Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 28. Juli 2010
Aktenzeichen: I-8 U 112/09

(OLG Hamm: Urteil v. 28.07.2010, Az.: I-8 U 112/09)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 28. Juli 2009 verkündete Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Münster teilweise abge-ändert. Der zu Nr. 1 des Urteilstenors beschiedene Klageantrag zu Nr. 1 wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden gegeneinander aufgeho-ben. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Mit der zuletzt in diesem Verfahren noch anhängigen Klage hat der Kläger die Feststellung der Nichtigkeit eines Gesellschafterbeschlusses (Antrag zu 1) sowie die Feststellung der Unwirksamkeit der ihm mit Schreiben vom 25.06.2008 gegenüber erklärten Kündigung (Antrag zu 2) begehrt.

Der Kläger war neben Herrn H Geschäftsführer und Gesellschafter bei der Beklagten. An deren Stammkapital ist der Kläger zu 30 % und Herr H zu 40 % beteiligt; die verbleibenden 30 % der Beteiligung hält die Beklagte mittlerweile selbst.

In der Satzung der Beklagten vom 03.03.1997, auf die im Übrigen Bezug genommen wird (Bl. 36 ff. GA), sind folgende Regelungen enthalten:

"§ 5 Geschäftsführung und Vertretung

(…)

(3) Die Rechte und Pflichten der Geschäftsführer ergeben sich aus dem Gesetz, dem Anstellungsvertrag und den von den Gesellschaftern gegebenen Anweisungen. Die Gesellschafter können mit einfacher Mehrheit eine Geschäftsordnung für die Geschäftsführung beschließen.

(4) Die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer im Außenverhältnis ist unbeschränkt. Die Geschäftsführungsmaßnahmen, die über den gewöhnlichen Geschäftsverkehr hinausgehen, und solche, die die Geschäftsordnung bestimmt, bedürfen jedoch (im Innverhältnis) der vorherigen Zustimmung der Gesellschafterversammlung.

§ 6 Gesellschafterversammlung und Gesellschafterbeschlüsse

(…)

(8) Beschlüsse über eine Änderung des Gesellschaftsvertrages, Kapitalerhöhungen und Herabsetzungen sowie die Auflösung der Gesellschaft bedürfen einer Mehrheit von 75 % der stimmberechtigten Stimmen, (…)"

Unter Bezugnahme auf § 5 Abs. 3 der Satzung hat sich die Geschäftsführung der Beklagten eine Geschäftsordnung gegeben, auf die Bezug genommen wird (Bl. 70 ff. GA - Anlage K9). Dort heißt es in § 5 unter der Überschrift "Aufhebung, Ergänzung und Änderung der Geschäftsordnung":

"Aufhebung, Ergänzung und Änderung der Geschäftsordnung bedürfen der Zustimmung der Gesellschafterversammlung."

In § 4 heißt es unter der Überschrift "Katalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte":

"Die Geschäftsführer bedürfen zur Vornahme der in der Anlage der vorherigen Zustimmung der Gesellschafterversammlung."

Mit Einladung vom 15.05.2008 berief der Geschäftsführer H für den 30.06.2008, 11:00 Uhr in den Geschäftsräumen der Beklagten eine Gesellschafterversammlung ein, die auf Wunsch des Klägers unter Beibehaltung der Uhrzeit auf den 24.06.2008 vorverlegt wurde. Gegenstand der Tagesordnung zu TOP 7 war die "Beschlussfassung über eine Geschäftsordnung".

In der Gesellschafterversammlung vom 24.06.2008 waren beide Gesellschafter, der Kläger und Herr H, die sich zudem der Hilfe anwaltlich und steuerrechtlich beratender Personen bedienten, anwesend.

In dem vom Geschäftsführer H als Versammlungsleiter erstellten Verlaufsprotokoll über die Gesellschafterversammlung (Bl. 58 ff. - Anlage K8) heißt es zu TOP 7:

"Herr T erläutert für die Gesellschaft, dass die Geschäftsordnung die Aufgabenverteilung zwischen den Geschäftsführern regele. Nachdem die Gesellschaft nunmehr nur noch einen Geschäftsführer habe, ein Bedarf an weiteren Geschäftsführern mit Rücksicht auf die Ergebnisse der letzten Jahre nicht erkennbar sei, sei die Geschäftsordnung entbehrlich."

Der Gesellschafter H machte folgenden Beschlussvorschlag:

"Für die Führung der Geschäfte der W GmbH ausreichend und im Kosteninteresse sinnvoll ist, dass die Geschäftsführung einem Geschäftsführer obliegt und vor diesem Hintergrund die zur Regelung der Aufgabenverteilung von mehreren Geschäftsführern verabschiedete Geschäftsordnung der Geschäftsführung der W GmbH vom 01.03.1997 in der Fassung der ergänzenden Beschlüsse vom 21.10.1998 und 24.12.1998 hiermit mit sofortiger Wirkung aufgehoben und außer Kraft gesetzt wird.

Der Kläger machte den Beschlussvorschlag, dass die bisherige Geschäftsordnung aufrechterhalten bleibt.

Nachdem der Gesellschafter H seinem Beschlussvorschlag gegen die ablehnenden Stimmen des Klägers zugestimmt hatte, lehnte er den Beschlussvorschlag des Klägers ab, der diesem seinerseits zugestimmt hatte.

Anschließend stellte der Gesellschafter H in seiner Eigenschaft als Versammlungsleiter das Beschlussergebnis - so wie von ihm beantragt - fest.

Mit der am 09.07.2008 anhängig gemachten Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass der zu TOP 7 gefasste Beschluss - in mehrfacher Hinsicht - unwirksam sei. Der Beschluss gehe schon von seinem Text her über das hinaus, was normalerweise Gegenstand einer Beschlussfassung sei. Falsch sei auch die Einschätzung des anderen Geschäftsführers H, er könne die Geschäftsführung ohne die weiterhin erforderlichen technischen Kenntnisse, über die er - der Kläger - verfüge, allein übernehmen. Die Aufhebung der Geschäftsordnung sei willkürlich, insbesondere deswegen, weil der Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte gleichzeitig mit aufgehoben werde.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass die interne Regelung der Geschäftsverteilung auf der Geschäftsführerebene die Tätigkeit mehrerer Geschäftsführer voraussetze; da sie aber nur noch über einen Geschäftsführer verfüge, sei nicht ersichtlich, aus welchem Grunde durch eine Geschäftsordnung die Tätigkeit mehrerer Geschäftsführer gegeneinander abgegrenzt bzw. aufgeteilt werden solle. Dementsprechend sei die bestehende Geschäftsordnung durch die Gesellschafterversammlung aufgehoben und außer Kraft gesetzt worden.

Das Landgericht hat nach teilweise übereinstimmender Erledigungserklärung der Parteien und teilweiser Klagerücknahme sowie nach Abtrennung eines Teils des Verfahrens mit der angefochtenen Entscheidung der noch anhängigen Klage stattgegeben und auf den Antrag zu 1) den Gesellschafterbeschluss vom 24.06.2008, wonach es für die Führung der Geschäfte der W GmbH ausreichend und im Kosteninteresse sinnvoll ist, dass die Geschäftsführung einem Geschäftsführer obliegt und vor diesem Hintergrund die zur Regelung der Aufgabenverteilung von mehreren Geschäftsführern verabschiedete Geschäftsordnung der Geschäftsführung der W GmbH vom 01.03.1997 in der Fassung der ergänzenden Beschlüsse vom 21.10.1998 und 24.12.1998 hiermit mit sofortiger Wirkung aufgehoben und außer Kraft gesetzt werde, für nichtig erklärt und auf den Antrag zu 2) festgestellt, dass die Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrages durch die Beklagte mit Schreiben vom 25.06.2008 unwirksam ist.

Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass der zu TOP 7 (Beschlussfassung über eine Geschäftsordnung) gefasste Beschluss an einem Ankündigungsmangel leide und die Aufhebung der Geschäftsordnung im Ergebnis eine Änderung der in § 5 Abs. 4 der Satzung getroffenen Regelung darstelle, für die eine qualifizierte Mehrheit der zustimmenden Gesellschafter wie nach § 6 Abs. 8 der Satzung erforderlich sei. Die am 25.05.2008 zum 31.12.2008 erklärte Kündigung des Anstellungsvertrages des Klägers als Geschäftsführer sei unwirksam, weil ein Beschluss, dass dem Kläger zu diesem Zeitpunkt ordentlich gekündigt werden sollte, nach Lage der Akten nicht gefasst worden sei.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung, mit der sie eine teilweise Abänderung der angefochtenen Entscheidung und insoweit Klageabweisung begehrt, als der zu TOP 7 gefasste Beschluss für nichtig erklärt worden ist. Sie rügt unter näherer Darlegung die Rechtsauffassung des Landgerichts als unzutreffend, da sich zum einen kein Ankündigungsmangel bezüglich des gefassten Beschlusses, der zudem in einer Vollversammlung gefasst worden sei, feststellen lasse, und zum anderen der Beschluss auch keine Satzungsänderung darstelle.

Die Beklagte beantragt sinngemäß wie erkannt.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die ihm günstige Entscheidung unter Ergänzung und Vertiefung seines Vortrags erster Instanz als zutreffend.

II.

1.

Die zulässige Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg, da das Landgericht den am 24.06.2008 zu TOP 7 gefassten Beschluss der Gesellschafter der Beklagten zu Unrecht für nichtig erklärt hat.

Die vom Kläger unter Wahrung der auch bei Anfechtungsklagen gegen die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH grundsätzlich einzuhaltenden Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG (BGH, Beschluss vom 13.07.2009, II ZR 272/08) erhobene Klage ist in Ermangelung eines zur Anfechtung berechtigenden Grundes unbegründet, da der Gesellschafterbeschluss eine entsprechend § 243 Abs. 1 AktG erforderliche Verletzung des Gesetzes oder des Gesellschaftsvertrages nicht aufweist.

a)

Dabei kann es der Senat offenlassen, ob der zu TOP 7 gefasste Beschluss - wie es das Landgericht angenommen hat - an einem Ankündigungsmangel i.S.d. § 51 Abs. 2 GmbHG leidet. Selbst wenn der tatsächlich zu TOP 7 gefasste Beschluss über den angekündigten Gegenstand (Beschluss über eine Geschäftsordnung) hinausginge oder von diesem nicht mehr erfasst würde, wäre ein solcher Mangel gem. § 51 Abs. 3 GmbHG unbeachtlich. Nach dieser Vorschriftt werden alle Mängel der Einberufung (§ 51 Abs. 1 GmbHG) sowie der Ankündigung der Tagesordnung (§ 51 Abs. 2 GmbHG) geheilt, wenn sämtliche Gesellschafter in der Versammlung zusammentreten. Von einer solchen Vollversammlung ist hier auszugehen, da eine solche vorliegt, wenn - wie in diesem Fall - alle teilnahmeberechtigten Gesellschafter anwesend oder wirksam vertreten sind (Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Auflage (2009), § 51 Rdn. 32). Über die bloße Anwesenheit hinaus ist auch ein Einverständnis mit der Abhaltung einer Gesellschaftsversammlung zum Zwecke der Beschlussfassung zu verlangen (BGH ZIP 2009, 562 f. - juris Rdn. 2; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Auflage (2009), § 51 Rdn. 33), da andernfalls einem nicht ordnungsgemäß geladenen Gesellschafter eine Beschlussfassung aufgedrängt werden könnte, obwohl er sich nicht vorbereiten konnte. Wer zwar erschienen ist, aber der Durchführung der Gesellschafterversammlung oder der Beschlussfassung ausdrücklich oder konkludent widerspricht, ist daher nicht anwesend i.S.d. § 51 Abs. 3 GmbHG, wobei sich der Widerspruch auch auf einzelne Beschlussgegenstände beschränken kann (Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Auflage (2009), § 51 Rdn. 33; Senat, GmbHR 1992, 466 - juris Rdn. 6).

Ein solcher Widerspruch des Klägers ist jedoch nicht feststellbar. Er hat sich vielmehr an der Abstimmung über den Antrag der Beklagten zu TOP 7 sowie über seinen "Gegenantrag" beteiligt und damit gerade nicht dem Vorhaben, einen Beschluss zu fassen, widersprochen.

b)

Entgegen der Ansicht des Landgerichts war für die erforderliche Mehrheit bei der Abstimmung über TOP 7 auch keine qualifizierte Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen erforderlich, sondern es genügte für die Annahme des Beschlussantrages die - hier gegebene - Zustimmung der Mehrheit der Gesellschafter.

Ein qualifiziertes Mehrheitserfordernis von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen sieht das Gesetz in § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG ebenso wie § 6 Abs. 8 der Satzung der Beklagten für die (Ab-)Änderung des Gesellschaftsvertrages vor. Soweit das Landgericht die Auffassung vertreten hat, dass in dem zu TOP 7 gefassten Beschluss, durch den die Geschäftsordnung vollständig aufgehoben worden ist, "im Ergebnis eine Änderung der Satzungsregelung in § 5 Abs. 4" liege, vermag der Senat dem nicht beizutreten.

Nach § 5 Abs. 4 S. 2 der Satzung der Beklagten bedürfen Geschäftsführungsmaßnahmen, die über den gewöhnlichen Geschäftsverkehr hinausgehen und solche, die die Geschäftsordnung bestimmt, - im Innenverhältnis - der vorherigen Zustimmung der Gesellschafterversammlung. Die zuletzt genannte Einschränkung kann aber nur dann gelten, wenn sich die Gesellschaft überhaupt eine Geschäftsordnung für die Geschäftsführung gegeben hat. Hierzu bestimmt § 5 Abs. 3 der Satzung, dass die Gesellschafter mit einfacher Mehrheit eine Geschäftsordnung für die Geschäftsführung beschließen können. Vorliegend ist davon Gebrauch gemacht worden. Allerdings sieht § 5 der Geschäftsordnung ausdrücklich die Möglichkeit einer Aufhebung derselben vor und verlangt dafür die Zustimmung der Gesellschafterversammlung. Sofern jedoch die Gesellschafter das Vorliegen einer Geschäftsordnung für die Geschäftsführung für entbehrlich halten, ist offensichtlich, dass sie diesen actus contrarius ebenso mit einfacher Mehrheit beschließen können. Dass die Geschäftsordnung in § 4 und die dort in Bezug genommene Anlage für die Vornahme der dort näher aufgeführten Geschäfte durch die Geschäftsführer die vorherige Zustimmung der Gesellschafterversammlung verlangt, ändert nichts daran, dass die Aufhebung der Geschäftsordnung keine Satzungsänderung darstellt. Insoweit waren die Gesellschafter nicht gehindert die entsprechenden Geschäfte (die im Einzelnen wegen Fehlens der Anlage nicht bekannt sind) mit in die Satzung aufzunehmen und nicht bloß das Zustimmungserfordernis generalklauselartig für solche Geschäftsführungsmaßnahmen zu verlangen, "die über den gewöhnlichen Geschäftsverkehr hinausgehen".

2.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, wobei die Abänderung des Kostenausspruchs erster Instanz dem Obsiegen der Beklagten in der Berufung Rechnung trägt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.






OLG Hamm:
Urteil v. 28.07.2010
Az: I-8 U 112/09


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