Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. März 2004
Aktenzeichen: 17 W (pat) 55/03

(BPatG: Beschluss v. 18.03.2004, Az.: 17 W (pat) 55/03)

Tenor

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluß der Patentabteilung 34 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. März 2003 aufgehoben. Das Patent 198 29 377 wird widerrufen.

Gründe

I.

Auf die am 1. Juli 1998 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Patentanmeldung 198 29 377.1-32 wurde das Patent mit der Bezeichnung "Mobile Notfallalarmierungsvorrichtung" erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 3. August 2000.

Nach Prüfung eines Einspruchs hat die Patentabteilung 34 mit Beschluss vom 6. März 2003 das Patent unverändert aufrechterhalten.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden.

Die Patentinhaberin verteidigt das Patent mit den Patentansprüchen 1 bis 13 in der erteilten Fassung, hilfsweise mit Patentansprüchen gemäß drei Hilfsanträgen.

Die nebengeordneten Patentansprüche 1, 12 und 13 nach Hauptantrag haben folgenden Wortlaut:

1.Notfallalarmierungsvorrichtung zum Tragen am menschlichen Körper, enthaltend eine Sendeeinrichtung (24), eine Einrichtung (26, 28, 64) zum Aktivieren der Sendeeinrichtung (24), eine Logikeinheit (28) mit Speicher zur Speicherung eines zu sendenden Notfallcodes, wobei die Notfallalarmierungsvorrichtung zum Aktivieren der Sendeeinrichtung (24) für ein von Dritten unbemerktes Auslösen von Notrufsignalen eingerichtet ist, wobei sie für ein Tragen an einer menschlichen Extremität eingerichtet und insbesondere als Armbanduhr getarnt ist, dadurch gekennzeichnet, dassdie Einrichtung (26, 28, 64) zum Aktivieren der Sendeeinrichtung (24) für eine automatische Aktivierung bei Gewalteinwirkung auf ein die Notfallalarmierungsvorrichtung mit der sie tragenden Person verbindendes Befestigungsmittel (14) eingerichtet ist.

12. Attrappe zum Vortäuschen des Vorhandenseins einer Vorrichtung nacheinem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, daß sie der Vorrichtung nach einem der vorhergehenden Ansprüche äußerlich ähnlich sieht, jedoch nicht die vollständige Funktionalität der Vorrichtungen nach einem der vorhergehenden Ansprüche aufweist.

13. Sicherheitsverschluß (14) zur Verwendung für eine Notfallalarmierungsvorrichtung (10) nach einem der vorhergehenden Ansprüche 1 bis 11, dadurch gekennzeichnet, daß er dafür eingerichtet ist, bei einem gewaltsamen Öffnen automatisch die Abgabe von Notrufsignalen zu veranlassen.

Der Patentanspruch 1 gemäß 1. Hilfsantrag unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 nach Hauptantrag durch die im Oberbegriff zwischen den Worten "Extremität" und "eingerichtet" eingefügten Worte "und diese umschließend" sowie durch das im kennzeichnenden Teil angefügte Merkmal mit folgendem Wortlaut:

"und die Gewalteinwirkung auf ein Durchtrennen des Befestigungsmittels (14) gerichtet ist"

Der Patentanspruch 1 gemäß 2. Hilfsantrag unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 gemäß 1. Hilfsantrag durch das im kennzeichnenden Teil angefügte Merkmal mit folgendem Wortlaut:

"und das Befestigungsmittel (14) einen Stromkreis aufweist, bei dessen Unterbrechung durch Durchtrennen des Befestigungsmittels (14) ein Alarm auslösbar ist"

Der Patentanspruch 1 gemäß 3. Hilfsantrag unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 gemäß 2. Hilfsantrag durch das im kennzeichnenden Teil angefügte Merkmal mit folgendem Wortlaut.

"und das Befestigungsmittel einen Sicherheitsverschluss (16) aufweist, der Teil eines Überwachungsstromkreises für die Alarmauslösung ist"

Es sind folgende Druckschriften in Betracht gezogen worden:

1) "Sicherheitsregeln für Personen-Notsignalanlagen" Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Ausgabe Oktober 1991, Bestellnummer ZH 1/217 2) "Systembeschreibung Alarmsystem telePROTECT 900" , 1992 3) DE 195 28 616 A1 4) DE 93 12 460 U1 5) DE 39 17 069 A1 6) Datenblätter der Fa. Ascom zum System "telePROTECT 900"

Zudem ist eine offenkundige Vorbenutzung durch das System "telePROTECT 900" geltend gemacht worden, das auf der Messe "Cebit" in Hannover 1993 eingeführt worden sei.

Die Einsprechende führt im wesentlichen aus, daß der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 durch den Stand der Technik gemäß der Druckschrift 1 vollständig vorweggenommen sei. Denn aus dieser Druckschrift sei eine Notfallalarmierungsvorrichtung bekannt, mit der im Notfall willensabhängig oder willensunabhängig in einer Empfangszentrale Alarm ausgelöst werden könne. Die Vorrichtung weise daher eine Sendeeinrichtung sowie eine Aktivierungseinrichtung für die Sendeeinrichtung auf und sei mittels eines Armbands unverlierbar an einer Person befestigbar. Bei Verlust durch Einwirkung Dritter, z.B. durch einen Überfall, werde willensunabhängig und für Dritte unbemerkt die Sendeeinrichtung automatisch aktiviert und so in der Zentrale Alarm ausgelöst, vgl Ziff. 2.2, 2.8, 2.10, 4.2.1, 4.2.2 und 4.8.

Der jeweilige Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 3 sei ebenfalls nicht patentfähig, da er sich in naheliegender Weise aus dem vorgenannten Stand der Technik ergebe.

Die Einsprechende stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent zu widerrufen, ferner die Beschwerdegebühr zu erstatten.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise den angefochtenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass das Patent in beschränktem Umfang aufrechterhalten wird mit folgenden Unterlagen in der Reihenfolge der Hilfsanträge:

Patentansprüche 1 bis 13 nach "Hilfsantrag 1", Patentansprüche 1 bis 12 nach "2. Hilfsantrag" und Patentansprüche 1 bis 11 nach "3. Hilfsantrag".

Die Patentinhaberin führt aus, daß die Druckschrift 1 eine Notfallalarmierungsvorrichtung beschreibe, die zwar eine Sendeeinrichtung, eine Aktivierungseinrichtung zur automatischen Aktivierung der Sendeeinrichtung sowie eine Logikeinheit mit einem Speicher für einen zu sendenden Notfallcode aufweise und die durch ein Befestigungsmittel an einer Person befestigbar sei. Es finde sich aber kein Hinweis, die Sendeeinrichtung bei Gewalteinwirkung auf das Befestigungsmittel automatisch zu aktivieren, so daß von Dritten unbemerkt, Alarm ausgelöst werde. Daher sei der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 durch diesen Stand der Technik weder neuheitsschädlich vorweggenommen noch nahegelegt.

Dies gelte aber auch für den jeweiligen Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß den Hilfsanträgen.

II.

Die frist- und formgerecht erhobene Beschwerde ist auch sonst zulässig und sie ist begründet, da der jeweilige Gegenstand des Patentspruchs 1 nach Hauptantrag und den Hilfsanträgen nicht patentfähig ist.

1) Hauptantrag Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist zwar neu, beruht aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da er sich für den Fachmann, einem Ingenieur der Elektrotechnik mit langjähriger Erfahrung auf dem Gebiet von Notfallalarmierungsvorrichtungen, in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik gemäß Druckschrift 1 ergibt. Denn aus der Druckschrift 1 ist eine Notfallalarmierungsvorrichtung (Notsignalgerät) bekannt, mit der im Notfall willensabhängig oder willensunabhängig in einer Zentrale Alarm ausgelöst werden kann, vgl. Ziff. 2.2. Dies bedeutet, daß die Vorrichtung eine Sendeeinrichtung und eine Aktivierungseinrichtung für die Sendeeinrichtung aufweist, wobei im Falle der willensunabhängigen Alarmierung die Aktivierungseinrichtung die Sendeeinrichtung automatisch aktiviert. Nach Ziff. 4.2.1 wird zudem die Identität der alarmauslösenden Vorrichtung bzw. ein Notfallcode an die Zentrale übertragen, so daß die Vorrichtung auch eine Logikeinheit mit einem Speicher für den betreffenden Code aufweist. Die Notfallalarmierungsvorrichtung ist gemäß Ziff. 4.3.8 für ein Tragen an einer menschlichen Extremität eingerichtet, indem sie mittels eines Armbands als Befestigungsmittel am Arm einer Person unverlierbar befestigbar ist. Nach Ziff. 2.10 wird bei Verlust der Vorrichtung willensunabhängig und damit automatisch Alarm ausgelöst, wobei nach Ziff. 4.3.4 der Verlust durch Einwirkung Dritter verursacht werden kann, wie dies bei einem in Ziff. 2.8 als Notfall genannten Überfall und der damit verbundenen Gewalteinwirkung der Fall ist. Aus Ziff. 4.3.4 iVm Ziff. 4.3.3 ergibt sich weiterhin, daß bei einem Verlustalarm ein von Dritten unbemerktes Auslösen des Alarms erfolgt, da ein Voralarm bei der die Alarmierungsvorrichtung tragenden Person unterbleibt. Ein Verlust einer mit einem Befestigungsmittel an einer Person befestigten Alarmierungsvorrichtung setzt ein Lösen oder Zerstören des Befestigungsmittels voraus, so daß es naheliegt, bei Gewalteinwirkung auf das Befestigungsmittel die Sendeeinrichtung zur Alarmauslösung automatisch zu aktivieren.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist somit nicht patentfähig, so daß der Patentanspruch 1 keinen Bestand hat.

Da über einen Antrag nur einheitlich entschieden werden kann, haben auch die übrigen Patentansprüche 2 bis 13 keinen Bestand.

2) Erster Hilfsantrag Der Patentanspruch 1 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 nach Hauptantrag durch die Ergänzung "und diese umschließend" nach dem Wort "Extremität" im Oberbegriff sowie durch das weitere Merkmal im kennzeichnenden Teil, wonach die Gewalteinwirkung auf ein Durchtrennen des Befestigungsmittels gerichtet ist.

Ob diese Änderungen zulässig sind, kann dahinstehen, da sie ohnehin nicht die Patentfähigkeit begründen können. Wie bereits zum Hauptantrag ausgeführt, ist die aus Druckschrift 1 bekannte Notfallalarmierungsvorrichtung mittels eines Armbands am Arm einer Person unverlierbar befestigbar und somit zum Tragen an einer menschlichen Extremität und diese umschließend eingerichtet. Wie weiterhin dargelegt wurde, setzt der Verlust der Alarmierungsvorrichtung, die so an einer Person befestigt ist, das gewaltsame Lösen oder Zerstören des Befestigungsmittels voraus, also beispielsweise das gewaltsame Durchtrennen des Befestigungsmittels. Für die übrigen Merkmale gilt das zum Hauptantrag Gesagte.

Der Fachmann gelangt somit ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Patentanspruchs 1.

Dem ersten Hilfsantrag konnte daher nicht stattgegeben werden.

3) Zweiter Hilfsantrag Der Patentanspruch 1 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 gemäß erstem Hilfsantrag durch das zusätzliche Merkmal im kennzeichnenden Teil, wonach das Befestigungsmittel einen Stromkreis aufweist, bei dessen Unterbrechung durch Durchtrennen des Befestigungsmittels ein Alarm auslösbar ist.

Aus der Druckschrift 1 ist es bereits bekannt, für die willensunabhängige Alarmauslösung wie den Verlustalarm einen Stromkreis vorzusehen, bei dessen Unterbrechung durch einen Schalter Alarm auslösbar ist, vgl. Ziff. 4.3.1 iVm Ziff. 2.10. Es liegt daher nahe, für die automatische Auslösung eines Alarms beim Durchtrennen des Befestigungsmittels einen Stromkreis im Befestigungsmittel vorzusehen, der mit dem Durchtrennen des Befestigungsmittels unterbrochen wird, so daß Alarm ausgelöst wird. Für die übrigen Merkmale gilt das zum ersten Hilfsantrag Gesagte.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ergibt sich somit in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Dem zweiten Hilfsantrag konnte daher ebenfalls nicht stattgegeben werden.

4) Dritter Hilfsantrag Der Patentanspruch 1 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 gemäß zweitem Hilfsantrag durch das weitere Merkmal im kennzeichnenden Teil, wonach das Befestigungsmittel einen Sicherheitsverschluss aufweist, der Teil eines Überwachungsstromkreises für die Alarmauslösung ist.

Diese Ergänzung kann ebenfalls nicht die Patentfähigkeit begründen. Ein Armband als Befestigungsmittel weist einen Verschluß auf, der entsprechend der Ziff. 4.3.8 der Druckschrift 1 gewährleisten muß, daß die am Arm einer Person befestigte Notfallalarmierungsvorrichtung unverlierbar ist. Daher bietet es sich an, einen Sicherheitsverschluß zu verwenden. Damit auch im Falle des Verlustes der Alarmvorrichtung durch gewaltsames Öffnen des Sicherheitsverschlusses eine automatische Alarmauslösung erfolgt, liegt es nahe, den Sicherheitsverschluß in den Überwachungsstromkreis einzubeziehen. Für die übrigen Merkmale gilt das zum zweiten Hilfsantrag Gesagte.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ergibt sich somit ebenfalls in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Daher konnten auch dem dritten Hilfsantrag nicht stattgegeben werden.

Bei dieser Sachlage war demnach das Patent zu widerrufen.

Die von der Einsprechenden beantragte Rückzahlung der Beschwerdegebühr kommt nicht in Betracht. Dafür fehlt die Rechtsgrundlage. Die Rückzahlung nach § 80 Abs 3 PatG kann nur angeordnet werden, wenn sie der Billigkeit entspricht (vgl zB Schulte, PatG, 6. Aufl, § 80 Rdn 66 f, § 73 Rdn 142 f). Dabei gibt eine unrichtige Beurteilung des Standes der Technik allein keinen Billigkeitsgesichtspunkt ab. Hinzukommen müssen noch besondere Umstände (vgl Schulte, aaO, § 73 Rdn 149).

Davon kann hier nicht die Rede sein. Soweit die Patentabteilung einen Verlustalarm als eine Totmann-Schaltung gewürdigt hat, mag dies eine technisch nicht ganz unproblematische Sicht sein. So fragwürdig ist diese Interpretation aber nicht, dass sie als völlig neben der Sache liegend oder als nicht nachvollziehbar anzusehen wäre. Der Patentabteilung kann nicht vorgeworfen werden, gegen die allgemeinen Denkgesetze verstoßen oder das eigene technische Fachwissen außer acht gelassen zu haben. Dementsprechend konnte die besagte technische Beurteilung auch nicht überraschen, so daß die Beteiligten zu befragen gewesen wären. Jedenfalls geht der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht so weit, dass Gerichte bzw Behörden den Verfahrensbeteiligten jeweils vor der Sachentscheidung ihre endgültige Auffassung offenzulegen hätten (vgl Schulte, aaO, § 59 Rdn 212 mit Bezug auf BGH BlPMZ 1966, 234, 237 "Abtastverfahren"). Der vorliegende Sachverhalt legt letztlich die Annahme nahe, dass zwischen der Patentabteilung und der Einsprechenden ein unauflösbarer Dissens in der Würdigung des Standes der Technik bestand.

Die Ablehnung der Gebührenrückzahlung ist als negative Nebenentscheidung in den Gründen des Beschlusses und nicht in der Beschlussformel auszusprechen. Daran ändert auch der Rückzahlungsantrag der Einsprechenden nichts. Ob die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen ist, ist von Amts wegen zu prüfen. Insofern handelt es sich bei einem solchen Antrag wie bei einem Kostenantrag oder einem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht um einen echten Antrag, sondern nur um eine bloße Anregung mit der (sanktionslosen) Pflicht des Senats, ihn zu bescheiden.

Bertl Dr. Schmitt Dr. Kraus Schuster Bb






BPatG:
Beschluss v. 18.03.2004
Az: 17 W (pat) 55/03


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