Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 4. Februar 2000
Aktenzeichen: 6 U 115/99

(OLG Köln: Urteil v. 04.02.2000, Az.: 6 U 115/99)

Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 10.06.1999 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O 432/99 - wie folgt ab-geändert:Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 30.04.1999 wird zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen hat die Antragstellerin zu tragen.

Gründe

E n t s c h e i d u n s g r ü n d e

Die in formeller Hinsicht einwandfreie Berufung der Antragsgegnerin ist insgesamt zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Sie führt zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Abänderung der angefochtenen landgerichtlichen Entscheidung. Der auf das Erwirken der mit dem landgerichtlichen Urteil erlassenen einstweiligen Verfügung gerichtete Antrag der Antragstellerin, gegen dessen Zulässigkeit allerdings keine Bedenken bestehen, ist unbegründet. Dem Vortrag der Antragstellerin können die Voraussetzungen des damit geltend gemachten Unterlassungstatbestandes nicht schlüssig entnommen werden. Zu Unrecht sind vielmehr die Antragstellerin und ihr folgend das Landgericht von einem den wettbewerblichen Unlauterkeitsvorwurf des § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbsvorsprungs durch Rechtsbruch begründenden Verstoß der Antragsgegnerin gegen die §§ 1 Abs. 2, 5 Abs. 3 der Zuzahlungsverordnung vom 12.09.1997 ausgegangen, weil die Antragsgegnerin auf der äußeren Umhüllung ihres Fertigarzneimittels St. nur eine Zuzahlungsstufe angegeben hat. Ungeachtet des Umstandes, dass die Antragsgegnerin in der äußeren Umhüllung ihres als abgabefertige Kombinationspackung angebotenen und in dieser Form zugelassenen Fertigarzneimittels St. zwei nacheinander zu verabreichende verschiedene Arzneimittel, nämlich einmal Brausetabletten und zum anderen Retardtabletten anbietet, ist nach den hier anwendbaren Bestimmungen der Zuzahlungsverordnung (im folgenden: ZuzahlungsVO) vielmehr nur eine einzige Zuzahlungsstufe anzugeben.

Die auf der Grundlage von § 31 Abs. 4 SGB V durch den Bundesminister für Gesundheit erlassene ZuzahlungsVO konkretisiert die wiederum in § 31 Abs. 3 SGB V festgelegte Pflicht zur Selbstbeteiligung der (volljährigen) gesetzlich Krankenversicherten an den Kosten der zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordneten Arznei- und Verbandmittel. Gemäß § 1 Abs. 1 der ZuzahlungsVO ist diese Selbstbeteiligung bei der Abgabe von Fertigarzneimitteln im Sinne von § 4 Abs. 1 AMG, die von einem an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt verordnet worden sind, in Form einer Zuzahlung zu leisten, deren jeweilige Höhe nach der Packungsgröße in verschiedene Zuzahlungsstufen gestaffelt ist. Die für die einzelne Zuzahlungsstufe maßgebliche Packungsgröße (§ 1 Abs. 1 Nrn. 1 - 3 der ZuzahlungsVO) korrespondiert dabei mit der in § 12 Abs. 3 AMG aufgeführten Dreiteilung in kleine Packungsgröße für kurze Anwendungsdauer oder Verträglichkeitstest (N 1), mittlere Packungsgröße für mittlere Anwendungsdauer (N 2) und große Packungsgröße für längere Anwendungsdauer (N 3). Die solcherart zu ermittelnde jeweilige Zuzahlungsstufe ist von dem pharmazeutischen Unternehmer mit den Bezeichnungen N 1, N 2 oder N 3 auf dem Behältnis des Fertigarzneimittels bzw. - soweit verwendet - auf dessen äußerer Umhüllung anzugeben (§ 5 Abs. 1 S. 3 ZuzahlungsVO), wobei § 5 Abs. 3 der ZuzahlungsVO weiter bestimmt, daß ohne diese Angabe der Zuzahlungsstufe Fertigarzneimittel nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden dürfen. § 1 Abs. 2 der ZuzahlungsVO sieht schließlich vor, dass für solche Fertigarzneimittel, in deren äußerer Umhüllung mindestens zwei Arzneimittel unterschiedlicher Darreichungsform enthalten sind, die gesondert zur Anwendung kommen, die Zuzahlungsstufe für jedes enthaltene Arzneimittel zu ermitteln und anzugeben ist.

Obwohl die Antragsgegnerin in der Umverpackung ihres Fertigarzneimittels St. zwei verschiedene Einzelarzneimittel anbietet, sind die Voraussetzungen der letztgenannten Bestimmung im Streitfall indessen nicht erfüllt.

Der Wortlaut der unter § 1 Abs. 2 der ZuzahlungsVO getroffenen Regelung spricht dabei nur scheinbar für den von der Antragstellerin vertretenen Standpunkt, wonach auf der Umverpackung des zwei verschiedene Arzneimittel (Brausetabletten/Retardtabletten) enthaltenden Fertigarzneimittels St. der Antragsgegnerin die Angabe zweier Zuzahlungsstufen vorzunehmen sei. Bei den in der Verpackung von St. enthaltenen Präparaten handelt es sich zwar zweifellos um Arzneimittel im Sinne der Definition des § 2 Abs. 1 AMG. Denn ob diese einzelnen Produkte jeweils für sich genommen wirksam und/oder zugelassen und damit verkehrsfähig sind, stellt keine Frage des Arzneimittelbegriffs im Sinne der Definition des § 2 AMG dar und kann aus diesem Grund der Arzneimitteleigenschaft der in der gemeinsamen äußeren Verpackung des Fertigarzneimittels St. jeweils enthaltenen Einzelpräparate nicht entgegengehalten werden. Scheint damit der Wortlaut der hier in Rede stehenden Bestimmung des § 1 Abs. 2 der ZuzahlungsVO dafür zu sprechen, die Brausetabletten und die Retardtabletten ungeachtet ihrer arzneimittelrechtlichen Zulassung als Einzelpräparate jeweils als Arzneimittel einzuordnen, für die gesonderte Zuzahlungsstufen auf der Umverpackung des als Kombinationsprodukt zugelassenen Fertigarzneimittels St. auszuweisen sind, ist dem sozialversicherungsrechtlichen Hintergrund der der ZuzahlungsVO als Ermächtigungsgrundlage zugrundeliegenden Vorschrift des § 31 SGB V jedoch etwas anderes zu entnehmen und spricht danach alles dafür, die Angabe von mehreren Zuzahlungsstufen nach Maßgabe von § 1 Abs. 2 der ZuzahlungsvO nur dann zu verlangen, wenn (auch) die in der Umverpackung eines Fertigarzneimittels enthaltenen verschiedenen Arzneimittel jeweils für sich genommen als Einzelpräparate über eine arzneimittelrechtliche Zulassung verfügen. Da die Antragsgegnerin - wie unstreitig ist - für die in der äußeren Umhüllung des Fertigarzneimittels St. kombinierten Arzneimittel (Brausetabletten/Retardtabletten) indessen keine Einzelzulassung erwirkt hat, sondern eine arzneimittelrechtliche Zulassung nur für die als Fertigarzneimittel zugelassene Kombination als solche erteilt wurde (vgl. Ziffer 2 des Zuzahlungsbescheides vom 22.04.1985, Anlage AG 3 zur Schutzschrift der Antragsgegnerin vom 20.04.1999), liegt danach im Sinne der hier in Rede stehenden Bestimmungen der §§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 der ZuzahlungsVO nur ein einziges als abgabefertige Kombinationspackung angebotenes Fertigarzneimittel vor, für das folglich auch nur eine Zuzahlungsstufe angegeben werden muss.

Ziel der in § 31 Abs. 3 SGB V formulierten Selbstbeteiligungspflicht der gesetzlich Krankenversicherten an den Kosten der Arznei- und Verbandmittel ist es, das Ausgaben- und Preisbewusstsein der Versicherten zu stärken und einem überhöhten Verbrauch von Arzneimitteln entgegenzuwirken ( vgl. Höfler, in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band I, 2. Auflage, Rdn. 18 zu § 31 SGB V m.w.N.). Auf diese Weise soll indessen nicht nur eine Stärkung der Eigenverantwortung der gesetzlich Krankenversicherten bewirkt ( vgl. Schneider in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band I, § 22 Rdn. 202), sondern vor allem auch auf der Basis des Wirtschaftlichkeitsgebots unmittelbar eine Kostenentlastung der Krankenversicherer und mittelbar eine solche der Solidargemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten herbeigeführt werden. Der dargestellte Gesichtspunkt der Kostenentlastung setzt indessen notwendig das Bestehen der Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherungen voraus, anderenfalls weder diesen, noch der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten Kosten entstehen können, zu deren Verringerung die Selbstbeteiligung der Versicherten einen Beitrag leisten soll.

Die an die Verordnung eines an der gesetzlichen Krankenversicherung teilnehmenden Vertrags- bzw. Kassenarztes gebundene Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherungen in bezug auf Arzneimittel, setzt ihrerseits die kassenärztliche Verordnungsfähigkeit dieser Arzneimittel voraus. Das die gesetzliche Krankenversicherung beherrschende Prinzip "Keine Verordnung nicht zugelassener Arzneimittel" ( vgl. Höfler a.a.O., Rdn. 5 zu § 31 SGB V) spricht dabei wiederum dafür, die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels an dessen arzneimittelrechtliche Zulassung zu knüpfen mit der Folge, daß im Grundsatz hinsichtlich eines gleichwohl verordneten nicht zugelassenen Arzneimittels keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung besteht, mithin ebenfalls der Gesichtspunkt der Selbstbeteiligung der Versicherten in Form der Zuzahlung nicht greifen kann. Setzt die Selbstbeteiligung der Versicherten in Form der Zuzahlung grundsätzlich aber nur bei solchen Arzneimitteln an, die zugelassen sind, läßt dies wiederum den Rückschluss darauf zu, dass - sind mehrere Arzneimittel in der Umverpackung enthalten - nur dann mehrere Zuzahlungsstufen anzugeben sind, wenn die in der als Fertigarzneimittel angebotenen abgabefertigen Kombinationspackung enthaltenen verschiedenen Arzneimittel für sich genommen verordnungsfähig, also zugelassen sind.

Der Umstand, daß der vorbezeichnte Grundsatz "keine Verordnung nicht zugelassener Arzneimittel" Ausnahmen kennt (vgl. Höfler, a. a. O., Rnr. 5 zu § 31 SGB V m. w. N.), steht dieser Wertung nicht entgegen. Die genannten Ausnahmen betreffen besondere, hier nicht einschlägige Fallkonstellationen, in denen bei Fertigarzneimitteln eine Zulassung beantragt wurde, über die noch nicht entschieden ist, oder bei denen - trotz Versagung der Zulassung - die wissenschaftlich ernsthaft begründete Möglichkeit eines Therapieerfolgs erkennbar oder das Mittel erfolgreich zu einem anderen als dem angegeben Verwendungszweck im Einzelfall eingesetzt worden ist. Die genannten Ausnahmefälle stellen jeweilige individuelle Sachverhaltskonstellationen dar, in denen - im Falle vertragsärztlicher Verordnung - das Eingreifen der Leistungs- bzw. Kostentragungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen eigens zu prüfen und festzustellen ist. Diese Ausnahmefälle können indessen nicht dazu führen, die auf der Grundlage von § 31 Abs. 3 SGB V i. V. m. der ZuzahlungsVO generell festgelegte, an das Eingreifen der Leistungsverpflichtung der Krankenkassen geknüpfte Pflicht zur Selbstbeteiligung der Versicherten auf jegliches Arzneimittel zu erstrecken, auch wenn es nicht zugelassen ist, evtl. nicht einmal zugelassen werden könnte.

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin kann auch die bloße Zulassungsfähigkeit der in der Umverpackung des als abgabefertige Kombinationspackung angebotenen Fertigarzneimittels enthaltenen verschiedenen Arzneimittel nicht ausreichen. Denn dies führte dazu, vor der Angabe der die Selbstbeteiligung der Versicherten konkretisierenden Zuzahlungsstufen nach Maßgabe der ZuzahlungsVO eine umfangreiche, der Kompetenz des BFArM unterfallende materielle Prüfung vorzunehmen, die mit dem Sinn und Zweck der ZuzahlungsVO als eine die Pflicht zur Zuzahlung lediglich näher regelnde Bestimmung nicht vereinbar ist.

Zu den dargestellten, an Sinn und Zweck der Selbstbeteiligung der gesetzlich Krankenversicherten anknüpfenden Erwägung tritt aber noch der folgende, die Ermächtigung des Verordnungsgebers zur Regelung der näheren Einzelheiten der Zuzahlung betreffende Aspekt hinzu:

Da § 31 Abs. 3 SGB V die Zuzahlungspflicht an die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordneten Arzneimittel knüpft, ist maßgeblich auf den Inhalt der Verordnung des Kassenarztes abzustellen. Dieser verordnet jedoch in den Fällen, in denen ein Fertigarzneimittel als abgabefertige, verschiedene Arzneimittel enthaltende Kombinationspackung angeboten wird, lediglich ein Fertigarzneimittel. Diese nach § 31 Abs. 3 SGB V an die kassenärztliche Verordnung gebundene Zuzahlungspflicht definiert und beschränkt dabei den Rahmen der die Einzelheiten der Zuzahlung bestimmenden ZuzahlungsVO. Letztere kann keine gegenüber ihrer Ermächtigungsgrundlage weitergehenden und die Zuzahlungspflicht abändernden Regelungen betreffend die Ermittlung und Angabe von Zuzahlungsstufen treffen. Auch wenn die Ermächtigung des Verordnungsgebers dabei die Befugnis zur Normierung von Tatbeständen umfasst, mit denen die Umgehung und/oder der sonstige Missbrauch des in der Ermächtigungsgrundlage geregelten Sachverhalts möglichst ausgeschlossen werden soll, und § 1 Abs. 2 der ZuzahlungsVO weiter als ein solcher normierter Tatbestand zu verstehen sein sollte, führt dies im Streitfall nicht zu einem von der obigen Würdigung abweichenden Ergebnis. Denn handelt es sich bei § 1 Abs. 2 der ZuzahlungsVO um einen "normierten Umgehungstatbestand" , so ist dieser als eng auszulegende Ausnahmebestimmung zu der Regelung zu sehen, daß grundsätzlich bei der kassenärztlichen Verordnung nur eines Arzneimittels auch nur eine Zuzahlung zu leisten ist. Der dargestellte sozialversicherungsrechtliche Hintergrund der Zuzahlungsverpflichtung der gesetzlich Krankenversicherten, die nur bei verordnungsfähigen Arzneimitteln eingreift, läßt dabei aber eine Anwendung der Vorschrift des § 1 Abs. 2 der ZuzahlungsVO nur in den Fällen als gerechtfertigt erscheinen, in denen die in der als Fertigarzneimittel zugelassenen Kombinationspackung enthaltenen verschiedenen Arzneimittel als solche verordnungsfähig, mithin jeweils einzeln zugelassen sind. Dass es sich bei dieser Konstellation auch nicht lediglich um einen realitätsfernen, vom Verordnungsgeber bei der Regelung des § 1 Abs. 2 der ZuzahlungsVO außer Acht gelassenen Sachverhalt handelt, belegt u. a. die von der Antragstellerin genannte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20.01.1993 (vgl. auch Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Band I, Anm. 56 zu § 22 AMG und Anm. 17 zu § 21 AMG).

Auch das eigene Verhalten der Antragsgegnerin rechtfertigt schließlich keine abweichende Sichtweise. Die Antragsgegnerin hat zwar zunächst für ihr Fertigarzneimittel "St." zwei Zuzahlungsstufen in der Lauertaxe eintragen lassen. Mit Blick auf die oben dargestellte Problematik des sozialversicherungsrechtlichen Hintergrundes der ZuzahlungsVO kann die Angabe von 2 Zuzahlungsstufen auf der Umverpackung des Arzneimittels St. jedoch nicht als Anhaltspunkt dafür gewertet werden, dass § 1 Abs. 2 der ZuzahlungsVO eindeutig die Angabe mehrerer Zuzahlungsstufen für Arzneimittel ungeachtet ihrer jeweiligen kassenärztlichen Verordnungsfähigkeit als Einzelprodukte zugrundelegt.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Das Urteil ist gemäß § 545 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.






OLG Köln:
Urteil v. 04.02.2000
Az: 6 U 115/99


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