Bundespatentgericht:
Beschluss vom 13. September 2004
Aktenzeichen: 30 W (pat) 96/03

(BPatG: Beschluss v. 13.09.2004, Az.: 30 W (pat) 96/03)

Tenor

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Marke Aerovent ist am 13. Dezember 2000 unter der Nummer 300 47 877 für "Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Babykost; Pflaster, Verbandmaterial; Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Desinfektionsmittel; Mittel zur Vertilgung von schädlichen Tieren; Fungizide, Herbizide" in das Markenregister eingetragen worden. Die Veröffentlichung der Eintragung erfolgte am 11. Januar 2001.

Widerspruch erhoben hat am 20. Februar 2001 die Inhaberin der Marke 898 798 ATROVENT, eingetragen seit dem 26. Oktober 1972 für "Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie chemische Erzeugnisse für die Gesundheitspflege; Pflaster, Verbandmaterial; Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Desinfektionsmittel; Mittel zur Vertilgung von Unkraut und schädlichen Tieren".

Deren Benutzung ist im Beschwerdeverfahren bestritten worden für "alles, was über pharmazeutische Atemwegspräparate in vier Spezifikationen hinausgeht". Die Widersprechende hat eine darüber hinausgehende Benutzung nicht geltend gemacht.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Begründend ist im Wesentlichen ausgeführt, dass die Endung "-vent" wegen des Hinweises auf "Ventilation" kennzeichnungsschwach sei; die Unterschiede in den Wortanfängen seien indessen unüberhöhrbar und auch nicht zu übersehen. Das Auseinanderhalten der Marken werde zusätzlich durch den im Anfangsbestandteil der angegriffenen Marke enthaltenen Hinweis auf "Luft" gewährleistet.

Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt. Mit näheren Ausführungen hält sie im Hinblick auf identische Waren und ähnliche Marken Verwechslungsgefahr für gegeben.

Die Widersprechende beantragt sinngemäß, die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 5. August 2002 und vom 13. Januar 2003 aufzuheben.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Über das beschränkte Bestreiten der Benutzung hinaus ist eine Äußerung der Inhaberin der angegriffenen Marke nicht zu den Akten gelangt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden ist nicht begründet. Es besteht auch nach Auffassung des Senats keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG.

Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr erfolgt unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalles durch Gewichtung von in Wechselbeziehung zueinander stehenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken sowie der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren. Darüber hinaus ist die Kennzeichnungskraft der älteren Marke und - davon abhängig - der dieser im Einzelfall zukommende Schutzumfang in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dabei impliziert der Begriff der Verwechslungsgefahr eine gewisse Wechselwirkung zwischen den genannten Faktoren, so dass ein geringer Grad der Ähnlichkeit der Waren durch einen hohen Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden kann und umgekehrt (ständige Rechtsprechung zB BGH GRUR 2004, 594, 596 - Ferrari-Pferd; GRUR 2004, 598 - Kleiner Feigling).

Nach diesen Grundsätzen ist hier die Gefahr von Verwechslungen zu verneinen und zwar selbst dann, wenn zugunsten der Widersprechenden von einer normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke insgesamt ausgegangen wird, auch wenn sie mit dem Bestandteil "ATRO" auf den Wirkstoff "Atropin" hinweist, gewonnen aus Tollkirsche, Stechapfel oder Binsenkraut, der ua bei Erkrankungen der Bronchien eingesetzt wird (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl., S 151) und mit dem Bestandteil "VENT" auf die Indikation (Ventilation = Belüftung der Lungen, Atmung, vgl Pschyrembel aaO S 1750).

Die Markeninhaberin hat die Einrede mangelnder Benutzung der Widerspruchsmarke im Beschwerdeverfahren nach § 43 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 MarkenG zulässig erhoben für "alles, was über pharmazeutische Atemwegspräparate in vier Spezifikationen hinausgeht". Die Widersprechende hat eine weitergehende Benutzung nicht glaubhaft gemacht. Damit ist für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr und der insoweit maßgeblichen Warenähnlichkeit auf diese Waren abzustellen, § 43 Abs 1 Satz 3 MarkenG. Nach ständiger Rechtsprechung wird die Widersprechende im Rahmen der Integrationsfrage dabei einerseits nicht auf das ganz spezielle mit der Widerspruchsmarke gekennzeichnete Produkt festgelegt, andererseits aber auch der Rückgriff auf den eingetragenen Oberbegriff abgelehnt; anerkannt wird im Arzneimittelbereich die Benutzung im Bereich, der der jeweiligen Hauptgruppe der Roten Liste entspricht (vgl Ströbele/Hacker MarkenG 7. Aufl § 26 Rdn 210ff mwN). Das ist hier die Hauptgruppe 28 "Broncholytika/Antiasthmatika" der Roten Liste.

Bei der Beurteilung der Warenähnlichkeit ist entscheidend, ob die beiderseitigen Waren in Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen - insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte - so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus denselben oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen, sofern sie mit identischen Marken gekennzeichnet sind (vgl BGH GRUR 2004, 241, 243 - GeDIOS).

Zwischen den zu berücksichtigenden Waren der Widerspruchsmarke und den Waren "Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege" der angegriffenen Marke besteht Identität im Sinn von § 9 Abs 2 Nr 2 MarkenG. Ob hinsichtlich der Waren "Verbandmaterial; Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Mittel zur Vertilgung von schädlichen Tieren; Fungizide, Herbizide" überhaupt noch Warenähnlichkeit angenommen werden kann, erscheint nach den oben genannten Kriterien zweifelhaft; letztlich bedarf dies jedoch keiner genaueren Untersuchung, auch nicht hinsichtlich der weiteren Waren der angegriffenen Marke. Denn auch bei Anlegung strenger Maßstäbe ist ein zur Vermeidung von Verwechslungen ausreichender Markenabstand eingehalten.

Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass bei den vorliegenden pharmazeutischen Erzeugnissen eine Rezeptpflicht in den Warenverzeichnissen nicht festgeschrieben ist, auch in tatsächlicher Hinsicht der Fachverkehr nicht im Vordergrund steht, so dass allgemeine Verkehrskreise uneingeschränkt zu berücksichtigen sind. Auch insoweit ist aber davon auszugehen, dass grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware befassenden, sondern durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware unterschiedlich hoch sein kann (vgl BGH aaO - ATTACHÉ/TISSERAND; BGH GRUR 1998, 942, 943 li Spalte - ALKA-SELTZER; EuGH MarkenR 1999, 236, 239 unter 24. - Lloyd/Loint's) und der insbesondere allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegt (vgl BGH GRUR 1995, 50, 53 - Indorektal/Indohexal).

In klanglicher Hinsicht stimmen die Marken zwar bei gleicher Silbenzahl - so "AE" wie "Ä" ausgesprochen wird -, übereinstimmender Vokalfolge "A-O-E" sowie gleichem Sprech- und Betonungsrhythmus in den Konsonanten "R-V-NT" und in der Schlußsilbe "-VENT/vent" überein. Von Bedeutung ist jedoch zunächst, dass die Übereinstimmung in dem Endbestandteil "-VENT/vent" bei der Beurteilung des jeweiligen Gesamteindrucks und der Markenähnlichkeit weniger ins Gewicht fällt, als dies bei einem reinen Phantasiebestandteil der Fall wäre. Denn bei dem Schlußelement "-VENT/vent" handelt es sich um einen beschreibenden und damit kaum individualisierend und kennzeichnend wirkenden Hinweis auf "Ventilation", der als Wortelement insbesondere im Zusammenhang mit Medikamenten, die zur Behandlung von Atemwegserkrankungen bestimmt sind, auf den medizinischen Fachbegriff "Ventilation" hindeutet. Wenngleich derartige beschreibende Zeichenelemente bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr nach dem Gesamteindruck angemessen mitzuberücksichtigen sind, so bewirken sie doch eine Verlagerung der Aufmerksamkeit auf die vorderen Markenteile, hier also auf Aero- und ATRO-. Dabei fällt noch besonders ins Gewicht, das Wortanfänge erfahrungsgemäß ohnehin mehr als nachfolgende Wortteile beachtet werden (vgl BGH aaO - Indorektal/Indohexal), weshalb die hier vorhandenen Unterschiede um so eher wahrgenommen werden.

Der Unterschied im zusätzlichen Vokal "e" in der angegriffenen Marke bewirkt im Klang entweder eine Zäsur, wenn die Aussprache getrennt "A-e" erfolgt, oder er führt bei Aussprache wie "Ä" zu einem deutlich abweichenden Klangbild; der zusätzliche Konsonant "T" in der Widerspruchsmarke tritt klanglich deutlich hervor und führt zu einem härteren Klangbild gegenüber dem weich fließenden Klang der angegriffenen Marke. Aufgrund dieser deutlich verschiedenen Klangeigenschaften werden die genannten Unterschiede auch unter noch zu berücksichtigenden ungünstigen Übermittlungsbedingungen hinreichend sicher wahrgenommen und führen zu einem nicht verwechselbaren akustischen Gesamteindruck der Marken.

Im schriftbildlichen Markenvergleich halten die Vergleichswörter in allen üblichen Wiedergabeformen ebenfalls einen noch ausreichenden Abstand ein. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Marken im Schriftbild erfahrungsgemäß mit etwas größerer Sorgfalt wahrgenommen werden als im eher flüchtigen Klangbild, das häufig bei mündlicher Benennung entsteht. Zudem steht beim schriftlichen Markenvergleich der Fachverkehr, der aufgrund seiner beruflichen Praxis und Erfahrung im Umgang mit Arzneimittelkennzeichen über ein erhöhtes Unterscheidungsvermögen verfügt, im Vordergrund. Unter diesen Voraussetzungen reichen auch bei einer schriftlichen Wiedergabe in jeder Form der am Wortanfang der angegriffenen Marke enthaltene zusätzliche Vokal "e" sowie der zusätzliche Konsonant "T" in der Widerspruchsmarke aus, um eine Unterscheidbarkeit der Marken zu gewährleisten.

Zur Unterscheidbarkeit der Marken trägt vorliegend auch der Begriffsgehalt im Anfangsbestandteil der angegriffenen Marke bei. Insoweit kann davon ausgegangen werden, dass der Anfangsbestandteil "Aero-" auch beachtlichen Teilen der Endverbraucher als Wortteil mit der Bedeutung "Luft" (vgl Pschyrembel aaO S 25) geläufig ist. Fachleute werden zudem in "ATRO-" regelmäßig den Hinweis auf den Wirkstoff "Atropin" erkennen und auch aufgrund dessen die Marken auseinanderhalten können.

Andere Arten der Verwechslungsgefahr sind weder dargelegt noch ersichtlich.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bietet der Streitfall keinen Anlaß, § 71 Abs 1 MarkenG.

Dr. Buchetmann Winter Hartlieb Cl






BPatG:
Beschluss v. 13.09.2004
Az: 30 W (pat) 96/03


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