Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 19. Juni 2000
Aktenzeichen: AnwZ (B) 59/99

(BGH: Beschluss v. 19.06.2000, Az.: AnwZ (B) 59/99)

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs in Celle vom 30. August 1999 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und dem Antragsteller die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 25.000 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist seit dem Jahre 1976 als Rechtsanwalt zugelassen und seit etwa 20 Jahren hauptsächlich als Strafverteidiger tätig. Am 15. Mai 1997 wurde er vom Vorstand der Antragsgegnerin zum ordentlichen Mitglied des neu gegründeten Fachausschusses für Strafrecht bestellt. In der konstituierenden Sitzung des Fachausschusses wurde der Antragsteller zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.

Am 22. Oktober 1997 hat der Antragsteller bei der Antragsgegnerin beantragt, ihm die Fachanwaltsbezeichnung für Strafrecht zu verleihen. Der Antragsteller hat an einem Fachlehrgang, wie er in § 4 Abs. 1 FAO vorgesehen ist, nicht teilgenommen und statt dessen zum Nachweis der besonderen theoretischen Kenntnisse zahlreiche Stellungnahmen von Richtern, Staatsanwälten und anderen im Strafverfahren oder während der Vollstreckung amtlich beteiligten Personen vorgelegt.

Der Fachausschuß für Strafrecht gelangte in der Sitzung vom 13. Mai 1998 einstimmig zu dem Ergebnis, daß der Antragsteller die Voraussetzungen für die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung erfüllt habe. Mit Bescheid vom 8. Februar 1999 hat der Vorstand der Antragsgegnerin den Antrag jedoch zurückgewiesen, weil der Rechtsanwalt den Nachweis besonderer theoretischer Kenntnisse nicht geführt habe. Auf Antrag des Rechtsanwalts hat der Anwaltsgerichtshof diesen Bescheid aufgehoben und der Antragsgegnerin aufgegeben, dem Antragsteller die Bezeichnung "Fachanwalt für Strafrecht" zu gestatten. Dagegen richtet sich die zugelassene sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin.

II.

Das gemäß § 223 Abs. 3 BRAO zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Antragsteller besitzt aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Strafverteidiger die gemäß § 5 FAO erforderlichen praktischen Erfahrungen, was auch von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogen wird. Sie hat die Zurückweisung des Gesuchs allein damit begründet, der Antragsteller habe den Nachweis besonderer theoretischer Kenntnisse nicht erbracht. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Antragsteller hat vielmehr, wie der Anwaltsgerichtshof zu Recht angenommen hat, die Voraussetzungen für die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung im Strafrecht erfüllt.

1.

Die Antragsgegnerin mußte allerdings dem Antrag nicht schon deshalb stattgeben, weil der Fachausschuß in seiner Sitzung vom 13. Mai 1998 zu dem Ergebnis gelangt war, der Antragsteller habe den von § 4 FAO geforderten Nachweis erbracht.

Über den Antrag des Rechtsanwalts hat der Vorstand der Rechtsanwaltskammer zu befinden (§ 43 c Abs. 2 BRAO). Die gesetzliche Regelung sieht vor, daß dieser Entscheidung die Prüfung der Nachweise durch einen Ausschuß der Kammer vorausgeht. Damit hat der Gesetzgeber dem Fachausschuß die Aufgabe übertragen, die Entschließung der Kammer vorzubereiten, nicht jedoch die Entscheidungskompetenz vom Vorstand auf den Fachausschuß verlagert. Dessen Prüfung bildet lediglich ein vorgeschaltetes Verfahren, das mit einer Stellungnahme zum Gesuch des Antragstellers abzuschließen ist (§ 24 Abs. 9 u. 10 FAO). Mit dem Ergebnis, zu dem der Fachausschuß gelangt ist, und dessen Begründung muß sich der Vorstand im Zuge der von ihm zu treffenden Entscheidung zwar in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht eingehend auseinandersetzen. Eine Bindung an den Beschluß des Fachausschusses sehen jedoch weder das Gesetz noch die Fachanwaltsordnung vor, so daß die Frage auf sich beruhen kann, ob die Satzungsversammlung ermächtigt gewesen wäre, im Wege der Satzung dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer zu untersagen, von dem Ergebnis der Prüfung durch den Fachausschuß abzuweichen.

2.

Die Beurteilung, ob die vom Bewerber vorgelegten Unterlagen die geforderten besonderen theoretischen Kenntnisse nachweisen, ist einer uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich (BGH, Beschl. v. 21. Juni 1999 - AnwZ (B) 91/98, NJW 1999, 2677 m.w.N., z.V.b. in BGHZ 142, 97). Im Streitfall gelangt der Senat in Übereinstimmung mit der Vorinstanz zu dem Ergebnis, daß der Antragsteller den gebotenen Nachweis geführt hat.

a) Der Rechtsanwalt besitzt besondere theoretische Kenntnisse, wenn diese auf dem betreffenden Fachgebiet erheblich das Maß dessen übersteigen, was üblicherweise durch die berufliche Ausbildung und praktische Erfahrung im Beruf vermittelt wird (§ 2 Abs. 2 FAO). Der Erwerb solcher Kenntnisse wird in der Regel durch die erfolgreiche Teilnahme an einem entsprechenden anwaltsspezifischen Lehrgang nachgewiesen (§ 4 Abs. 1 FAO).

Die Satzung läßt es jedoch zu, daß diese Kenntnisse auch auf andere Weise belegt werden können (§ 4 Abs. 3 FAO). Insoweit zeigt die Satzung keine konkreten Alternativen auf. Es bleibt grundsätzlich dem einzelnen Rechtsanwalt überlassen, auf welche Weise er den erforderlichen Nachweis führt. In jedem Falle notwendig ist die Vorlage von Zeugnissen, Bescheinigungen oder anderen schriftlichen Unterlagen (§ 6 Abs. 1 FAO). Wie die Antragsgegnerin in dem angefochtenen Bescheid selbst zutreffend ausführt, kommen insbesondere Nachweise über den Besuch anderer Lehrveranstaltungen, eigene Lehrtätigkeit und wissenschaftliche Veröffentlichungen auf dem in Rede stehenden Rechtsgebiet, eigene Arbeitsnachweise sowie eine mehrjährige Tätigkeit als Richter, Staatsanwalt oder als Prüfer im Staatsexamen in Betracht. Dabei müssen die Unterlagen erkennen lassen, daß der Rechtsanwalt auf dem von ihm gewählten Weg sich das Wissen hat aneignen können, das in dem jeweiligen Fachlehrgang vermittelt wird (§ 4 Abs. 3 FAO). In den §§ 8 bis 13 FAO sind die Bereiche bezeichnet, auf die sich die anwaltlichen Fachlehrgänge erstrecken müssen, wobei § 13 FAO das Fachgebiet Strafrecht betrifft.

b) Im Hinblick darauf, daß die Fachanwaltsordnung dem einzelnen Rechtsanwalt in der Art und Weise, wie er seine Kenntnisse belegt, einen großen Spielraum läßt, kann es nicht von vorneherein unzulässig sein, den Nachweis so zu führen, wie es der Antragsteller unternommen hat. Juristen, die in Wahrnehmung ihrer amtlichen Tätigkeit dem Rechtsanwalt bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg häufiger begegnet sind, vermögen in der Regel dessen Rechtskenntnisse sachgerecht einzuschätzen. Erfahrungsgemäß sind sie auch allenfalls dann bereit, entsprechend positive und aussagekräftige Stellungnahmen zu den Fachkenntnissen des Rechtsanwalts abzugeben, wenn seine Leistungen nach ihrer Überzeugung deutlich über dem Durchschnitt liegen; denn dieser Personenkreis ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt dem anfragenden Rechtsanwalt gegenüber verpflichtet, sich zu dessen Rechtskenntnissen zu äußern. Der gleichwohl nicht völlig auszuschließenden Gefahr eines eventuellen Mißbrauchs dieser Möglichkeit kann zudem dadurch in geeigneter Weise begegnet werden, daß an einen solchen Nachweis strenge Anforderungen gestellt werden, die allein ein Rechtsanwalt zu erfüllen vermag, der unter den Juristen, mit denen er bei seiner beruflichen Arbeit regelmäßig zusammentrifft, ersichtlich allgemein als ein Spezialist auf dem besagten Fachgebiet anerkannt ist. Das werden in aller Regel nur Rechtsanwälte erreichen, die schon beträchtliche Zeit schwerpunktmäßig auf dem Gebiet gearbeitet haben, für das sie die Fachanwaltsbezeichnung erstreben. Hat der Rechtsanwalt aber ein solches fachliches Ansehen erlangt, so daß er nach Ansicht derjenigen, die seine Arbeit kennen, das erforderliche besondere theoretische Fachwissen unzweifelhaft besitzt, ist es nicht gerechtfertigt, die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung von der Teilnahme an einem Lehrgang abhängig zu machen, dessen Unterrichtsstoff der Rechtsanwalt offenbar schon beherrscht. Bedarf er der Wissensvermittlung nicht mehr, die während eines solchen Lehrganges üblicherweise erfolgt, würde der Besuch einer solchen Veranstaltung im wesentlichen nur eine zeitraubende Förmelei darstellen und wäre dem Rechtsanwalt deshalb nicht zumutbar.

c) Dem Antragsteller ist es gelungen, den an strenge Anforderungen geknüpften Nachweis nach § 4 Abs. 3 FAO zu erbringen.

Der Rechtsanwalt hat insgesamt 26 Schreiben von Richtern und Staatsanwälten aus dem Raum B. und der näheren Umgebung vorgelegt, die ihm einhellig weit überdurchschnittliche Leistungen als Strafverteidiger bestätigen und ganz überwiegend auch seinen fachlichen Wissensstand besonders hervorheben. Darunter befinden sich Stellungnahmen der Leitenden Oberstaatsanwältin der Staatsanwaltschaft B. sowie des Präsidenten des Oberlandesgerichts B. Letzterer hat über die Präsidenten des Landgerichts und des Amtsgerichts B. Stellungnahmen verschiedener Strafrichter einholen lassen und faßt deren Äußerungen wie folgt zusammen: Der Rechtsanwalt beherrsche Methodik und Recht der Strafverteidigung; er verfüge über gute Fachkenntnisse des Strafverfahrensrechts und des materiellen Strafrechts einschließlich des Betäubungsmittel- und Steuerrechts, die er durch offensichtlich kontinuierliches Studium von Literatur und Rechtsprechung auf dem neuesten Stand halte. Er berücksichtige auch soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Hintergründe mit gutem Judiz und praktischem Geschick, bereite sich gründlich auf Hauptverhandlungen vor und sichere seine Argumente wissenschaftlich ab, soweit dies erforderlich sei.

Die Bereitschaft von Organen der Justiz, das Bemühen des Antragstellers um die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung zu unterstützen, belegt eindrucksvoll die fachliche Wertschätzung, die sich der Rechtsanwalt als Strafrechtler im Laufe einer bereits seit etwa 20 Jahren bestehenden Spezialisierung auf diesem Gebiet in seinem beruflichen Umfeld erworben hat. Die Berufung des Antragstellers in den neu gegründeten Fachausschuß für Strafrecht sowie seine Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden dieses Gremiums zeigen, daß er unter Kollegen ein entsprechendes Ansehen genießt und man ihm insbesondere in schwer zu beurteilenden Grenzfällen die sachgerechte Gestaltung und Beurteilung eines Fachgesprächs (§ 7 Abs. 2 FAO) zutraut.

d) Entgegen der Meinung der Antragsgegnerin lassen die erteilten Bescheinigungen hinreichend erkennen, daß sich die besonderen theoretischen Kenntnisse des Antragstellers auf alle in § 13 FAO genannten Bereiche erstrecken. Der Präsident des Oberlandesgerichts hebt nämlich auch gute Kenntnisse des Rechtsanwalts im Steuerrecht hervor. Damit sind besondere theoretische Kenntnisse im Strafrecht umfassend belegt. Es besteht folglich auch keine Veranlassung, ein Fachgespräch anzuordnen; denn die theoretischen Kenntnisse lassen sich bereits aufgrund der schriftlichen Unterlagen hinreichend beurteilen (§ 7 Abs. 1 FAO).

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BGH:
Beschluss v. 19.06.2000
Az: AnwZ (B) 59/99


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