Bundespatentgericht:
Beschluss vom 13. März 2000
Aktenzeichen: 15 W (pat) 14/98

(BPatG: Beschluss v. 13.03.2000, Az.: 15 W (pat) 14/98)

Tenor

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Das Patent wird beschränkt aufrechterhalten mit folgenden Unterlagen:

Patentansprüche 1 bis 3, Beschreibung Seiten 1, 2, 3, 3a, 4 bis 10, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung und 1 Blatt Zeichnung gemäß DE 42 19 658 C2.

Gründe

I Auf die am 16. Juni 1992 eingereichte Patentanmeldung P 42 19 658.2-43 hat das Deutsche Patentamt ein Patent mit der Bezeichnung

"Verfahren zur Herstellung von Cellulosefasern, -filamenten und -folien nach dem Trocken-Naßextrusionsverfahren"

erteilt. Die Patenterteilung wurde am 30. Juni 1994 veröffentlicht.

Nach Prüfung der erhobenen zwei Einsprüche wurde das Patent mit Beschluß der Patentabteilung 1.43 vom 10. Dezember 1997 beschränkt aufrechterhalten.

Dem Beschluß lagen die mit Schriftsatz vom 1. März 1995 eingereichten, am 7. März 1995 eingegangenen Patentansprüche 1 bis 3 mit folgendem Wortlaut zugrunde:

"1. Verfahren zur Herstellung von Cellulosefasern, -filamenten und -folien nach dem Trocken-Naßextrusionsverfahren, aus einer Lösung von Cellulose in einem Wasser enthaltenden N-Oxid eines tertiären Amins, insbesondere N-Methylmorpholin-N-oxid, durch Extrudieren der Lösung durch ein Formwerkzeug in ein die Cellulose nicht ausfällendes Medium, Orientieren der Cellulosemoleküle durch Verzug des extrudierten Lösungsstrahls in diesem Medium und Ausfällen der Cellulose aus dem Lösungsstrahl durch Berührung mit einem Fällmedium ohne wesentliche Verstreckung, dadurch gekennzeichnet, daß man die Celluloselösung durch ein Formwerkzeug extrudiert, dessen zylindrische Düsenkanäle einen Durchmesser in dem Bereich von 50 bis 120 µm oder dessen Schlitze eine Breite in dem Bereich von 50 bis 200 µm haben, durch das Schergefälle im Formwerkzeugkanal einen Lösungsstrahl mit vororientierten Cellulosemolekülen erzeugt und den Verzug dieses Lösungsstrahls in dem nicht ausfällenden Medium in einem Verhältnis in dem Bereich 1,4<V<3 durchführt.

2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Berührung des Lösungsstrahls mit dem Fällmedium im Gleichstrom in einem Spinntrichter erfolgt.

3. Verfahren nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, daß der Verzug dadurch erreicht wird, daß der ausfallende Formkörper von dem durch den Spinntrichter strömenden Fällmedium im wesentlichen auf seine Abzugsgeschwindigkeit beschleunigt wird."

Die beschränkte Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage dieser Patentansprüche wurde damit begründet, daß das beanspruchte Verfahren im Hinblick auf die Druckschriften EP 0 494 852 A2 (1) und EP 0 494 851 A2 (2), beide mit älterem Zeitrang, sowie auf die vorveröffentlichten Entgegenhaltungen DE 29 13 589 C2 (3), Götze, "Chemiefasern nach dem Viskoseverfahren", 2. Bd, 1967, Springer Verlag Berlin, S 602 bis 607 und 853 bis 855 (4), D. Loubinoux et al., "Bull. Scient. ITF", 1985, Vol 14, Nr 53, S 21 bis 33 (5), AT 387 792 B (6) und "Römpp Chemie Lexikon", 9. Aufl, Bd 2, 1990, S 1290 (7) neu sei und im Hinblick auf den aus den hierzu in Betracht zu ziehenden vorveröffentlichten Druckschriften (3) bis (7) bekannten Stand der Technik auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Gegen diesen Beschluß hat die Einsprechende L... AG Beschwerde einge- legt. Zu deren Begründung hat sie mit Schriftsatz vom 20. Juli 1998 im wesentlichen vorgetragen, daß das Verfahren gemäß obigem Anspruch 1 aufgrund des Offenbarungsgehaltes der Entgegenhaltungen (3) und (6) gleicher Priorität nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. So werde in (3) ua auch ein Versuch beschrieben, bei dem durch ein Düsenloch mit einem Durchmesser von nur 100 µm versponnen werde. Ferner zeige diese Entgegenhaltung auch einen Versuch mit einem Verzug der extrudierten Cellulosefasern im nicht ausfällenden Medium von nur 3,6. Außerdem werde bei dem in (6) beschriebenen Versuch IV A auch bereits mit einem Verzug von 2,6 und damit unter 3 gearbeitet. Zudem wiesen die nach dem vorliegend beanspruchten Verfahren gegenüber den nach diesen Entgegenhaltungen hergestellten Celluloseverfahren keine überraschenden Eigenschaften auf. Die Verwendung von Spinntrichtern bei der Herstellung von Fasern sowie von Cellulosefasern sei aus (4) und (5) bekannt gewesen. In Kenntnis von (3) und/oder (6) in Kombination mit den Entgegenhaltungen (4) und (5) habe daher auch die in den Ansprüchen 2 und 3 beschriebene Verfahrensführung nahegelegen und beruhe somit ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Einsprechende ist - wie mit Schriftsatz vom 21. Februar 2000 angekündigt - zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen.

Der Senat hat zu Beginn der mündlichen Verhandlung ausgeführt, daß die Lehre der auf einem älteren Zeitrang basierenden EP 0 494 852 A2 (1) ein Verfahren zur Herstellung von Cellulosefasern oder -filamenten beschreibe, bei dem wie beim Verfahren gemäß obigem Anspruch 1 gearbeitet und die Celluloselösung durch Düsenkanäle mit einem Durchmesser von höchstens 150 µm versponnen sowie ausweislich der Beispiele ein Verzug im Bereich von 1,4 bis 6,8 eingestellt werde. Demgegenüber sei das Verfahren gemäß diesem Anspruch 1 vom 1. März 1995 nicht mehr neu.

Die Patentinhaberin hat daraufhin in der mündlichen Verhandlung neue Patentansprüche 1 bis 3 überreicht und erklärt, daß sie ihr Patentbegehren nunmehr auf der Grundlage dieser neuen, gegenüber (1) abgegrenzten Anspruchsfassung weiterverfolge. Die danach geltenden Patentansprüche 1 bis 3 haben folgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zur Herstellung von Cellulosefasern oder -filamenten nach dem Trocken-Naßextrusionsverfahren, aus einer Lösung von Cellulose in einem Wasser enthaltenden N-Oxid eines tertiären Amins, insbesondere N-Methylmorpholin-N-oxid, durch Extrudieren der Lösung durch ein Formwerkzeug, in dem durch das Schergefälle ein Lösungsstrahl mit vororientierten Cellulosemolekülen erzeugt wird, in ein die Cellulose nicht ausfällendes Medium, weiteres Orientieren der Cellulosemoleküle durch Verzug des extrudierten Lösungsstrahls in diesem Medium und Ausfällen der Cellulose aus dem Lösungsmittel durch Berührung mit einem Fällmedium ohne wesentliche Verstreckung, dadurch gekennzeichnet, daß man die Celluloselösung durch ein Formwerkzeug extrudiert, dessen zylindrische Düsenkanäle einen Durchmesser in dem Bereich von 50 bis 120 µm haben, und den Verzug des Lösungsstrahls in dem nicht ausfällenden Medium in einem Verhältnis in dem Bereich 1,4²V<3 durchführt und daß die Berührung des Lösungsstrahls mit dem Fällmedium im Gleichstrom in einem Spinntrichter erfolgt.

2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß der Verzug dadurch erreicht wird, daß die ausfallenden Fasern oder Filamente von dem durch den Spinntrichter strömenden Fällmedium im wesentlichen auf seine Abzugsgeschwindigkeit beschleunigt wird.

3. Verfahren zur Herstellung von Cellulosefolien nach dem Trokken-Naßextrusionsverfahren, aus einer Lösung von Cellulose in einem Wasser enthaltenden N-Oxid eines tertiären Amins, insbesondere N-Methylmorpholin-N-oxid, durch Extrudieren der Lösung durch ein Formwerkzeug, in dem durch das Schergefälle ein Lösungsstrahl mit vororientierten Cellulosemolekülen erzeugt wird, in ein die Cellulose nicht ausfällendes Medium, weiteres Orientieren der Cellulosemoleküle durch Verzug des extrudierten Lösungsstrahls in diesem Medium und Ausfällen der Cellulose aus dem Lösungsmittel durch Berührung mit einem Fällmedium ohne wesentliche Verstreckung, dadurch gekennzeichnet, daß man die Celluloselösung durch ein Formwerkzeug extrudiert, dessen Schlitze eine Breite in dem Bereich von 50 bis 200 µm haben, und den Verzug dieses Lösungsstrahls in dem nicht ausfällenden Medium in einem Verhältnis in dem Bereich 1,4<V<3 durchführt."

Die Einsprechende hat mit Schriftsatz vom 20. Januar 1998 beantragt, den Beschluß der Patentabteilung aufzuheben und das Streitpatent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 3 und Beschreibung Seiten 1, 2, 3, 3a, 4 bis 10, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung und 1 Blatt Zeichnung gemäß DE 42 19 658 C2.

Sie hat dem Vorbringen der Einsprechenden widersprochen und vorgetragen, daß das nunmehr weiterverfolgte Patentbegehren durch den Einsatz eines Spinntrichters bei der Herstellung von Cellulosefasern oder -filamenten auch gegenüber der Lehre der EP 0 494 852 A2 (1) mit älterem Zeitrang neu sei. Die Verfahrensweisen gemäß den nun geltenden Patentansprüchen würden durch die Lehren der hierzu in Betracht zu ziehenden vorveröffentlichten Entgegenhaltungen DE 29 13 589 C2 (3) und/oder AT 387 792 B (6) auch in Kombination mit den Lehren der Literaturstellen Götze, "Chemiefasern nach dem Viskoseverfahren", 2. Bd, 1967, Springer Verlag Berlin, S 602 bis 607 und 853 bis 855 (4) und D. Loubinoux et al., Bull. Scient. ITF", 1985, Vol 14, Nr 53, S 21 bis 33 (5) nicht nahegelegt und beruhten somit auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. In diesem Zusammenhang sei festzuhalten, daß es sich bei dem in (3) ua genannten Düsendurchmesser von "100 mµ", wie aus den hierzu korrespondierenden Druckschriften wie ua auch aus (6) zu entnehmen sei, um einen offensichtlichen Schreibfehler handele, der richtig "1000 µm" heißen müsse; dies ergebe sich durch einfache Rechnung auch aus den in (3) für die Förderleistung der Pumpe, die Pumpendrehzahl, das Verstreckungsverhältnis und die Aufwickelgeschwindigkeit angegebenen Werte. Die mit dem beanspruchten Verfahren infolge hoher Scherung in der Düse und geringem Verzug im Luftspalt erzielten guten mechanischen Eigenschaften der damit hergestellten Fasern seien in Kenntnis von (3) und (6) nicht zu erwarten gewesen, da nach diesem Stand der Technik für vergleichbare Faserwerte hohe Verzüge von über 30 erforderlich seien.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II Die Beschwerde der Einsprechenden ist zulässig (PatG § 73). Sie konnte jedoch nach weiterer Beschränkung des Patentbegehrens nicht zum Erfolg führen.

Bezüglich ausreichender Offenbarung der Gegenstände der Patentansprüche 1 bis 3 bestehen keine Bedenken, da deren Merkmale sowohl aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen (vgl die Ansprüche 1, 4, 6, 7, 10 und 11 iVm S 2, Z 5 bis 9, S 3, Z 6/7, S 6, Abs 1, S 6, Z 7 bis 9 und die Beispiele 1 sowie 17 bis 19) als auch aus der deutschen Patentschrift DE 42 19 658 C2 (vgl die Ansprüche 1 bis 6 iVm S 2, Z 45/46 und die Beispiele 1 sowie 17 bis 19) zu entnehmen bzw daraus herleitbar sind.

Die Neuheit des Verfahrens zur Herstellung von Cellulosefasern oder -filamenten des Anspruchs 1 ist anzuerkennen.

Bei dem in der auf einem älteren Zeitrang basierenden EP 0 494 852 A2 (1) beschriebenen Verfahren zur Herstellung von Cellulosefasern oder -filamenten aus einer Lösung von Cellulose in einem Wasser enthaltenden N-Oxid eines tertiären Amins nach dem Trocken-Naßextrusionsverfahren ist von einem Spinntrichter und damit auch von der Berührung des Lösungsstrahls mit dem Fällmedium im Gleichstrom in einem Spinntrichter nicht die Rede. Auch bei dem aus der ebenfalls auf einem älteren Zeitrang basierenden EP 0 494 851 A2 (2) bekannten Verfahren zur Herstellung von Cellulosefasern oder -filamenten oder von Cellulosefolien nach dem Trocken-Naßextrusionsverfahren wird ein Spinntrichter nicht erwähnt. Vom vorliegend beanspruchten Verfahren unterscheidet sich das in (2) beschriebene Verfahren außerdem auch durch den niedrigeren Verzug von höchstens 1 im nicht ausfällenden Medium und durch einen zusätzlichen Verzug erst nach der Ausfällung.

Die DE 29 13 589 C2 (3) und die auf derselben Priorität basierende AT 387 792 B (6) beschreiben ebenfalls ein Verfahren zur Herstellung von Cellulosefasern oder Cellulosefilmen nach dem Trocken-Naßextrusionsverfahren ohne die Verwendung eines Spinntrichters. Außerdem werden hier für die Extrusion der Celluloselösung Düsen mit einem Durchmesser von mindestens 250 µm verwendet. Der in Beispiel II von (3) angegebene Wert von "100 µm" stimmt nicht mit dem Wert überein, der sich beim Errechnen aus den in diesem Beispiel angegebenen Daten für die Förderleistung der Pumpe, die Pumpendrehzahl, das Verstreckungsverhältnis und die Aufwickelgeschwindigkeit ergibt. Aufgrund dieser Unstimmigkeit lag es für den Fachmann auf der Hand, dies zu überprüfen und hierzu die zu (3) korrespondierenden Druckschriften wie bspw (6) (vgl insbes S 9 Z 9) heranzuziehen. Dabei erkennt man, daß dort in diesem Beispiel stets ein dem errechneten Wert entsprechender Düsendurchmesser von 1000 µm angegeben wird, daß also die Angabe 100 µm in Beispiel II von (3) einen offensichtlichen Schreibfehler darstellt. Die Verfahren der Entgegenhaltungen (6) und auch (3) verwenden somit weit größere Düsendurchmesser als das vorliegend beanspruchte Verfahren. Nach der Lehre dieser Druckschriften liegt auch der Verzug des extrudierten Celluloselösungsstrahls im nicht ausfällenden Medium oberhalb von 3 und damit höher als beim vorliegend beanspruchten Verfahren. Dabei wird zwar in Beispiel IV von (6) im Versuch A ein Verzug von nur 2,6 im Zwischenraum zwischen Spinndüsenaustritt und dem Fällbad angegeben. Bei den Versuchen dieses Beispiels IV laufen die Spinnfäden jedoch in diesem Bereich über eine mit Wasser befeuchtete Rolle, wodurch bereits hier eine Ausfällung der Cellulose an den Faseroberflächen erfolgt. Bei den Versuchen des Beispiels IV von (6) durchlaufen somit die extrudierten Celluloselösungsstrahlen in diesem Bereich im Unterschied zum vorliegend beanspruchten Verfahren kein Medium, in dem keine Ausfällung erfolgt.

In der Literaturstelle D. Loubinoux et al, "Bull. Scient. ITF, 1985, Vol 14, Nr 53, S 21 bis 33 (5) wird ein Verfahren zur Herstellung von Cellulosefasern oder -filamenten aus einer Lösung von Cellulose in dem Wasser enthaltenden N-Oxid eines tertiären Amins NMMO nach dem Trocken-Naßextrusionsverfahren beschrieben, bei dem der extrudierte Lösungsstrahl in einem nicht fällenden Medium einem Verzug unterworfen und die Cellulose anschließend durch Berührung des Lösungsstrahls mit einem Fällmedium im Gleichstrom in einem Spinntrichter ausgefällt wird (vgl insbes S 24 li Sp Abs 2 bis re Sp, Abs 1). Im Unterschied zum vorliegend beanspruchten Verfahren werden hier für die Extrusion Düsen mit dem Durchmesser von 300 µm und somit weit größere Düsendurchmesser angegeben. Über die Höhe des Verzuges im nicht ausfällenden Medium enthält diese Druckschrift keine Angaben. Allerdings ist aus der langen Strecke des nicht fällenden Bereichs von 50 cm gegenüber dem beim vorliegend beanspruchten Verfahren in der Beschreibung des Streitpatents angegebenen Bereich von 0,2 bis 4,8 cm (vgl DE 42 19 658 C2, S 3, Z 16 bis 19) erkennbar, und wird vom Fachmann in (5) mitgelesen, daß der Verzug im nicht fällenden Medium bei diesem bekannten Verfahren ebenfalls weit höher ist als beim vorliegend beanspruchten Verfahren.

Die Literaturstelle K. Götze, "Chemiefasern nach dem Viskoseverfahren", 2. Bd, 1967, Springer Verlag Berlin, S 602 bis 607 und 853 bis 855 (4) beschreibt die Herstellung von Cellulosefasern in einem Spinntrichterverfahren nach dem Viskoseprozess. Dabei werden die durch die Düsen des Spinntrichters extrudierten hochviskosen Cellulosexanthogenatlösungsstrahlen direkt in das in dem Trichter vorhandene fällende Medium geleitet, dort koaguliert und ganz oder teilweise verstreckt. Abgesehen davon, daß hier das Viskoseverfahren beschrieben wird und nicht das Trocken-Naßextrusionsverfahren mit einer Lösung von Cellulose in einem Wasser enthaltenden N-Oxid eines tertiären Amins, befindet sich bei diesem Verfahren zwischen Düsenaustritt und Eintritt in das Fällmedium kein Bereich aus einem nicht fällenden Medium. Bei diesem Stand der Technik findet somit auch kein Verzug der extrudierten Fasern in einem solchen nichtfällenden Bereich statt. Außerdem erfolgt die Extrusion der Celluloselösung nach diesem Stand der Technik durch Düsen mit weit höherem Durchmesser von 800 bis 1000 µm als beim vorliegend beanspruchten Verfahren.

In der Literaturstelle "Römpp Chemie Lexikon", 9. Aufl, Bd 2, 1990, S 1290, Stichwort "Extrudieren" (7) wird nur erläutert, was unter Extrudieren zu verstehen ist.

Das Verfahren des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Verfahren zur Herstellung von Cellulosefasern, -filamenten und -folien aus einer Lösung von Cellulose in einem Wasser enthaltenden N-Oxid eines tertiären Amins nach dem Trocken-Naßextrusionsverfahren mit den Merkmalen des Oberbegriffs des weiterverfolgten Patentanspruchs 1 waren aus den Entgegenhaltungen (3) und (6) gleicher Priorität bereits vor dem Anmeldetag des Streitpatents bekannt. Dabei soll der Verzug in dem zwischen der Düse und dem Koagulationsbad befindlichen nicht ausfällenden Medium, bei dem es sich bevorzugt um Luft handelt, wenigstens 3 betragen. In den Beispielen von (3) und auch von (6) - abgesehen von Beispiel IV Versuch A, bei dem bereits in diesem Bereich eine Ausfällung erfolgt und somit eine andere Verfahrensweise durchgeführt wird - werden für das Verstreckungsverhältnis Werte von 3,6 bis 798 genannt. Die Verstreckungsstrecke zwischen Düse und Koagulationsbad wird dabei mit 50 bis 305 mm angegeben. Ein solches Verfahren war auch aus (5) bereits bekannt, wobei hier sogar eine noch größere Verstreckungsstrecke im nicht fällenden Bereich von 500 mm angegeben wird. Dieses in (5) beschriebene, die Herstellung von Cellulosefasern oder -filamenten betreffende Verfahren verwendet zudem auch bereits einen Spinntrichter und arbeitet so, daß die Berührung des Lösungsstrahls mit dem Fällmedium im Gleichstrom in dem Spinntrichter erfolgt. Bei diesen bekannten Verfahren wird das Spinn-Verstreckungsverhältnis ausschließlich über die Abzugsgeschwindigkeit variiert, was zu Fasern mit unterschiedlicher Feinheit und wegen der niedrigeren Festigkeit von gröberen Fasern zu dadurch bewirkten Nachteilen des Spinnverfahrens, wie bspw Faserriß führt. Nachteilig bei diesen Verfahren ist auch die Gefahr des Verklebens von Fasern in der großen Strecke des nicht fällenden Bereichs.

Ausgehend von diesem Stand der Technik liegt dem vorliegend beanspruchten Patentbegehren daher die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zur Herstellung von Cellulosefasern, -filamenten oder -folien aus Aminoxid-Lösungen nach dem Trokken-Naßextrusionssverfahren zu schaffen, mit dem Formkörper mit den gewünschten ausgezeichneten Festigkeits- und Dehnungseigenschaften bei einem verringerten Verzug in dem nicht fällenden Bereich und wesentlich kleinerer Verzugsstrecke zwischen Düsenaustritt und Fällmedium herstellbar sind. Zugleich soll damit auch die Sicherheit des Spinnbetriebs erhöht werden.

Gelöst wird diese Aufgabe durch das im Patentanspruch 1 beschriebene Verfahren.

Eine derartige Lösung wird durch den erörterten Stand der Technik nicht nahegelegt.

Wie zur Neuheit bereits ausgeführt wurde, beschreiben die Entgegenhaltungen (3) und (6) sowie auch (5) Verfahren, bei denen im nichtfällenden Medium zwischen Düsenaustritt und Ausfällungsmedium ein Verzug von über 3 auszuführen ist, der somit über dem beim vorliegend beanspruchten Verfahren vorgeschriebenen Verzug liegt. Der Durchmesser der Düsen liegt nach den Lehren dieser Entgegenhaltungen bei mindestens 250 µm und somit ebenfalls höher als beim vorliegenden Patentbegehren.

Aufgrund der nach den Beispielen in (3) und den mit einem nichtfällenden Verzugsbereich durchgeführten Beispielen in (6) angewandten hohen Verstrekkungsverhältnissen war davon auszugehen, daß eine Molekülorientierung und damit eine Verbesserung der physikalischen Eigenschaften bei diesen bekannten Verfahren nahezu ausschließlich durch die Verstreckung in dem nichtfällenden Medium erfolgt.

Eine Anregung, zur Lösung der gestellten Aufgabe, das Verstreckungsverhältnis auf Werte zwischen 1,4 bis kleiner als 3 herabzusetzen und den Durchmesser der Düsen auf 50 bis 120 µm zu verkleinern, um einen Teil der für die gewünschten Produkteigenschaften erforderlichen Molekülorientierung bereits durch eine erhöhte Scherung in den Düsen zu erreichen, vermochte der Fachmann somit diesem Stand der Technik nicht zu entnehmen.

Daß mit dem vorliegend beanspruchten Verfahren bei wesentlich geringerem Verzug im nicht fällenden Bereich und weit kürzerer Verzugsstrecke Produkte mit ausgezeichneten physikalischen Eigenschaften erhalten werden, war daher in Kenntnis des Standes der Technik nicht zu erwarten und ist somit überraschend.

Die im Einspruchsverfahren weiter genannten vorveröffentlichten Literaturstellen "Götze" (4) und "Römpp Chemie Lexikon" (7) liegen dem Patentbegehren ferner und führen weder einzeln noch in Kombination mit den vorstehend erörterten Druckschriften zu einer anderen Beurteilung der Sachlage.

Die Druckschriften EP 0 494 852 A2 (1) und EP 0 494 851 A2 (2) basieren auf österreichischen Prioritäten mit älterem Zeitrang, wurden jedoch erst nach dem Anmeldetag des vorliegenden Patents der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und sind daher nach PatG § 4, Satz 2 bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht zu ziehen.

Nach alledem ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, so daß dieser Anspruch gewährbar ist.

Das gleiche gilt für den auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Anspruch 2, der eine bevorzugte Ausführungsform des Verfahrens nach Anspruch 1 betrifft.

Die Neuheit des Verfahrens zur Herstellung von Cellulosefolien nach Anspruch 3 ist ebenfalls anzuerkennen. Von den in (2) beschriebenen Verfahren unterscheidet sich das Verfahren gemäß Anspruch 3 durch einen oberhalb 1 liegenden Verzug im nicht fällenden Bereich sowie dadurch, daß nach der Ausfällung kein Verzug mehr stattfindet. Gegenüber (3) und (6) unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 3 durch den unterhalb 3 im Bereich von >1,4 bis <3 liegenden Verzug im nicht fällenden Bereich und durch die engeren Düsen. Die Entgegenhaltungen (1), (4) und (5) betreffen Verfahren zur Herstellung von Cellulosefasern oder -filamenten und nicht die Herstellung von Cellulosefolien. Zudem wird bei den in (4) und (5) beschriebenen Verfahren mit einem Spinntrichter gearbeitet, der beim Verfahren des Anspruchs 3 nicht vorhanden ist. In der Literaturstelle (7) wird nur der Begriff "Extrudieren" erläutert.

Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit des Verfahrens nach Anspruch 3 gelten die gleichen sachlichen Gesichtspunkte, wie sie zum Gegenstand des Anspruchs 1 dargelegt worden sind.

Der geltende Patentanspruch 3 ist daher ebenfalls gewährbar.

Kahr Deiß

Jordan Schroeter Pü






BPatG:
Beschluss v. 13.03.2000
Az: 15 W (pat) 14/98


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