Bundespatentgericht:
Urteil vom 19. April 2005
Aktenzeichen: 1 Ni 7/04

(BPatG: Urteil v. 19.04.2005, Az.: 1 Ni 7/04)

Tenor

1.

Das europäische Patent 0 588 394 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass im Patentanspruch 1 des französischen Textes der B2-Schrift der Text in Spalte 4 ab Zeile 9, beginnend mit den Worten "i) soit il..." und endend in Zeile 22 mit den Worten "ii) soit" gestrichen wird und sich die Patentansprüche 2 bis 6 auf den so geänderten Wortlaut des Anspruchs 1 rückbeziehen.

2.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

4.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des am 27. Juli 1993 unter Inanspruchnahme der Priorität der italienischen Patentanmeldung IT VI920135 vom 18. September 1992 angemeldeten europäischen Patents 0 588 394 (Streitpatent), das unter anderem mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist und insoweit beim Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 693 14 737 geführt wird. Das Patent ist im Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt in beschränkter Form aufrechterhalten worden (siehe Streitpatentschrift B2).

Das in französischer Sprache veröffentlichte Streitpatent betrifft ein Lagerregal mit beweglichen Gestellen. Es umfasst 6 Patentansprüche, die sämtlich mit der Nichtigkeitsklage angegriffen werden und folgenden Wortlaut haben:

1. Magasin pour le stockage de plaques planes en verre, du type comprenant une serie de ch‰ssis (1) inclines, mobiles par rapport à un b‰tisupport (2), qi sont agences pour permettre l'appui des plaques en verre à stocker, dans lequel les ch‰ssis (1) disposes inclines tous dans le même sens sont montes sur des chariots (3) du type monobloc, les chariots (3) comprennent des galets roulants (4) qui portent les ch‰ssis (1) et par lesquels les ch‰ssis (1) sont mobiles transversalement, c'estàdire perpendiculairement à leur plan, sur le b‰tisupport (2) aussi du type monobloc, pour permettre l'extraction des plaques en verre contenues dans chaque ch‰ssis (1) en eloignant ledit ch‰ssis (1) par rapport aux suivants, le b‰tisupport (2) comprend deux supports en double T parallèles l'un à l'autre à chacun desquels sont associes deux galets roulants (4), agences l'un derrière l'autre en direction de deplacement, de l'un des chariots (3), chacun des supports en double T etant agences de telle sorte que des traverses du support en double T parallèles les unex aux autres s'etendent dans l'horizontale, et dans lequeli) soit il est prevu deux axes respectifs (16) associes aux deux galets roulants (4) sur le chariot (3) pour chaque support en double T, axes qui sont agences de faon excentrique par rapport aux galets roulants (4) et sur lesquels est monte un tambour tournant respectif, l'un des tambours tournants etant agence à l'extremite anterieure en direction de deplacement et l'autre tambour tournant etant agence à l'extremite posterieure en direction de deplacement du chariot (3), et la traverse superieure du support en double T associe se situant immediatement audessus des tambours tournants; ii) soit les deux galets roulants (4) sont agences entre les traverses parallèles les unes aux autres du support en double T associe, et la traverse superieure du support en double T associe se situe immediatement audessus des deux galets roulants (4).

2.

Magasin suivant la revendication 1, caracterise en ce que le deplacement d'un groupe de ch‰ssis, pour le distancer des autres, est realise manuellement.

3.

Magasin suivant la revendication 1, caracterise en ce que le deplacement des ch‰ssis est assure par un moteur (11), agence de manière à entraîner en rotation des galets (4), portes par le chariot incline (3), dont est muni chaque ch‰ssis (1) afin de permettre son deplacement.

4.

Magasin suivant la revendication 1, caracterise en ce que la commande du deplacement des ch‰ssis (1) est obtenue à l'aide d'au moins une chaîne (8) ou autre organe mecanique similaire.

5.

Magasin suivant la revendication 1, caracterise en ce que la commande du deplacement d'un groupe de ch‰ssis (1) par rapport à un autre est obtenue à l'aide d'un ensemble de verins hydrauliques ou pneumatiques (10).

6.

Magasin, suivant la revendication 1, caracterise en ce qu'il comporte un dispositif d'actionnement unique, qui comprend un moteur (11) et un rèducteur (12) pour la commande en rotation d'un levier (13), qui porte un tambour (14), monte à l'interieur d'un curseur (15), lequel est fixe à un chariot (3) pour provoquer le deplacement de celuici en transformant ainsi le mouvement de rotation issu du reducteur (12) precite en un mouvement rectiligne dudit chariot incline (3).

Die Klägerin macht unzulässige Erweiterung sowie Schutzbereichserweiterung nach Art II § 6 Abs 1 Nr 3 und 4 IntPatÜG, Art 123 Abs 2 und 3 EPÜ geltend. Außerdem sei, das angegriffene Patent nach Art II, § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 52 bis 57 EPÜ nicht patentfähig. Gegenüber dem von ihr aufgezeigten Stand der Technik sei die Alternative i) des Anspruchs 1 neuheitsschädlich getroffen und der Alternative ii) mangle es an erfinderischer Tätigkeit; dies treffe auch auf die Ausführungen nach den Unteransprüchen 2 bis 6 zu. Sie stützt sich hierzu auf die Druckschriften:

D1 US 1 953 056 D2 US 3 589 525 D3 DE 28 02 855 A1 D4 DE 38 31 772 A1 und D5 JP 5-69968 A, zu der sie auch eine deutsche Übersetzung vorlegt, sowie auf eine offenkundige Vorbenutzung im Jahr 1988 in Spanien, wozu sie die Anlagen K6 und K7 vorlegt und zwei Zeugen benennt.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 588 394 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise Anspruch 1 des Streitpatents in der Fassung des in der Sitzung überreichten ersten Hilfsantrags aufrechtzuerhalten und die Unteransprüche mit unverändertem Wortlaut auf diesen geänderten Anspruch 1 zu beziehen (Hilfsantrag I).

Die so geänderte deutsche Fassung des Anspruchs 1 hat folgenden Wortlaut (wobei die zusätzlich aufgenommenen Merkmale unterstrichen sind):

"Lagerregel für die Lagerung von flachen Scheiben aus Glas des Typs, der eine Reihe von geneigten Gestellen (1) enthält, die in Bezug auf einen Tragrahmen (2) beweglich sind, und die so angeordnet sind, dass sie das Abstützen der zu lagernden Glasscheiben gestatten, wobei die Gestelle (1), die alle in gleicher Richtung geneigt angeordnet sind, auf Einblock-Fahrgestellen (3) montiert sind, wobei die Fahrgestelle (3) Laufrollen (4) aufweisen, welche die Gestelle (1) tragen und durch welche die Gestelle (1) quer d.h. senkrecht zu ihrer Lagerebene, auf dem ebenfalls in einem Block ausgebildeten Tragrahmen (2) verfahrbar sind, um das Herausnehmen der in jedem Gestell (1) enthaltenen Glasscheiben durch Verschieben eines Gestelles (1) relativ zu dem jeweils Nächstfolgenden zu gestatten, wobei die ebene Lagerfläche der Gestelle (1) durch einen Verbund von in einer Ebene angeordneten Längsund Querstreben gebildet ist, der ohne auf der Rückseite der Lagerfläche vorgesehene Stützen stehend mit dem Fahrgestell verbunden ist, wobei der Tragrahmen (2) zwei sich parallel zueinander erstreckende Doppel-T-Träger umfaßt, denen jeweils zwei in Verfahrrichtung hintereinander angeordnete Laufrollen (4) eines der Fahrgestelle (3) zugeordnet sind, wobei jeder der Doppel-T-Träger derart angeordnet ist, dass parallel zueinander verlaufende Querstege des Doppel-T-Trägers sich in der Horizontalen erstrecken und wobei i) entweder an dem Fahrgestell (3) zu jedem Doppel-T-Träger zwei den beiden Laufrollen (4) jeweils zugeordnete Achsen (16) vorgesehen sind, die exzentrisch zu den Laufrollen (4) angeordnet sind und auf denen jeweils eine Drehtrommel angeordnet ist, wobei eine der Drehtrommeln an dem in Verfahrrichtung vorderen und die andere Drehtrommel an dem in Verfahrrichtung hinteren Ende des Fahrgestells (3) angeordnet ist und wobei sich der obere Quersteg des zugeordneten Doppel-T-Trägers unmittelbar oberhalb der Drehtrommeln befindet; ii) oder die beiden Laufrollen (4) zwischen den sich parallel zueinander erstreckenden Querstegen des zugeordneten Doppel-T-Trägers angeordnet sind und sich der obere Quersteg des zugeordneten Doppel-T-Trägers unmittelbar oberhalb der beiden Laufrollen (4) befindet."

Der Beklagte beantragt, weiter hilfsweise, Anspruch 1 nur mit seiner zweiten Alternative aufrechtzuerhalten und die Unteransprüche mit unverändertem Wortlaut auf diesen geänderten Anspruch 1 zu beziehen (Hilfsantrag II).

Er tritt dem Klagevorbringen entgegen und hält den Angriff zumindest im Rahmen der Hilfsanträge für unbegründet.

Wegen Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze und Anlagen verwiesen.

Gründe

I Die zulässige Klage hat teilweise Erfolg.

A Zum Hauptantrag 1) Der im europäischen Einspruchsverfahren aufrechterhaltene Anspruch 1 stellt zwei Alternativen - i) bzw ii) - unter Schutz, die in Anlehnung an die Anlage K3 der Klägerin vom 4. März 2005 in deutscher Übersetzung in folgende Merkmale aufgegliedert werden können:

M1 Lagerregal für die Lagerung von flachen Scheiben aus Glasdes Typs, der eine Reihe von geneigten Gestellen (1) enthält.

M2 Die Gestelle (1) sind in Bezug auf einen Tragrahmen (2) beweglich.

M3 Die Gestelle (1) sind so angeordnet, dass die das Abstützender zu lagernden Glasscheiben gestatten.

M4 Die Gestelle sind alle in gleicher Richtung geneigt angeordnet.

M5 Die Gestelle sind auf Einblockfahrgestellen (3) montiert.

M6 Die Einblockfahrgestelle weisen Laufrollen auf, die die Gestelle tragen.

M7 Durch die Laufrollen sind die Gestelle auf dem Tragrahmenverfahrbar und zwar quer, d.h. senkrecht zur Lagerebene, um das Herausnehmen der in jedem Gestell enthaltenen Glasscheiben durch Verschieben eines Gestells relativ zum Nächsten zu gestatten.

M8 Der Tragrahmen (2) ist ebenfalls in einem Block ausgebildetund umfasst zwei, sich parallel zueinander erstreckende Doppel-T-Träger.

M9 Den Doppel-T-Trägern sind jeweils in Verfahrrichtung hintereinander angeordnete Laufrollen (4) eines der Fahrgestelle (3) zugeordnet.

M10 Jeder der Doppel-T-Träger ist derart angeordnet, dass parallel zueinander verlaufende Querstege des Doppel-T-Trägers sich in der Horizontalen erstrecken.

Und entweder: i)

M11 An den Fahrgestellen (3) sind zu jedem Doppel-T-Träger zwei den beiden Laufrollen (4) jeweils zugeordnete Achsen (16) vorgesehen.

M12 Die Achsen (16) sind exzentrisch zu den Laufrollen (4) angeordnet.

M13 Auf den Achsen (16) ist jeweils eine Drehtrommel angeordnet.

M14 Eine der Drehtrommeln ist an dem in Verfahrrichtung vorderen Ende des Fahrgestells (3) angeordnet.

M15 Die andere der Drehtrommeln ist an dem in Verfahrrichtung hinteren Ende des Fahrgestells (3) angeordnet;

M16 Der obere Quersteg des zugeordneten Doppel-T-Trägers befindet sich unmittelbar oberhalb der Drehtrommeln.

oder: ii)

M17 Die beiden Laufrollen (4) sind zwischen den sich parallel zueinander erstreckenden Querstegen des zugeordneten Doppel-T-Trägers angeordnet.

M18 Der obere Quersteg des zugeordneten Doppel-T-Trägers befindet sich unmittelbar oberhalb der beiden Laufrollen (4).

2) Die Klägerin konnte den Senat mit ihrer Auffassung, der hier in Rede stehende Anspruch 1 sei unzulässig erweitert und auch der Schutzbereich sei gegenüber dem ursprünglich erteilten Anspruch 1 erweitert worden, nicht überzeugen.

a) Die mit Anspruch 1 beanspruchten alternativen Ausführungsformen sind ohne weiteres den mit den europäischen Anmeldungsunterlagen (vgl dazu die EP 0 588 394 A1, die von der Klägerin als Anlage NK5 und vom Beklagten als Anlage Ni1 eingereicht wurde) ursprünglich eingereichten Figuren und ihrer Beschreibung zu entnehmen.

b) Eine Schutzbereichserweiterung liegt auch nicht vor, denn sämtliche gegenständlichen Merkmale des ursprünglich erteilten Anspruchs 1 (B1-Schrift) sind auch im Anspruch 1 der geltenden B2-Schrift enthalten. In dem Weglassen von Angaben wie "Kippsicherung" liegt keine solche Erweiterung, da es sich dabei um bloße Wirkungsangaben handelt.

3) Die Priorität der italienischen Voranmeldung vom 18. September 1992 kann allerdings für Anspruch 1 nach der B2-Schrift nur teilweise in Anspruch genommen werden (Art 88 Abs 3 EPÜ).

Die italienische Prioritätsanmeldung (Anlage K4 der Klägerin, vgl dazu auch die deutsche Übersetzung, Anlage Ni5 des Beklagten) offenbart mit ihren Figuren 1 bis 6 und der zugehörigen Beschreibung lediglich Ausführungsformen, die unter die zweite Alternative ii) des Anspruchs 1 fallen.

Der hier angesprochene verständige Durchschnittsfachmann - ein Maschinenbauer mit Fachhochschulausbildung und mit Erfahrung in der Konstruktion von Vorrichtungen auf dem Gebiet der Lagertechnik, unter anderem auch im Zusammenhang mit der Lagerung von Glasplatten - konnte auch bei aufmerksamer Durchsicht der italienischen Prioritätsanmeldung die erste Alternative i) des Streitpatents nicht mitlesen.

Wenn im vorletzten Absatz der Beschreibung dieser Prioritätsanmeldung andere besondere Formen angesprochen werden, "um die Struktur des erfindungsgemäßen Lagerregals zu realisieren", so wird damit nicht die mit den Anmeldungsunterlagen neu hinzugekommene nunmehr alternativ beanspruchte erste Alternative i), mit an den Fahrgestellen (3) den beiden Laufrollen (4) jeweils exzentrisch zugeordneten Achsen (16) mit Drehtrommeln offenbart, wobei eine der Drehtrommeln an dem in Verfahrrichtung vorderen Ende und die andere an dem hinteren Ende des Fahrgestells (3) angeordnet ist. Denn die mit den Zahnstangen 5 offenbar in Eingriff befindlichen, nicht mit Bezugszeichen versehenen Antriebszahnräder sind nicht an den Enden des Fahrgestells angeordnet, sondern jeweils nur eines im mittleren Bereich zwischen den Laufrollen 4. Der Fachmann würde diese Antriebszahnräder auch nicht in Verbindung mit einem Sicherungssystem bringen, welches zB gegen Kippen gerichtet sein könnte, da hierzu die den Zwischenraum zwischen den beiden Querstegen des Doppel-T-Trägers im wesentlichen ausfüllenden Laufrollen (4) ersichtlich ausreichen.

Da somit die Priorität vom 18. September 1992 für den Anspruch 1 bezüglich der Alternative i) nicht wirksam in Anspruch genommen werden kann, bestimmt insoweit der Tag der Einreichung der Anmeldung beim Europäischen Patentamt, der 27. Juli 1993, den Zeitrang des Streitpatents.

4) Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist mit seiner ersten Alternative i) gegenüber dem am 23. März 1993 vorveröffentlichten Stand der Technik nach der japanischen Patentveröffentlichung JP 5-69968 A (D5) nicht neu.

Sämtliche Merkmale M1 bis M16 können den Figuren 1 bis 6 der D5 im Einklang mit der Beschreibung (vgl dazu die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 12. April 2005 eingereichte deutsche Übersetzung der japanischen Entgegenhaltung D5) dieser Schrift entnommen werden. Da der Beklagte dies nicht bestritten hat, erübrigen sich weitere Ausführungen dazu.

5) Da eine der mit Anspruch 1 in der Fassung der B2-Schrift beanspruchten Alternativen gegenüber dem Stand der Technik nicht neu ist, kann dieser Anspruch insgesamt keinen Bestand haben.

6) Mit Patentanspruch 1 fallen zugleich die nachgeordneten Unteransprüche 2 bis 6. Eine Aufrechterhaltung der geltenden Fassung des Patents, wie sie der Beklagte mit dem Hauptantrag begehrt, scheidet insgesamt aus.

B Zum Hilfsantrag I 1) Der vom Patentinhaber vorgelegte neue Anspruch 1 nach Hilfsantrag I umfasst in gegliederter Form, zusätzlich zu den Merkmalen M1 bis M18 des Anspruchs 1 nach Hauptantrag, im Anschluss an das Merkmal M7, die Merkmale M7a und M7b mit folgendem Wortlaut:

M7a Die ebene Lagerfläche der Gestelle (1) ist durch einen Verbund von in einer Ebene angeordneten Längsund Querstreben gebildet.

M7b Der Verbund von in einer Ebene angeordneten Längsund Querstreben ist ohne auf der Rückseite der Lagerfläche vorgesehene Stützen stehend mit dem Fahrgestell verbunden.

2) Es kann offen bleiben, ob die neu hinzugekommenen Merkmale, insbesondere das Negativ-Merkmal M7b, vom Fachmann in der Patentschrift sowie den Anmeldungsunterlagen als zur Erfindung gehörend erkannt worden sind, denn die diese Merkmale umfassende Ausführungsform beruht jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Wie bereits im Abschnitt A 4) dargelegt wurde, sind die Merkmale M1 bis M16 den Figuren der Entgegenhaltung D5 zu entnehmen. Dies trifft zwar nicht ohne weiteres auch auf die im Hilfsantrag I hinzukommenden Merkmale M7a und M7b zu.

Diese Merkmale sind jedoch für den Fachmann, der die in der japanischen Offenlegungsschrift D5 dargestellten und beschriebenen Lagerregale konstruktiv ausführt, naheliegend.

Durchgehend werden nämlich in der D5 (vgl dazu die deutsche Übersetzung) die Gestelle mit der Lagerfläche für Glasscheiben als Rahmengestelle 19 bezeichnet, so zB im Beschreibungsabschnitt 0017. Die übliche Ausführung von Rahmengestellen für eine Lagerebene geschieht durch einen Verbund von in einer Ebene angeordneten Längsund Querstreben. Damit charakterisiert Merkmal M7a die naheliegende Ausführungsform.

Da sich der ausführende Durchschnittsfachmann üblicherweise von den Figuren zB in einer Patentschrift leiten lässt, wird er die hochstehenden Längsstreben, wie in Figur 6 der Entgegenhaltung D5 dargestellt, nach oben sich verjüngend ausführen und, wie aus dieser Figur ebenfalls zu erkennen, ohne auf der Rückseite der Lagerfläche der Flachgläser vorgesehene Stützen stehend mit dem Fahrgestell (in den Figuren 5 und 6 der D5 ohne eigenes Bezugszeichen) verbinden. Dies entspricht dem Merkmal M7b.

Damit ist die mit Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I beanspruchte Ausführungsform nach der ersten Alternative i) für den Fachmann in Kenntnis der Entgegenhaltung D5 naheliegend.

3) Analog zu den Feststellungen betreffend den Hauptantrag - vgl dazu die Abschnitte A 5) und 6) - können daher der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I insgesamt sowie die auf diesen Anspruch rückbezogenen Unteransprüche keinen Bestand haben.

C Dagegen ist der Senat nicht davon überzeugt, dass auch dem Gegenstand nach dem Hilfsantrag II die Patentfähigkeit fehlt.

1) Die mit Hilfsantrag II allein beanspruchte zweite Alternative ii) umfasst die Merkmale M1 bis M10 in Verbindung mit M17 und M18 (vgl dazu den Abschnitt A 1)).

2) Wie im Abschnitt A 2) bereits festgestellt wurde, bedeutet auch die Anspruchsfassung mit dieser Alternative keine Erweiterung des Schutzbereichs gegenüber dem ursprünglich erteilten Streitpatent, und der so beanspruchte Gegenstand war auch schon in den ursprünglichen Unterlagen als zu dem angemeldeten Schutzrecht gehörend offenbart.

3) Der Gegenstand nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II ist unbestritten gewerblich anwendbar und auch neu, denn den bekannten Vorrichtungen fehlt zumindest das Merkmal M18, wonach sich der obere Quersteg des zugeordneten Doppel-T-Trägers unmittelbar oberhalb der beiden Laufrollen befindet. Im einzelnen ergibt sich das aus der nachfolgenden Bewertung des Standes der Technik im Zusammenhang mit der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

4) Der Senat hat nicht die Überzeugung gewonnen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag II für den Fachmann im Prioritätszeitpunkt naheliegend war.

a) Bei der Glas-Transport-Vorrichtung nach der US 1 953 056 (D1) sind die Laufrollen 34 jeweils an einer Doppel-T-Schiene 30 angebracht und ergeben so das Fahrgestell für die gegeneinander geneigten Rahmengestelle für Glasplatten (Fig 1,2). Die unteren Querstege der drei Doppel-T-Träger 30 gleiten jeweils unterhalb den oberen Querstegen der jeweils beidseitig von ihnen als Tragrahmen ausgebildeten Doppel-T-Träger 31. Der sich daraus ergebende funktionelle Zusammenhang wird in Figur 2 besonders deutlich. Eine Anregung für die Ausbildung der Merkmale M17 und M18 konnte dieser bereits über 60 Jahre vor dem Prioritätstag des Streitpatents bekannt gewordene Stand der Technik nicht liefern.

b) Ein Hinweis in Richtung auf die Merkmale M17 und M18 ergibt sich auch nicht aus der US 3 589 525 (D2), die ein Gestell zur Aufbewahrung von Glasplatten offenbart. Dort sind (vgl die Figuren sowie zB Sp 2 Z 19-57) lediglich die einzelnen Ständer 12 in Doppel-U-Schienen 11,13 verschiebbar, um den benötigten Abstand zwischen aufeinander folgenden Ständer-Paaren einstellen zu können. Diese Ständer stellen aber keine Einblockfahrgestelle im Sinne des Streitpatents dar, auf denen geneigte Gestelle für die Lagerung von flachen Scheiben montiert sind. Die, ähnlich wie mit einem Bajonett-Verschluss platzierbaren Ständer 12 weisen weder Laufrollen auf noch sind sie zum Verfahren vorgesehen. Dieser Stand der Technik konnte mithin keine Hinweise auf die zwischen Querstegen anzuordnenden Laufrollen nach den streitpatentgemäßen Merkmalen M17 und M18 liefern.

c) Die DE 28 02 855 A1 (D3) zeigt und beschreibt ein Lagerund Transportgestell, welches übereinander stapelbar ist und durch abnehmbare Holme die Möglichkeit zur Verringerung der Bauhöhe besitzt (S 2 Abs 2). Die Merkmale dieses Lagerund Transportgestells ergeben sich insbesondere aus den Figuren 1 und 2 sowie aus der Beschreibung im unteren Absatz auf Seite 3. Dieses ersichtlich nicht für die Lagerung und den Transport von flachen Scheiben aus Glas vorgesehene Gestell mit senkrecht aufstehenden vier Holmen soll ua auch auf fahrbare Untergestelle für bereits vorhandene Profilschienensysteme oder Eisenbahngleise (Fig 2b und 2c mit Legende sowie S 4 Abs 2) aufgesetzt werden können. Im Vordergrund dieses Standes der Technik steht die Konstruktion des Lagerund Transportgestells, welches sich - wie bereits ausgeführt - nicht für die Lagerung und den Transport von flachen Scheiben aus Glas eignet. Ein mit der Konstruktion eines Lagerregals für Glasscheiben beauftragter Fachmann hätte sich daher an diesem Stand der Technik nicht orientiert.

d) Aus der DE 38 31 772 A1 (D4) ist eine Rollregalanlage bekannt, deren geneigte Gestelle (Tragrahmen 15,21 in Fig 5, 6) auf einem trapezförmigen Fahrgestell mit unterschiedlichem Radstand vorne und hinten (vgl Fig 5) verfahrbar sind, so dass ein weiteres dahinter befindliches Regalelement teilweise in das voranstehende eingefahren werden kann (Fig 6, Sp 3 Z 27ff). Diese Regalelemente sind auf im Boden eingelassenen Schienen 10a mit speziell daran angepassten Rädern 8a (vgl Fig 4 iVm Sp 1 Abs 1 u Sp 3 Z 3-8) verfahrbar. Diese Einrichtung weist weder einen Tragrahmen bzw ein Schienensystem mit Doppel-T-Trägern entsprechend den streitpatentgemäßen Merkmalen M8 bis M10 auf, noch ergibt sich aus der Druckschrift irgend ein Hinweis darauf, die beiden Laufrollen der Fahrgestelle so zwischen sich parallel zueinander erstreckenden Querstegen eines Doppel-T-Trägers anzuordnen, dass sich der obere Quersteg des Doppel-T-Trägers unmittelbar oberhalb der beiden Laufrollen befindet (Merkmale M17 und M18). Dieser Stand der Technik führt, was das Fahrwerk betrifft, in eine vollkommen andere Richtung.

e) Die japanische Patentveröffentlichung JP 5-69968 A (D5) bleibt unberücksichtigt, weil für den Gegenstand des Anspruchs 1 nach dem Hilfsantrag II die beanspruchte Priorität vom 18. September 1992 wirksam ist und demgegenüber die D5 mit dem Veröffentlichungstag 23. März 1993 nachveröffentlicht ist.

f) Die im wesentlichen auf Zeugenaussagen gestützte geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung aus dem Jahr 1988 bei der spanischen Firma ... S.L., wäre bei entsprechender Beweislage als Stand der Technik zu berücksichtigen.

Der Senat geht im Folgenden zugunsten der Klägerin davon aus, dass diese offenkundige Vorbenutzung, so wie vorgetragen, stattgefunden hat. Das verfahrbare Lagerregal nach der dazu eingereichten Anlage K7 betrifft - auch nach der Aussage der Klägerin - die mit Hilfsantrag II nicht mehr beanspruchte erste Alternative i), mit zu den Laufrollen exzentrisch angeordneten Achsen mit Drehtrommeln am vorderen und hinteren Ende des Fahrgestells, wobei sich der obere Quersteg des zugeordneten Doppel-T-Trägers des Tragrahmens unmittelbar oberhalb der Drehtrommeln befindet.

Der Senat kann nicht erkennen, dass durch einen derartigen Stand der Technik die hier beanspruchte zweite Alternative ii) mit den Merkmalen M17 und M18 dem Fachmann nahegelegt werden konnte. Gerade dadurch, dass der Fachmann in dieser Konstruktion durch das Abrollen der exzentrisch zu den Laufrollen angeordneten Drehtrommeln an dem oberen Quersteg des Doppel-T-Trägers eine reibungsarme Anti-Kipp-Einrichtung für das Lagergestell erkennen konnte, war es eher fern liegend, die Laufrollen so zu gestalten und anzuordnen, dass sie selbst diese Anti-Kipp-Funktion übernehmen. Denn, wie mit Hilfe der streitpatentgemäßen Figuren 4 bis 6 ohne weiteres zu erkennen ist, drehen sich die Laufrollen in Verfahrrichtung gegenläufig zum oberen Quersteg des zugeordneten Doppel-T-Trägers, was bei zu erwartender Dickenabweichung des Doppel-T-Trägers zu schleifendem Bremsen führen könnte.

Bei dieser Sachlage brauchte die Beweisführung für die vom Kläger angezweifelte offenkundige Vorbenutzung nicht vorgenommen werden.

g) Auch eine Zusammenschau des angezogenen Standes der Technik konnte den Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag II nicht nahe legen.

Der hier lediglich vorausgesetzte Stand der Technik nach der offenkundigen Vorbenutzung gibt, wie bereits ausgeführt wurde, keinen Anlass, diese Ausführungsform zB im Hinblick auf die Stabilität und damit die Sicherheit bei der Bewegung zu verändern.

Die Entgegenhaltung D1 führt mit den ineinander greifenden Doppel-T-Schienen ebenso wenig in die Richtung der Merkmale M17 und M18 wie die lediglich ohne Beladung verschiebbaren Ständer 12 nach der Druckschrift D2 oder wie das trapezförmig angeordnete Fahrwerk mit nach oben offenen Schienen gemäß der Entgegenhaltung D4.

Das in der DE 28 02 855 A1 (D3) in Figur 2b abgebildete fahrbare Untergestell, welches dort (vgl die Legende zur Fig 2b) für den Lagerund Fördertechnik-Fachmann offenbar als bekannt vorausgesetzt wird, wurde vom Fachmann, der sich mit der Lagerung von flachen Glasscheiben befasst, nicht in Betracht gezogen.

5) Durch die Patentfähigkeit des Anspruchs 1 werden auch die auf diesen rückbezogenen Ansprüche 2 bis 6 getragen; diese Ansprüche haben daher mit dem Patentanspruch 1 nach dem Hilfsantrag II Bestand.

D Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

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BPatG:
Urteil v. 19.04.2005
Az: 1 Ni 7/04


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