Bundespatentgericht:
Beschluss vom 13. April 2000
Aktenzeichen: 25 W (pat) 93/99

(BPatG: Beschluss v. 13.04.2000, Az.: 25 W (pat) 93/99)

Tenor

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Bezeichnung ORTOHALER ist am 8. Oktober 1996 für

"Pharmazeutische Erzeugnisse für den humanmedizinischen Gebrauch; Ärztliche Instrumente und Apparate"

in das Markenregister eingetragen worden.

Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der älteren, am 17. April 1996 für

"Pharmazeutische Erzeugnisse und Substanzen; Chirurgische und medizinische Instrumente und Apparate"

eingetragenen Marke 395 32 656 ROTAHALER.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluß vom 2. November 1998 durch eine Beamtin des höheren Dienstes die Verwechslungsgefahr zwischen den Vergleichsmarken verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Die Waren könnten auch identisch sein, was die Verwechslungsgefahr regelmäßig begünstige. Der Widerspruchsmarke komme eine normale Kennzeichnungskraft zu. Da sich die Waren der Klasse 5 uneingeschränkt auch an Laien wendeten, seien hier strenge Anforderungen an den Markenabstand zu stellen, während hinsichtlich der sich an Fachleute richtenden Waren der Klasse 10 ein geringerer Markenabstand genüge, um die Verwechslungsgefahr auszuschließen. Zwar stimmten die Marken in der Silbenzahl sowie im Sprech- und Betonungsrhythmus sowie in dem Endbestandteil "-HALER" identisch überein. Dennoch träten die auffälligen Abweichungen in den stets stärker beachteten Wortanfängen für die beteiligten Verkehrskreise hinreichend deutlich hervor, um Verwechslungen in klanglicher und schriftbildlicher Hinsicht in rechtserheblichem Umfang auszuschließen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden mit dem Antrag, den Beschluß der Markenstelle vom 2. November 1998 aufzuheben, die Verwechslungsgefahr zu bejahen und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.

Aufgrund der Warenidentität und der hinsichtlich der Waren der Klasse 5 als Verkehrskreise zu berücksichtigenden Laien müßten strenge Anforderungen an den erforderlichen Markenabstand gestellt werden, der nach dem klanglichen Gesamteindruck nicht eingehalten sei. Neben dem identischen Bestandteil "-HALER" wiesen die Marken auch in den ersten Worthälften "ORTO-" bzw "ROTA-" erhebliche Übereinstimmungen auf. So seien die Buchstaben "R" und "T" sowie "R" und "O" jeweils nur in ihrer Reihenfolge vertauscht. Die in den zweiten Silben vorhandenen Vokale "A" bzw "O" seien eng klangverwandt. Angesichts der Länge der Wörter, die sich in Silbenzahl, Struktur und nahezu sämtlichen Buchstaben glichen, seien die wenigen klanglichen Unterschiede nicht geeignet, um Verwechslungen in rechtserheblichem Umfang auszuschließen. Nach dem Vortrag des Vertreters der Widersprechenden in der mündlichen Verhandlung ist die Widerspruchsmarke tatsächlich für die Kennzeichnung eines "Inhaler-Produkts", bestehend aus dem Arzneimittel und dem Inhalationsgerät, vorgesehen.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Ausführungen der Widersprechenden seien nicht geeignet, die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses der Markenstelle in Zweifel zu ziehen. Der Bestandteil "-HALER" sei dem englischen Wort "inhaler" (= Inhalationsapparat) entlehnt und dementsprechend für die in Frage stehenden Waren beschreibend. Zudem werde er in einer Fülle von Marken der Klassen 5 und 10 verwendet. Die beteiligten Verkehrskreise achteten daher noch mehr als ohnehin auf die Wortanfänge, die hier jedoch grundlegend verschieden seien. Die dortigen Abweichungen beschränkten sich nicht auf Buchstabendreher.

Wegen der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluß der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Der nach § 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG erhobene Widerspruch ist von der Markenstelle zu Recht gemäß § 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG zurückgewiesen worden. Es besteht auch nach Auffassung des Senats keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG.

Bei seiner Entscheidung geht der Senat trotz des in dem Wortteil "ROTA-" anklingenden allgemein verständlichen Begriffs "Rotation" (Torsion, Rollen, Drehen) sowie des in dem weiteren Bestandteil "-HALER" enthaltenen Hinweises auf den beschreibenden englischsprachigen Begriff "inhaler" (= Inhalationsapparat, vgl zB Langenscheidts Handwörterbuch Englisch Teil 1, S 338 und Dorland's Medical Dictionary, 24th edition, S 741) von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und damit einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus. Im Hinblick auf die im Gesundheitsbereich bestehende Übung, Marken in der Weise zu bilden, daß einzelne Bestandteile Verwendungszweck, Art der Zusammensetzung, Wirkung und dergleichen zumindest für Fachleute und interessierte Laien eindeutig erkennen lassen, erscheinen die entsprechenden Wortelemente in der Widerspruchsmarke noch hinreichend phantasievoll zusammengefügt, so daß hier keine ursprüngliche Kennzeichnungsschwäche der Gesamtbezeichnung angenommen werden kann.

Nach der hier maßgeblichen Registerlage können sich die Marken aufgrund der weiten Oberbegriffe "Pharmazeutische Erzeugnisse für den humanmedizinischen Gebrauch" im Warenverzeichnis der angegriffenen Marke bzw "Pharmazeutische Erzeugnisse und Substanzen" auf Seiten der Widerspruchsmarke sowohl auf dem Warengebiet der Klasse 5 als auch im Hinblick auf die Begriffe "Ärztliche Instrumente und Apparate" im Warenverzeichnis der angegriffenen bzw "Chirurgische und medizinische Instrumente und Apparate" in dem der älteren Marke im Bereich der Warenklasse 10 auf identischen Produkten begegnen. Wie schon in dem angefochtenen Beschluß der Markenstelle zutreffend ausgeführt ist, können die "pharmazeutischen Erzeugnisse" der Klasse 5 auch rezeptfrei erhältliche Arzneimittel umfassen, so daß insoweit Endverbraucher als Verkehrskreise uneingeschränkt zu berücksichtigen und demzufolge entsprechend strenge Anforderungen an den Markenabstand zu stellen sind. Demgegenüber richten sich die der Klasse 10 zuzuordnenden "ärztlichen" bzw "chirurgischen und medizinischen Instrumente und Apparate" wohl ausschließlich an Fachleute, die aufgrund ihrer beruflichen Praxis und Erfahrung im Umgang mit derartigen Geräten und den entsprechenden Produktkennzeichnungen Markenverwechslungen weniger unterliegen als Endverbraucher. Hinsichtlich dieses Warenbereichs sind daher deutlich weniger strenge Anforderungen an den gebotenen Markenabstand zu stellen.

Unter Berücksichtigung der dargelegten Umstände reichen die Abweichungen der Markenwörter in ihren jeweiligen Anfangsbestandteilen aus, um die Gefahr von Verwechslungen im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG - und zwar auch insoweit, als von Warenidentität und Endverbrauchern als beteiligte Verkehrskreise auszugehen ist - in jeder Hinsicht hinreichend sicher auszuschließen.

In klanglicher Hinsicht stimmen die Bezeichnungen "ORTOHALER" und "ROTA-HALER" zwar in dem zweiten Wortbestandteil "-HALER", der Silbenzahl sowie im Sprech- und Betonungsrhythmus überein und weisen darüber hinaus in der Vokalfolge und im Konsonantenbestand Gemeinsamkeiten auf. Von Bedeutung ist jedoch, daß die Übereinstimmung in dem Markenbestandteil "-HALER" bei der Beurteilung des jeweiligen Gesamteindrucks und der Markenähnlichkeit nicht so stark ins Gewicht fällt, wie dies bei einem reinen Phantasiebestandteil der Fall wäre. Dieser Bestandteil weist deutlich auf den beschreibenden englischsprachigen Begriff "inhaler" (= Inhalationsapparat) hin. Dementsprechend soll nach dem Vortrag des Vertreters der Widersprechenden in der mündlichen Verhandlung, die Widerspruchsmarke auch tatsächlich für die Kennzeichnung eines "Inhaler-Produkts" eingesetzt werden. Aufgrund der Silbengliederung bleibt dieser Wortteil in seiner warenbeschreibenden Bedeutung auch ohne weiteres in den Marken erkennbar.

Das Wortelement "-HALER" wird als Endbestandteil auch in einer großen Anzahl von Drittmarken auf den hier relevanten Warengebieten verwendet. So sind im Markenregister in der Klasse 5 nahezu 70 und in der Klasse 10 knapp 80 entsprechend gebildete weitere Marken eingetragen. Auch wenn von diesen Marken tatsächlich nicht alle benutzt werden, kann die Drittzeichenlage schon für sich genommen nicht gänzlich unbeachtet bleiben (vgl dazu BGH GRUR 1967, 246, 250 reSp aE "Vitapur" sowie MarkenR 1999, 57, 59 "Lions"). Entgegen den noch weiterreichenden Schlußfolgerungen des Bundesgerichtshofs in den genannten Entscheidungen führt dies nach Auffassung des Senats nicht unbedingt zu einer Kennzeichnungsschwäche der Gesamtbezeichnung (vgl auch Althammer/Ströbele, MarkenG, 5. Aufl, § 9 Rdn 121 aE), hat aber die Auswirkung, daß der identische warenbeschreibende Bestandteil in seiner kennzeichnenden Bedeutung reduziert ist und dementsprechend die vorangehenden Markenteile "ORTO-" bzw "ROTA-" ein vergleichsweise stärkeres Gewicht erlangen, so daß die hier vorhandenen Abweichungen um so eher wahrgenommen werden.

Die Abweichungen in diesen Anfangsbestandteilen beschränken sich in ihrer Wirkung auf das Gesamtklangbild entgegen der Auffassung der Widersprechenden nicht auf bloße "Buchstabendreher". Vielmehr führen der Beginn der Wörter mit einem Vokal ("O") bzw mit einem Konsonanten ("R"), die "Umrahmung" von zwei aufeinanderfolgenden Konsonanten durch denselben Vokal in "ORTO-" gegenüber dem Wechsel von Konsonanten und verschiedenen Vokalen in "ROTA-" sowie die durch die unterschiedlichen Vokale in der jeweils zweiten Silbe ("-TO-" / "-TA-") für den klanglichen Gesamteindruck besonders bedeutsame abweichende Vokalfolge (vgl hierzu Althammer/Ströbele, MarkenG, 5. Aufl, § 9 Rdn 82 mwN) zu einer deutlichen Verschiedenheit der Klangbilder. Die Unterschiede in den Anfangsbestandteilen, insbesondere in den zudem betonten ersten Silben "OR-" bzw "RO-", treten hier um so mehr hervor, als Wortanfänge ohnehin regelmäßig stärker als die übrigen Markenteile beachtet werden (vgl BGH GRUR 1995, 50, 53 "Indorektal/Indohexal"). Diese Abweichungen führen in der Kombination auch unter angemessener Berücksichtigung des gemeinsamen weiteren Wortelements "-HALER" im Gesamteindruck zu einem zur Verneinung der Verwechslungsgefahr noch ausreichenden Abstand der Marken.

Im schriftbildlichen Vergleich ist auch unter angemessener Berücksichtigung der Übereinstimmung in dem Endbestandteil "-HALER" ein Auseinanderhalten der Marken in allen üblichen Wiedergabeformen aufgrund der figürlichen Abweichungen zwischen den Buchstaben in den jeweiligen Wortanfängen "ORTO-" und "ROTA-" ebenfalls gewährleistet. Hierbei ist noch zu berücksichtigen, daß das Schriftbild der Marken erfahrungsgemäß sehr viel besser eine ruhige oder auch wiederholte Wahrnehmung der Bezeichnung gestattet als das schnell verklingende gesprochene Wort. Zudem treten auch im Schriftbild gerade die Unterschiede in den ohnehin regelmäßig stärker als die übrigen Markenteile beachteten Anfangsbestandteilen besonders hervor.

Soweit die Widersprechende zur Begründung der Markenähnlichkeit vorträgt, alle Buchstaben der angegriffenen Marke seien im wesentlichen in der Widerspruchsmarke - in den jeweiligen Anfangsbestandteilen lediglich in anderer Reihenfolge - enthalten, ist zu beachten, daß dieser Umstand oder auch ein rein zahlenmäßiges Übergewicht von übereinstimmenden Buchstaben jedenfalls nicht zwangsläufig dazu führt, daß die Verwechslungsgefahr allein deshalb bejaht werden muß. Bei der Beurteilung der Markenähnlichkeit als einem der wesentlichen Elemente für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist der Gesamteindruck der Kollisionsmarken das maßgebliche Kriterium (vgl hierzu Althammer/Ströbele MarkenG, 5. Aufl, § 9 Rdn 68). Dieser Gesamteindruck kann - wie hier hinsichtlich "HALER" - unter Berücksichtigung einer aus Rechtsgründen gebotenen geringeren Gewichtung von Markenbestandteilen durch wenige markante Abweichungen bereits ausreichend verschieden ausfallen.

Schließlich wirken sich auch die unterschiedlichen Bedeutungsanklänge gerade in den besonders beachteten Anfangsbestandteilen "ORTO-" (Orthopädie, Orthopäde, orthopädisch) bzw "ROTA-" (Rotation) in beachtlichem Umfang zusätzlich verwechslungsmindernd aus, wobei die Abweichung von der korrekten Schreibweise in "ORTO-" in Form des fehlenden Buchstabens "H" zumindest in klanglicher Hinsicht nicht zum Tragen kommt. Dabei kann davon ausgegangen werden, daß die genannten Begriffe nicht nur von Fachleuten, sondern auch von großen Teilen der Endverbraucher aufgrund der üblichen allgemeinen Verwendung dieser Ausdrücke erkannt werden, selbst wenn deren genaue wissenschaftliche oder technische Bedeutung in gewissem Umfang unklar bleiben mag.

Nach alledem war die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß, § 71 Abs 1 MarkenG.

Kliems Richter Engelshat Urlaub undkann daher nichtunterschreiben.

Kliems Brandt Pü






BPatG:
Beschluss v. 13.04.2000
Az: 25 W (pat) 93/99


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