Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. Mai 2000
Aktenzeichen: 10 W (pat) 32/99

(BPatG: Beschluss v. 15.05.2000, Az.: 10 W (pat) 32/99)

Tenor

Die Beschwerde der Einsprechenden gegen den Beschluß der Patentabteilung 31 des Deutschen Patentamts vom 19. Juni 1998 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Markus Poetsch ist Inhaber des am 19. August 1993 angemeldeten, eine Vorrichtung zur Hörunterstützung betreffenden Patents DE 43 27 901, dessen Erteilung am 16. Februar 1995 veröffentlicht worden ist.

Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Vorrichtung zur Hörunterstützung, die zwei Mikrofone aufweist, die mit einer Steuereinheit gekoppelt sind und die Steuereinheit mit Eingangssignalen speisen und bei der die Steuereinheit mindestens ein Ausgangssignal zu mindestens einem Übertragungselement übermittelt, dadurch gekennzeichnet, daß die Steuereinheit (1) räumlich getrennt von den Mikrofonen (2, 3) angeordnet ist, jedes der Mikrofone (2, 3) von einem im Bereich eines menschlichen Ohres (22) anordbaren Ohrgehäuses (4, 5) aufgenommen ist, jedes der Ohrgehäuse (4, 5) mit einem Sender (6) versehen ist, der mit einem Empfänger (7) im Bereich der Steuereinheit (1) kommuniziert, daß im Bereich mindestens eines der Ohrgehäuse (4, 5) eines der Übertragungselemente (8) angeordnet ist, das mit einem Empfänger (9) versehen ist, der mit einem Sender (10) im Bereich der Steuereinheit (1) kommuniziert und daß im Bereich der Steuereinheit (1) ein Vergleicher (12) zur Auswertung der Signale der Mikrofone (2, 3) angeordnet ist, der die Ausgangsleistung der Steuereinheit (1) zur Anpassung an eine räumliche Schallwiedergabe modifiziert."

Wegen der auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Ansprüche 2 bis 12 wird auf die Patentschrift verwiesen.

Gegen das Patent richtet sich der am 5. Mai 1995 eingegangene Einspruch, mit dem der Widerruf des Patents begehrt wird.

Die Einsprechenden machen geltend, die Erfindung beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dies ergebe sich aus dem Stand der Technik, nämlich aus der Veröffentlichung von P... aus dem Jahr 1993 mit dem Titel "Binaurale Hörgerätestrategien in komplexen Störschallsituationen", Fortschritt-Berichte, VDI Reihe 17 Nr 88. Dort werde die Plazierung von sowohl einem Mikrofon und mindestens einem Hörer in jeweils einem Ohrgehäuse an beiden Ohren, welche klein und unauffällig angebracht werden können und räumlich getrennt von einer Auswerteeinheit sind, beschrieben. Dies gelte auch für die Ausrüstung der Ohrgehäuse mit entweder jeweils einem Sender und Empfänger oder mit einer Drahtverbindung zum Zwecke der Signalübertragung mit der Zentraleinheit. Die Auswertung (Korrelation) von interauralen Zeit- und Pegeldifferenzen zur effizienten Störgeräuschunterdrückung sei bereits im Jahr 1990 von G... in der Veröffentlichung "Untersuchungen zur binauralen Verarbeitung kopfbezogener Signale", Fortschritt-Berichte, VDI Reihe 17, Nr 63 und im Jahr 1992 von B... in der Veröffentlichung "Binaurale Signalverarbeitung: Modellierung der Richtungserkennung und des Cocktail-Party-Effektes", Fortschritt-Berichte VDI Reihe 17 Nr. 85, beschrieben worden. Auch K... habe im Jahr 1992 ein Verfahren zur Störsignalunterdrückung im Modulationsfrequenzbereich veröffentlicht ("Gehörgerechte Schallanalyse zur Vorhersage und Verbesserung der Sprachverständlichkeit Dissertation Universität G...").

Damit sei der Gegenstand des Hauptanspruchs in wesentlichen Teilen vorweggenommen und mangels erfinderischer Leistung nicht mehr dem Patentschutz zugänglich.

Nach Auffassung des Patentinhabers ist der Einspruch unzulässig. Zunächst stehe die Identität der Einsprechenden nicht fest. Es werde zudem nur pauschal neuheitsschädliches Material benannt, bei dem zum Teil nicht erkennbar sei, ob die Veröffentlichung vor dem Anmeldetag erfolgt sei. Die einzelnen Merkmale der Patentansprüche und der in Bezug genommenen Abhandlungen seien nicht miteinander verglichen worden. Die Ausführungen zu den Patentansprüchen 4 und 5 enthielten zudem nur pauschale Angaben zu Literaturfundstellen.

Durch Beschluß vom 19. Juni 1998 hat die Patentabteilung 31 des Deutschen Patentamts den Einspruch als unzulässig verworfen. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, das letzte Merkmal des Hauptanspruchs sei im Einspruchsschriftsatz nicht berücksichtigt, so daß ein Schluß auf die fehlende Neuheit oder erfinderische Tätigkeit ohne weitere Ermittlungen nicht gezogen werden könne. Zu den anderen Merkmalen werde nur pauschal auf die Entgegenhaltung verwiesen, ohne nähere Angaben zu den Fundstellen in dieser Druckschrift zu machen. Es fehlten auch Hinweise darauf, ob die Entgegenhaltung - P... 1993 - als vorveröffentlichter Stand der Technik anzusehen sei.

Mit der hiergegen gerichteten Beschwerde wird geltend gemacht, daß der Einspruch hinreichend begründet sei. Für die Zulässigkeit des Einspruchs sei ausreichend, daß der Einsprechende zu so vielen Merkmalen des Hauptanspruchs zielgerichtete Hinweise aus dem Stand der Technik gebe, daß an einer erfinderischen Tätigkeit zumindest Zweifel entstehen könnten.

Die Einsprechenden beantragen, den Beschluß der Patentabteilung 31 vom 19. Juni 1998 aufzuheben.

Der Patentinhaber beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung vom 22. Juli 1998 sowie den Schriftsatz vom 13. Oktober 1998 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet, denn der Einspruch ist unzulässig.

1. Die Identität der Einsprechenden steht fest: Es sind Prof. Dr. Dr. K... und Dr. P....

Einspruch können grundsätzlich jede natürliche oder juristische Person und somit auch zwei natürliche Personen einlegen. Der Einspruchsschriftsatz trägt den Briefkopf der Universität O..., Dr. P...; er ist von Prof. K... und Dr. P... unterschrieben. Für die Feststellung der Identität des Einsprechenden genügt, wenn sich bei verständiger Würdigung des Einspruchsschriftsatzes und der übrigen beim Patentamt befindlichen Unterlagen innerhalb der Einspruchsfrist ohne weitere Nachforschungen die Identität bestimmen läßt. Eine derartige Bestimmung ist hier möglich. Im Text des Einspruchsschriftsatzes wird auf "unsere Arbeitsgruppe (Medizinische Physik, Prof. K...)" Bezug genommen. Daraus ergibt sich, daß die beiden Unterzeichner Mitglieder dieser Arbeitsgruppe sind und sich gegen das Patent wenden; sie sind daher Einsprechende.

2. Voraussetzung für die Zulässigkeit des Einspruchs ist gemäß § 59 Absatz 1 Satz 4 PatG, daß die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen sollen, "im einzelnen" angegeben werden. Es müssen die für die Beurteilung des behaupteten Widerrufsgrundes maßgeblichen Umstände innerhalb der Einspruchsfrist so vollständig dargelegt werden, daß das Patentamt und der Patentinhaber daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Widerrufsgrundes ziehen können (vgl BGH GRUR 1995, 333 "Aluminium-Trihydroxyd; 1993, 651, 653 "Tetrachloide Kamille").

Wird der Einspruch auf schriftlichen Stand der Technik gestützt, müssen die Schriften genau bezeichnet werden. Die genaue Bezeichnung der Entgegenhaltungen und ihrer Zugänglichkeit genügen aber nicht ohne weiteres. Der Einsprechende muß darüber hinaus grundsätzlich den nach seiner Auffassung gegebenen sachlichen Bezug, den technischen Zusammenhang der entgegengehaltenen Veröffentlichungen mit dem Gegenstand des angegriffenen Patents aufzeigen. Er darf es nicht dem Patentamt und dem Patentinhaber überlassen, diesen Zusammenhang herzustellen (BGH BlPMZ 1988, 289, 290 Meßdatenregistrierung; GRUR 1987, 513, 514 Streichgarn; Busse, PatG 5. Aufl, § 59 Rdn 77 mwNachw). Insbesondere genügt eine pauschale Verweisung auf ein Dokument ohne nähere Angabe der relevanten Stellen in der Regel nicht als Einspruchsbegründung.

Diesen Anforderungen wird die Einspruchsbegründung nicht gerecht.

Die Einsprechenden haben eine Liste von Veröffentlichungen vorgelegt, aus deren Titeln sich zwar ein äußerlicher sachlicher Bezug zu der patentierten Erfindung ergibt und deren öffentliche Zugänglichkeit aus dem Charakter der Entgegenhaltungen als veröffentlichte Berichte folgt. Als Datum der dem Patentanspruch 1 entgegengehaltenen Veröffentlichung "P..." ist 1993, also das Anmeldejahr genannt. Das mag für die Zulässigkeit ausreichen. Falls die Veröffentlichung dann tatsächlich nach dem Anmeldetag erfolgt ist, ist dies im Rahmen der Schlüssigkeit (Begründetheit) des Einspruchs zu berücksichtigen (vgl Schulte, PatG, § 59 Rdn 62).

Die Einsprechenden haben sich aber nicht ausreichend mit der patentierten Erfindung auseinandergesetzt. Sie erwähnen zwar einzelne kennzeichnende Merkmale des Patentanspruchs 1, tragen aber nur vor, daß die Patentansprüche 1, 2 und 3 den generellen Aufbau eines binauralen Hörgeräts beträfen, der bereits in der Veröffentlichung von P... (Kapitel 3) beschrieben sei. Sie nennen damit nur allgemein den Stand der Technik, legen aber nicht konkret dessen sachlichen Bezug zur patentierten Erfindung dar, insbesondere vergleichen sie nicht den Gegenstand des angegriffenen Patents mit dem Inhalt der entgegengehaltenen Veröffentlichungen im einzelnen und deren technischer Zusammenhang mit dem Patentgegenstand. Ohne nähere Angaben (als den bloßen Hinweis auf "Kapitel 3" einer Vorveröffentlichung) bleibt aber der technische Zusammenhang zwischen dem Gegenstand des angegriffenen Patents und dem diesem entgegengehaltenen Stand der Technik offen.

Dies gilt insbesondere für das letztgenannte Merkmal im Patentanspruch 1 "...und daß im Bereich der Steuereinheit ein Vergleicher zur Auswertung der Signale der Mikrofone angeordnet ist, der die Ausgangsleistung der Steuereinheit zur Anpassung an eine räumliche Schallwiedergabe modifiziert". Zur Lösung der Aufgabe ist die in diesem Merkmal beschriebene Anordnung des Vergleichers erfindungswesentlich, da "mit Hilfe des Vergleichers bspw. ein Nutzschall- Störschall-Selektionsverfahren durchgeführt werden kann, das es bei Vorliegen einer Hörschädigung dem Betroffenen ermöglicht, durch eine Bewegung des Kopfes oder eine entsprechende Einstellung im Bereich der Steuereinheit eine als dominierend angesehene Schallquelle überwiegend wahrzunehmen" (vgl. Beschreibung Sp. 2 Z. 48-55). Dieses erfindungswesentliche Merkmal haben die Einsprechenden bei den Ausführungen zu Patentanspruch 1 überhaupt nicht angesprochen. Sie erwähnen zwar in der Einspruchsschrift in bezug auf die Patentansprüche 4 und 5, daß in der Vorveröffentlichung von P... "ebenfalls Pegel- und Zeitdifferenzen in Frequenzbändern miteinander verglichen worden seien". Diese Ausführungen stellen jedoch keine Auseinandersetzung mit dem letzten Merkmal des Anspruchs 1 dar, der die Grundkonstruktion des Hörgerätes betrifft und auf dem die weiteren Patentansprüche basieren. Allein mit den vorhandenen Ausführungen war das Patentamt nicht in der Lage, das Vorliegen des behaupteten Widerrufsgrundes ohne eigenen Ermittlungen prüfen zu können. Der Einspruch erweist sich damit als formal unvollständig.

Die Ausführungen der Einsprechenden nach Ablauf der Einspruchsfrist machen den Einspruch nicht zulässig, da nur das innerhalb der Einspruchsfrist eingereichte Vorbringen berücksichtigt werden kann (§ 59 Abs. 1 S. 5 PatG).

Bühring

(Vors.) Richterin Winkler ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben.

Bühring Schuster Pr






BPatG:
Beschluss v. 15.05.2000
Az: 10 W (pat) 32/99


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