Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. Februar 2006
Aktenzeichen: 7 W (pat) 30/02

(BPatG: Beschluss v. 15.02.2006, Az.: 7 W (pat) 30/02)

Tenor

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der Patentabteilung 22 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 13. Februar 2002 aufgehoben und das Patent widerrufen.

Gründe

I Die Beschwerde der Einsprechenden ist gegen den Beschluss der Patentabteilung 22 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 13. Februar 2002 gerichtet, mit dem das am 23. Dezember 1993 angemeldete und am 20. März 1997 veröffentlichte Patent 43 44 117 mit der Bezeichnung "Verfahren zur Steuerung und Regelung der Leistung eines Dampfkraftwerksblocks mit Turbinenstellreserve" nach Prüfung des gegen das Patent erhobenen Einspruchs in vollem Umfang aufrechterhalten worden ist.

Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, dass der Gegenstand des angefochtenen Patents gegenüber dem Stand der Technik nach der deutschen Patentschrift 36 32 041 (kurz D1 genannt) und den beiden Fachbeiträgen von H. Renze "Neue Blockregelkonzepte für die optimale Anpassung an entsprechende Aufgaben" (D2), veröffentlicht in VGB Kraftwerkstechnik 68, Heft 1, Januar 1988, S. 32 bis 39, sowie "Neues Konzept einer Blockregelung mit Frequenzstützung bei der Betriebsart "Natürlicher Gleitdruck" für Zwangdurchlaufkessel" (D3), veröffentlicht in VGB Kraftwerkstechnik 62, Heft 8, August 1982, S. 656 bis 665, in Verbindung mit dem Wissen und Können des Fachmannes nicht patentfähig sei, insbesondere nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Sie stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin widerspricht der Auffassung der Einsprechenden. Sie hält den Patentgegenstand in der erteilten Anspruchsfassung für nicht durch den aufgezeigten Stand der Technik vorweggenommen oder nahe gelegt. Sie stellt den Antrag, das Patent in der erteilten Fassung aufrecht zu erhalten.

Hilfsweise erklärt sie die Teilung des Patents.

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

"Verfahren zur Steuerung und Regelung der Leistung eines Dampfkraftwerksblocks, der mit angedrosselten Dampfturbineneinlassventilen zur Ermöglichung einer Turbinen-Stellreserve betrieben wird und dessen damit gespeicherte Energie für einen monotonen oder streng monotonen Verlauf der Blockleistung im Fall einer plötzlichen Leistungserhöhung genutzt wird, wobeia) die Leistung in Abhängigkeit von einem vorgegebenen Leistungssollwert und einer gemessenen Netzfrequenzabweichung gesteuert und geregelt wird, undb) durch Filterung der Netzfrequenzabweichung eine zweite Leistungssollwertkomponente gebildet wird, die niederfrequente, durch den Dampferzeuger übertragbare Änderungen berücksichtigt, sowie eine erste Leistungssollwertkomponente, die höherfrequente, durch die Dampfturbine übertragbare Änderungen berücksichtigt, dadurch gekennzeichnet, dass zur Aufrechterhaltung der Turbinenstellreserve für die Stützung der Netzfrequenz währendc) einer rampenförmigen Leistungsänderung auf Änderungen des Leistungssollwerts allein mit Signalen zur Änderung der Brennstoffzufuhr reagiert wird undd) bei einer Netzfrequenzänderung auf Änderungen der ersten Leistungssollwertkomponente mit Signalen zur Änderung der Turbineneinlassventilstellung reagiert wird."

Dem Patent liegt die Aufgabe zugrunde, das aus der deutschen Patentschrift 36 32 041 bekannte Verfahren zur Steuerung und Regelung eines Dampfkraftwerksblocks so zu ändern, dass die Stellreserve auch während des Übergangs auf eine höhere Blockleistung erhalten bleibt zur Ausregelung von Netzfrequenzeinbrüchen (Streitpatentschrift Sp. 1 Z. 66 bis Sp. 2 Z. 3).

Weiterbildungen des Verfahrens nach Patentanspruch 1 sind in Patentansprüchen 2 bis 4 angegeben.

II Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist auch begründet.

Der Gegenstand des Patents stellt keine patentfähige Erfindung i. S. d. PatG §§ 1 bis 5 dar.

Das Verfahren des angefochtenen Patentanspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Als hier maßgeblicher Fachmann ist ein auf dem Gebiet der Regelung und Steuerung von Dampfkraftwerken erfahrener Maschinenbau- oder Elektroingenieur anzusehen.

Gemäß Streitpatentschrift (Sp. 1 Z. 3 bis 16) geht der Patentgegenstand aus von einem Verfahren zur Steuerung und Regelung der Leistung eines Dampfkraftwerksblocks wie es u. a. aus der deutschen Patentschrift 36 32 041, insbesondere Figur 4 und zugehörige Beschreibungsteile, bekannt ist.

Das bekannte Verfahren ermöglicht die Schaffung einer Turbinenstellreserve durch Androsseln von Dampfturbineneinlassventilen. Im Falle einer erforderlichen plötzlichen Leistungserhöhung des Kraftwerksblocks, z. B. nach einem Frequenzeinbruch im elektrischen Netz, kann durch volle oder graduelle Aufhebung der Androsselung die im Dampferzeuger gespeicherte Energie für einen monotonen oder streng monotonen Verlauf der Blockleistungsnachführung genutzt werden. Die Leistung wird in Abhängigkeit eines vorgegebenen Leistungssollwertes und einer gemessenen Netzfrequenzabweichung gesteuert und geregelt. Durch Filterung der Netzfrequenzabweichung werden erste und zweite Leistungssollwertkomponenten gebildet. Die erste berücksichtigt die durch die Dampfturbine übertragbaren, relativ schnellen, die zweite die durch den Dampferzeuger übertragbaren trägeren bzw. langsameren Leistungsänderungen (D1: Sp. 3 Z. 56 bis Sp. 5 Z. 47 i. V. m. Fig. 3; Sp. 6 Z. 2 bis Z. 20 u. Sp. 7 Z. 12 bis Z. 45 i. V. m. Fig. 4). Neben diesen im Oberbegriff des angegriffenen Patentanspruchs 1 angegebenen Merkmalen umfasst das Verfahren nach der deutschen Patentschrift 36 32 041 auch das letzte Merkmal im kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1, wonach bei einer Netzfrequenzänderung auf Änderung der ersten Leistungssollwertkomponente mit Signalen zur Änderung der Turbineneinlassventilstellung reagiert wird (Sp. 6 Z. 67 bis Sp. 7 Z. 5).

Eine insoweit vorhandene Übereinstimmung der Verfahren von Streitpatent und Entgegenhaltung hat die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung nicht mehr bestritten. Sie vertritt jedoch die Auffassung, dass bei dem bekannten Verfahren bei jeder Leistungsänderung eine ggf. verfügbare Turbinenstellreserve in Anspruch genommen werde, das verbleibende Unterschiedsmerkmal im angegriffenen Patentanspruch 1 daher nicht durch die deutsche Patentschrift 36 32 041 bekannt oder angeregt sei.

Gemäß diesem einzigen Unterschiedsmerkmal wird zur Aufrechterhaltung der Turbinenstellreserve für die Stützung der Netzfrequenz während einer rampenförmigen Leistungssollwertänderung allein mit Signalen zur Änderung der Brennstoffzufuhr reagiert. Damit soll aufgabengemäß die Stellreserve auch während des Übergangs auf eine höhere Blockleistung zur Ausregelung von Netzfrequenzeinbrüchen erhalten bleiben (Streitpatentschrift Sp. 1 Z. 66 bis Sp. 2 Z. 3). Ob es sich bei der rampenförmigen Leistungsänderung um eine langsame oder rasche Änderung handelt, erläutert die Streitpatentschrift nicht.

Die deutsche Patentschrift 36 32 041 befasst sich vorrangig mit sprunghaften Änderungen des Leistungssollwertes, die z. B. bei Netzfrequenzeinbrüchen gewählt werden (Sp. 7 Z. 12 bis 20, 42 bis 45). Hierbei soll die Stellreserve aber nur insoweit in Anspruch genommen werden als sich ein monotoner oder streng monotoner Anstieg der Blockleistung erzielen lässt (Sp. 7 Z. 46 bis Sp. 8 Z. 26 i. V. m. Fig. 6a-6c). Erwähnt ist in diesem Zusammenhang auch, dass ohne Einsatz der Stellreserve die Blockleistung sich entsprechend dem Verlauf der brennstoffabhängigen Leistung ändert (Sp. 7 Z. 63 bis 67 i. V. m. Fig. 6 Kurve PB). Mit Blick auf die Figur 6 wird der Fachmann daher bei einer rampenförmigen Änderung des Blockleistungssollwertes, die etwa dem dynamischen Verhalten der allein mit dem Dampferzeuger realisierbaren Leistungsänderung entspricht, die Steuerung so gestalten, dass die Turbinenstellreserve unangetastet und - wie es ihr wesentlicher Zweck ist - dem Einsatz bei Netzeinbrüchen vorbehalten bleibt. Der zusätzliche Einsatz der Stellreserve für nicht durch Netzfrequenzeinbrüche vorgesehene sprunghafte, d. h. schnelle Leistungssollwertänderungen, ist in der deutschen Patentschrift 36 32 041 nicht explizit angesprochen, dennoch nicht ausgeschlossen. Aber selbst wenn man andere als netzfrequenzbedingte Gründe für eine sprunghafte bzw. plötzliche Leistungssollwertanpassung bei dem Verfahren nach der Entgegenhaltung unterstellte, würde das nicht eine erfinderische Tätigkeit des streitpatentgemäßen Verfahrens begründen können, da in diesem Fall der Fachmann im Wissen um das Risiko der Nichtverfügbarkeit der Stellreserve bei einem plötzlichen Netzfrequenzeinbruch handelt und er die Vor- und Nachteile der ihm bekannten Regelungskonzepte abwägt und danach das zweckmäßigste auswählt. Bei nicht auf Netzfrequenzänderungen zurückgehende rampenförmige Leistungssollwertänderungen allein mit Signalen zur Änderung der Brennstoffzufuhr zu reagieren, lag somit im Griffbereich des Fachmannes.

Das ergibt sich auch aus dem Aufsatz von H. Renze gemäß D2. Auf Seite 32, linke Spalte, dritter Spiegelstrich, sind Leistungsänderungen nach Fahrplan mit oder ohne Inanspruchnahme des Speichers im Dampferzeuger, d. h. mit oder ohne Turbinenstellreserve, als mögliche Fahrweisen eines Blockdampfkraftwerkes angesprochen. Gemäß vorletztem Absatz dieser Spalte ist die Inanspruchnahme der Stellreserve abhängig von (Netz-) Frequenzänderungen. Unter fahrplangemäßer Sollwertanpassung der Blockleistung versteht der Fachmann nämlich insbesondere rampenartige Leistungssollwertänderungen. Diese werden als Sollwert für die Dampferzeugerleistung und unter Berücksichtigung des dynamischen Verhaltens des Dampferzeugers als Sollwert für die elektrische Leistung weitergegeben. Hierdurch wird erreicht, dass jedenfalls im Gleitdruckbetrieb die Turbinenventile nicht verstellt werden, der Speicher im Dampferzeuger insoweit nicht in Anspruch genommen wird (S. 32 re. Sp. Abs. 1 bis 5).

In dem Aufsatz von H. Renze nach D3 sind den herkömmlichen Regelkonzepten, bei denen der Speicher im Dampferzeuger bzw. die Turbinenstellreserve sowohl bei einer gezielten (planmäßigen, üblichen) Leistungsänderung, bei einer Netzfrequenzabweichung und einer Beheizungsstörung im Dampferzeuger in Anspruch genommen wird (S. 656, li. Sp., die letzten drei Absätze), ein neues Blockregelkonzept gegenübergestellt, bei dem bei gezielten Änderungen der Blockleistung und bei Beheizungsstörungen ein natürlicher Gleitdruckbetrieb eingestellt wird und nur bei einer Frequenzabweichung die Turbinenstellreserve zum Einsatz kommt (S. 656, li. Sp., drittletzter Absatz). Auch hieraus erschließt sich dem Fachmann ein Verfahren zur Steuerung und Regelung der Leistung eines Dampfkraftwerksblockes, bei dem auf eine rampenförmige Leistungssollwertänderung allein mit einer Änderung der Brennstoffzufuhr reagiert wird.

Die Lehre des Anspruchs 1 des Streitpatents war daher dem Fachmann durch die deutsche Patentschrift 36 32 041 in Verbindung mit seinem Wissen und Können, bedarfsweise unter Einbeziehung einer der Entgegenhaltungen D2 oder D3, nahe gelegt.

Dass in den auf den Patentanspruch 1 zumindest mittelbar rückbezogenen Patentansprüchen 2 bis 4 noch Merkmale von patentbegründender Bedeutung enthalten sind, hat die Patentinhaberin nicht geltend gemacht und ist für den Senat auch nicht ersichtlich.






BPatG:
Beschluss v. 15.02.2006
Az: 7 W (pat) 30/02


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