Bundespatentgericht:
Beschluss vom 29. August 2011
Aktenzeichen: 19 W (pat) 38/08

(BPatG: Beschluss v. 29.08.2011, Az.: 19 W (pat) 38/08)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

BPatG 154

Gründe

I.

Das Deutsche Patentund Markenamt -Prüfungsstelle für Klasse G05D -hat die am 8. Februar 2002 eingereichte Patentanmeldung 102 05 225.5-32 durch Beschluss vom 22. April 2008, als Übergabeeinschreiben abgesandt am 14. Mai 2008, mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 mangels Ausführbarkeit nicht gewährbar sei.

Gegen diesen Beschluss hat die Anmelderin mit Schriftsatz vom 21. Mai 2008, eingegangen am 30. Mai 2008, Beschwerde eingelegt.

Die Anmelderin stellt den Antrag, den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G05D des Deutschen Patentund Markenamts vom 22. April 2008 aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 6 gemäß Hauptantrag vom 24. August 2011, hilfsweise, Patentansprüche 1 bis 6 gemäß Hilfsantrag vom 24. August 2011, übrige Unterlagen jeweils, Beschreibung, Seiten 1 bis 7, und 1 Blatt Zeichnung, Figur 1, vom Anmeldetag.

Der geltende Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet (unter Einfügung der Gliederungsbuchstaben a) bis c):

"a) Verfahren zum Erkennen eines Spurwechsels in einem Fahrzeug mit einem kombinierten Fahrgeschwindigkeitsund Abstandsregelsystem (ACC), dadurch gekennzeichnet, b) dass auf Basis verschiedener Parameter oder logischer Kombinationen verschiedener Parameter eine Spurwechselwahrscheinlichkeit berechnet wird, undc) in Abhängigkeit von der berechneten Spurwechselwahrscheinlichkeit ein Spurwechselmodus aktiviert wird, durch den ein zu langes Festhalten am vorausfahrenden Fahrzeug dadurch vermieden wird, dass Regelparameter zur Ermöglichung eines beschleunigten Übergangs von Folgein Freifahrt adaptiert werden."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag unterscheidet sich von dem des Hauptantrags dadurch, dass sich an ihn -unter Ersetzung des Punktes durch ein Komma das mit Gliederungsbuchstaben d), d1) und d2) versehene Merkmal

"d) wobei als Regelparameter d1) die Breite der in Form eines vorausberechneten Fahrkorridors ermittelten Fahrspur und/oderd2) die Geschwindigkeit für den Aufbau und/oder Abbau der Relevanz eines vorausfahrenden Objekts adaptiert werden."

anschließt, wobei dort die offensichtlichen Schreibfehler "Breites des" in "Breite der" und "ermittelte" in "ermittelten" berichtigt sind.

Die Anmelderin führt zunächst aus, dass die Erfindung bei einem kombinierten Abstandsund Geschwindigkeitsregelsystem realisiert werden solle. Anhand von Sensoren werde dabei ein Fahrkorridor vorausberechnet und ein vorausfahrendes Fahrzeug erkannt und sein Abstand festgestellt.

Wesentlich sei bei der Erfindung die Beeinflussung der Breite dieses Fahrkorridors gegenüber dem Stand der Technik, der eine feste Breite vorsehe. Die Erfindung beruhe darauf, dass, wenn bekannt sei, dass ein Spurwechsel stattfinde, im Spurwechselmodus die Breite des Korridors verschmälert werde, so dass das vorausfahrende Fahrzeug nicht mehr in diesem Korridor liege.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde konnte keinen Erfolg haben, weil das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag in der Anmeldung nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann es ausführen kann (§ 34 Absatz 4 PatG) und weil das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag darüber hinaus unzulässig erweitert ist (§ 38 PatG).

1.

Als zuständiger Fachmann ist hier ein Fachhochschulingenieur der Elektrotechnik anzusehen, der Kenntnisse auf dem Gebiet der Entwicklung und Konzeption von Fahrgeschwindigkeitsund Abstandsregelsystemen aufzuweisen hat.

2.

Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag ist in der Anmeldung nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann es ausführen kann (§ 34 Absatz 4 PatG).

In der Anmeldung ist schon nicht offenbart, nach welchen Gesichtspunkten eine Spurwechselwahrscheinlichkeit berechnet wird. Zwar zeigt die Anmeldung in der einzigen Figur die Spurwechselwahrscheinlichkeit als Funktion der Zeit (OS Abs. 0022, der mit den ursprünglichen Unterlagen übereinstimmt). Jedoch ist dazu in den ursprünglichen Unterlagen gesagt (= Abs. 0023 der OS), dass die Spurwechselwahrscheinlichkeit mit dem Betätigen des Fahrtrichtungsanzeigers um einen bestimmten Wert erhöht werde. Die Figur zeigt dazu ein Ansteigen der Spurwechselwahrscheinlichkeit von 0 auf einen bestimmten (niedrigen) Wert. Eine Berechnung findet damit nicht statt.

Mit dem Einsatz des Spurwechselvorgangs verändern sich weiterhin fahrdynamische Signale, wie z. B. der Lenkwinkel und die Querbeschleunigung, was die Spurwechselwahrscheinlichkeit gemäß der Figur linear ansteigen lässt bis zum Maximalwert bei dem der Spurwechsel als solcher sicher erkannt ist (OS Abs. 0023 Z. 21 bis 28 = u. U.). Wie dieser lineare Anstieg zustande kommt oder berechnet wird, zeigt die Anmeldung aber nicht.

Schließlich springt die Spurwechselwahrscheinlichkeit nach Abschluss des Spurwechselvorgangs gemäß der Figur wieder auf ihren Ursprungsbzw. einen Normalwert zurück (OS Abs. 0023 Z. 30 bis 37). Der Abschluss des Spurwechselvorgangs ist zwar anhand des Zustands bestimmter Parameter, wie Rückgang des Lenkwinkels und der Querbeschleunigung und Wegfall des Fahrtrichtungsanzeigers definiert, wie dementsprechend eine Berechnung der Spurwechselwahrscheinlichkeit stattfinden soll, ist aber in den ursprünglichen Unterlagen (= OS Abs. 0023 Z. 30 bis 37) für diese Zustandsänderung nicht ausgeführt.

Mit diesen, sich mit der Zuordnung bestimmter Parametereigenschaften zu einer Spurwechselwahrscheinlichkeit beschäftigenden Angaben gemäß der Figur wäre der Fachmann aber überfordert, um eine Spurwechselwahrscheinlichkeit zu berechnen. Denn hierzu hätte der Fachmann wenigstens erwartet, dass ihm in der Anmeldung eine Vielzahl von sich einander ausschließenden zufälligen Ereignissen als mathematisch beschreibbare Größen genannt werden, aus denen er dann gemäß gegebenen mathematischen Gesetzmäßigkeiten Wahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit von der Zeit hätte berechnen und daraus eine Wahrscheinlichkeitsfunktion über die Zeit hätte bilden können. Die Anmeldung beschäftigt sich aber nicht mit mathematisch berechenbaren Größen und deren mathematischer Verarbeitung, sondern nennt lediglich Parameter, aufgrund deren Eigenschaften die Spurwechselwahrscheinlichkeit einen bestimmte Werte annehmen soll und dies auch nur andeutungsweise.

Aber selbst wenn man dem Fachmann zumutete, eine Spurwechselwahrscheinlichkeit aufgrund der genannten Parameter herzuleiten, käme er nicht weiter, um in Abhängigkeit der ermittelten Spurwechselwahrscheinlichkeit einen Spurwechselmodus zu aktivieren. Denn zum Einen ist in der Anmeldung nicht definiert, was ein Spurwechselmodus sein soll -allenfalls die Eigenschaft, dass durch ihn ein zu langes Festhalten am vorausfahrenden Fahrzeug vermieden werden soll, ist angesprochen (OS Abs. 0016 = u. U.) -und zum Anderen sagt ihm die Anmeldung lediglich, dass Aktivierungsbedingungen für den Spurwechselmodus dann vorliegen, wenn die oder einige Parameter (z. B. Lenkwinkel oder Querbeschleunigung) bestimmte Werte oder Schwellen übersteigen (OS Absätze 0014, 0015 = u. U.), jedoch nicht, wie diese Werte oder Schwellen festzulegen sind. Gerade die Figur zeigt und beschreibt, dass der Spurwechselmodus irgendwo in dem Bereich zwischen dem Beginn des Spurwechsels und dem Ende des linearen Anstiegs erfolgt (OS Absätze 0014, 0015 i. V. m. Abs. 0023 = u. U.). Wegen dieses weiten, von zahlreichen Parametern abhängigen Bereiches vermag der Fachmann auch hieraus kein geeignetes Kriterium für das Aktivieren des Spurwechselmodus zu entnehmen.

Gänzlich überfordert wäre der Fachmann schließlich, wenn er -im Übrigen in der Anmeldung nicht näher definierte -Regelparameter beim Aktivieren des Spurwechselmodus noch so zu adaptieren (= anzupassen) hätte, dass ein beschleunigter Übergang von Folge in Freifahrt möglich wird. Es mag zwar -wie die Anmelderin in einer in der mündlichen Verhandlung gefertigten Skizze zeigte, möglich sein, dass dies durch eine Verschmälerung des vorausberechneten Fahrkorridors beim Erkennen eines Überholvorgangs ermöglicht wird. Eine solche Verschmälerung eines vorausberechneten Fahrkorridors ist vom Fachmann jedoch aus den Anmeldeunterlagen nicht zu entnehmen. Auch wenn in der Abhandlung des Standes der Technik (OS Absätze 0009 und 0010 = u. U.) davon die Rede ist, dass ein fester Breitenverlauf eines solchen Korridors mit Nachtteilen verbunden sei, käme er aufgrund der Beschreibung der Anmeldung nicht darauf, dass unter einem Adaptieren von Regelparametern eine Verschmälerung eines vorberechneten Fahrkorridors zu verstehen sei. Hinzu kommt, dass die Anmeldung insgesamt keine Aussage macht, was unter Regelparametern zu verstehen ist.

Der Fachmann wäre somit überfordert, um mit den in der Anmeldung enthaltenen Angaben das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag auszuführen.

3. Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag beansprucht in den Merkmalen a) bis c) das gleiche Verfahren wie der Anspruch 1 nach Hauptantrag, ist also schon deshalb ebenfalls nicht ausführbar offenbart. Soweit in den Merkmalen d) bis d2) eine Definition der Regelparameter erfolgen soll, findet sich in den ursprünglichen Unterlagen schon kein Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit (Abs. 0003) und den Regelparametern (Abs. 0018, 0019). Vor allem ist aber hinsichtlich das Merkmal d1) nichts offenbart (§ 38 PatG).

Dieses Merkmal nennt als eine von zwei Alternativen, dass als Regelparameter die Breite der in Form eines vorausberechneten Fahrkorridors ermittelten Fahrspur adaptiert werden solle. Versteht man unter dem Adaptieren der Breite die Verschmälerung des vorausberechneten Fahrkorridors beim Überholen, wie die Anmelderin dies erläuterte, so mag dies für sich genommen verständlich sein; offenbart ist es jedoch nicht. Denn aus der Abhandlung des Standes der Technik, wonach eine feste Breite eines vorausberechneten Fahrkorridors nachteilig sein solle (OS Absätze 0009, 0010 = u. U.), in Verbindung mit der Aufgabe, die einen beschleunigten Spurwechsel fordert, und aus den übrigen Anmeldeunterlagen entnimmt der Fachmann nach Überzeugung des Senats nicht, dass unter dem Adaptieren von Regelparametern eine Verschmälerung der Breite der in Form eines vorausberechneten Fahrkorridors ermittelten Fahrspur gemeint sein könnte. Auch der in der Anmeldung auf die Aufgabe (OS Abs. 0011 = u. U.) folgende Absatz macht keinerlei Andeutungen, die den Fachmann dazu veranlassen könnten, an die Verschmälerung des Fahrkorridors als erfindungswesentliche Adaption von Regelparametern zu denken. Denn in diesem Absatz (OS Abs. 0013 = u. U.) ist ausschließlich von den Parametern aus denen sich die Spurwechselwahrscheinlichkeit herleiten soll, die Rede, nicht aber von Regelparametern.

Schon das Alternativmerkmal d), d1) erweitert sonach das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag.

Bertl Kirschneck Groß Dr. Scholz Pü






BPatG:
Beschluss v. 29.08.2011
Az: 19 W (pat) 38/08


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