Bundespatentgericht:
Beschluss vom 13. Juli 2011
Aktenzeichen: 7 W (pat) 321/06

(BPatG: Beschluss v. 13.07.2011, Az.: 7 W (pat) 321/06)

Tenor

Das Patent 101 04 164 wird widerrufen.

Gründe

I.

Die Einsprechende hat gegen das am 30. Januar 2001 angemeldete Patent 101 04 164 mit der Bezeichnung Gegenstand mit Versiegelung und dessen Verwendung in Druckmaschinendessen Erteilung am 10. November 2005 veröffentlicht worden ist, mit am 9. Februar 2006 per Fax eingegangenem Schriftsatz Einspruch erhoben, mit dem sie den Einspruchsgrund mangelnder Patentfähigkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 4 PatG geltend macht, weil der Erfindungsgegenstand nach dem druckschriftlichen Stand der Technik D1: DE 689 10 319 T2 D2: EP 0 943 432 A1 und D3: DE 196 45 696 C1 dem Fachmann nahegelegt sei und daher nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.

Im Prüfungsverfahren ist neben der oben genannten D1 u. a. noch folgende, in Abschnitt [0016] der Beschreibung des Streitpatents gewürdigte Druckschrift berücksichtigt worden:

D4: EP 587 667 B1.

Die Patentinhaberin, die zunächst die Aufrechterhaltung ihres Patents in der erteilten Fassung angestrebt hatte, hat in der mündlichen Verhandlung das Patent nur noch in beschränkter Form verteidigt.

Die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 5 in der geltender Fassung (Änderung gegenüber der erteilten Fassung unterstrichen) lauten:

"1. Gegenstand mit einer Oberfläche, welche zur Erhöhung ihrer Fluidtrageund/oder -aufnahmefähigkeit mikrostrukturiert vergrößert ist und Substrukturen mit einer Substruktur-Versiegelung aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass die versiegelnden Substanzen antistatische Eigenschaften aufweisen, die an Silicium gebundene perfluorierte Gruppen mit 2C-Atomen Spacer-Abstand enthalten.

5. Teil einer Druckmaschine, insbesondere einer Walze, insbesondere eine Rasterwalze, umfassend einen Gegenstand nach einem der vorhergehenden Ansprüche."

Die geltenden Patentansprüche 2 bis 4, die den Patentansprüchen 2 bis 4 in der erteilten Fassung entsprechen, enthalten vorteilhafte Ausführungsformen und sind auf den geltenden Patentanspruch 1 zurückbezogen.

Die Einsprechende beantragt, das Patent 101 04 164 in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent 101 04 164 mit den folgenden Unterlagen beschränktaufrechtzuerhalten:

-Patentansprüche 1 bis 5 in der in der mündlichen Verhandlung überreichten neuen Fassung - noch anzupassende Beschreibung laut Offenlegungsschrift.

II. A. Der Senat ist für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren auch nach der -mit Wirkung vom 1. Juli 2006 erfolgten -Aufhebung der Übergangsvorschriften des § 147 Abs. 3 PatG auf Grund des Grundsatzes der "perpetuatio fori" gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG zuständig (vgl. BGH GRUR 2009, 184, 185 -Ventilsteuerung; GRUR 2007, 862 f. -Informationsübermittlungsverfahren II).

B. Auf den fristgerecht eingelegten und hinreichend substantiierten, von daher zulässigen Einspruch ist das Streitpatent nach §§ 59, 61, 21 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 4 PatG zu widerrufen, weil sein Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns beruht.

a) Die Erfindung betrifft einen Gegenstand mit einer Oberfläche, welche zur Erhöhung ihrer Fluidtrageund/oder -aufnahmefähigkeit mikrostrukturiert vergrößert ist und Substrukturen mit einer Substruktur-Versiegelung aufweist, wobei die versiegelnden Substanzen antistatische Eigenschaften aufweisen. Die im Streitpatent genannten Ausführungsbeispiele bzw. der nebengeordnete Anspruch 5 sind hierbei insbesondere auf Farbwalzen für Druckmaschinen gerichtet. Diese Gegenstände bzw. Farbwalzen sind dabei mit einer hydrophilen oder allgemein mit einer fluidphilen (flüssigkeitsliebenden) Oberfläche versehen, was den gewünschten Übertrag von Farbe (auf Wasserbasis) auf die Walze ermöglicht (vgl. Abs. [0003]).

Aus dem Stand der Technik ist es dabei bekannt, Oberflächen mit Poren zu versehen, um die Fluidaufnahmefähigkeit zu erhöhen (vgl. Abs. [0005]). Hierbei tritt jedoch das Problem auf, dass die Farbe nicht ausschließlich aus dem Trägerfluid besteht, sondern (Farb-) Pigmente enthält, welche sich im Laufe der Zeit in oder vor die Poren setzen und dabei die Farbaufnahme verschlechtern bzw. die Walze verschmutzen

(vgl. Abs. [0005]).

Ausgehend von diesem Stand der Technik liegt dem Streitpatent die (allgemein gehaltene) Aufgabe zugrunde, "Neues für die gewerbliche Anwendung bereitzustellen" (vgl. Abs. [0008]). Objektive Aufgabe des Streitpatents dürfte es dabei sein, die aus dem Stand bekannten porösen Oberflächen so weiterzuentwickeln, dass ein Absetzen von Farbpigmenten an oder in den Poren verhindert wird. Da im Streitpatent außerdem die Problematik der elektrostatischen Aufladung bei Walzen thematisiert ist (vgl. Abs. [0028], erster Satz), ist es eine weitere Aufgabe des Streitpatents, Vorkehrungen zu treffen, um diese zu verhindern.

Gelöst wird die Aufgabe durch den Gegenstand nach Anspruch 1 bzw. den Teil einer Druckmaschine nach Anspruch 5. Hierbei ist nach Anspruch 1 erfindungswesentlich, dass der Gegenstand Substrukturen mit einer Substruktur-Versiegelung aufweist, wobei die die Substruktur-Versiegelung bildenden Substanzen antistatische Eigenschaften aufweisen.

Zum Begriff "Substruktur" bzw. "Substruktur-Versiegelung" ist dabei im Streitpatent ausgeführt, dass die Substrukturen aus kleinen Kapillaren bestehen, welche bei der Versiegeung aufgefüllt werden, wobei im Kapillareneingangsbereich kleine und kleinste Poren bestehen bleiben, welche geeignet sind, genügend Fluid aufzunehmen (vgl. Abs. [0012]).

b) Die Frage der Zulässigkeit des geltenden Anspruchssatzes kann in Folge dahinstehen, da der Gegenstand des Anspruchs 1 -wie im Folgenden dargelegt -nicht patentfähig ist (BGH GRUR 1991, 120, 121 li Sp Abs. 3 -"Elastische Bandage").

c) Der Gegenstand des verteidigten Anspruchs 1 beruht unter Berücksichtigung der Druckschriften D1 und D4 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns. Dieser ist beim vorliegenden Streitpatent als ein berufserfahrener, auf dem Gebiet der Oberflächenbeschichtung bewanderter Diplom-Chemiker mit Hochschulausbildung zu definieren.

Aus Druckschrift D1 ist gemäß den Parteienausführungen in der mündlichen Verhandlung unstrittig der Oberbegriff des geltenden Anspruchs 1 bekannt, nämlich ein Gegenstand mit einer Oberfläche - hier eine Feuchtwalze für eine Offsetdruckpresse - welche zur Erhöhung ihrer Fluidtrageund/oder -aufnahmefähigkeit mikrostrukturiert vergrößert ist (vgl. D1, vgl. Figuren 1 und 2, Walze mit offenen Poren 5; Seite 10, 3. Abs. "Auf der Oberfläche dieses flammgespritzten Überzugs 2 sind jedoch auch winzige Poren 5 vorhanden, die als Folge des sekundären Schleifens geöffnet wurden..."; Seite 11, le 2 Sätze, "Die Oberflächenrauheit der Walze, die oben beschrieben wurde, stellt selbst einen wichtigen Faktor zur Bestimmung der gleichmäßigen Benetzbarkeit der Walze mit Wasser und der Haftung der Druckfarbe an der Oberfläche der Walze dar.") und Substrukturen mit einer Substruktur-Versiegelung aufweist (vgl. Figuren 1 und 2, Poren 3 mit Porenverschlussmittel 4). Hierbei gibt die D1 in Übereinstimmung mit einem Ausführungsbeispiel des Streitpatents (vgl. Streitpatent, Abs. [0022], Hinweis auf Versiegelungslösung, welche Kieselsol bzw. Kieselsäuereesther enthält) als Material für die versiegelnden Substanzen ein Porenverschlussmittel vom SiO2-Typ an, welches -im Sinne des Streitpatents -unbestritten ebenfalls antistatisch ist (erstes kennzeichnendes Merkmal).

Mithin unterscheidet sich der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 von dem Gegenstand der D1 durch das zweite kennzeichnende Merkmal, wonach die versiegelnden Substanzen an Silizium gebundene perfluorierte Gruppen mit 2 C-Atomen Spacerabstand enthalten.

Dieser Unterschied vermag jedoch keine erfinderische Tätigkeit des Fachmanns begründen, denn dieser ist aufgrund seines Wissens um die vorteilhafte Möglichkeit einer Einstellung der Oberflächenenergie des Gegenstands an das aufzunehmende Fluid, bei Druckwalzen auch auf benachbarte Gegenstände, von denen oder auf die entsprechend gelösten Farbpigmente transferiert werden, veranlasst, eine entsprechende Optimierung durch eine geeignete Wahl der Beschichtung resp. einer Wahl des Porenverschlussmittels vorzunehmen.

Aufgrund dieser Veranlassung wird er bei einer entsprechenden Anpassung bzw. Optimierung der Oberfläche an das (vorgegebene) aufzunehmende Fluid, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von Versuchen, ihm bekannte Beschichtungsmittel in Betracht ziehen, so auch die bereits in den ursprünglich eingereichten Unterlagen gewürdigten Beschichtungszusammensetzungen auf Basis von fluorhaltigen anorganischen Polykondensaten gem. Druckschrift D4, welche laut dortiger Beschreibungseinleitung insbesondere gute Antihafteigenschaften gegenüber hydrophilen und oleophilen Substanzen sowie gegen Staub aufweisen. Hierbei regt Druckschrift D4 insbesondere an, das nunmehr im letzten kennzeichnenden Merkmal des geltenden Anspruchs 1 beanspruchte Porenverschlussmittel mit versiegelnden Substanzen enthaltend an Silizium gebundene perfluorierte Gruppen mit 2 C-Atomen Spacerabstand zu verwenden (vgl. D4, Patentanspruch 5 (zwei Spacer-Kohlenstoffatome) i. V. m. Anspruch 2 Hinweis auf insbesondere Sii. V. m. Anspruch 1).

Somit gelangt der Fachmann ausgehend von der Druckschrift D1 unter Berücksichtigung der aus der Druckschrift D4 bekannten Beschichtungszusammensetzung ohne erfinderisch tätig werden zu müssen zum Gegenstand des Anspruchs 1.

Die Ausführungen der Patentinhaberin, wonach das nunmehr beanspruchte Porenverschlussmittel bei der Herstellung Vorteile aufweist, da dieses sich bevorzugt in den Poren anlagert, da es bei einem Wärmeeintrag nur in diesen kondensiert, mithin die hydrophoben Eigenschaften auch ohne den aufwändigen Schleifschritt der D1 nur in den Vertiefungen wirken, mögen zwar einen materialabhängigen Vorteil hinsichtlich des Herstellungsverfahrens begründen, vorrichtungsseitig ist dieser Unterschied jedoch nicht merkmalsbegründend, so dass die diesbezügliche Argumentation der Patentinhaberin nicht greift.

d) Mit Anspruch 1 fallen auch die direkt oder indirekt vom Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2 bis 4 sowie der auf einen Teil einer Druckmaschine gerichtete Anspruch 5, da auf diese Ansprüche kein eigenständiges Patentbegehren gerichtet ist (vgl. BGH GRUR 2007, 862 Leitsatz "Informationsübermittlungsverfahren II m. w. N.").

e) Bei vorliegender Sachlage war das Patent zu widerrufen.

Höppler Dr. Hartung Schwarz Maile Hu






BPatG:
Beschluss v. 13.07.2011
Az: 7 W (pat) 321/06


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