Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 22. September 2005
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. VIII - 181/05

(OLG Hamm: Beschluss v. 22.09.2005, Az.: 2 (s) Sbd. VIII - 181/05)

Tenor

Dem Antragsteller wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von 1.485 € eine Pauschvergütung in Höhe von 2.100 € (in Worten: zweitausendeinhundert €) bewilligt.

Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I. Der Antragsteller war dem ehemaligen Angeklagten, dem die Beteiligung an mehreren Raubtaten vorgeworfen wurde, als Pflichtverteidiger beigeordnet. Der Antragsteller beantragt für seine für seinen Mandanten erbrachte Tätigkeiten die Gewährung einer Pauschvergütung, die er im Wesentlichen mit folgenden Tätigkeiten begründet:

Die Antragsteller ist im führenden Verfahren für den ehemalige Angeklagten bereits im Vorverfahren tätig geworden. Die Beiordnung erfolgte am 12. Mai 2004. Der Antragsteller hat für den ehemaligen Angeklagten mehrere Schreiben und Anträge verfasst und Akteneinsicht genommen. Der Umfang der Akten betrug rund 1.300 Seiten. Der Antragsteller hat den ehemaligen Angeklagte außerdem zweimal in der Justizvollzugsanstalt besucht. Der eine Besuch hat vier Stunden, der andere 3 ½ Stunden gedauert.

Der Antragsteller ist außerdem für den ehemaligen Angeklagten auch noch im Verfahren 112 Js 457/04 StA Siegen im vorbereitenden und im gerichtlichen Verfahren tätig gewesen. In diesem ist er am 28. Juli 2004 zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Dieses Verfahren ist mit dem führenden Verfahren am 9. September 2004 verbunden worden. Verbunden worden ist außerdem noch das Verfahren 111 Js 709/04. In diesem ist der Antragsteller vor der Verbindung allerdings nicht tätig gewesen.

Die Hauptverhandlung beim LG Siegen hat in der Zeit vom 26. Oktober bis 5. November 2004 an vier Hauptverhandlungstagen statt gefunden. Diese haben 5.50 bzw. 5.35 bzw. 3.22 bzw. 2.30 Stunden gedauert. Die durchschnittliche Hauptverhandlungsdauer beträgt 4.19 Stunden. Terminiert waren noch zwei weitere Hauptverhandlungstermine. Diese konnten jedoch wegen des Verzichts des Antragstellers auf die Vernehmung sämtlicher Zeugen entfallen. Das landgerichtliche Urteil ist dann noch in der Hauptverhandlung rechtskräftig geworden.

Wegen des weiteren Umfangs der Inanspruchnahme und der von dem Antragsteller für den ehemaligen Angeklagten erbrachten Tätigkeiten wird auf die dem Antragsteller bekannt gemachte Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 vom 09. August 2005 Bezug genommen.

Die gesetzlichen (Pflichtverteidiger-)Gebühren der Antragsteller betragen im führenden Verfahren 1.035 €. Im Verfahren 112 Js 457/04 sind nach dem RVG 450 € an Gebühren (Nr. 4101 VV RVG; Nr. 4105 VV RVG; Nr. 4114 VV RVG) entstanden. Der Antragsteller hat eine Pauschvergütung von mindestens 3.000 € beantragt.

Der Vorsitzende der Strafkammer hat das Verfahren als nicht besonders schwierig angesehen. Dem ist der Vertreter der Staatskasse beigetreten. Er ist aber der Auffassung, dass wegen des besonderen Umfangs des Verfahrens eine angemessene Pauschgebühr bewilligt werden könne.

III. Dem Antragsteller war gemäß § 99 Abs. 1 BRAGO eine Pauschvergütung zu bewilligen.

1. Auf das Verfahren ist (noch) die BRAGO anzuwenden. Der Antragsteller ist dem ehemaligen Angeklagten am 12. Mai 2004 beigeordnet worden. Da es für die Frage, ob auf die gesetzlichen Gebühren des Pflichtverteidigers die BRAGO oder schon das RVG anwendbar ist, auf den Zeitpunkt der Beiordnung abzustellen ist, findet noch die BRAGO Anwendung (so die übereinstimmende Rechtsprechung aller Obergerichte, vgl. dazu insbesondere auch Senat in StraFo 2005, 130 = RVGreport 2005, 68 = NStZ-RR 2005, 127 (Ls.) = Rpfleger 2005, 214 = AGS 2005, 117). Etwas anderes folgt nicht daraus, dass am 9. September 2004 das Verfahren 112 Js 457/04 StA Siegen hinzu verbunden worden ist, in dem der Antragsteller erst am 28. Juli 2004 zum Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist und auf das demgemäß das RVG Anwendung findet. Die Frage, welches Recht bei dieser Konstellation anwendbar ist, lässt sich mit der Übergangsregelung des § 61 RVG nicht lösen, da sie dort nicht geregelt ist. Nach Auffassung des Senats ist in diesen Fällen das Recht maßgeblich, was für das jeweils führende Verfahren maßgeblich ist. Anders als mit diesem Anknüpfungspunkt lassen sich diese Fälle nicht sachgerecht lösen. Das folgt schon aus dem Sinn und Zweck des Begriffs des "führenden Verfahrens". Dessen Aktenzeichen gibt den verbundenen Verfahren den Namen. Das auf dieses Verfahren anwendbare Recht entfaltet deshalb dann Wirkung auf das gesamte verbundene Verfahren.

2. Das Verfahren war nicht "besonders schwierig". "Besonders schwierig" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO ist ein Verfahren, das aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. dazu Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, § 51 RVG, Rn. 19 ff. mit weiteren Nachweisen; Burhoff StraFo 1999, 261, 264; vgl. u.a. Senat AGS 2003, 257). Das ist vorliegend nicht der Fall. Insoweit schließt sich der Senat der Einschätzung des Vorsitzenden der Strafkammer an (vgl. zu deren grundsätzliche Maßgeblichkeit Senat in AnwBl. 1998, 416 = AGS 1998, 104 und Senat in JurBüro 1999, 194 = AGS 1999, 104 = AnwBl. 2000, 56). Gründe, von dieser Einschätzung abzuweichen, sind nicht ersichtlich. Die vom Antragsteller angeführte Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Dolmetschers rechtfertigt für sich genommen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats noch nicht die Bewilligung einer Pauschgebühr wegen der "besonderen Schwierigkeit" der Sache (vgl. Senat in JurBüro 1997, 195 = NStZ-RR 1997, 188).

3. Das Verfahren war jedoch für den Antragsteller schon "besonders umfangreich" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO. Insoweit schließt sich der Senat der Einschätzung des Vertreters der Staatskasse an. Bei den bei der Beurteilung des "besonderen Umfangs" zu berücksichtigenden Tätigkeiten hat der Senat insbesondere die zeitintensiven Besuche des Antragstellers in der Justizvollzugsanstalt berücksichtigt sowie den Umstand, dass der Antragssteller nicht unerheblich zur Abkürzung des Verfahrens beigetragen hat, was nach ständiger Rechtsprechung des Senats bei der Bewilligung einer Pauschvergütung zu berücksichtigen ist (vgl. u.a. OG Hamm StraFo 2000, 214, Burhoff, a.a.O., § 51 RVG Rn. 68). Auch hat der Senat nicht übersehen, dass zwei der insgesamt vier Hauptverhandlungstermine mehr als fünf Stunden gedauert haben und damit schon im leicht überdurchschnittlichen Bereich der Hauptverhandlungsdauer für eine Hauptverhandlung bei einer Strafkammer anzusiedeln sind. Insgesamt war damit unter weiterer Berücksichtigung aller von dem Antragsteller erbrachten Tätigkeiten, wie seiner Schreiben und Anträge und der Akteneinsicht, nach allem von einem "besonders umfangreichen" Verfahren auszugehen.

4. Bei der Bemessung der somit dem Antragsteller wegen des "besonderen Umfangs" zu gewährenden Pauschvergütung hat der Senat alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Besonderes Gewicht hatten dabei neben der leicht überdurchschnittlichen Dauer der beiden mehr als fünf Stunden dauernden Hauptverhandlungstermine, die auch noch an zwei aufeinander folgenden Tagen stattgefunden haben, die zeitaufwändigen Besuche in der Justizvollzugsanstalt. Auch waren bei der Bemessung der Pauschvergütung (nunmehr) die von dem Antragsteller erbrachten Fahrtzeiten von Essen nach Siegen zu berücksichtigen (vgl. dazu Senat in StraFo 1999, 143 = wistra 1999, 156 = AGS 1999, 72). Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen hat der Senat unter Berücksichtigung der dem Antragsteller insgesamt zustehenden gesetzlichen Gebühren in Höhe von 1.485 € eine Pauschvergütung von 2.100 € als angemessen und erforderlich angesehen.

Bei der Bemessung der Pauschgebühr hat der Senat berücksichtigt, dass dem Antragsteller für seine Tätigkeit in dem Verfahren 112 Js 457/04 StA Siegen nach dem RVG zu berechnende gesetzliche Gebühren in Höhe von 450 € zustehen, die ihm auch nach der Verbindung verbleiben (vgl. Burhoff, a.a.O., ABC-Teil: Verbindung von Verfahren; Rn. 2 zum RVG, das insoweit gegenüber der BRAGO keine Änderung gebracht hat). Allerdings hat der Senat diese Gebühren nur in Höhe der nach der BRAGO entstandenen Gebühren berücksichtigt, da anderenfalls dem Antragsteller die durch das RVG eingetretene Gebührenerhöhung verloren gegangen wäre.

Die Bewilligung einer höheren als der zuerkannten Pauschvergütung kam nicht in Betracht. Dies ließ sich entgegen dem Vorbringen des Antragstellers insbesondere nicht damit begründen, dass ein Mitverteidiger des Antragstellers, der nach dem 1. Juli 2004 seinem Mandanten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist, insgesamt nach dem RVG abrechnet und ihm damit für die gleiche Tätigkeit höhere Gebühren zustehen. Der vom Antragsteller insoweit als zulässig angesehene "Ausgleich" würde der Gesetzessystematik und dem Sinn und Zweck der Übergangsregelung in § 61 RVG widersprechen. Sinn und Zweck dieser Übergangsregelung ist es, die Frage der Anwendbarkeit des neuen Rechts zu bestimmen. Als Anknüpfungspunkt ist dazu - wie in der Regel bei Übergangsregelungen - ein Stichtag gewählt. Das an diesem Tag noch geltende alte oder schon geltende neue Gebührenrecht soll für die Berechnung der anwaltlichen Vergütung maßgeblich sein. Dies ist eine klare und einfache Regelung, die allerdings wie jede "Fristenregelung" zu als ungerecht empfundenen Ungleichbehandlungen führen kann. Dies kann allerdings für die Gerichte kein Maßstab sein, um über den Umweg eines "Ausgleichs" das neue Recht auch auf Fallgestaltungen anzuwenden, auf die nach der Übergangsregelung noch das alte Recht anzuwenden ist. Das wäre nicht nur eine Umgehung der Übergangsregelung des § 61 RVG, die damit in der Praxis in vielen Fällen ins Leere laufen würde, sondern würde dazu führen, dass sich die Gerichte gesetzgeberische Kompetenzen anmaßen würden, die ihnen nicht zustehen. Hinzu kommt, dass der vom Antragsteller eingeforderte Ausgleich, wenn er denn gewährt würde, zu Ungerechtigkeiten an anderer Stelle führen würde. Bei einem Wahlverteidiger wäre wegen der vorgegebenen Gebührenrahmen ein solcher Ausgleich nämlich nicht möglich.

Eine noch höhere Pauschgebühr - der Antragsteller hat eine solche von mindestens 3.000 € beantragt - kam auch deshalb nicht in Betracht, weil eine Pauschvergütung in dieser Höhe etwa den Bereich der Wahlverteidigerhöchstgebühr erreicht hätte. Die Bewilligung einer Pauschvergütung in Höhe der Wahlverteidigerhöchstgebühr ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats zu § 99 BRAGO jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn die Tätigkeit für den ehemaligen Angeklagten den Pflichtverteidiger über einen längeren Zeitraum ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch genommen hat. Das ist vorliegend indes nicht der Fall und wird auch von der Antragsteller im Grunde nicht geltend gemacht. Demgemäss war der weitergehende Antrag abgelehnt worden.






OLG Hamm:
Beschluss v. 22.09.2005
Az: 2 (s) Sbd. VIII - 181/05


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