Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 7. Dezember 2005
Aktenzeichen: 2 BvR 581/01

(BVerfG: Beschluss v. 07.12.2005, Az.: 2 BvR 581/01)

Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren wird nach § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO auf 50.000 € (in Worten: fünfzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob § 79 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht auch den Fall erfasst, dass die zu vollstreckende Entscheidung eines Zivilgerichts auf der vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Auslegung und Anwendung einer zivilrechtlichen Generalklausel beruht.

I.

1. Mit Beschluss vom 19. Oktober 1993 (BVerfGE 89, 214) entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Zivilgerichte verpflichtet sind, bei der Konkretisierung und Anwendung von Generalklauseln wie § 138 und § 242 BGB die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie in Art. 2 Abs. 1 GG zu beachten. Gegenstand der Entscheidung waren unter anderem ein Urteil des Bundesgerichtshofs und die von diesem wiederhergestellte Entscheidung eines Landgerichts. Darin war die damalige Beschwerdeführerin zur Zahlung von 100.000 DM aus einem Bürgschaftsvertrag verurteilt worden, den sie zugunsten ihres - zunächst als Immobilienmakler, später als Reeder tätigen - Vaters mit einer Sparkasse abgeschlossen hatte. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war die Bürgin 21 Jahre alt, überwiegend arbeitslos und ohne Vermögen (vgl. ZIP 1989, S. 629).

Das Bundesverfassungsgericht hob das Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG auf. Dieser gewährleiste die Privatautonomie als Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben. Dabei bestehe weitgehend Einigkeit darüber, dass die Vertragsfreiheit nur im Fall eines annähernd ausgewogenen Kräfteverhältnisses der Vertragspartner als Mittel eines angemessenen Interessenausgleichs tauge und der Ausgleich gestörter Vertragsparität zu den Hauptaufgaben des Zivilrechts gehöre. In diesem Zusammenhang hätten die Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuchs zentrale Bedeutung. Der Wortlaut des § 138 Abs. 2 BGB bringe das besonders deutlich zum Ausdruck. Darin würden typische Umstände bezeichnet, die zwangsläufig zur Verhandlungsunterlegenheit des einen Vertragsteils führten. Nutze der überlegene Vertragsteil eine solche Schwäche aus, um seine Interessen einseitig durchzusetzen, führe das zur Nichtigkeit des Vertrags. Differenziertere Rechtsfolgen ergäben sich aus § 242 BGB. Nach der Auffassung der Zivilrechtswissenschaft begründe der Grundsatz von Treu und Glauben, der eine immanente Grenze vertraglicher Gestaltungsmacht bezeichne, die Befugnis zu einer richterlichen Kontrolle des Inhalts von Verträgen. Über Voraussetzungen und Intensität dieser Kontrolle bestehe zwar Streit. Für die verfassungsrechtliche Würdigung genüge aber die Feststellung, dass das geltende Recht Instrumente bereit halte, die es ermöglichten, auf strukturelle Störungen der Vertragsparität angemessen zu reagieren.

Für die Zivilgerichte folge daraus die Pflicht, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln darauf zu achten, dass Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienten. Sei der Inhalt eines Vertrags für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen, müssten sie klären, ob die vereinbarte Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke ist, und gegebenenfalls mit Hilfe der zivilrechtlichen Generalklauseln korrigierend eingreifen. Wie sie dabei zu verfahren hätten und zu welchem Ergebnis sie gelangen müssten, sei in erster Linie eine Frage des einfachen Rechts, dem die Verfassung einen weiten Spielraum lasse. Ein Verstoß gegen die Gewährleistung der Privatautonomie komme aber dann in Betracht, wenn das Problem gestörter Vertragsparität gar nicht gesehen oder seine Lösung mit untauglichen Mitteln versucht werde. In dem hier zu beurteilenden Fall sei ein solcher Verstoß gegeben.

2. Bei der Umsetzung dieser Entscheidung gingen die für das Bürgschaftsrecht und den Schuldbeitritt zuständigen Senate des Bundesgerichtshofs zunächst unterschiedliche Wege (vgl. Fischer, WM 1998, S. 1749 <1750 ff., 1757 f.>; Tonner, ZIP 1999, S. 901). Die Annäherung ihrer Rechtsprechung fand - im Wesentlichen auf der Grundlage des § 138 BGB - schrittweise statt. Inzwischen herrscht Einigkeit darüber, dass eine finanzielle Überforderung von Bürgen, die dem Hauptschuldner als Ehegatte, Verwandter oder sonst emotional verbunden sind und für diesen ohne eigenes Interesse an der Kreditgewährung bürgen, nicht allein schon zur Sittenwidrigkeit im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB führt. Es müssen vielmehr weitere, die Entschließungsfreiheit des Bürgen beeinträchtigende und dem Kreditgeber zurechenbare Umstände hinzutreten. Bei krasser finanzieller Überforderung besteht allerdings eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass die Bürgschaft nicht in realistischer Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos, sondern allein im Hinblick auf die emotionale Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen und dies vom Kreditgeber in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt worden ist. Dabei geht die Rechtsprechung von einer krassen finanziellen Überforderung aus, wenn der Bürge nach der Beurteilung im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme bei Eintritt des Sicherungsfalls voraussichtlich nicht einmal die auf die Hauptschuld entfallenden laufenden Zinsen aus dem pfändbaren Teil seines Einkommens und Vermögens wird aufbringen können. Anderweitige Sicherheiten des Kreditgebers schließen die Annahme einer krassen finanziellen Überforderung des Bürgen nur aus, wenn sie das Haftungsrisiko für ihn auf ein rechtlich vertretbares Maß beschränken (zu den Einzelheiten vgl. Nobbe/Kirchhof, BKR 2001, S. 5 <6 ff.>; Schimansky, WM 2002, S. 2437; Tiedtke, NJW 2003, S. 1359 <1360 f.>).

II.

1. Die Beschwerdeführerin des vorliegenden Verfahrens übernahm 1988 gegenüber der im Ausgangsrechtsstreit beklagten Bank zur Absicherung mehrerer Darlehen ihres - später von ihr geschiedenen - Ehemanns eine selbstschuldnerische Bürgschaft in Höhe von 200.000 DM. Sie widmete sich damals ausschließlich der Haushaltsführung und der Erziehung der Kinder. Nennenswertes Vermögen hatte sie nicht. 1991 kündigte die Bank die Geschäftsverbindung zum Hauptschuldner, stellte ihre Gesamtforderung fällig und nahm nach Verwertung anderer Sicherheiten die Beschwerdeführerin aus der Bürgschaft in Höhe einer Restforderung von gut 70.000 DM in Anspruch. Da die Beschwerdeführerin, die seit Ende 1990 von Sozialhilfe lebte, die Forderung nicht erfüllen konnte, erhob die Bank Klage, der 1992, nachdem zuvor ein Prozesskostenhilfegesuch der Beschwerdeführerin mit ausführlicher Begründung zurückgewiesen worden war, durch rechtskräftig gewordenes Versäumnisurteil stattgegeben wurde.

2. Nachdem 1993 die Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen war und die Rechtsprechung der Zivilgerichte begonnen hatte, diese Entscheidung umzusetzen (vgl. dazu oben unter A I 2), wandte sich die Beschwerdeführerin im Ausgangsverfahren im Wege der Vollstreckungsabwehrklage gegen die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil. Das Landgericht erklärte die Zwangsvollstreckung nach § 767 ZPO in Verbindung mit § 79 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) für unzulässig. Das Oberlandesgericht wies die Klage dagegen auf die Berufung der beklagten Bank ab (NJW-RR 2001, S. 139). Die Revision der Beschwerdeführerin gegen diese Entscheidung hat der Bundesgerichtshof mit dem angegriffenen Urteil zurückgewiesen (BGHZ 151, 316):

Die Revision mache zwar zu Recht geltend, dass der Bürgschaftsvertrag von 1988 auf der Grundlage der heutigen Rechtsprechung des IX. und des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB als nichtig anzusehen sei. Das im Vorprozess ergangene Versäumnisurteil von 1992 habe aber damals mit der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats in Einklang gestanden. Eine dem Bürgen günstige Änderung dieser Rechtsprechung habe für die Öffentlichkeit erkennbar erst nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1993 eingesetzt. Die Beschwerdeführerin könne sich nicht unter Berufung auf diese Entscheidung gegen die Vollstreckung des Versäumnisurteils wenden.

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts enthalte keine Aussage, die die Wirkungen des § 79 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVerfGG auslöse. Nach § 79 Abs. 1 BVerfGG sei die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen ein rechtskräftiges Strafurteil nicht nur im Fall einer für nichtig erklärten Norm (Alternative 2), sondern auch dann zulässig, wenn das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit einer Vorschrift mit dem Grundgesetz festgestellt (Alternative 1) oder eine bestimmte Auslegung der Norm für grundgesetzwidrig erklärt habe (Alternative 3). Die beiden zuletzt genannten Fälle erwähne § 79 Abs. 2 BVerfGG nicht.

Ob bei allen Entscheidungen außerhalb von Strafurteilen die Vollstreckungssperre nur nach Nichtigerklärung einer Norm greife oder § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG sich auf alle in § 79 Abs. 1 BVerfGG enthaltenen Alternativen beziehe, werde in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich beurteilt. Im Gegensatz zur wohl überwiegenden Meinung, nach der § 79 Abs. 2 BVerfGG nur die Entscheidungen erfasse, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, werde in den Kommentaren zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz praktisch durchgängig die Auffassung vertreten, die weitere Vollstreckung aus einem hoheitlichen Akt sei gemäß § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG auch dann unzulässig, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Norm oder eine bestimmte Normauslegung für mit dem Grundgesetz unvereinbar bezeichnet habe.

Selbst wenn § 79 Abs. 2 BVerfGG in diesem weiten Sinne verstanden werde, erfasse er nicht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die fachgerichtliche Entscheidungen nur wegen verfassungswidriger Anwendung einer Rechtsnorm aufheben. Der Richter habe bei Auslegung und Anwendung aller Rechtsvorschriften das verfassungsrechtliche Wertsystem als interpretationsleitend zu berücksichtigen. Weise die gerichtliche Entscheidung in dieser Hinsicht erhebliche Mängel auf, handele es sich nur um verfassungsrechtlich bedeutsame Subsumtionsfehler, die vom Bundesverfassungsgericht im Einzelfall korrigiert werden könnten. Solche Entscheidungen ließen in der Regel den Bestand der einschlägigen Norm unberührt. § 79 Abs. 2 BVerfGG setze demgegenüber normbezogene Erkenntnisse des Verfassungsgerichts voraus und verbiete daher die Vollstreckung nur aus solchen Entscheidungen, die auf einem Inhalt der Rechtsnorm beruhten, den das Bundesverfassungsgericht im Wege der verfassungskonformen Auslegung ausgeschlossen habe.

Eine solche Auslegung enthalte der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1993 nicht. Er mache keine Vorgaben, wie § 765 BGB zu verstehen sei oder die §§ 138, 242 BGB auszulegen seien, sondern beanstande nur, dass sich der Bundesgerichtshof im vorausgegangenen Verfahren mit der ausgeprägten Unterlegenheit der Bürgin und der von ihr geltend gemachten Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfreiheit nicht in der gebotenen Weise auseinander gesetzt habe. Das Bundesverfassungsgericht habe damit nur einen verfassungsrechtlichen Fehler allgemeiner Art bei der rechtlichen Subsumtion im konkreten Einzelfall festgestellt und darauf hingewiesen, die Gerichte müssten in solchen Fällen klären, ob die vertragliche Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sei, und gegebenenfalls im Rahmen der Generalklauseln des Zivilrechts korrigierend eingreifen. Wie sie dabei zu verfahren hätten und zu welchem Ergebnis sie gelangen müssten, sei nach der Aussage des Bundesverfassungsgerichts in erster Linie eine Frage des einfachen Rechts, dem die Verfassung einen weiten Spielraum lasse.

Der Beschluss vom 19. Oktober 1993 besage mithin nichts darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen Bürgschaften wegen finanzieller Überforderung des Verpflichteten als nichtig anzusehen seien. Die entsprechenden Kriterien herauszuarbeiten, sei allein Aufgabe der Zivilgerichte gewesen. Das sei erst in der Folgezeit geschehen. Dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts fehle damit eine normbezogene Aussage im Sinne des § 79 Abs. 2 BVerfGG.

III.

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG.

Der Bundesgerichtshof habe die Bedeutung des § 79 Abs. 2 BVerfGG verkannt. Er interpretiere den zentralen Begriff der Norm in dieser Vorschrift als förmliche Rechtsvorschrift mit der Folge, dass das Vollstreckungsverbot nach den Sätzen 2 und 3 nur gelte, wenn die so verstandene Norm für nichtig erklärt worden sei. Im vorliegenden Fall sei weder § 138 noch § 242 BGB für nichtig erklärt, sondern nur eine Interpretation dieser Generalklauseln vorgenommen worden. Norm im Sinne von § 79 Abs. 2 BVerfGG sei aber nicht nur ein Gesetz im formellen Sinne. Es sei letztlich unerheblich, ob es sich um ein formelles Gesetz oder um Richterrecht handele.

Die §§ 138, 242 BGB seien infolge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu einzelnen Themenbereichen zu Auffangvorschriften mit klaren Tatbestandsmerkmalen geworden. Daher müssten insoweit auch die Auslegung und das Verständnis dieser Vorschriften so gewertet werden, als handele es sich um Normen mit eindeutig bestimmbarem Inhalt. Das gelte gerade für den Bereich der Ehegattenbürgschaft. Die Auslegung der §§ 138, 242 BGB und die Rechtsfragen im Zusammenhang mit solchen Bürgschaften seien durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf ein grundlegend neues Fundament gestellt worden. Es sei dabei abstrakt-generell eine neue Rechtslage entstanden, die für alle Fälle gleich zu behandeln sei. Bei der Korrektur der fachgerichtlichen Rechtsprechung habe es sich nicht nur um eine Einzelfallentscheidung gehandelt.

Die vom Bundesgerichtshof vertretene Rechtsauffassung verstoße auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Werde zwischen Richterrecht und förmlichem Gesetzesrecht unterschieden, wie es infolge der angegriffenen Entscheidung geschehe, werde ein im Wesentlichen gleich gelagerter Sachverhalt ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt. Für die Beschwerdeführerin sei es unerheblich, ob die übernommene Bürgschaft mit der zugrunde liegenden gesetzlichen Regelung oder auf Grund der inzwischen ständigen Rechtsprechung zu den §§ 138, 242 BGB nichtig sei.

Werde der mit der Verfassungsbeschwerde vorgetragenen Ansicht nicht gefolgt, sei § 79 Abs. 2 BVerfGG wegen Verstoßes gegen Art. 20 Abs. 3 GG verfassungswidrig.

IV.

Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium der Justiz, der Bundesfinanzhof, das Bundessozialgericht und die Beklagte des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.

1. Das Bundesministerium hat mitgeteilt, dass es die Auffassung des Bundesgerichtshofs zur Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG teile.

2. Der Bundesfinanzhof hat unter anderem auf sein Urteil vom 12. März 1965 (BFHE 82, 567) hingewiesen, nach dem aus § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG im Fall einer durch das Bundesverfassungsgericht festgestellten verfassungswidrigen Auslegung einer verfassungskonformen Bestimmung ein Vollstreckungsverbot nicht hergeleitet werden könne. § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG enthalte eine Ausnahme von der Regel des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Da der Bestand unanfechtbar gewordener Entscheidungen, die auf einer nicht verfassungskonformen Auslegung einfachen Rechts beruhten, auch durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der die verfassungswidrige Auslegung festgestellt worden sei, nicht berührt werde, verbleibe es bei der Regel, dass bei Vollzug und Vollstreckung einer Entscheidung im Hinblick auf deren Rechtskraft ihr materieller Gehalt nicht mehr geprüft werde.

3. Das Bundessozialgericht hat ausgeführt, es folge bei der Auslegung des § 79 Abs. 2 BVerfGG der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass dieser gleichermaßen die Feststellung der Nichtigkeit und der Unvereinbarkeit einer Norm erfasse. Einbezogen habe es auch die Fälle, in denen das Bundesverfassungsgericht eine einfachgesetzliche Vorschrift in verfassungskonformer Weise ausgelegt habe (unter Hinweis auf BSGE 64, 62).

Für den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1993 (BVerfGE 89, 214) sei kennzeichnend, dass er eine Feinsteuerung der Entscheidungswirkung nicht angeordnet, sondern alles Weitere einer Anwendung des § 79 Abs. 2 BVerfGG überlassen habe. Dem Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fallgestaltungen (Nichtigkeit - Unvereinbarkeit - verfassungskonforme Auslegung) entspräche es jedoch, wenn das Bundesverfassungsgericht im vorliegenden Verfahren zu dem Ergebnis gelangte, dass § 79 Abs. 2 BVerfGG nach einer verfassungskonformen Auslegung von Rechtsvorschriften durch das Bundesverfassungsgericht die Vollstreckung aus Entscheidungen verhindere, die mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar seien. Jedenfalls dürfte dem Konzept des § 79 Abs. 2 BVerfGG kaum entnommen werden können, dass Urteile auch dann noch vollstreckt werden können, wenn ihre Geltung aus der Sicht der geläuterten Rechtsprechung verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar erscheine.

Allerdings habe das Bundesverfassungsgericht die Bürgschaftsentscheidung - jedenfalls nach Auffassung des Bundesgerichtshofs -nicht entscheidend auf eine verfassungsrechtliche Auslegung von Zivilrechtsnormen gestützt, sondern eine Verkennung von Verfassungsgrundsätzen bei der Rechtsanwendungbeanstandet. Zutreffend sei auch, dass die Kriterien, nach denen der Bundesgerichtshof in der angegriffenen Entscheidung den Bürgschaftsvertrag als sittenwidrig angesehen habe, erst im Gefolge der verfassungsgerichtlichen Bürgschaftsentscheidung vom Bundesgerichtshofselbst entwickelt worden seien. Gleichwohl könnten der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtliche Maßgaben für die Auslegung der §§ 138, 242 BGB entnommen werden, die für die Inhaltskontrolle von Bürgschaftsverträgen bestimmend geworden seien.

Hätte das Bundesverfassungsgericht ein zivilgerichtliches Urteil, das den Bürgschaftsvertrag der Beschwerdeführerin bestätigt hätte, ebenso aufgehoben wie das von der Bürgschaftsentscheidung betroffene Urteil, könnte darin ein Zeichen dafür gesehen werden, dass es hier nicht so sehr um einzelfallbezogene Verfassungsverstöße gehe als vielmehr um eine verfassungsgerichtliche Konkretisierung von bürgerlichrechtlichen Generalklauseln, also in gewissem Sinne um eine verfassungskonforme Auslegung. Dann wäre wohl auch die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil von 1992 gehindert, nachdem der Bundesgerichtshof selbst die Bürgschaft der Beschwerdeführerin gemäß § 138 Abs. 1 BGB als nichtig erkannt habe.

4. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Das angegriffene Urteil beruhe auf einer zutreffenden Auslegung des § 79 Abs. 2 BVerfGG. Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift sei die Vollstreckung nur unzulässig und die Vollstreckungsabwehrklage gemäß Satz 3 nur erfolgreich, wenn die zu vollstreckende Entscheidung auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhe. Das sei hier nicht der Fall.

Der Bundesgerichtshof habe zu Recht auch eine analoge Anwendung von § 95 Abs. 3 Satz 3 und § 79 Abs. 2 BVerfGG abgelehnt. § 79 Abs. 2 BVerfGG lasse sich nicht auf Fälle erstrecken, in denen das Bundesverfassungsgericht - wie hier - eine Gerichtsentscheidung nur wegen verfassungswidriger Anwendung einer Norm aufgehoben habe, ohne dass dies auf einer verfassungswidrigen Auslegung beruhe. Eine Erstreckung auch auf solche Fälle würde die Rechtssicherheit unannehmbar beeinträchtigen und letztlich den Rechtsfrieden in Frage stellen, weil ein Rechtsstreit niemals abgeschlossen wäre. Eine analoge Anwendung werde auch nicht durch den Gleichheitssatz gefordert. Für die Beschwerdeführerin stelle sich die Situation nicht anders dar, als wenn der Bundesgerichtshof seine verfassungswidrige Rechtsprechung zu den Ehegattenbürgschaften selbst korrigiert hätte. In diesem Fall stünde außer Frage, dass § 79 Abs. 2 BVerfGG keine Anwendung finde und die Vollstreckungsabwehrklage nicht darauf gestützt werden könne. Allein die Tatsache, dass die Rechtsprechungsänderung durch das Bundesverfassungsgericht erzwungen worden sei, rechtfertige keine andere Wertung.

B.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Das Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

I.

Maßstab für die verfassungsgerichtliche Prüfung ist der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser gebietet es, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (vgl. BVerfGE 71, 255 <271>). Verboten ist es deshalb, Sachverhalte ungleich zu behandeln, wenn sich die Differenzierung sachbereichsbezogen nicht auf einen sachlich einleuchtenden Grund zurückführen oder im Hinblick auf Art und Gewicht vorhandener Unterschiede nicht verfassungsrechtlich rechtfertigen lässt (vgl. BVerfGE 93, 386 <397>; 108, 52 <67 f.> m.w.N.). Das gilt nicht nur für den Gesetzgeber, sondern auch für die Auslegung gesetzlicher Vorschriften durch die Gerichte (vgl. BVerfGE 84, 197 <199>; 99, 129 <139>; 101, 239 <269>). Dabei sind der Differenzierung auch hier umso engere Grenzen gezogen, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 92, 53 <69>; 107, 133 <141>).

II.

Nach diesen Grundsätzen kann das angegriffene Urteil keinen Bestand haben. Es verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil es den Anwendungsbereich des § 79 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit Satz 2 und Satz 1 BVerfGG in einer Weise einschränkt, die zu einer verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung und durch die Vollstreckung aus verfassungswidrigen Entscheidungen zu einer Beeinträchtigung von Grundrechten führt.

1. § 79 BVerfGG regelt in seinen Absätzen 1 und 2 die Folgen von Senatsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, durch die eine Rechtsnorm für verfassungswidrig erklärt wird, auf deren Grundlage Entscheidungen ergangen sind, die schon rechtskräftig geworden oder auch sonst nicht mehr anfechtbar sind. Da der Gesetzgeber bei Erlass des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes im Jahre 1951 (vgl. BGBl I S. 243) davon ausging, dass die Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes dessen Nichtigkeit mit Wirkung ex tunc sein würde (vgl. BTDrucks I/788, S. 34 zu § 72), sollten mit § 79 BVerfGG die Rechtsfolgen der Nichtigkeit im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit begrenzt werden (vgl. dazu die Ausführungen der Abg. Dr. Wahl [CDU] und Neumayer [FDP] in der 112. Sitzung des 1. Deutschen Bundestages am 18. Januar 1951, Sten. Ber., S. 4227 f., 4234 <B>, <C>, sowie schon BVerfGE 2, 380 <404 f.>; 7, 194 <195 f.>; 20, 230 <235>; 37, 217 <262>).

a) Das geschah vor allem durch die bis heute unverändert gebliebene Vorschrift des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, in der als Grundsatz (vgl. BVerfGE 7, 194 <195>; 11, 263 <265>) bestimmt ist, dass - vorbehaltlich des § 95 Abs. 2 BVerfGG oder einer besonderen gesetzlichen Regelung - nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt bleiben, also in ihrer Existenz nicht mehr in Frage gestellt werden sollen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz machte der Gesetzgeber nur für das Strafrecht (vgl. BVerfGE 11, 263 <265>; 32, 387 <389>; 37, 217 <262>). Niemand soll gezwungen sein, den Makel einer Strafe auf sich lasten zu lassen, die auf einem verfassungswidrigen Strafgesetz beruht. Deshalb hat der Gesetzgeber in § 79 Abs. 1 BVerfGG einen zusätzlichen Wiederaufnahmegrund geschaffen (vgl. BVerfGE 12, 338 <340>), mit Hilfe dessen es dem Verurteilten möglich sein soll, diesen Makel nach den Vorschriften der Strafprozessordnung durch Aufhebung oder Berichtigung des auf verfassungswidriger Grundlage ergangenen Strafurteils zu beseitigen (vgl. BVerfGE 15, 309 <312>). Nur in diesem Fall soll deshalb die Rechtskraft der Entscheidung durchbrochen werden können.

Hinsichtlich aller sonstigen Hoheitsakte (Verwaltungsakte und Gerichtsentscheidungen) verbleibt es dagegen bei dem Grundsatz des Satzes 1 von § 79 Abs. 2 BVerfGG (vgl. BVerfGE 15, 309 <312>; 37, 217 <262>; 81, 363 <384>). Doch gilt für sie, soweit aus ihnen noch nicht vollstreckt worden ist, das Verbot der Vollstreckung nach den Sätzen 2 und 3 der Vorschrift. Dabei ist, wenn die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozessordnung durchzuführen ist, § 767 ZPO entsprechend anzuwenden. Das Bundesverfassungsgericht hat aus diesen Regelungen und aus Satz 4 des § 79 Abs. 2 BVerfGG den allgemeinen Rechtsgedanken abgeleitet, dass einerseits zwar unanfechtbar gewordene Akte der öffentlichen Gewalt, die auf verfassungswidriger Grundlage zustande gekommen sind, nicht rückwirkend aufgehoben und die nachteiligen Wirkungen, die in der Vergangenheit von ihnen ausgegangen sind, nicht beseitigt werden, andererseits jedoch zukünftige Folgen, die sich aus einer zwangsweisen Durchsetzung verfassungswidriger Entscheidungen ergeben würden, abgewendet werden sollen (vgl. BVerfGE 20, 230 <236>; 37, 217 <263>; 91, 83 <90 f.>; 97, 35 <48>).

b) An dieser Zielrichtung und Systematik hat sich nichts dadurch geändert, dass der Gesetzgeber mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 21. Dezember 1970 (BGBl I S. 1765) § 79 Abs. 1 BVerfGG geändert und dieser Vorschrift ihre bis heute gültige Fassung gegeben hat.

aa) Nach der Neufassung ist die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens nicht mehr - wie bis zum In-Kraft-Treten des Änderungsgesetzes - auf den Fall beschränkt, dass das in dem Strafverfahren ergangene Urteil auf einer vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Strafnorm beruht. Wiederaufnahmefähig sind vielmehr jetzt ausdrücklich auch die Verfahren, in denen das rechtskräftige Strafurteil auf der Grundlage einer Norm oder einer Normauslegung ergangen ist, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist.

Diese Regelung, die in dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf des Änderungsgesetzes noch nicht enthalten war (vgl. BTDrucks VI/388, S. 3), geht auf einen Vorschlag des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zurück. Der Ausschuss hielt die Gesetzesänderung für notwendig, weil - unter den Strafgerichten in Verfahren gegen Kriegsdienstverweigerer (vgl. die Ausführungen des Abg. Dr. Arndt [SPD] in der 81. Sitzung des 6. Deutschen Bundestages am 2. Dezember 1970, Sten. Ber., S. 4597 <A>) - umstritten war, ob auch dann ein Wiederaufnahmeverfahren möglich ist, wenn das rechtskräftige Strafurteil auf der Auslegung einer Rechtsnorm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist. Er war der Auffassung, dass dieser Fall für die Wiederaufnahme des Strafverfahrens der Nichtigerklärung einer Rechtsnorm gleichzusetzen sei. Sachlich bestehe kein wesentlicher Unterschied darin, ob ein Strafurteil auf einer verfassungswidrigen Rechtsanwendung oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsnorm beruhe. Nur der Klarstellung diene schließlich die ausdrückliche Einbeziehung auch des Falles, dass eine Rechtsnorm vom Bundesverfassungsgericht nicht für nichtig, sondern für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden sei (vgl. BTDrucks VI/1471, S. 6 zu Art. 1 Nr. 15 a).

bb) Dass diese Ergänzung im Gesamtkonzept des § 79 BVerfGG auf den Ausnahmefall des Absatzes 1 beschränkt bleiben, also nicht auch den Grundsatz des Absatzes 2 Satz 1 erfassen und damit auch nicht für die daran anknüpfenden Vollstreckungsverbote der Sätze 2 und 3 gelten soll, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Ein Grund für eine solche Beschränkung ist auch sonst nicht erkennbar. Im Gegenteil wäre es geradezu ungereimt, nur die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, nach § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG unberührt zu lassen und sie lediglich den Vollstreckungsverboten gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVerfGG zu unterstellen, dagegen die anderen in § 79 Abs. 1 BVerfGG neuer Fassung als rechtsähnlich angesehenen Fälle der Unvereinbarerklärung und der verfassungswidrigen Auslegung schon vom Bestandsschutz des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG auszunehmen. Es ist nach allem anzunehmen, dass die Regelungslücke, die Absatz 2 des § 79 BVerfGG seinem Wortlaut nach im Vergleich zu Absatz 1 seit dessen Änderung aufweist, vom Gesetzgeber nicht erkannt wurde, als er der Empfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zur Ausweitung des Absatzes 1 folgte, und dass sie, wenn der Gesetzgeber sie erkannt hätte, so geschlossen worden wäre, dass das Grundsatz-Ausnahmeverhältnis von Absatz 2 zu Absatz 1 in vollem Umfang weiter gewahrt bleibt. Davon ist wie selbstverständlich auch das Bundesverfassungsgericht ausgegangen, als es ausgesprochen hat, § 79 Abs. 2 BVerfGG sei analog anzuwenden, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht auf Nichtigkeit einer Norm erkannt, sondern sich darauf beschränkt hat, deren Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz festzustellen (vgl. BVerfGE 37, 217 <262 f.>; 81, 363 <384>).

Nichts anderes gilt, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht die Norm selbst, sondern deren Auslegung für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hat. Wie im Rahmen des § 79 Abs. 1 BVerfGG (vgl. vorstehend unter B II 1 b aa) macht es auch im Anwendungsbereich des § 79 Abs. 2 BVerfGG sachlich keinen wesentlichen Unterschied, ob eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung im Sinne dieser Regelung auf der verfassungswidrigen Auslegung einer Rechtsnorm oder auf einer verfassungswidrigen Vorschrift beruht. Im ersten Fall hat das Bundesverfassungsgericht, wenn von mehreren nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen möglichen Deutungen des Norminhalts wenigstens eine mit dem Grundgesetz übereinstimmt, die Norm als solche nicht beanstandet, sie vielmehr verfassungskonform ausgelegt und nur die als verfassungswidrig erkannte Interpretationsvariante verworfen (vgl. zur verfassungskonformen Auslegung allgemein etwa BVerfGE 40, 88 <94>; 64, 229 <242>; 83, 201 <214 f.>; speziell zum Zweck der Aufrechterhaltung eines aus mehreren Teilen bestehenden, aufeinander abgestimmten Regelungssystems auch BVerfGE 86, 288 <320 f.>). Für die Zukunft bleibt diese Variante wie die nichtige und die mit dem Grundgesetz nicht vereinbare Bestimmung in den Fällen der Nichtig- und der Unvereinbarerklärung von der weiteren Rechtsanwendung ausgeschlossen. Wenn dieser Umstand den Gesetzgeber - ungeachtet der unterschiedlichen Rechtswirkungen nach § 31 Abs. 2 Satz 2 und § 31 Abs. 1 BVerfGG - im Rahmen des § 79 Abs. 1 BVerfGG bewogen hat, den Fall der verfassungswidrigen Auslegung neben der Nichtig- und der Unvereinbarerklärung in den Anwendungsbereich der Vorschrift aufzunehmen, ist es zur Vermeidung einer inhaltlichen Widersprüchlichkeit und damit zur Wahrung des Grundsatz-Ausnahmeverhältnisses der Absätze 2 und 1 von § 79 BVerfGG geboten, bei Satz 1 und den Anschlussregelungen in den Sätzen 2 und 3 des § 79 Abs. 2 BVerfGG genau so zu verfahren. § 79 Abs. 2 BVerfGG ist deshalb analog auch dann anzuwenden, wenn eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung auf einer Auslegungsvariante beruht, deren Verfassungswidrigkeit das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat.

c) Die Entscheidung zu B II 1 b ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen.

2. Von der analogen Anwendung des § 79 Abs. 2 BVerfGG und speziell seines Satzes 3 können auch Entscheidungen nicht grundsätzlich ausgenommen werden, durch welche die Zivilgerichte, wie in der Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1993, angehalten werden, bei der Auslegung und Anwendung von Generalklauseln und sonstigen auslegungsbedürftigen Regelungstatbeständen des bürgerlichen Rechts die jeweils einschlägigen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; 99, 185 <196>). Zwar bestehen zwischen dieser Art,die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf das einfache Recht durchzusetzen, und den Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht den Fachgerichten die verfassungskonforme Auslegung einer Regelung vorgibt, Unterschiede. Sie sind jedoch im Hinblick auf den Grundrechtsschutz nicht von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die Ungleichbehandlung derjenigen, die von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts der einen oder der anderen Art betroffen werden, rechtfertigen könnten. Vielmehr sind die beiden Fallkonstellationen einander hinsichtlich der Gewährung von Grundrechtsschutz so ähnlich, dass sie im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz gleich behandelt werden müssen.<u class="ul"></u>

a) Dies gilt allerdings nur, wenn das Bundesverfassungs-gericht, anders als der Bundesgerichtshof im angegriffenen Urteil annimmt, wie in der Bürgschaftsentscheidung vom 19. Oktober 1993 nicht nur die Verfehlung verfassungsrechtlicher Vorgaben bei der rechtlichen Subsumtion im Einzelfall beanstandet, sondern für die Auslegung des bürgerlichen Rechtsüber den Einzelfall hinausreichende Maßstäbe setzt, an welche die Zivilgerichte bei ihrer künftigen Rechtsprechung in gleichgelagerten Fällen ebenso gebunden sind, wie wenn das Bundesverfassungsgericht eine Rechtsvorschrift verfassungskonform in der Weiseauslegt, dass es die verfassungswidrige Interpretationsmöglichkeit ausschließt (vgl. BVerfGE 40, 88 <94>).

Rechtsvorschriften, die, wie die Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB, das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen, sind so zu konkretisieren, dass die Grundrechte als "Richtlinien" in das Zivilrecht hineinwirken können (vgl. BVerfGE 89, 214 <229>). Speziell für das Vertrags- und das Bürgschaftsrecht hat das Bundesverfassungsgericht weiter klargestellt, dass Privatautonomie die Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben voraussetzt, dass die Vertragsfreiheit nur im Falle eines annähernd ausgewogenen Kräfteverhältnisses der Vertragspartner als Mittel eines angemessenen Interessenausgleichs geeignet ist und dass es zu den Hauptaufgaben des geltenden Zivilrechts gehört, auf strukturelle Störungen des Verhandlungsgleichgewichts angemessen zu reagieren (vgl. BVerfGE 89, 214 <231 ff.>; für Eheverträge siehe auch, daran anknüpfend, BVerfGE 103, 89 <100>).

Damit hat das Bundesverfassungsgericht den Begriffen "gu-te Sitten", "Verkehrssitte" sowie "Treu und Glauben" in den §§ 138 und 242 BGB mit Bezug auf Bürgschaftsverträge auch für die Rechtsanwendung in anderen Fällen reproduzierbare - und für die Zivilgerichte verbindliche - Konturen gegeben. Zu-gleich hat das Gericht Gesichtspunkte herausgearbeitet, aus denen sich eine strukturelle Störung des Verhandlungsgleichgewichts ergeben kann. Insoweit kann maßgeblich sein,wer den Vertrag als Bürge abgeschlossen hat, wie alt dieser im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gewesen ist, in welchen wirtschaftlichen Verhältnissen er sich dabei befunden und welche Ausbildung er genossen hat. Für die rechtliche Beurteilung wesentlich ist weiter, ob der Bürge in geschäftlichen Dingen unerfahren gewesen und auf welche Weise der Vertrag zustande gekommen ist, wie sich der Bürgschaftsgläubiger dabei verhalten hat, wie hoch das vom Bürgen übernommene Haftungsrisiko gewesen ist und ob dieser im Fall der Kreditsicherung an dem Kredit ein eigenes wirtschaftliches Interesse hatte (vgl. BVerfGE 89, 214 <230 f., 234 f.>).

Der sich aus der von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Privatautonomie ergebende Maßstab des gebotenen Ausgleichs zwischen strukturell ungleichen Verhandlungssituationen hat durch diese Rechtsprechung eine für die Rechtsanwendung bedeutsame Konkretisierung erfahren, die der künftigen Rechtsprechung der Zivilgerichte für die Beurteilung von Bürgschaftsfällen der hier in Rede stehenden Art abstrakt-generell und auf vorhersehbare Weise den Weg weist. Sie zwingt die Gerichte zu einer Verfeinerung und Konkretisierung der einschlägigen zivilrechtlichen Normen und hat insoweit dazu geführt, dass im Rahmen der Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB rechtssatzmäßig typisierbare Fallgruppen (vgl. BVerfGE 89, 214 <232>) gebildet worden sind, die der weiteren Rechtsanwendung zugrunde gelegt werden können. Dies unterscheidet sich, auch wenn die abschließende Festlegung und Normausfüllung Sache der Zivilgerichte bleibt (vgl. BVerfGE 89, 214 <234>), hinsichtlich des Grundrechtsschutzes nicht von der verfassungskonformen Auslegung einer Rechtsvorschrift im genannten herkömmlichen Sinne (vgl. auch Simon, EuGRZ 1974, S. 85 <86>). Die Sicherung des Grundrechtsschutzes auch für denjenigen, dessen Grundrecht verletzt wurde, weil ein Gericht die Rechtsprechung zur verfassungsgemäßen Konkretisierung der betroffenen unbestimmten Rechtsbegriffe des Bürgerlichen Gesetzbuches noch nicht berücksichtigen konnte, ist unter dem Gesichtspunkt des nach § 79 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVerfGG zu gewährenden Vollstreckungsschutzes ein Gebot der Gleichbehandlung. Im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes ist es deshalb verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, den Fall der die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte sichernden Auslegung von zivilrechtlichen Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen im Rahmen des § 79 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit Satz 2 und Satz 1 BVerfGG anders zu behandeln als den Fall der verfassungskonformen Auslegung.

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich eine unterschiedliche Behandlung nachteilig auf die grundrechtlich geschützte Vertragsfreiheit auswirken würde. Wie der Bundesgerichtshof im Fall der Beschwerdeführerin angenommen hat, ist der von dieser geschlossene Bürgschaftsvertrag wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB als nichtig anzusehen. Das gegen die Beschwerdeführerin gleichwohl erlassene Versäumnisurteil von 1992 verstößt gegen die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Privatautonomie, weil es diese Gewährleistung bei der Konkretisierung und Anwendung des § 138 BGB nicht beachtet hat. Derartige Grundrechtsverstöße würden durch die Vollstreckung aus solchen Entscheidungen perpetuiert und die Vertragsfreiheit des betroffenen strukturell unterlegenen Bürgen insoweit aufs Neue beeinträchtigt, wenn der Fall, dass das Bundesverfassungsgericht die Zivilgerichte in der geschilderten Weise maßstabbildend zur Durchsetzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG im Rahmen des Zivilrechts angehalten hat, nicht in den Anwendungsbereich des § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG einbezogen würde. Das hat solches Gewicht, dass es sich mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbaren lässt, den Fall der grundrechtsgeleiteten Konkretisierung auslegungsfähiger Zivilrechtsbegriffe anders als den Fall der Unvereinbarerklärung einer bestimmten Rechtsnormauslegung mit dem Grundgesetz von der Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG auszuschließen.

b) Das Fehlen eines hinreichenden Normbezugs kann danach, anders als der Bundesgerichtshof annimmt, einer Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG auf Fälle der vorliegenden Art ebenfalls nicht entgegengehalten werden. Auch bei der verfassungskonformen Auslegung einer Rechtsvorschrift lassen die normbezogenen Aussagen der verfassungsgerichtlichen Entscheidung den Normtext selbst unberührt. Der Normbezug beschränkt sich darauf, die Reichweite der interpretierten Vorschrift ohne Normtextänderung auf den verfassungskonformen Gehalt der Regelung auch für die Anwendung in anderen Rechtsfällen zu reduzieren. Ähnlich verhält es sich bei den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, deren Ziel es ist, wie im Fall der Bürgschaftsentscheidung vom 19. Oktober 1993 die Grundrechte im Bereich des Zivilrechts über dessen Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe interpretationsleitend zur Geltung zu bringen. Auch dabei wird der Wortlaut der maßgeblichen Vorschrift nicht verändert, wohl aber ihr Inhalt durch Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für typisierbare Fallgestaltungen (vgl. BVerfGE 89, 214 <232>) konkretisiert und damit auch für die Entscheidung anderer Fälle nutzbar gemacht. Das reicht für die Annahme des in § 79 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit Satz 2 und Satz 1 BVerfGG vorausgesetzten Normbezugs aus.

c) Der analogen Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts mit dem hier zugrunde liegenden Inhalt steht schließlich auch nicht entgegen, dass der von der Beschwerdeführerin 1988 geschlossene Bürgschaftsvertrag nach der Beurteilung des Bundesgerichtshofs zwar auf der Grundlage der heutigen, durch die Bürgschaftsentscheidung vom 19. Oktober 1993 veranlassten Rechtsprechung seines IX. und XI. Zivilsenats wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB als nichtig anzusehen ist, das zum Nachteil der Beschwerdeführerin ergangene Versäumnisurteil aber, wie das Revisionsgericht ebenfalls ausgeführt hat, im Jahre 1992 mit der Rechtsprechung des für das Bürgschaftsrecht zuständigen Senats des Bundesgerichtshofs in Einklang stand.

Gemäß Satz 3 des § 79 Abs. 2 BVerfGG gilt für nicht mehr anfechtbare Entscheidungen im Sinne des Satzes 1, deren zwangsweise Vollstreckung nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung durchzuführen ist, § 767 ZPO entsprechend. Nach dessen Absatz 1 sind Einwendungen, die den durch das zu vollstreckende Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen, vom Schuldner im Wege der (Vollstreckungsabwehr-)Klage bei dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges geltend zu machen. Derartige Einwendungen sind zufolge Absatz 2 allerdings nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf denen die Einwendungen beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen nach der Zivilprozessordnung spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können. Es muss sich also um Gegengründe handeln, die gegen den dem Vollstreckungstitel zugrunde liegenden Anspruch in dem in § 767 Abs. 2 ZPO bestimmten Zeitrahmen noch nicht vorgebracht werden konnten, weil sie erst danach entstanden sind.

Bei den Einwendungen, die auf der Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1993 gründen, ist diese Voraussetzung für eine entsprechende Anwendung des § 767 ZPO erfüllt. Sie konnten 1992, als das Versäumnisurteil gegen die Beschwerdeführerin erlassen wurde, noch nicht geltend gemacht werden, weil die Maßstäbe, aus denen diese Einwendungen heute abgeleitet werden können, damals vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entwickelt und den Zivilgerichten noch nicht verbindlich vorgegeben worden waren. Das hat sich inzwischen geändert. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nunmehr fest, dass Entscheidungen, wie das gegen die Beschwerdeführerin ergangene Versäumnisurteil, mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren sind. Soweit für eine solche Feststellung im Einzelfall noch rechtliche Konkretisierungen und tatsächliche Ermittlungen durch die Zivilgerichte notwendig sind, weist § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG mit dem Verweis auf die Vollstreckungsabwehrklage hierfür den Weg. Das danach eröffnete Verfahren ist geeignet, auch schwierige materiellrechtliche Fragen im Verhältnis von Vollstreckungsschuldner und Vollstreckungsgläubiger zu klären (vgl. Münzberg, in: Stein/Jonas, Zivilprozessordnung, 22. Aufl., Bd. 7, 2002, § 767 Rn. 15). Die Begrenzung in § 767 Abs. 2 ZPO stellt sicher, dass dabei das Erkenntnisverfahren nicht in vollem Umfang wiederholt wird.

d) Die Entscheidung zu B II 2 ist mit 5 : 3 Stimmen ergangen.

III.

Das angegriffene Urteil ist danach gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben, die Sache an den Bundesgerichtshof zurückzuverweisen.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Der Entscheidung der Senatsmehrheit stimme ich nicht zu. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Eine verfassungsrechtliche Pflicht zur analogen Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, mit denen die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf das einfache Recht durchgesetzt wird, besteht nicht.

1. Die Senatsmehrheit hält zunächst eine analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auf Entscheidungen für notwendig, die auf der vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Auslegung einer Norm beruhen. § 79 Abs. 2 BVerfGG enthalte insoweit eine Regelungslücke, die sich aus einem Vergleich mit § 79 Abs. 1 BVerfGG ergebe. Diese müsse durch eine Analogie geschlossen werden, damit das Grundsatz-Ausnahmeverhältnis von Absatz 2 zu Absatz 1 weiter gewahrt bleibe.

a) Diese Begründung überzeugt nicht. § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG enthält die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers, dass nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt bleiben. Von diesem Grundsatz nimmt § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG noch nicht vollstreckte Entscheidungen aus, indem die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung für unzulässig erklärt wird. Eine weitere, rechtsgebietsbezogene Ausnahme macht § 79 Abs. 1 BVerfGG für rechtskräftige Strafurteile. Beruhen diese auf einer für nichtig erklärten Norm, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozessordnung zulässig. Durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 21. Dezember 1970 sind die Tatbestandsvoraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 79 Abs. 1 BVerfGG um die Fälle der Unvereinbarkeitserklärung und der verfassungskonformen Auslegung erweitert worden. Der Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift ist damit im Vergleich zu der Grundregel des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ausgedehnt worden. Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass entsprechend auch der Anwendungsbereich der Grundregel des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG erweitert werden müsste. Die Erweiterung des § 79 Abs. 1 BVerfGG setzt die in dieser Regelung enthaltene Privilegierung strafrechtlich Verurteilter gegenüber sonstigen von nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen Betroffener fort. Sie gründet sich, wie bereits die Einräumung der Wiederaufnahmemöglichkeit in der ursprünglichen Fassung des § 79 Abs. 1 BVerfGG, auf die besondere Belastung, die in einer strafrechtlichen Verurteilung liegt. Dieser besonderen Belastung entspricht eine bevorzugte Einräumung von Wiederaufnahmemöglichkeiten. Diese Wertung lässt sich auf die Fälle des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG nicht übertragen. Allein aus dem formalen Umstand, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 79 Abs. 1 BVerfGG gegenüber denjenigen des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG erweitert worden sind, kann daher keine Lückenhaftigkeit des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG abgeleitet werden. Das Grundsatz-Ausnahmeverhältnis von § 79 Abs. 2 und Abs. 1 BVerfGG bleibt auch ohne eine analoge Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG gewahrt. Zudem dürfte der Umstand, dass nur der Absatz 1 nicht aber der unmittelbar folgende Absatz 2 derselben Vorschrift ergänzt wurde, eher positiv dafür sprechen, dass der Gesetzgeber lediglich den Ausnahmetatbestand erweitern wollte. Es ist schlechthin nicht erklärlich, weshalb der Gesetzgeber bei - unterstellt - umfassender Regelungsabsicht ausgerechnet die dem Absatz 1 folgende Grundregel des Absatzes 2 übersehen haben sollte.

Die Senatsmehrheit bleibt ein positives Argument für die Lückenhaftigkeit des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG schuldig. Sie belässt es zunächst bei der negativen Feststellung, dass sich ein Grund für die "Beschränkung" des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG aus den Gesetzesmaterialien nicht ergebe und auch sonst nicht ersichtlich sei. Sodann wird ausgeführt, der Gesetzgeber habe nicht bemerkt, dass die Erweiterung des § 79 Abs. 1 BVerfGG auch eine Ergänzung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG erforderlich mache und er andernfalls die Ergänzung selbst vorgenommen hätte. Die Annahme einer Gesetzeslücke bedarf jedoch einer positiven Begründung. Denn als Gesetzesergänzung durch die Rechtsprechung ist die analoge Anwendung einer Rechtsnorm nur unter engen Voraussetzungen möglich. Eine Analogie setzt voraus, dass eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigt gelassene Lücke vorliegt und diese Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann, andernfalls sonst jedes Schweigen des Gesetzgebers - und das ist der Normalfall, wenn er etwas nicht regeln will - als planwidrige Lücke im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden könnte (vgl. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Auflage 1983, S. 51). Dem wird die Senatsmehrheit nicht gerecht.

Entgegen der Auffassung der Senatsmehrheit ist die durch das Bundesverfassungsgericht in früheren Entscheidungen befürwortete analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auf Entscheidungen, die auf einer nur für unvereinbar erklärten Norm beruhen, für die Begründung einer analogen Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auf Entscheidungen, die auf einer für verfassungswidrig erklärten Auslegung einer Norm beruhen, ohne Bedeutung. Bei der Unvereinbarkeitserklärung handelt es sich um eine eingeschränkte Nichtigerklärung, die in Fällen erfolgt, in denen die Voraussetzungen einer Nichtigerklärung vorliegen, die jedoch den in bestimmten Fällen mit einer Nichtigerklärung verbundenen Eingriff in die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit vermeidet (vgl. M. Graßhof, in: Umbach/Clemens/Dollinger, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Auflage 2005, § 78 Rn. 57 ff.). Die analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auf Fälle der Unvereinbarkeitserklärung beruht also auf der inhaltlichen Ähnlichkeit beider Tenorierungsformen. Diese Ähnlichkeit müsste auch im Verhältnis zur verfassungswidrigen Auslegung bestehen, damit eine analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auf diese gerechtfertigt werden könnte. Der bloße Umstand, dass § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auf die Unvereinbarkeitserklärung analog angewendet wird, ist dagegen belanglos. Im Übrigen spielte - entgegen dem Eindruck, den die Begründung der Senatsmehrheit vermittelt - in den von der Senatsmehrheit zitierten Entscheidungen zur analogen Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auf die Unvereinbarkeitserklärung das Grundsatz-Ausnahmeverhältnis von § 79 Abs. 2 und Abs. 1 BVerfGG keinerlei Rolle.

Die Meinung der Senatsmehrheit, es sei geradezu ungereimt, nur die rechtskräftigen Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, nach § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG unberührt zu lassen und lediglich den Vollstreckungsverboten gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVerfGG zu unterstellen, die anderen in § 79 Abs. 1 BVerfGG neuer Fassung als rechtsähnlich angesehenen Fälle der Unvereinbarerklärung und der verfassungswidrigen Auslegung dagegen schon vom Bestandsschutz des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG auszunehmen, bleibt ohne Rechtfertigung und ohne Bezug zur Gesamtrechtsordnung. Sie berücksichtigt insbesondere nicht, dass die Bestimmung des § 79 Abs. 1 BVerfGG eine Ausnahme nur für den besonders gelagerten Fall der Korrektur rechtskräftiger strafrechtlicher Verurteilungen regelt. Wegen der Sensibilität der Materie und der einschneidenden Wirkung des staatlichen Eingriffs für den Betroffenen sind die Voraussetzungen für die ausnahmsweise angeordnete Durchbrechung der Rechtskraft (Wiederaufnahme) in diesen Fällen weit gefasst. Mit der Wertung einer Rechtslage als ungereimt in Bezug auf § 79 Abs. 2 BVerfGG bringt die Senatsmehrheit lediglich ihre rechtspolitische Vorstellung von einer in ihrem Sinne zu optimierenden Rechtslage zum Ausdruck. Als Begründung für eine planwidrige Gesetzeslücke reicht dies nicht. Vielmehr bedarf es gerade in Abgrenzung von rechtspolitischen Vorstellungen gegenüber der Begründung einer Gesetzeslücke eines Mehr, das über die lediglich subjektive Einschätzung des Rechtsanwenders von einer "gelungenen" Rechtsgestaltung hinausgeht und das die Erkenntnis vermittelt, was die Regelungsabsicht des Gesetzgebers war. Die lediglich rechtspolitischen Erwägungen der Senatsmehrheit vermögen daher eine planwidrige Gesetzeslücke methodologisch nicht zu begründen.

b) Neben der Darlegung einer planwidrigen Gesetzeslücke - an der es hier, wie ausgeführt, mangelt - erfordert die analoge Anwendung der für einen Tatbestand im Gesetz gegebenen Regel auf einen vom Gesetz nicht geregelten Tatbestand die Begründung, dass beide Tatbestände infolge ihrer Ähnlichkeit in den für die gesetzliche Bewertung maßgebenden Hinsichten gleich zu bewerten sind (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage, 1991, S. 381).

Auch insoweit überzeugen die Ausführungen der Senatsmehrheit nicht. Sie stützt sich ausschließlich auf die Überlegung, dass die als verfassungswidrig erkannte Auslegungsvariante wie die nichtige Norm im Fall der Nichtigerklärung von der weiteren Rechtsanwendung ausgeschlossen sei. Diese Folgen entsprächen einander so sehr, dass es verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden könne, beide Fälle unterschiedlich zu behandeln.

Durch den untechnischen Begriff des "Ausschlusses von der weiteren Rechtsanwendung" werden die fundamentalen Unterschiede zwischen der Nichtigerklärung eines Gesetzes und dem Ergebnis der verfassungsrechtlichen Prüfung einer einfach-rechtlichen Gesetzesauslegung verwischt. Bei der Nichtigerklärung wird die Geltung eines Gesetzes aufgehoben; bei der Feststellung, dass eine bestimmte Gesetzesauslegung verfassungswidrig ist, bleibt das Gesetz gerade in Kraft. Hinsichtlich förmlicher und nachkonstitutioneller Gesetze des Bundes und der Länder kann die Nichtigerklärung ausschließlich durch das Bundesverfassungsgericht oder die Verfassungsgerichte der Länder erfolgen; zu der Verwerfung einer Auslegungsvariante als verfassungswidrig und korrespondierend zu der Entscheidung zugunsten einer verfassungsmäßigen Auslegungsvariante ist jeder Rechtsanwender berechtigt und auch verpflichtet. Die Nichtigerklärung eines Gesetzes hat nach § 31 Abs. 2 Satz 1 und 2 BVerfGG Gesetzeskraft; die von dem Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärte Auslegungsvariante ist nur in der Weise von der weiteren Rechtsanwendung "ausgeschlossen", wie dies bei jedem anderen Verfassungsverstoß auch der Fall ist: Aufgrund § 31 Abs. 1 BVerfGG sind die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden und damit an einer Wiederholung eines durch das Bundesverfassungsgericht festgestellten Verfassungsverstoßes in einem anderen Verfahren gehindert. Entfällt durch die Nichtigerklärung rückwirkend die Geltung eines Gesetzes, drängt sich die Frage auf, inwiefern hiervon die aufgrund des Gesetzes ergangenen, nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen betroffen sind. Diese Situation regelt § 79 Abs. 2 BVerfGG. Stellt das Bundesverfassungsgericht dagegen nur fest, dass eine Entscheidung auf einer verfassungswidrigen Auslegung einer Rechtsnorm beruht und hebt es diese Entscheidung auf, gelten hinsichtlich anderer, nicht verfahrensgegenständlicher Entscheidungen, die nicht mehr anfechtbar sind und die auf der gleichen Grundrechtsverletzung beruhen, die allgemeinen Regeln über die Rechtskraft und ihre Durchbrechung, wie sie etwa auch auf die Entscheidungen der obersten Bundesgerichte Anwendung finden. Danach kann eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung auch dann vollstreckt werden, wenn ein anderes Gericht in einem anderen Verfahren einen Rechtsmangel feststellt, an dem auch die zu vollstreckende Entscheidung leidet, der jedoch von dem Betroffenen oder den Gerichten vor Eintritt der Unanfechtbarkeit nicht geltend gemacht oder erkannt worden war.

Diese Unterscheidung zwischen den Rechtsfolgen der Nichtigerklärung eines Gesetzes in § 79 Abs. 2 BVerfGG und den Rechtsfolgen einer sonstigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, für die das Bundesverfassungsgerichtsgesetz keine speziellen Regelungen enthält, knüpft zum einen an den abstrakt-generellen Charakter von Gesetzen an, die auf eine Umsetzung in Sekundärakten angelegt sind und deren rückwirkende Nichtigerklärung daher auch Auswirkungen auf diese Sekundärakte haben soll. Zum anderen berücksichtigt die unterschiedliche Regelung das Wesen der Rechtsprechung außerhalb von Normenkontrollverfahren als Entscheidung von Einzelfällen mit lediglich mittelbarer Auswirkung auf zukünftige andere Verfahren, die ohne Rückwirkung auf nicht mehr anfechtbare Entscheidungen bleibt.

Der Gesetzgeber könnte diese Rechtsfolgen in anderer Weise ausgestalten. Für die de lege lata getroffene Differenzierung zwischen den Rechtsfolgen der Nichtigerklärung in § 79 Abs. 2 BVerfGG und den Rechtsfolgen sonstiger Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts besteht jedoch aufgrund der dargelegten Unterschiede ein hinreichender sachlicher Grund, der die Annahme eines Gleichheitsverstoßes ausschließt. Die Senatsmehrheit kann sich deshalb auch nicht darauf berufen, dass die von ihr befürwortete Analogie zur Vermeidung von Widersprüchen zwischen § 79 Abs. 1 und Abs. 2 BVerfGG erforderlich sei.

2. Die Senatsmehrheit nimmt dann eine weitere, doppelte Analogie vor. Die analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die eine verfassungskonforme Auslegung enthalten, soll wiederum analog erstreckt werden auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, welche die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf das einfache Recht durchsetzen.

Um die Feststellung einer planwidrigen Regelungslücke bemüht sich die Senatsmehrheit hier nicht mehr. Die Vergleichbarkeit beider Tatbestände wird erneut darin gesehen, dass die Zivilgerichte (gemeint ist sicherlich die gesamte Fachgerichtsbarkeit, da Grundrechte nicht nur in das Zivilrecht ausstrahlen) bei ihrer künftigen Rechtsprechung an beide Typen verfassungsgerichtlicher Entscheidungen in gleicher Weise gebunden seien.

Auch hier wird die Analogie also nur mit der Möglichkeit begründet, aus verfassungsgerichtlichen Einzelfallentscheidungen - wie aus jeder Gerichtsentscheidung - allgemeine Rechtssätze zu abstrahieren, die allerdings nach § 31 Abs. 1 BVerfGG bindend sind. § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG wird damit auf sämtliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts anwendbar. Auf dem Weg über die doppelte Analogie löst sich die Senatsmehrheit völlig von dem normativen Ausgangspunkt, einer Bestimmung gerade der Folgen der Nichtigerklärung, um rechtsschöpferisch zu einer allgemeinen Regelung der Folgen nach § 31 Abs. 1 BVerfGG bindender verfassungsgerichtlicher Entscheidungen zu gelangen.

Die Unterschiede zwischen einer verfassungskonformen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht und Entscheidungen, in denen die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte maßgeblich ist, werden dabei durch die Senatsmehrheit ausgeblendet. Bei der verfassungskonformen Auslegung wird eine klar umrissene Auslegungsvariante mit dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit versehen. Es handelt sich um eine negative Entscheidung, ein Verbot, eine bestimmte Auslegung zu vertreten. Die verfassungskonforme Auslegung bezieht sich auf eine einfach-recht- liche Rechtsnorm, die insoweit einen Mangel aufweist, als sie für eine Auslegungsvariante offen ist, die dem Grundgesetz widerspricht.

Entscheidungen des Verfassungsgerichts, die eine Verkennung der Ausstrahlungswirkung von Grundrechten durch die Fachgerichte konstatieren, wirken demgegenüber positiv: Sie verpflichten die Fachgerichte, bei der Anwendung einfachen Rechts, also der Subsumtion des Sachverhalts unter dem Tatbestand der Norm, unmittelbar aus dem Grundgesetz abgeleitete Direktiven zusätzlich zu berücksichtigen, die aufgrund des Charakters des Grundgesetzes als Rahmenordnung notwendigerweise weit und konkretisierungsbedürftig bleiben müssen. Verkennt ein Gericht die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte bei der Anwendung des Rechts, liegt kein verfassungsrechtlicher Mangel eines Gesetzes vor. So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Bürgschaftsentscheidung (vgl. BVerfGE 89, 214 <231 ff.>) die Verfassungsmäßigkeit des § 138 BGB nicht in Zweifel gezogen. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr als fehlerhaft beanstandet, dass verfassungsrechtliche Vorgaben, die den einfach-rechtlichen Rechtsanwendungsvorgang anreichern, außer Acht gelassen worden waren.

In dem fehlenden Normbezug verfassungsgerichtlicher Entscheidungen, die eine ungenügende Beachtung der grundrechtlichen Ausstrahlungswirkung auf die Rechtsanwendung korrigieren, sieht der Bundesgerichtshof daher zu Recht einen sachlichen Grund, der einem Einbezug dieser Entscheidungen in den Anwendungsbereich des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG als einer Folgenregelung der Nichtigerklärung verfassungswidriger Gesetze entgegensteht.

3. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Bürgschaftsentscheidung nicht etwa - wie die Senatsmehrheit meint - den §§ 138, 242 BGB mit Bezug auf Bürgschaftsverträge reproduzierbare Konturen gegeben. Das Gericht hat sich vielmehr darauf beschränkt, die Zivilgerichte an ihre Pflicht zu erinnern, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln darauf zu achten, dass Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienen. Sei der Inhalt eines Vertrags als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen, müssten sie - so wörtlich - "vielmehr klären, ob die Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sei" (Aufforderung zur Sachverhaltsermittlung) "und gegebenenfalls im Rahmen der Generalklauseln des geltenden Zivilrechts korrigierend eingreifen". Ein Verstoß gegen die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie komme in Betracht, wenn das Problem gestörter Vertragsparität gar nicht gesehen oder seine Lösung mit untauglichen Mitteln versucht werde. Ausdrücklich wird den Zivilgerichten bei der Entscheidung, "wie sie dabei im Einzelnen zu verfahren" hätten und "zu welchem Ergebnis sie gelangen" müssten, ein "weiter Spielraum" zugestanden (vgl. BVerfGE 89, 214 <234>). Das Bundesverfassungsgericht hat also nur Minimalstandards für die Berücksichtigung der Ausstrahlungswirkung gesetzt und damit einen Anstoß zu einer näheren, verfassungsrechtlich nicht im Einzelnen vorgezeichneten Konkretisierung durch die Rechtsprechung gegeben. Die von der Senatsmehrheit aufgezählten Gesichtspunkte betreffen den konkreten Einzelfall und stellen nur allgemeine Topoi dar, die eine strukturell ungleiche Verhandlungsstärke indizieren können. Die Bildung normgleich typisierbarer Fallgruppen ist dann erst durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geleistet worden.

Daraus, dass das gegen die Beschwerdeführerin ergangene Versäumnisurteil nach Auffassung des Bundesgerichtshofs in der angegriffenen Entscheidung auf der Grundlage derheutigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als rechtswidrig anzusehen ist, kann daher auch nicht mit der Senatsmehrheit geschlossen werden, das ohne Begründung ergangene Versäumnisurteil sei verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat im 89. Band vielmehr davon abgesehen, die einfach-rechtliche Anwendung des § 138 BGB als in jedem Detail verfassungsrechtlich determiniert anzusehen. Auch im Rahmen der Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG kommt es nicht darauf an, dass das gegen die Beschwerdeführerin ergangene Versäumnisurteil nicht mit der gegenwärtigen Rechtsprechung desBundesgerichtshofs übereinstimmt. Zu fragen und damit allein zu prüfen ist vielmehr, ob das Versäumnisurteil den in der Bürgschaftsentscheidung desBundesverfassungsgerichts geforderten verfassungsrechtlichen Mindeststandards nicht genügt.

Die Beschwerdeführerin kann sich nach allem nicht nach § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG i.V.m. § 767 ZPO gegen die Vollstreckung des seinerzeit von ihr akzeptierten Versäumnisurteils wegen einer nachträglichen Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle von Verträgen nach §§ 242, 138 BGB, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind, wehren. Die angegriffene Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.






BVerfG:
Beschluss v. 07.12.2005
Az: 2 BvR 581/01


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/c90dddaf0965/BVerfG_Beschluss_vom_7-Dezember-2005_Az_2-BvR-581-01


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