Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. April 2008
Aktenzeichen: 20 W (pat) 320/04

(BPatG: Beschluss v. 14.04.2008, Az.: 20 W (pat) 320/04)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Auf die am 28. Februar 1992 unter Inanspruchnahme der Priorität aus der US-Voranmeldung 07/662,441 vom 28. Februar 1991 eingereichte Patentanmeldung wurde das Patent mit der Bezeichnung "Erfassung von Partikeln mit Durchmessern im Submikron-Bereich unter Verwendung eines Feldes mit hoher Dichte" erteilt. Die Patenterteilung wurde am 22. Januar 2004 im Patentblatt veröffentlicht. Das Patent umfasst insgesamt 30 Patentansprüche.

Die unabhängigen Patentansprüche 1 und 22 haben - unter Hinzufügung einer Merkmalsnummerierung - folgenden Wortlaut:

"1. M1 Detektionsvorrichtung für Partikel im Submikron-Bereich, die umfasst:

M2 Flächige Einrichtungen, an denen Partikel im Submikron-Bereich angeordnet werden können, M3 Beleuchtungseinrichtungen, die einen auf einen Abtastbereich (16) an den flächigen Einrichtungen gerichteten Strahl vorsehen, wobei die Partikel im Submikron-Bereich am Abtastbereich (16) eine Lichtstreuung verursachen, M4 Detektionseinrichtungen, die ladungsgekoppelte Vorrichtungen mit einem Detektorfeld (23) hoher Dichte mit Pixels zum Empfangen des von den Partikeln im Submikron-Bereich am Abtastbereich (16) gestreuten Lichtes umfassen, M5 wobei eine Ladung an Licht empfangenden Pixels erzeugt wird und M6 die Ladung an diesen Pixels von der Detektionseinrichtung übertragen wird und M7 Verarbeitungseinrichtungen zum Empfangen und Verarbeiten der Ladungen, um ein für die Partikel im Submikron-Bereich kennzeichnendes Ausgangssignal zu erhalten.

22.S1 Verfahren zum Detektieren von Partikeln im Submikron-Bereich unter Ausnutzung der Lichtstreuung, wobei S2 ein Strömungsmittel in einen Abtastbereich eingeführt wird, in dem sich Partikel im Submikron-Bereich befinden, S3 der Abtastbereich beleuchtet wird, um ein Streuen des Lichtes durch die Partikel im Submikron-Bereich zu erreichen, S4 das von den Partikeln im Submikron-Bereich am Abtastbereich gestreute Licht von ladungsgekoppelten Vorrichtungen mit einem Detektorfeld hoher Dichte mit Pixels in Detektionseinrichtungen empfangen wird, S5 an Licht empfangenden Pixels eine Ladung erzeugt wird und S6 die Ladung an diesen Pixels von der Detektionseinrichtung übertragen und S7 von den Verarbeitungseinrichtungen empfangen und verarbeitet wird und ein für die Partikel im Submikron-Bereich kennzeichnendes Ausgangssignal erhalten wird."

Bezüglich des Wortlauts der Ansprüche 2 bis 21 und 23 bis 30 wird auf die Patentschrift verwiesen.

Die Einsprechende stützt ihren Einspruch auf die Widerrufsgründe des § 21 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 PatG. Insbesondere - gehe der Gegenstand des Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG)

- sei die Erfindung nicht so deutlich offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann und (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG)

- sei der Gegenstand des Patents nicht patentierbar, weil er nicht neu sei und/oder nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG).

Zur unzulässigen Erweiterung vertritt die Einsprechende die Auffassung, dass die anspruchsgemäße Angabe "wobei eine Ladung an Licht empfangenden Pixels erzeugt wird und die Ladung an diesen Pixels von der Detektionseinrichtung übertragen wird" (Merkmale M5 und M6) nicht ursprünglich offenbart sei. In der ursprünglichen Anmeldung sei lediglich offenbart, dass der Komparator an einen A/D-Wandler ein Signal abgebe, "wenn ein Pixel Ladungswerte erreicht hat, die über der Schwelle liegen", was nicht bedeute, dass eine Ladung übertragen werde, sondern lediglich, dass die Ladung ein auslösendes Kriterium für die Abgabe des genannten Signals darstelle.

Zur unzureichenden Offenbarung trägt die Einsprechende sinngemäß vor, dass der Fachmann nicht allein anhand der Patentschrift und seines Fachwissens in der Lage sei, die unter Schutz gestellte Erfindung mit zumutbarem Aufwand praktisch zu verwirklichen. Insbesondere sei es dem Fachmann nicht möglich, die vorgenannten Merkmale M5 und M6 technisch zu verstehen. Die Patentschrift könne zum Verständnis der beiden Merkmale nichts beitragen, weil die genannten Merkmale nicht ursprünglich offenbart seien.

Der Gegenstand des Patents sei auch nach §§ 1 bis 5 PatG nicht patentierbar, weil er in Hinblick auf die Druckschriften

[1] US 4,798,465 A

[2] DE 25 58 392 A1

[3] DE 37 05 876 A1

[4] KNOLLENBERG, Robert G.: The Measurement of Particle Sizes Below 0.1 Micrometers. In: The Journal of Environmental Sciences, Jan./Feb. 1985, S. 1740-1747

[5] WARNECKE, Hans-Jürgen; KLUMPP, Bernhard: Particle Measurement on Technical Surfaces. In: Swiss Contamination Control, 3 (1990), Nr. 4b, S. 34-36 (International Committee of Contamination Control Societies (ICCCS), 10th International Symposium on Contamination Control (ICCCS 90), Zürich, Schweiz, 10.-14. September 1990)

[6] US 4,550,417 A nicht neu sei und/oder nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Einsprechenden wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

Mit Schriftsatz vom 25. April 2005 hat die Einsprechende ihren Einspruch zurückgenommen.

Die zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienene Patentinhaberin hat sich zu dem Einspruch sachlich nicht geäußert und keine Sachanträge gestellt.

II.

1. Nach Rücknahme des Einspruchs war das Verfahren von Amts wegen ohne die Einsprechende fortzusetzen (§ 61 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 147 Abs. 3 Satz 2 PatG; BPatGE 46, 247 - gerichtliches Einspruchsverfahren).

2. Der Einspruch ist zulässig. Er wurde form- und fristgerecht erhoben. Im Einspruch sind auch die Tatsachen, die ihn rechtfertigen, im Einzelnen angegeben.

3. Der Wortlaut der geltenden Patentansprüche 1 und 22 geht zur Überzeugung des Senats in zulässiger Weise auf die ursprüngliche Patentanmeldung zurück, auch wenn dieser die Angaben "wobei eine Ladung an Licht empfangenden Pixels erzeugt wird und die Ladung an diesen Pixels von der Detektionseinrichtung übertragen wird" (Merkmale M5 und M6) bzw. "an Licht empfangenden Pixels eine Ladung erzeugt wird und die Ladung an diesen Pixels von der Detektionseinrichtung übertragen ... wird" (Merkmale S5 und S6) nicht wortwörtlich entnommen werden können.

Es ist nämlich ursprünglich offenbart, dass das Detektorfeld hoher Dichte einen einseitigen oder doppelseitigen Ladungsspeicher aufweisen kann (vgl. die mit den ursprünglichen Unterlagen übereinstimmende Offenlegungsschrift S. 3, Z. 30-31) und dabei insbesondere auch ladungsgekoppelte Bauelemente zum Einsatz kommen können (a. a. O. S. 4, Z. 39-46). Dem Fachmann ist bekannt, dass für solche Bauelemente typisch ist, dass sie aus einzelnen Pixeln zusammengesetzt sind (beispielsweise 20 200 Fotodioden, a. a. O. S. 4, Z. 49; Fig. 9), und an den Pixeln durch auftreffendes Licht Ladungen erzeugt werden. Gemäß der ursprünglichen Offenbarung kann der Speicher zusätzliche Speicherfelder (Blindspeicherbereiche) umfassen, die nicht dem Licht ausgesetzt sind (a. a. O. Bereiche 46, 47 in Fig. 9).

Zudem ist offenbart, dass die Ladungen an den lichtempfindlichen Pixeln zunächst über einen bestimmten Zeitraum, die sogenannte Bildrahmenzeit, integriert werden (a. a. O. S. 4, Z. 50-53) und das Bild anschließend in einem sogenannten Rahmenabwerfprozess auf die oberen und unteren Speicherfelder übertragen wird, indem zwei Halbbilder in entgegengesetzte Richtungen verschoben werden (a. a. O. S. 4, Z. 53-56; S. 4, Z. 63 - S. 5, Z. 3; Fig. 9, 10).

Damit finden die Merkmale M5 und M6 bzw. S5 und S6 in den ursprünglichen Unterlagen eine hinreichende Stütze. Auch hinsichtlich der anderen Merkmale der Patentansprüche bestehen diesbezüglich keine Bedenken. Der Mangel der unzulässigen Erweiterung liegt infolgedessen nicht vor.

4. Der Fachmann kann auch unter Hinzuziehung der Beschreibung (Patentschrift Abs. [0042] bis [0046] i. V. m. Fig. 9, 10), erkennen, wie die genannten Merkmale technisch zu verstehen sind und wie sie zu realisieren sind. Insoweit liegt auch der gerügte Offenbarungsmangel nicht vor.

5. Der Patentanspruch 1 erweist sich jedoch angesichts des aus der Druckschrift [3] bekannten Standes der Technik als nicht rechtsbeständig.

Der für den Erfindungsgegenstand maßgebliche Fachmann ist ein Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Feinwerktechnik/Messtechnik, der über Berufserfahrungen bei der Entwicklung und dem Betrieb von Messgeräten zur Bestimmung der Partikelgröße verfügt.

a) Aus der Druckschrift [3] sind ein Verfahren und eine Vorrichtung für die Fließcytometrie bekannt, bei denen eine Beleuchtungseinrichtung (Bildaufnahme-Laserimpulslichtquelle 20, Impulsdiodenlaser 56, Kondensorlinse 58) einen Lichtstrahl auf Partikel in einem Abtastbereich (Bildpunkt 38) in einer flächigen Einrichtung (Fotozelle 18) richtet. Die Partikel (hier: Blutzellen) werden mit Hilfe eines als sogenannte "Mantellösung" dienenden Strömungsmittels (hier: physiologische Kochsalzlösung oder destilliertes Wasser) in den Abtastbereich eingebracht. Das von den Partikeln beeinflusste Licht wird auf eine Detektionseinrichtung, die ladungsgekoppelte Vorrichtungen mit einem Detektorfeld hoher Dichte mit Pixels zum Empfangen des von den Partikeln am Abtastbereich gestreuten Lichtes umfasst (CCD-Kamera 26), abgebildet. Erfasst wird dabei auch das von den Partikeln gestreute Licht. Die Detektionseinrichtung ist mit einer Verarbeitungseinrichtung (Systemcontroller und Bildanalysator 30) gekoppelt, wo das Bild verarbeitet und analysiert wird. Im Ergebnis wird ein Ausgangssignal erhalten, dass die detektierten Partikel kennzeichnet (vgl. Zusammenfassung; Fig. 1-4; S. 4, Z. 1 - S. 5, Z. 24).

Auch wenn die aus der Druckschrift [3] vorbekannte Lehre in der Druckschrift [3] lediglich als für die Fließcytometrie und damit insbesondere für die Erfassung von Blutzellen mit einer Größe im Bereich von ca. 7 µm bis ca. 20 µm geeignet beschrieben ist, so erkennt der Fachmann doch ohne weiteres auch die Eignung der vorbekannten Lehre für Partikel im Submikron-Bereich. In diesem Zusammenhang berücksichtigt der Fachmann lediglich die ihm bekannten Zusammenhänge zwischen den von der Teilchengröße abhängigen optischen Eigenschaften (Reflexion, Brechung, Beugung, Absorption) und der Wellenlänge und gelangt ohne Weiteres zu der Einsicht, dass die bekannte Vorrichtung in der beschriebenen Verallgemeinerung auch für Partikel im Submikron-Bereich geeignet ist.

Wie ein Merkmalsvergleich ergibt, ist dem Fachmann mithin aus dem Stand der Technik gemäß der Druckschrift [3] eine Detektionsvorrichtung mit den sämtlichen gegenständlichen Merkmalen des Patentanspruchs 1 (Merkmale M1 bis M7) bekannt. Von diesem bekannten Stand der Technik unterscheidet sich der Gegenstand des Patentanspruch 1 formal zwar durch die Angabe, dass Partikel mit Durchmessern im Submikron-Bereich erfasst werden sollen. Diese Angabe vermittelt dem Fachmann jedoch keinerlei gegenständliche Merkmale, durch die die Vorrichtung neben den Merkmalen M1 bis M7 gekennzeichnet wäre, sondern stellt sich als reine Verwendungsangabe dar, so dass ein patentrechtlich beachtlicher Unterschied tatsächlich nicht besteht.

Dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 fehlt somit die erforderliche Neuheit.

b) Ebenso entnimmt der Fachmann dem Stand der Technik gemäß der Druckschrift [3] das nunmehr mit Patentanspruch 22 beanspruchte Verfahren zum Detektieren von Partikel mit seinen Merkmalen S1 bis S7.

Dabei versteht der Senat den Verfahrensschritt, dass "ein Strömungsmittel in einen Abtastbereich eingeführt wird, in dem sich Partikel im Submikron-Bereich befinden" (Merkmal S2), dahingehend, dass sich die Partikel in dem in den Abtastbereich einzuführenden Strömungsmittel befinden (und nicht in dem Abtastbereich an sich).

Der so verstandene Verfahrensschritt, der das beanspruchte Verfahren als Arbeitsverfahren von der reinen Funktionsweise der Detektionsvorrichtung gemäß Patentanspruch 1 abhebt, ist aber gleichfalls aus der Druckschrift [3] vorbekannt. Hier wird nämlich Blut, welches die zu detektierenden Partikel (Blutzellen) enthält, mit Hilfe eines als "Mantellösung" dienenden Strömungsmittels in den Abtastbereich (Fotozelle 18) eingebracht (S. 4, Z. 6-8).

Auch dem Patentanspruch 22 fehlt damit die erforderliche Neuheit.

6. Angesicht der fehlenden Neuheit der Patentansprüche 1 und 22 kommt es darauf, ob der Patentgegenstand durch den sonstigen Stand der Technik für den Fachmann nahegelegt sei, nicht mehr an.

7. Das Patent ist unter diesen Umständen vollständig zu widerrufen. Nachdem sich die beiden nebengeordneten Patentansprüche 1 und 22 als nicht rechtsbeständig erwiesen haben, kann eine (vollständige) Aufrechterhaltung nicht erfolgen. Aber auch eine beschränkte Aufrechterhaltung kommt angesichts des Fehlens jeglichen Antrags der Patentinhaberin nicht in Betracht (BGHZ 105, 381 - Verschlussvorrichtung für Gießpfannen, BGH in GRUR 1997, 120 - elektrisches Speicherheizgerät; BGH in GRUR 2007, 862 - Informationsübermittlungsverfahren II; BPatG, Beschluss vom 15. November 2007 - 23 W (pat) 13/04 - Durchbruchsspannung - m. w. N.). Die Patentinhaberin hat sich im Übrigen durch ihr Nichterscheinen im Termin der mündlichen Verhandlung selbst der Möglichkeit begeben, die Aufrechterhaltung des Patent in einer beschränkten Fassung zu erwirken.

Dr. Bastian Martens Höppler Kleinschmidt Pr






BPatG:
Beschluss v. 14.04.2008
Az: 20 W (pat) 320/04


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