter (F) zur Unterdrückung von Resonanzen in der Regelstrecke umfasst, dadurch gekennzeichnet, 1.8 dass ein hinsichtlich Frequenzbereich (f) und Amplitudenabsenkung (A(f)) auf die zu unterdrückenden Resonanzen abgestimmtes 1.7 phasensparendes PDT2-Glied als Tiefpassfilter dient."

Der jeweilige Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 unterscheidet sich von dem des Hauptantrags dadurch, dass an ihn unter Ersetzung des Punktes durch ein Komma das Merkmal,

"wobei das phasensparende PDT2-Glied auf folgender Formel basiert:

2dA s2 1 + s ÑÑ + ÑÑ

A A2 F(s) = ÑÑÑÑÑÑÑÑÑ "

2dB s2 1 + s ÑÑ + ÑÑ

B B2 angehängt ist.

Nach Hilfsantrag 3 unterscheidet sich der Patentanspruch 1 von dem des Hauptantrags dadurch, dass das Merkmal 1.7 des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag ersetzt ist durch das Merkmal

"Cauer-Filter als Tiefpassfilter dient, wobei das Cauerfilter als phasensparendes Cauerfilter ausgelegt ist."

Dem Patentgegenstand nach allen Anträgen soll die Aufgabe zugrunde liegen, den - beim in der Beschreibungseinleitung der Streitpatentschrift abgehandelten Stand der Technik auftretenden - Verlust an Dynamik zu minimieren und ein Optimum aus Robustheit und Dynamik zu erreichen (Abs. 0019 der Streit-PS).

Die Einsprechende ist der Auffassung, aus der Tagungsveröffentlichung von Ellis, G. u. a. "Resonant Load Control Methods for Industrial Servo Drives", IEEE Industry Application Society Annual Meeting, Rome, Italy, October 8 - 12, 2000, insbesondere Figur 4 seien alle Anspruchsmerkmale bekannt bzw. vom Fachmann mitlesbar. Sie meint dazu, dass ein Fachmann in Zusammenhang mit einem digitalen Drehzahlregler, wie er im linken Kästchen der Figur 4 gezeigt sei, zuerst an ein diesem nachgeschaltetes digitales Filter denke. Die phasensparende Eigenschaft eines solchen Filters werde schon dadurch erreicht, dass es digital sei.

Die im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 zusätzlich angegebene Formel entspreche bis auf einen Faktor, der jedoch nur eine nichtfunktionelle Änderung darstelle, der Gleichung (4) aus der Tagungsveröffentlichung. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Gleichung (4) einen offensichtlichen Schreibfehler enthalte. Nach Meinung der Einsprechenden fehle sowohl im Zähler als auch im Nenner im mittleren Term jeweils der Laplace-Operator s. Dies ergebe sich schon anhand einer Dimensionsüberprüfung, denn alle Terme im Zähler und Nenner müssten die Dimension 1/s2 aufweisen; dies sei beim mittleren Term nicht der Fall. Durch die in den jeweiligen Anspruch 1 aufgenommene Formel werde dem Fachmann nicht gesagt, woher die spezielle phasensparende Qualität komme; spezielle Schritte zur Phasenersparnis hätten Niederschlag in der Streit-Patentschrift finden müssen, sonst handele es sich bei der Formel nur um eine Worthülse.

Zum Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 meint die Einsprechende, dass der Einsatz von aus der Nachrichtentechnik bekannten Cauerfiltern in der Regelungstechnik nichts Besonderes sei. Sie verweist dazu auf die DE 36 06 640 A1 (S. 8 Z. 59 bis 63), worin die Einsatzmöglichkeit für Cauerfilter in der Regelungstechnik angesprochen ist.

Die Patentinhaberin möchte den Begriff "phasensparend" als "minimalphasiges System" verstanden wissen. Sie bestreitet, dass es sich bei dem in der Figur 4 der Tagungsveröffentlichung a. a. O. gezeigten Kästchen mit der Aufschrift "Current reg. fieldoriented AC servo drive" um einen Stromregler handele, weil keine Stromrückführung dargestellt sei. Weiterhin bezweifelt sie, dass dem Drehzahlregler "Digital PI vel. control" gemäß Figur 4 ein Filter nachgeschaltet sei, da in der Druckschrift bezüglich des Filters angegeben sei, dass es kaskadiert sei (Blatt 2 li. Sp. Abs. 2). Weiterhin bestreitet sie, dass Gleichung (4) der Tagungsveröffentlichung a. a. O. einen Druckfehler enthalte.

Sie trägt vor, die Erfindung beruhe darauf, dass beim Einsatz eines Filters in der Regelungstechnik dieses phasensparend ausgebildet werde.

Zum Hilfsantrag 3 führt sie weiterhin aus, dass Cauerfilter auch wenn sie in der Regelungstechnik eingesetzt würden, große Phasenverluste hätten; dazu verweist sie ebenfalls auf die DE 36 06 640 A1 (Sp. 8 Z. 63, 64).

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Gemäß der eindeutigen Zuständigkeitsregelung in § 147 Abs. 3 PatG in der Fassung vom 9. September 2004 liegt die Entscheidungsbefugnis über den zulässigen, am 30. Juni 2006 - d. h. vor Aufhebung des § 147 Abs. 3 PatG a. F. - noch anhängigen Einspruch bei dem hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts. Dieser hatte aufgrund mündlicher Verhandlung zu entscheiden.

Der erkennende Senat ist - entgegen 11 W (pat) 383/06 - zur Entscheidung über das vorliegende Einspruchsverfahren berufen (vgl. 19 W (pat) 344/04).

Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.

1. Fachmann Als zuständiger Fachmann ist hier ein Diplomingenieur der Elektrotechnik oder ein Physiker mit Universitätsabschluss mit besonderen Kenntnissen auf dem Gebiet der Antriebsregelung und der Dimensionierung von Analog- und Digitalfiltern anzusehen; er hat zudem gutes mathematisches Wissen und die Fähigkeit, dieses in die Praxis umzusetzen. Einem solchen Fachmann ist sowohl die Transformation von Analogfiltern in Digitalfilter mit Hilfe der Bilinearen Transformation als auch die Berechnung von Übertragungsfunktionen im zeitkontinuierlichen Bereich mit Hilfe der Laplace-Transformation und im zeitdiskreten Bereich mit Hilfe der Z-Transformation geläufig. Er ist in der Lage Residuen zu berechnen und dementsprechend Pole und Nullstellen sowohl in der s- als auch in der z-Ebene festzulegen sowie dafür geeignete Filterparameter ausfindig zu machen, um einen gewünschten Amplituden- und Phasenfrequenzgang zu erhalten. Ihm sind dabei alle gängigen Filtertypen, insbesondere hinsichtlich ihrer Amplituden- und Phasenfrequenzgänge im Durchlass- und Sperrbereich bekannt. Er ist auch in der Lage für das ihm vorgegebene Einsatzgebiet je nach Anforderung (Flankensteilheit, Welligkeit im Durchlassbereich, Durchlass- und Sperrdämpfung) ein geeignetes Filter nach Typ und Grad herauszusuchen. Dem Fachmann ist weiterhin bekannt, dass sich bei einer Transformation eines Analogfilters in ein Digitalfilter der Amplitudenfrequenzgang ähnlich dem des Analogfilters verhält, dass dies aber nicht für den Phasenfrequenzgang gilt. Er weiß aber, dass er entsprechende Anpassungen in der z-Ebene vornehmen kann.

2. Stand der Technik Aus der Tagungsveröffentlichung a. a. O. ist bekannt eine 1.1 Antriebsregelung für einen elektrischen Antrieb mit hoher Regeldynamik (Überschrift)

1.2 in Form einer vermaschten Regelstruktur (Fig. 4)

1.3 mit einer Drehzahlregelschleife (Fig. 4: Drehzahlregelschleife)

1.4 und mit einer innerhalb dieser angeordneten Stromregelschleife (Fig. 4: Stromregler eingangsseitig an Drehzahlregler angeschlossen; vgl. weitere Ausführungen unten), 1.5 wobei die Drehzahlregelschleife (Fig. 4 Drehzahlregelschleife) eine Drehzahlregelung (Fig. 4: velocity) mit einem Regler (Fig. 4: control) mit Proportionalanteil und Integralanteil (Fig. 4: PI)

1.6 sowie ein nachgeschaltetes Filter (Fig. 4: filters) zur Unterdrückung von Resonanzen in der Regelstrecke umfasst (Kapitel II, 1. Satz i. V. m. Fig. 5; vgl. weitere Ausführungen unten), wobei, 1.8 ein hinsichtlich Frequenzbereich und Amplitudenabsenkung auf die zu unterdrückenden Resonanzen abgestimmtes (2. Seite li. Sp. Abs. 2 1. Satz: antiresonancefilter i. V. m. Bild 5: Offene Regelschleife im Bereich von 1 bis 1000Hz)

1.7teilw PDT-Glied als Tiefpassfilter dient (Dass es sich bei dem Filter im linken oberen Kästchen der Figur 4 um ein digitales Filter handelt, symbolisiert durch den Buchstaben "D" in der Bezeichnung, liest der Fachmann aus der Gegebenheit mit, dass es mit einem digitalen Regler "digital PI vel. control" zusammenwirkt und dass es sich um einen Tiefpass handelt, ist in Kapitel II, Lowpass filter, beschrieben).

Dass es sich bei dem zweiten Kästchen in Figur 4 um einen Stromregler handelt, ergibt sich nach Überzeugung des Senats aus der Bezeichnung "regulator" (abgekürzt "reg."). Eine Stromrückführung muss dabei nicht dargestellt sein, weil Figur 4 lediglich das Prinzip einer vermaschten Regelstruktur zeigt und dem regelungstechnisch geschulten Fachmann ohnehin klar ist, dass jeder Regler eine Rückführung zur Erfassung des Istwertes benötigt (Merkmal 1.4).

In Kenntnis der Angabe, dass das in Figur 4 gezeigte Filter mit dem digitalen Drehzahlregler "Digital PI vel. control" kaskadiert ist, denkt der Fachmann nach Überzeugung des Senats zuerst daran, dass dieses Filter dem Drehzahlregler nachgeschaltet ist (Merkmal 1.6). Auch eine andere Anordnung des Filters im Regelkreis des Drehzahlreglers hätte im Übrigen hinsichtlich der Unterdrückung von Resonanzfrequenzen funktionsmäßig keine andere Wirkung.

3. Patentfähigkeit 3.1 Hauptantrag Die Antriebsregelung nach der Tagungsveröffentlichung a. a. O. unterscheidet sich von der des Patentanspruchs 1 dadurch, dass das dort eingesetzte PDT-Glied den Grad 2 hat, d. h. ein PDT2-Glied ist und dass es phasensparend ausgebildet ist. Diese Unterschiede sind aber nicht patentbegründend.

Besteht ausgehend von einer Antriebsregelung, wie sie in der Tagungsveröffentlichung a. a. O. beschrieben ist, das Problem, dass sich die durch das dort eingesetzte Digitalfilter hervorgerufene Phasenverzerrung störend auf den Regelkreis auswirkt, so ist der Fachmann gehalten, das Digitalfilter hinsichtlich des Phasenfrequenzganges zu verbessern, zumal auch die Tagungsveröffentlichung a. a. O bereits anspricht, dass kleine Phasendrehungen für das Filter anzustreben seien (2. Seite re. Sp. le. Abs.).

Man würde das Wissen und die Fähigkeiten des Fachmanns unterschätzen, würde man ihm nicht zutrauen, dass er in der Lage ist, den Grad des Filters festzulegen und es hinsichtlich einer Phaseneinsparung zu verbessern; einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns bedarf es sonach nicht.

3.2 Hilfsanträge 1 und 2 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 unterscheidet sich von dem des Hauptantrags dadurch, dass in ihm zusätzlich angegeben ist, dass das phasensparende PDT2-Glied auf folgender Formel beruht:

2dA s2 1 + s ÑÑ + ÑÑ

A A2 F(s) = ÑÑÑÑÑÑÑÑÑ

2dB s2 1 + s ÑÑ + ÑÑ

B B2 Nach Überzeugung des Senats beschreibt diese Formel lediglich die Übertragungsfunktion für ein Filter 2. Grades im zeitkontinuierlichen Bereich als das Verhältnis der Laplacetransformierten der Ausgangsgröße zur Laplacetransformierten der Eingangsgröße. Da in der angegebenen Formel auch die - zwar als Kreisfrequenzen und Dämpfungswerte erkennbaren - Größen A, B, dA und dB hinsichtlich ihrer Zuordnung nicht definiert sind, fügt sie gehaltsmäßig dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag nichts hinzu.

Somit beruht auch der jeweilige Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.

3.3 Hilfsantrag 3 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von dem des Hauptantrags dadurch, dass das Merkmal 1.7 ersetzt ist durch das Merkmal, dass ein "Cauer-Filter als Tiefpassfilter dient, wobei das Cauerfilter als phasensparendes Cauerfilter ausgelegt ist."

Dem Fachmann ist aus der DE 36 06 640 A1 bekannt, dass auch die in der Nachrichtentechnik gebräuchlichen Filter prinzipiell in der Regelungstechnik eingesetzt werden können (S. 8 Z. 59 bis 64). Zwar ist in der Druckschrift angegeben, dass ihre Verwendung in der Regelungstechnik wegen großer Phasenverluste nur bedingt möglich sei (S. 8 Z. 63, 64). Der Fachmann entnimmt der Druckschrift jedoch, dass dies nur Analogfilter betrifft. Da er weiß, dass bei Digitalfiltern die Möglichkeit besteht, den Phasenfrequenzgang anzupassen und dabei die Phasenverluste zu minimieren, lässt er sich nicht davon abhalten, die ihm bekannten Filter auch in der Regelungstechnik, d. h. hier bei der aus der Tagungsveröffentlichung a. a. O. bekannten Antriebsregelung (Merkmale 1.1 bis 1.6 und 1.8) einzusetzen. Unter den bekannten Filtern wählt er ein Cauerfilter entsprechend der ihm durch den Regelkreis abverlangten Flankensteilheit und Durchlassdämpfung.

Damit bedarf es für den Fachmann keiner erfinderischen Tätigkeit, um in Kenntnis des Standes der Technik und unter Zuhilfenahme seines Fachwissens zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 3 zu gelangen.

4. Da über jeden Antrag nur einheitlich entschieden werden kann (vgl. BGH GRUR 1997, 120 - elektrisches Speicherheizgerät) fallen mit dem jeweiligen Patentanspruch 1 nach Hauptantrag und Hilfsanträgen 1 bis 3 die weiteren Patentansprüche.






BPatG:
Beschluss v. 04.07.2007
Az: 19 W (pat) 310/06


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