Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. Oktober 2008
Aktenzeichen: 30 W (pat) 37/07

(BPatG: Beschluss v. 27.10.2008, Az.: 30 W (pat) 37/07)

Tenor

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Eingetragen am 27. Oktober 2004 unter der Nummer 304 45 757 für pharmazeutische Erzeugnisse; Nahrungsergänzungsmittel für medizinische Zwecke; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke; Vitaminpräparate; Präparate aus Heilpflanzen für medizinische Zwecke ist die Marke TestoVital. Widerspruch wurde erhoben aus der Marke EM 2 394 351 FESTO eingetragen unter anderem für pharmazeutische Erzeugnisse und diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patentund Markenamtes hat den Widerspruch zurückgewiesen wegen fehlender Verwechslungsgefahr. Bei teilweise identischen Waren und durchschnittlicher Kennzeichnungskraft sowie zu berücksichtigenden breiten Verkehrskreisen sei ein deutlicher Markenabstand zu fordern. Die Vergleichsmarken unterschieden sich bereits durch ihre Wortlänge auffällig und verfügten über eine andere Silbenzahl, eine andere Vokalfolge sowie einen unterschiedlichen Sprechund Betonungsrhythmus. Zudem bestehe der Unterschied im Eingangskonsonant sowie dem zusätzlichen Bestandteil "Vital", der nicht vernachlässigt werden könne. Keiner der beiden kennzeichnungsschwachen Teile der angegriffenen Marke sei allein prägend. "Testo" weise auf "Testosteron" hin, "Vital" auf "Lebenskraft; Lebendigkeit". Daher sei auch der Sinngehalt der angegriffenen Marke kollisionsmindernd im Gegensatz zur Widerspruchsmarke, die ein reines Phantasiewort sei.

Hiergegen hat die Widersprechende Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, die angegriffene Marke sei wegen der Binnengroßschreibung als mehrteilige Marke deutlich erkennbar. Entgegen der Ansicht der Markenstelle handle es sich bei den Markenbestandteilen nicht um zwei gleichrangige, kennzeichnungsschwache Bestandteile. "Vital" sei zwar beschreibend, ein Hinweis bei "Testo" auf "Testosteron" sei dagegen abwegig, da "Testo" nicht die Abkürzung für "Testosteron" sei und die Waren der angegriffenen Marke keine Dopingmittel seien. "Testo" sei somit nicht kennzeichnungsschwach und könne daher in der angegriffenen Marke selbständig prägen. Die dann gegenüberstehenden Begriffe "Testo" und "FESTO" seien klanglich nahezu identisch.

Die Widersprechende beantragt, den Beschluss der Markenstelle des Deutschen Patentund Markenamtes vom 16. Februar 2007 aufzuheben und die angegriffene Marke zu löschen.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat sich nicht geäußert.

Zur Ergänzung wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat in der Sache keinen Erfolg, da nach Auffassung des Senats keine Gefahr von Verwechslungen zwischen den Marken besteht.

Die Frage der Verwechslungsgefahr ist unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren sowie der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbesondere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren ausgeglichen werden kann und umgekehrt (BGH in st. Rspr. vgl. GRUR 2005, 513 -MEY/Ella May; GRUR 2004, 865, 866 - Mustang; GRUR 2004, 598, 599 - Kleiner Feigling; GRUR 2004, 783, 784 - NEURO-VIBO-LEX/NEURO-FIBRAFLEX).

Nach diesen Grundsätzen ist hier die Gefahr von Verwechslungen zu verneinen.

1.

Der Senat geht bei seiner Entscheidung von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und damit von einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus.

2.

Da Benutzungsfragen nicht aufgeworfen sind, ist von der Registerlage auszugehen. Zwischen den Waren der angegriffenen Marke und den Waren der älteren Marke besteht Identität.

Da die pharmazeutischen Erzeugnisse der angegriffenen Marke -wie die der Widerspruchsmarke -registermäßig keiner Rezeptpflicht unterliegen, sind hierfür wie für die übrigen Waren allgemeine Verkehrskreise uneingeschränkt zu berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware befassenden, sondern auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware unterschiedlich hoch sein kann (vgl. BGH GRUR 2000, 506 -ATTACHÉ/TISSERAND) und der insbesondere allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt, eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegt (vgl. BGH GRUR 1995, 50 -Indorektal/Indohexal).

3.

Unter Berücksichtigung der genannten Umstände sind an den markenrechtlichen Abstand hohe Anforderungen zu stellen, denen die angegriffene Marke in jeder Hinsicht gerecht wird.

a) Die Ähnlichkeit von Wortzeichen ist anhand ihres klanglichen und schriftbildlichen Eindrucks sowie ihres Sinngehalts zu ermitteln. Dabei kommt es auf den jeweiligen Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Zeichen an. Dies entspricht dem Erfahrungssatz, dass der Verkehr Marken regelmäßig in der Form aufnimmt, in der sie ihm entgegentreten und sie nicht einer analysierenden, zergliedernden, möglichen Bestandteilen und deren Bedeutung nachgehenden Betrachtung unterzieht. Dabei bleibt auch ein beschreibender Bestandteil bei der Feststellung des Gesamteindrucks nicht außer Betracht, sondern ist mit zu berücksichtigen. Zudem ist bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr grundsätzlich mehr auf die gegebenen Übereinstimmungen der zu vergleichenden Zeichen als auf die Unterschiede abzustellen (vgl. BGH a. a. O. -NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX).

Ausgehend von der registrierten Form der zu vergleichenden Marken unterscheiden diese sich in ihrem durch ihre Gesamtheit vermittelten Gesamteindruck in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht klar und unverwechselbar. So handelt es sich bei der angegriffenen Marke um eine viersilbige Wortmarke aus zwei zusammengeschriebenen und durch Binnengroßschreibung hervorgehobenen Bestandteilen mit zehn Buchstaben, bei der Widerspruchsmarke dagegen um eine zweisilbige Wortmarke bestehend aus fünf Buchstaben.

b) Auch wenn die Widerspruchsmarke "FESTO" in jedenfalls klanglich ähnlicher Form -"Testo" -in der angegriffenen Marke "TestoVital" enthalten ist, führt dies nicht zu einer Bejahung der unmittelbaren Verwechslungsgefahr, da der Wortbestandteil "Testo" die angegriffene Marke nicht allein in kollisionsbegründender Weise prägt.

Zwar kommt bei mehrteiligen Marken eine Verwechslungsgefahr in Betracht, wenn Ähnlichkeiten in Einzelbestandteilen vorliegen, die die jeweilige Marke kollisionsbegründend prägen können. Dies ist der Fall, wenn der Bestandteil den Gesamteindruck der mehrgliedrigen Marke prägt, indem er eine selbständig kennzeichnende Funktion aufweist, und wenn die übrigen Markenteile für die angesprochenen Verkehrskreise in einer Weise zurücktreten, dass sie für den Gesamteindruck vernachlässigt werden können (vgl. BGH GRUR 2000, 233, 234 -RAUSCH/ELFI RAUCH; GRUR 2002, 167, 169 -Bit/Bud; GRUR 2003, 880, 881 -City Plus;

a. a. O. -Mustang).

Diese Grundsätze lassen sich jedoch nicht ohne weiteres auf einheitlich zusammengeschriebene Markenwörter anwenden (vgl. BPatG GRUR 2002, 438, 440 -WISCHMAX/Max), wozu auch die angegriffene Marke zählt. Zwar sind als Kombinationsmarken im obengenannten Sinne nicht nur Marken zu verstehen, die mehrere getrennte Bestandteile aufweisen, sondern hierzu können auch zusammengefügte Marken zählen, die aus sonstigen Gründen (etwa aufgrund ihrer besonderen graphischen Gestaltung) sich als mehrgliedrig darstellen. Davon kann aber bei zusammengeschriebenen Wörtern in Normalschrift -auch mit groß geschriebenen Mittelbuchstaben -nicht ausgegangen werden, diese sind vielmehr nur in ihrer Gesamtheit zu würdigen (vgl. BGH GRUR 2003, 963 -AntiVir/AntiVirus).

Bei der angegriffenen Marke ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, sie -abweichend von dem allgemeinen Erfahrungssatz, dass der Verkehr Marken regelmäßig ohne analysierende Betrachtungsweise aufnimmt (vgl. BGH GRUR 1999, 735, 736 -MONOFLAM/POLYFLAM; GRUR 2001, 1161, 1163 -CompuNet/ ComNet; a. a. O. -Zwilling/Zweibrüder) -als mehrteilige Marke zu würdigen. Die Bezeichnung "TestoVital" wirkt im Hinblick auf die Zusammenschreibung in einem Wort als geschlossene Gesamtbezeichnung, in der keiner der beiden Markenbestandteile besonders in den Vordergrund oder in den Hintergrund tritt mit der Folge, dass eine gedankliche Zergliederung der angegriffenen Marke ausgeschlossen ist. Durch die Darstellung der Bestandteile mit Binnengroßschreibung wird dieser Eindruck der Geschlossenheit nicht beseitigt, da dies lediglich eine übliche werbemäßige Hervorhebung darstellt.

c) Aber selbst bei Anwendung der Grundsätze zu mehrteiligen Marken, wird die angegriffene Marke von dem Bestandteil "Testo" nicht in allein kollisionsbegründender Weise geprägt.

Zwar ist der Begriff "vital" (= lebenslustig, lebensvoll, wendig, munter), der sowohl die biologische Lebenskraft eines Menschen als auch die allgemeine Einstellung zum Leben als psychische Befindlichkeit beschreibt, kennzeichnungsschwach, da er in der Werbung insbesondere im Gesundheitsbereich vielfach verwendet wird, um beschreibend auf die Wirkungsweise körperlich und psychisch vitalisierender oder Lebenskraft spendender Produkte hinzuweisen. Dies gilt aber gleichermaßen für das vorangestellte Wortelement "Testo", das als geläufige Abkürzung für "Testosteron" nach Feststellung des Senats im Sportbereich insbesondere in Bodybuilderkreisen verwendet wird (vgl. z. B. Bodybuilding-Lexikon unter www.muskelfreaks.de..., Abkürzungen unter www.bodybuildingunion.de...). Testosteron wird dort vor allem wegen seiner muskelaufbauenden Wirkung eingesetzt, fördert aber auch generell Antrieb, Ausdauer und die allgemeine Lebenslust. In Bezug auf die angegriffenen Waren gibt der Bestandteil "Testo" einen beschreibenden Hinweis auf den Inhaltsstoff "Testosteron" oder auch auf die Wirkungsweise der Produkte in der Weise, dass diese den körpereigenen Testosteronspiegel erhöhen können.

Bei Gesamtbegriffen, die aus zwei gleichermaßen beschreibenden Wortelementen gebildet sind, hat der Verkehr aber keine Veranlassung, diese auf einen einzelnen Bestandteil zu verkürzen (vgl. BGH GRUR 2008, 909 -Pantogast; BPatG, 28 W (pat) 251/02 -MAGNO/MAGNOVITAL -in PAVIS PROMA -CD-ROM).

d) Entgegen der Ansicht der Widersprechenden besteht auch keine Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt, dass der Bestandteil "-Vital" der angegriffenen Marke als ein in dem hier maßgeblichen Warenbereich häufig verwendeter und damit verbrauchter Bestandteil für den Gesamteindruck völlig in den Hintergrund träte. Auch kennzeichnungsschwache oder sachbeschreibende Bestandteile bleiben bei der Feststellung des Gesamteindrucks eingliedriger Marken nicht außer Betracht, sondern tragen grundsätzlich zur Prägung des Gesamteindrucks bei (vgl. BGH GRUR 1996, 200, 2001 -Innovadiclophlont; a. a. O. -Zwilling/Zweibrüder; a. a. O. -NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX). Bei dem Bestandteil "-Vital" der angegriffenen Marke handelt es sich insbesondere nicht um eine beschreibende Angabe zu Beschaffenheit, Wirkweise oder Darreichungsform des Arzneimittels wie z. B. "oral, forte, retard", denen die beteiligten Verkehrskreise keinerlei die Betriebskennzeichnung auch nur mitbestimmende Bedeutung zumessen (vgl. BPatG GRUR, 122, 124 -BIONAPLUS; Ströbele/Hacker, MarkenG, 8. Aufl. § 9 Rdn. 309 m. w. N.), weil dem Bestandteil "-Vital" kein separat verstandener Hinweis dieser Art entnommen werden kann.

Die angegriffene Marke "TestoVital" erscheint vielmehr in ihrer Kombination als geschlossener, einheitlicher Phantasiebegriff. Die angesprochenen Verkehrskreise haben somit keinen Grund, den Bestandteil "Testo" der angegriffenen Marke herauszugreifen und allein diesen der Widerspruchsmarke "FESTO" gegenüberzustellen. Die angegriffene Marke unterscheidet sich damit in ihrer Gesamtheit ausreichend von der Widerspruchsmarke.

4. Es besteht ebenfalls nicht die Gefahr, dass die Marken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht werden können.

Die Annahme einer solchen mittelbaren Verwechslungsgefahr setzt voraus, dass die beteiligten Verkehrskreise zwar die Unterschiede zwischen den Vergleichsmarken erkennen und insoweit keinen unmittelbaren Verwechslungen unterliegen. Sie werten gleichwohl einen in beiden Marken identisch oder zumindest wesensgleich enthaltenen Bestandteil als Stammzeichen des Inhabers der älteren Marke, messen diesem Stammbestandteil also für sich schon die maßgebliche Herkunftsfunktion bei und sehen deshalb die übrigen abweichenden Markenteile nur noch als Kennzeichen für bestimmte Waren aus dem Geschäftsbetrieb des Inhabers der älteren Marke an (vgl. BGH GRUR 2000, 886, 887 -Bayer/BeiChem; GRUR 2002, 542, 544 -BIG; GRUR 2002, 544, 547 -BANK 24).

In solchen Ausnahmefällen reichen bereits geringfügige Unterschiede aus, um den Gedanken an Serienmarken desselben Unternehmens nicht aufkommen zu lassen (vgl. BGH a. a. O. -Innovadiclophlont; BPatG Mitt 1983, 58, 59 -Rollinos/Rolo). Die zu vergleichenden (abweichenden) Markenteile sprechen auch dann gegen eine mittelbare Verwechslungsgefahr, wenn sie sich mit dem gemeinsamen Bestandteil zu eigenen, in sich geschlossenen Gesamtbegriffen verbinden, die von der Vorstellung wegführen, es handele sich um Serienmarken eines Unternehmens (vgl. BGH GRUR 1998, 932, 934 -MEISTERBRAND; a. a. O. -POLYFLAM/ MONOFLAM). Der für die Annahme einer mittelbaren Verwechslungsgefahr erforderliche Hinweischarakter des gemeinsamen Stammbestandteils ist schließlich kennzeichnungsschwachen Markenteilen abzusprechen, so dass beschreibende Angaben bzw. daran angelehnte Bezeichnungen nicht als Stammbestandteile von Serienmarken in Betracht kommen (vgl. BGH GRUR 2003, 1040 -Kinder).

Im vorliegenden Fall setzt sich die angegriffene Marke aus den Bestandteilen "Testo-" und "-Vital" zusammen. "Testo-" und die Widerspruchsmarke "FESTO" weichen nicht nur geringfügig voneinander ab, was im Verkehr nicht unbemerkt bleiben wird. Deshalb fehlt es schon an einem identischen oder wesensgleichen Stammbestandteil für eine Zeichenserie. Zudem führt eine gesamtbegriffliche Verbindung -wie oben ausgeführt -zu dem Phantasiebegriff "TestoVital" und damit von der Vorstellung weg, das -im Übrigen -kennzeichnungsschwache Markenelement "Testo" sei verwechselbarer Stammbestandteil einer Markenserie.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bietet der Streitfall keinen Anlass (§ 71 Abs 1 MarkenG).

Dr. Vogel von Falckenstein Paetzold Hartlieb Cl






BPatG:
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Az: 30 W (pat) 37/07


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