Bundespatentgericht:
Beschluss vom 21. Juli 2004
Aktenzeichen: 19 W (pat) 48/02

(BPatG: Beschluss v. 21.07.2004, Az.: 19 W (pat) 48/02)

Tenor

1. Das Gesuch um Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

Gründe

I 1. Die Patentanmeldung der M... Inc. in I..., U..., vom 19.

November 1998, betreffend eine

"Stromabschaltungs-Schutzschaltung für eine elektronische Vorrichtung", für die die Priorität US 08/977731 vom 25. November 1997 in Anspruch genommen war, ist mit Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 02 H des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 6. März 2002 mit der Begründung zurückgewiesen worden, die Vorrichtung gemäß dem Patentanspruch 1 der Anmeldung beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Für die Anmelderin, eine "Corporation of the State of Delaware" mit dem Sitz in S... in I..., U..., war die M... GmbH in W..., Patentabteilung, zunächst als Zustellungsbevollmächtigte angegeben.

Der Beschluss wurde am 20. März 2002 mit Einschreiben abgesandt.

2. Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2002, eingegangen am selben Tag, hat die Patentanwaltskanzlei S... & W... in M1..., gegen den Zurückweisungsbeschluss Beschwerde eingelegt, gleichzeitig Einzugsermächtigung für die Beschwerdegebühr erteilt und Antrag auf Wiedereinsetzungin die Beschwerdefrist gestellt.

Zur Begründung des Antrags hat sie mitgeteilt, die M... GmbH in W... habe im 4.Quartal 2001 ihre Patentabteilung geschlossen und mit der M... IP Section - Law Department in B..., G..., die weitere Organisation für laufende Anmeldungen abgestimmt.

Der Beschluss sei, da der Vertreterwechsel zumindest bis Anfang Mai 2002 nicht im Register vermerkt gewesen sei, an die M... GmbH in W... übersandt worden. Entsprechend der internen, von der zur Vertretung vor dem Europäischen Patentamt zugelassenen Leiterin der Patentabteilung B... ange- ordneten Verteilungsregelung sei der Beschluss an die Patentabteilung B... , G..., ungeprüft übersandt, dort mit dem Eingangsstempel - hier: "03 APR 2002" - versehen und entsprechend der - eingehend geschilderten - Regelung der Sachbearbeiterin W1... zur weiteren Veranlassung (Prüfung der zuständigen Patentabteilung bzw. Kanzlei und Weiterleitung an diese) zugeleitet worden.

Diese habe jedoch aus "heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen" den Beschluss unbearbeitet gelassen. Erst am 22. April 2002 sei der Beschluss wieder zum Vorschein gekommen, dann jedoch sofort bearbeitet und an die Kanzlei S... & W... in M1..., übersandt worden, wo er laut Eingangsstempel am 24. April 2002 eingegangen sei. Frau W1... verfüge über langjährige Berufserfahrung und habe beispielsweise den Patent Administrator Course des Chartered Institute of Patent Agents erfolgreich abgelegt, der insbesondere auch die Postbearbeitung umfasse. Sie erledige regelmäßig zuverlässig Verantwortungsbewusstsein erfordernde Tätigkeiten, beispielsweise die Berechnung und Notierung von Fristen bei englischsprachigen Unterlagen ('... documents in English language...'). Sie sei über die Bedeutung einer unverzüglichen Weiterleitung der von M... GmbH W... eingehenden Post im Hinblick auf Fris- tenwahrung eingehend unterrichtet, überwacht und stichprobenartig überprüft worden.

3. Die Patentanwaltskanzlei S... & W... hat zur Glaubhaftmachung u.a. ein Affidavit der W1... vom 17. Juli 2002 in englischer Sprache vorgelegt, in dem sie den geschilderten Sachvortrag bestätigt. Ihre Kenntnis der deutschen Sprache beschreibt sie mit den Worten: '... my knowledge of German is not good enough to enable me to understand the contents of correspondence in German language ...Ô.

Die Verfahrensbevollmächtigten beantragendie Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist, hilfsweise die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung.

In der Sache beantragen sie, den Zurückweisungsbeschluss vom 6. März 2002 aufzuheben und das Patent zu erteilen.

II 1. Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, da die Anmelderin die Beschwerdefrist versäumt hat (PatG §§ 73 Abs 2 Satz 1, 79 Abs 2 Satz 1).

Der angefochtene Beschluss wurde am 20. März 2002 mit Einschreiben abgesandt, gilt also am 23. März 2002 als zugestellt (VwZG § 4).

Die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Zurückweisung der Anmeldung war also am 23. April 2002 abgelaufen (PatG § 73 Abs 2 Satz 1), der Beschwerdeschriftsatz ist jedoch erst am 20. Juni 2002 bei Gericht eingegangen.

Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen (PatG § 79 Abs 2 Satz 2).

2. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist zurückzuweisen.

Auch diese Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen; denn PatG § 78 Nr 1 gilt entsprechend PatG § 79 Abs 2 Satz 2 nicht für das bloße, mit der Verhandlung zur Sache nicht verbundene Wiedereinsetzungsverfahren (vgl BPatGE 34, 186, 194; BPatGE 1, 132, 136, 137).

Sachdienlich ist eine mündliche Verhandlung schon deshalb nicht, weil sie vor allem den Zweck hätte, tatsächliche Vorgänge zu klären oder zu ergänzen. Da die Zweimonatsfrist seit Wegfall des Hindernisses verstrichen ist, könnte die Anmelderin irgendwelche wesentliche neue Tatsachen mit Erfolg nicht mehr vorbringen.

Die mündliche Verhandlung würde sich also lediglich auf die Erörterung von Rechtsfragen beschränken (vgl ua BPatGE 1, 132, 136, 137; 34, 186).

Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist zwar statthaft (PatG § 123 Abs 1). Er ist in rechter Form und fristgerecht innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses gestellt worden (PatG § 123 Abs 2 Satz 1).

Der Antrag bezieht sich sinngemäß sowohl auf die Beschwerdefrist als auch auf die Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr.

Beide versäumte Handlungen sind nachgeholt worden (PatG § 123 Abs 2 Satz 3). Der Antrag enthält Angaben der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen, die glaubhaft gemacht werden (PatG § 123 Abs 2 Satz 2).

Zwar ist die Glaubhaftmachung in englischer Sprache, also nicht in der Amtssprache (PatG § 126) erfolgt.

Eine solche Eingabe ist nach allgemeiner Ansicht nicht ohne weiteres unbeachtlich (vgl Schulte, PatG, 6. Aufl, § 126 Rdn 11 mwN).

Sie auch ohne Übersetzung zu berücksichtigen, steht im Ermessen des Gerichts (vgl Schulte, aaO, Rdn 13). Das erscheint bei geläufigeren Fremdsprachen, also vor allem beim Englischen (vgl PatAnmVO § 10 Abs 2), und bei vergleichsweise einfachen Texten, wie es hier das "affidavit" darstellt, unproblematisch.

Ob die Eingabe jedoch zur Fristwahrung geeignet ist, ist strittig (vgl Schulte, aaO, Rdn 14, Rechtsprechung in Fußnote 9).

Es handelt sich bei der Glaubhaftmachung für die Wiedereinsetzung um ein "anderes Schriftstück" iS PatAnmVO § 10 Abs 2 und 3 (dh nicht um eine Erteilungsunterlage), bei dem der Originaltext, vorbehaltlich der Anforderung einer Übersetzung, ausreicht.

Der zulässige Antrag kann jedoch in der Sache keinen Erfolg haben. Denn der Sachvortrag der Anmelderin über die Umstände, aus denen sich die Begründetheit des Antrags ergeben soll, ist trotz des Umfangs der Darstellung unvollständig.

Die Wiedereinsetzung setzt voraus, dass die Anmelderin die übliche Sorgfalt einer ordentlichen Verfahrensbeteiligten beachtet hat.

Sie musste deshalb insbesondere die Büroorganisation darlegen, deren Beachtung die Fristversäumung vermieden hätte.

2.1. Da sich ein Verfahrensbeteiligter zwar ein Verschulden seines Vertreters oder Verfahrensbevollmächtigten zurechnen lassen muss (ZPO § 51 Abs 2 bzw ZPO § 85 Abs 2), nicht jedoch das Verschulden von Hilfspersonen, hätte es einer Klarstellung dahingehend bedurft, wer von den Mitarbeitern mit welchen Aufgaben betraut war. Dazu wäre insbesondere zunächst erforderlich gewesen anzugeben, wer die Anmelderin - die US-Corporation - bis zur Bestellung eines neuen Inlandsvertreters firmenmäßig vertreten hat.

Dies wäre umso mehr veranlasst gewesen, als die Vollmacht für die Kanzlei S... & W... durch eine Person in B... unterzeichnet ist.

2.2. Dass dies die M... Patentabteilung in B..., G..., gewesen sei und in welchem Rechtsverhältnis sie zur U...- Gesellschaft steht, ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar.

Sie könnte eine bloße Organisationseinheit der U...-Gesellschaft, eine gesetzliche oder gewillkürte Vertreterin oder aber eine Firma mit eigener Rechtspersönlichkeit ohne Vertretungsbefugnis sein, was für die Zurechnung von Versäumnissen von entscheidender Bedeutung ist. Der Sachvortrag beschränkt sich auf die Wiedergabe der Verantwortlichkeit im Verhältnis zu der aufgelösten deutschen Patentabteilung.

2.3. Gleiches gilt für die interne Vertretungsregelung in M... B...: auch hierfür fehlt die Angabe, wer diese Patentabteilung nach außen vertritt. Die Angabe, G... sei "Leiterin der Abteilung" und als solche "zur Vertretung vor dem Europäischen Patentamt zugelassen", sagt nichts über eine Vertretungsbefugnis im deutschen Verfahren aus. Sollte sie aber vertretungsbefugt gewesen sein, so hätte angegeben werden müssen, wie sie die Büroorganisation hinsichtlich der Einhaltung von Fristen geregelt hatte. Außer der Eingangsstempelung, der Feststellung (durch wen€) eigener Betreuung und der Weiterleitung an die Sachbearbeiterin ist eine auch nur formale Behandlung der Post nicht ersichtlich.

Nun wird bei sogenannten Fristensachen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Bundespatentgerichts die Führung eines Fristenkalenders, die Eintragung der konkreten Frist in den Kalender, der Vermerk in der Handakte und schließlich die Prüfung der Frist bei jeder Bearbeitung gefordert (vgl ua BPatG, GRUR 1974, 354 mit Nachweisen, Mitteilungen 1976, 219; BGH, NJW 1974, 2282). Auch hierzu enthält die Darstellung der Büroorganisation in B... keinerlei Angaben. Auch ist nicht vorgetragen, wie lange der Aktenlauf von der Eingangsstelle zu der Sachbearbeiterin und von dieser zum Postausgang im Normalfall dauerte.

2.4. Die Leiterin konnte diese Aufgaben als Routinearbeiten allerdings einer Hilfsperson übertragen, für deren Fehler die Anmelderin dann nicht einzustehen hätte (vgl BGH NJW 1995, 1756).

Außer der Leiterin von M... B... ist eine einzige Mitarbeiterin genannt, die Sachbearbeiterin W1.... Da die Leiterin die Fristenkontrolle offenbar nicht selbst vorgenommen hat, kommt hierfür also lediglich diese Sachbearbeiterin in Betracht.

2.5. Dazu ist jedoch lediglich ausgeführt, dass Frau W1... für die Berechnung und Notierung von Fristen bei englischsprachigen Unterlagen ('... documents in English language...') zuständig war.

2.6. Dagegen ist nichts über die Erledigung dieser besonders wichtigen Aufgaben bei deutschsprachigen Unterlagen ausgesagt. Sollte diese Aufgabe der Sachbearbeiterin übertragen gewesen sein, dann läge bereits darin ein Organisationsmangel, der die Wiedereinsetzung ausschlösse; denn sie war nach eigener Aussage mangels Kenntnis der deutschen Sprache nicht in der Lage, den Inhalt der übersandten Unterlagen zu prüfen, also insbesondere die Fristgebundenheit der Beschwerde, die Berechnung dieser Frist in Abhängigkeit von der Zustellung und schließlich die Erforderlichkeit der Gebührenzahlung festzustellen.

Die sorgfältige Unterscheidung von Fristensachen einerseits, sonstigen laufenden Geschäften andererseits setzt in jedem Fall eines voraus: die Erkenntnis, dass es sich bei einem konkreten Schriftstück um eine Fristensache handelt. Das aber ist ausgeschlossen, wenn der Leser/die Leserin den Inhalt des Schreibens schon sprachlichgrammatikalisch nicht versteht.

Wenn schon Gedächtnisschwäche bzw Konzentrationsschwäche des Sachbearbeiters die Wiedereinsetzung ausschließen (vgl BPatG, Mitt 1976, aaO) - die üblicherweise nur temporär auftreten, dann stellt ein dauerndes Handicap wie Unkenntnis der maßgeblichen Sprache erst recht einen Hinderungsgrund dar.

2.7. Wenn Prüfung und Kontrolle der Fristen bei der deutschen Anwaltskanzlei, also der Kanzlei S... & W..., durchgeführt worden sein sollte - was als letzte Möglichkeit übrigbleibt -, so wäre erforderlich gewesen anzugeben, dass bei dieser Art der Bearbeitung die Säumnis ausgeschlossen gewesen wäre. Insbesondere hätte angegeben werden müssen, auf welchem Wege die Post so rechtzeitig an die Kanzlei gelangen konnte, dass die Bearbeitung fristgerecht erfolgen konnte. Wenn schon der Postweg von W... nach B... zur dortigen Ein- gangsstelle 11 Tage erfordert hatte, so kann nur vermutet werden (Angaben dazu fehlen), dass der Rückweg (Ausgangsstelle bis Anwaltskanzlei) dieselbe Zeitdauer in Anspruch genommen hätte.

Dr. Kellerer Schmöger Dr. Mayer Groß

Be






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Az: 19 W (pat) 48/02


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