Verwaltungsgericht Freiburg:
Urteil vom 26. Januar 2011
Aktenzeichen: 1 K 1638/10

(VG Freiburg: Urteil v. 26.01.2011, Az.: 1 K 1638/10)

1. Zur Abgrenzung des Verwaltungsrechtswegs von der Zuständigkeit des Anwaltsgerichtshofs nach § 112a BRAO bei der Feststellungsklage eines Rechtsanwalts gegen die Rechtsanwaltskammer.

2. Der Inhaber des slowakischen Hochschulgrades "doktor prav - JUDr." ist nach baden-württembergischen Hochschulrecht nicht berechtigt, diesen mit der Abkürzung "Dr." zu führen.

3. Dieser Hochschulgrad ist nicht der dritten Ebene der Bologna-Klassifikation zuzuordnen.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt gegenüber der Beklagten die Feststellung, dass er befugt ist, seinen ausländischen Doktorgrad in der abgekürzten Form Dr. zu führen. Hilfsweise will er die Verpflichtung der Beklagten erwirken, ihn mit dieser Bezeichnung in ihrer Liste der Kammermitglieder und ihren Verlautbarungen zu führen.

Der Kläger ist als Rechtsanwalt Mitglied der Beklagten und gehört einer Kanzlei in ... (...) an. Er legte an der Juristischen Fakultät der ...-... in ... (Slowakische Republik) die Doktorprüfung in der Fachrichtung Recht ab. Nach der Diplomurkunde der Universität vom 15.05.2009 wurde ihm der akademische Grad doktor prav (Abkürzung JUDr.) verliehen. In der Folgezeit stellte er den Titel im privaten Bereich und im Rahmen seiner Praxisführung als Dr. vor den Namen. Aufgrund der Strafanzeige eines Kollegen ist derzeit beim Amtsgericht Singen ein Strafverfahren gegen ihn wegen unbefugter Titelführung anhängig.

Auch die Beklagte ist der Auffassung, dass der Kläger die Bezeichnung Dr. zu Unrecht führt. In einem Schreiben vom 09.07.2010 teilte sie dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, ihr Vorstand teile die Auffassung gerichtlicher Entscheidungen, die die Führung der Bezeichnung nur in der Form gestatteten, wie sie in der Verleihungsurkunde der ...-... ... zum Ausdruck gebracht werde. Es stelle sich die Frage, in welcher Weise die Durchsetzung dieser Rechtsauffassung erfolgen solle. Dies könnte dadurch geschehen, dass ein berufsrechtliches Aufsichtsverfahren durchgeführt werde oder durch den Vorstand eine förmliche Missbilligung ausgesprochen werde, die der Kläger dann beim Anwaltsgerichtshof für Rechtsanwälte des Landes Baden-Württemberg angreifen könne. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers werde um Mitteilung gebeten, in welcher Weise nach seiner Auffassung die Sache geklärt werden könne. Der Vorstand könne die Sache auch wettbewerbsrechtlich aufgreifen, wolle aber doch zunächst eher den Versuch einer berufsrechtlichen internen Klärung vorziehen.

Der Kläger hat am 02.08.2010 Feststellungsklage gegen die Beklagte erhoben. Er habe ein nachhaltiges rechtliches Interesse, die Befugnis seiner Titelführung, bei der es sich um eine rein verwaltungsrechtliche Frage handele, rechtskräftig zu klären. Dem diene die vorliegende Klage. Das Rechtsschutzbedürfnis leitet er auch daraus ab, dass die Beklagte dem Berufskollegen, der ihn angezeigt hatte, am 19.02.2010 ihr vorliegende einschlägige Gerichtsentscheidungen zur Kenntnis übersandt hat.

In der Sache macht er geltend, den ihm im Rahmen eines Promotionsverfahrens verliehenen Doktorgrad zu Recht in der Abkürzung Dr. zu führen. Nach der vorgelegten Promotionsurkunde bestehe kein Zweifel, dass die Universität ihm den Titel Doktor der Rechte (doktor prav) verliehen habe. Dabei mache es keinen Unterschied, ob der Titel mit oder ohne fachlichen Zusatz geführt werde. Es gebe keine gesetzliche oder gewohnheitsrechtliche Regelung, die dazu zwingen würde, stets den fachlichen Zusatz zu führen. Die Vorstellung, die Originalform sei ausschließlich JUDr., beruhe auf der Fehlvorstellung, dass es sich bei dem Zusatz JU nicht um den fachlichen Zusatz, sondern um ein spezielles Merkmal der Gradbezeichnung handele. Nach dem slowakischen Hochschulrecht gebe es für die fachbezogenen Doktortitel keine Alternative als den auch vom Kläger erworbenen, auf die rechtswissenschaftliche Fakultät bezogenen Doktortitel. Die Führungsbefugnis ausländischer Doktorgrade sei in § 37 des Landeshochschulgesetzes Baden-Württemberg geregelt. Danach könnten ausländische Doktorgrade in der verliehenen Originalform oder wahlweise in der landesüblichen Abkürzung geführt werden. Selbstverständlich gebe es in der Slowakei die landesübliche Abkürzungsform Dr., und zwar neben jener den Fakultätszusatz einschließenden allgemeinen Abkürzung JUDr.. Ähnlich wie im deutschen Sprachgebrauch (Dr. jur.) gewinne die Fakultätsbezeichnung nur dann Bedeutung, wenn klargestellt werden solle, welcher Wissenschaftsrichtung der Titelträger angehöre. Es gebe somit zwei Abkürzungen nebeneinander, jene mit Fakultätszusatz, also JUDr., und jene ohne, also Dr.. Das Hochschulrecht von Baden-Württemberg gebe aber nicht vor, dass nur eine landesübliche Abkürzung Verwendung finden dürfe. Gebe es im Verleihungsstaat deren mehrere, seien demzufolge beide geeignet, von dem Promovenden geführt zu werden. Die Führungsbefugnis ergebe sich zudem aus § 37 Abs. 4 LHG. Nach dieser Vorschrift gingen Vereinbarungen der Länder, die den Titelträger begünstigten, vor. Darunter würden auch Beschlüsse der Kultusministerkonferenz verstanden. Mit Beschluss vom 21.09.2001 habe die Kultusministerkonferenz aber die Titelführung so geregelt, dass jeder von einer anerkannten staatlichen Hochschule verliehene Doktorgrad in der Form Dr. ohne fachlichen Zusatz und ohne Herkunftsbezeichnung geführt werden dürfe. Ausgenommen seien lediglich sog. Berufsdoktorate, die automatisch mit der erfolgreichen Beendigung des Studiums vergeben würden, und Doktorgrade, die nach den rechtlichen Regelungen des Herkunftslandes nicht der dritten Ebene der Bologna-Klassifikation der Studienabschlüsse zugeordnet seien. Beide Ausnahmeregelungen seien nicht einschlägig. Der Titel eines Doktors der Rechte werde nach slowakischem Recht in einem förmlichen Verfahren an Promovenden verliehen, die als Zugangsvoraussetzung bereits ein vollakademisches Studium absolviert haben müssten. Im slowakischen Hochschulgesetz finde sich an keiner Stelle die Erwähnung einer Bologna-Klassifikation. Eine Auslegung des Beschlusses dahingehend, dass erst deutsche Institutionen überprüfen dürften, ob ein von der Universität eines anderen EU-Mitgliedstaates verliehener akademischer Grad die Wertigkeit der dritten Stufe des Bologna-Abkommens habe, sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts unzulässig.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass der Kläger seinen an der ...-... in ... erworbenen juristischen Doktortitel in der abgekürzten Form Dr. zu führen befugt ist.

Für den Fall, dass das Gericht die Zulässigkeit des Hauptantrags verneint, beantragt er hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, den Kläger in der Liste der Kammermitglieder sowie in den Verlautbarungen der Kammer einschließlich des Internetauftritts mit seinem Doktortitel in der Form ... ... ... zu führen.

Zur Begründung des Hilfsantrags macht er geltend, mit Rücksicht auf die Zwangsmitgliedschaft der jeweiligen Rechtsanwaltskammer habe jedes Mitglied Anspruch darauf, mit vollständiger und korrekter Namensbezeichnung geführt und auch in den offiziellen Verlautbarungen der Kammer benannt zu werden. Der Doktortitel stehe bei der rechtssuchenden Bevölkerung für die Imagebildung an erster Stelle und sei daher für die Praxiswerbung eines Freiberuflers von hohem Stellenwert.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Feststellungsklage für unzulässig. Bevor ein berufsrechtliches Aufsichtsverfahren, nämlich das sog. Rügeverfahren gemäß §§ 24 ff. BRAO, gegenüber einem Mitglied durchgeführt werde, bestehe hinsichtlich einer vom Vorstand zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung noch kein Rechtsschutzbedürfnis des Mitglieds. Vorliegend sei aber noch nicht einmal ein solches Verfahren eingeleitet worden. Es sei nicht ersichtlich, dass neben den Rechtsmitteln, die die BRAO für ein Mitglied im sog. Rügeverfahren zur Verfügung stelle, noch ein Rechtsschutzbedürfnis für ein verwaltungsgerichtliches Feststellungsverfahren gegeben sein könnte. Soweit die Beklagte dem Kläger gegenüber auch auf einen weiteren Weg verweise, nämlich die Möglichkeit der Missbilligung, sei es auch hier noch nicht zu einer förmlichen Beschlussfassung gekommen. Der Rechtsweg in diesem Fall würde sich an der nach § 112 a BRAO auszurichtenden Zuständigkeitsregelung orientieren müssen, so dass dann der Anwaltsgerichtshof zuständig wäre, nicht das Verwaltungsgericht. Dies müsste auch für eine vorgelagerte Feststellungsklage gelten, weil ansonsten die vom Gesetzgeber vorgesehene Zuständigkeit des Anwaltsgerichtshof entfiele. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass infolge der vom Kläger selbst angeführten Anklage der Staatsanwaltschaft Konstanz ein etwaiges berufsrechtliches Verfahren bei der Rechtsanwaltskammer zurückzustellen wäre, weil dieses Verfahren analog § 118 b BRAO für ein berufsrechtliches Verfahren vorgreiflich sei. Nur vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass die Klage auch unbegründet sei. § 37 Abs. 4 LHG bestimme, dass Vereinbarungen und Abkommen der Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten über Gleichwertigkeiten im Hochschulbereich den Regelungen in § 37 Abs. 1 bis 3 LHG vorgingen. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Slowakischen Republik existiere aber ein solches Abkommen. Darin sei geregelt, dass die Inhaber der dort aufgeführten Grade und Titel aus der Slowakischen Republik nur berechtigt seien, diese in der Bundesrepublik Deutschland in der Form zu führen, wie sie in der Slowakischen Republik verliehen worden seien, wobei teilweise der Name der verleihenden Hochschule als Herkunftszusatz hinzuzufügen sei. Der EU-Beitritt der Slowakei habe hieran nichts geändert. Insoweit könnte nur die in dem Abkommen noch vorgesehene Benennung der verleihenden Hochschule hinfällig sein, weil in dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vorgesehen sei, dass Hochschulgrade aus der Europäischen Union in der Originalform ohne Herkunftsbezeichnung geführt werden könnten. Im Übrigen sei der vom Kläger erworbene Grad nicht der dritten Ebene der Bologna-Klassifikation der Studienabschlüsse zuzuordnen, was schon aus der Abstufung im slowakischen Hochschulgesetz selbst folge. Dieser Titel berechtige seinen Inhaber nach dem genannten Abkommen erst zu einem Doktorandenstudium in Deutschland, woraus sich erhelle, dass der Titel nicht selbst bereits als Abschluss eines wissenschaftlichen Promotionsstudiums angesehen werden könne. Den Hilfsantrag hält die Beklagte ebenfalls für unzulässig, weil der Kläger einen entsprechenden Antrag bei ihr nicht gestellt habe und auch insoweit die Zuständigkeit des Anwaltsgerichtshofs gegeben wäre.

Eine vom Kläger zeitgleich und mit gleichem Inhalt erhobene Feststellungsklage gegen das Land Baden-Württemberg hat der Kläger zurückgenommen, nachdem sich der dortige Beklagte auf die Unzulässigkeit der Klage berufen hatte. Dieses Verfahren ist mit Beschluss der Kammer vom 09.09.2010 (1 K 1379/10) eingestellt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die dem Gericht vorliegenden Behördenakten der Beklagten (1 Heft) sowie auf die Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die Klage ist mit dem Hauptantrag als Feststellungsklage zulässig.

Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet. Eine Sonderzuweisung zum Anwaltsgerichtshof beim Oberlandesgericht ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gegeben. Nach § 112 a Abs. 1 BRAO entscheidet der Anwaltsgerichtshof im ersten Rechtszug über alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nach der Bundesrechtsanwaltsordnung, einer aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung oder einer Satzung einer der nach diesem Gesetz errichteten Rechtsanwaltskammern, einschließlich der Bundesrechtsanwaltskammer, soweit nicht die Streitigkeiten anwaltsgerichtlicher Art oder einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind (verwaltungsrechtliche Anwaltssachen). Bei der hier vorliegenden Streitigkeit handelt es sich aber nach Auffassung des Gerichts nicht um eine verwaltungsrechtliche Anwaltssache in diesem Sinne. Eine solche wäre etwa dann gegeben, wenn der Vorstand der Beklagten im Rahmen seiner Aufgabe nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO, die Mitglieder der Kammer in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren, eine (verwaltungsrechtliche) Missbilligung des Verhaltens des Klägers ausgesprochen hätte. Dies ist aber bisher nicht geschehen. Der Kläger greift nicht eine Maßnahme der Beklagten an, die diese auf der Grundlage der Bundesrechtsanwaltsordnung ergriffen hätte, sondern begehrt die Feststellung, dass er befugt ist, seinen ausländischen Hochschulgrad in einer bestimmten Weise zu führen. Dabei handelt es sich im Kern um eine hochschulrechtliche Frage, zu deren Klärung die Verwaltungsgerichte berufen sind. Dementsprechend vermochte der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch nicht darzulegen, dass der Anwaltsgerichtshof etwa schon in derartigen Feststellungsklagen entschieden hätte. Es kann auch keine Rede davon sein, dass die gesetzlich vorgesehene Zuständigkeit des Anwaltsgerichtshofs ausgehöhlt würde, wenn die vorgelagerte Feststellungsklage vom Verwaltungsgericht entschieden wird. Zum einen hängt die erstinstanzliche Zuständigkeit des Anwaltsgerichtshofs ohnehin davon ab, für welche Maßnahme sich die Beklagte entscheidet, um ihre Rechtsauffassung durchzusetzen. Entschließt sie sich dazu, anstelle einer Missbilligung die von ihr gesehene Pflichtverletzung des Klägers im Wege eines berufsrechtlichen Aufsichtsverfahrens gemäß § 74 Abs. 1 BRAO zu rügen, wäre hierfür - nach erfolglosem Einspruch - nach § 74 a Abs. 1 BRAO zunächst das Anwaltsgericht am Sitz der Beklagten und nicht der Anwaltsgerichtshof zuständig. Zum anderen aber bleibt, wenn die Beklagte den Weg der Missbilligung beschreiten sollte und der Kläger hiergegen vorgehen wollte, die Zuständigkeit des Anwaltsgerichtshofs unangetastet.

Entgegen einer vom Berichterstatter im Vorfeld der mündlichen Verhandlung geäußerten vorläufigen Rechtsauffassung nimmt das Gericht auch ein Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellungsklage an. Hinsichtlich der von der Beklagten in Aussicht gestellten Maßnahmen könnte der Kläger zwar darauf verwiesen werden abzuwarten, bis die Beklagte eine dieser Maßnahmen ergreift, um sich dann auf dem hierfür vorgesehenen Rechtsweg dagegen zu wenden. Zwischenzeitlich hat sich die Sachlage aber insofern geändert, als das Amtsgericht Singen das gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren mit Beschluss vom 11.01.2011 ausgesetzt hat, um die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuwarten. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat, gibt es außerdem beim Landgericht Konstanz ein wettbewerbsrechtliches Verfahren gegen ihn, welches derzeit gleichfalls ausgesetzt sei. Bei dieser Situation hält es das Gericht auch im Hinblick auf das Gebot, effektiven Rechtschutz zu gewähren, nicht für vertretbar, dem Kläger die verwaltungsgerichtliche Klärung der Frage, auf welche Weise er seinen an der ...-... in ... erworbenen juristischen Doktortitel in der Bundesrepublik Deutschland führen darf, zu versagen. Dieses Rechtsschutzbedürfnis besteht auch gerade gegenüber der Beklagten. Eine förmliche Genehmigung dafür, einen ausländischen Hochschulgrad in der Bundesrepublik Deutschland zu führen, ist nicht (mehr) vorgesehen. Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg hat auch keine rechtliche Handhabe, ein nach seiner Rechtsauffassung etwa unerlaubtes Führen eines ausländischen Hochschulgrades zu unterbinden (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 11.08.2005 - 9 S 449/05 -). Von daher ist die Beklagte diejenige öffentliche Stelle, der in dieser Frage primär die Aufsicht über den Kläger obliegt.

Die Klage ist aber mit dem Hauptantrag unbegründet. Der Kläger ist nicht befugt, seinen an der ...-... in ... erworbenen juristischen Doktortitel in der abgekürzten Form Dr. zu führen.

Die Führung ausländischer Grade, Titel und Bezeichnungen ist in Baden-Württemberg in § 37 LHG geregelt. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass hier § 37 Abs. 4 LHG einschlägig ist. Danach gehen Vereinbarungen und Abkommen der Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten über Gleichwertigkeiten im Hochschulbereich Vereinbarungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland und den Regelungen in § 37 Abs. 1 bis 3 LHG vor. In Baden-Württemberg wird insoweit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland ein genereller Vorrang vor den landesrechtlichen Regelungen des Landeshochschulgesetzes eingeräumt. Damit unterscheidet sich die Rechtslage hier von der in anderen Bundesländern - insbesondere in Nordrhein-Westfalen -, wo dies nur dann der Fall ist, wenn die Vereinbarungen und Abkommen der Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten über Gleichwertigkeiten im Hochschulbereich die Betroffenen gegenüber den grundsätzlich geltenden landesrechtlichen Regelungen begünstigen.

Maßgeblich ist demnach das zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Slowakischen Republik geschlossene Abkommen über die gegenseitige Anerkennung der Gleichwertigkeit von Bildungsnachweisen im Hochschulbereich vom 23.11.2001, das am 12.12.2003 in Kraft getreten und am 14.04.2004 veröffentlicht worden ist (BGBl. 2004, Teil II S. 489 ff.). Art. 6 Abs. 1 dieses Abkommens stellt klar, dass Titelinhaber des slowakischen Titels doktor prav - JUDr. berechtigt sind, diesen Titel in Deutschland in der Form zu führen, wie er in der Slowakischen Republik verliehen wurde, und dabei noch den Namen der verleihenden Hochschule als Herkunftszusatz hinzuzufügen haben. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass Letzteres nicht mehr der Fall ist, weil insoweit zugunsten des Klägers Ziff. 1 des von ihm angeführten Beschlusses der Kultusministerkonferenz vom 21.09.2001 in der Fassung vom 15.05.2008 eingreift. Danach können Hochschulgrade aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union, zu denen die Slowakische Republik seit 01.05.2004 gehört, in der Originalform ohne Herkunftsbezeichnung geführt werden. Der Kläger ist danach befugt, seinen slowakischen Hochschulgrad in der Bundesrepublik Deutschland mit der Abkürzung JUDr. zu führen. Denn nur in dieser Form, die auch in der dem Kläger verliehenen Diplomurkunde der ...-... ... vom 15.05.2009 enthalten ist, ist ihm der Hochschulgrad verliehen worden. Demgegenüber findet sich in dem Abkommen keine Rechtsgrundlage dafür, dass der Kläger auch berechtigt wäre, die Abkürzung Dr. zu führen, wie sie einem deutschen Doktorgrad entspricht.

Aus weiteren Bestimmungen des Abkommens ergibt sich vielmehr, dass der slowakische Hochschulgrad doktor prav nicht als gleichwertig gegenüber einem deutschen Doktorgrad angesehen werden soll. So ist dem Anerkennungsschema in Art. 7 Abs. 1 des Abkommens die Festlegung der Qualifikationsebenen von Abschlüssen der jeweiligen Staaten zu entnehmen. Danach ist dem deutschen Doktorgrad der slowakische PhD. oder ArtD. gleichwertig, nicht jedoch der JUDr. Dieser akademische Grad berechtigt seine Inhaber nach Art. 4 Abs. 2 des Abkommens erst zu einer Promotion oder Doktorandenstudien in Deutschland, woraus sich erhellt, dass der JUDr. nicht selbst bereits als auf einer Stufe mit einem deutschen Doktorgrad stehend angesehen werden kann (vgl. BayVGH, Beschl. v. 17.09.2009 - 5 ZB 08.838 -, juris).

Mit dem Beitritt der Slowakischen Republik zur Europäischen Union wurde die grundsätzliche Geltung des Abkommens nicht berührt. Die dortigen Regelungen könnten allenfalls durch vorrangige gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen überlagert worden sein. Dies ist aber nicht der Fall. Denn es gibt keinen Grundsatz des Europäischen Rechts dahingehend, dass alle im Bereich der Gemeinschaft erworbenen Doktorgrade unabhängig von ihrem jeweiligen Anforderungs- und Qualifikationsniveau überall mit der Abkürzung Dr. geführt werden dürften (vgl. BayVGH, Beschl. v. 17.09.2009, a. a. O.).

Die in den Art. 45 und 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union garantierte Freizügigkeit der Arbeitnehmer und selbständig Tätigen ist allerdings grundsätzlich auch auf Gemeinschaftsangehörige anwendbar, die - wie der Kläger - in einem anderen Mitgliedstaat einen akademischen Grad erworben haben, wenn es um die Frage des Führens im Heimatstaat geht. Die in diesen Artikeln niedergelegten Freiheiten stehen dabei jeder nationalen Regelung über die Voraussetzungen für die Führung eines in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen akademischen Grades entgegen, die geeignet ist, die Ausübung der durch das Gemeinschaftsrecht garantierten grundlegenden Freiheiten durch die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Hieraus folgt, dass in einem - grundsätzlich zulässigen - Verfahren zur Genehmigung der Führung eines in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen akademischen Grades nur überprüft werden darf, ob der aufgrund eines postgraduierten Studiums erworbene akademische Grad ordnungsgemäß verliehen worden ist (vgl. EuGH, Urt. v. 31.03.1993 - C 19/92 -, juris, zu den entsprechenden Bestimmungen im EWG-Vertrag). Dagegen verstößt es gegen Gemeinschaftsrecht, wenn für eine Genehmigung auch materielle Kriterien wie die Vergleichbarkeit der verleihenden ausländischen Hochschule mit einer deutschen staatlichen Hochschule und die Vergleichbarkeit der der Verleihung des ausländischen Grades zugrundeliegenden Studien- und Prüfungsleistungen aufgestellt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.11.1997 - 6 C 12/96 -, BVerwGE 105, 336, im Anschluss an die genannte Entscheidung des EuGH).

Der Kläger beruft sich indessen zu Unrecht auf diese Rechtsprechung. Abgesehen davon, dass die Führung ausländischer Hochschulgrade nach § 37 LHG gerade nicht von einer vorherigen Genehmigung abhängig ist, werden auch keine materiellen Kriterien für die Führung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union verliehenen Grades aufgestellt. Die Befugnis, den verliehenen Grad zu führen, ergibt sich vielmehr bereits aus § 37 Abs. 4 LHG i. V. m. Art. 6 Abs. 1 des Gleichwertigkeitsabkommens. Im vorliegenden Fall geht es dagegen um die Frage, ob die Verleihung eines bestimmten Grades - wie hier des doktor prav - die Befugnis gibt, eine gerade nicht verliehene Abkürzung, nämlich die Abkürzung Dr. zu führen. Damit aber wird die europarechtlich gewährleistete Freizügigkeit nicht berührt.

Es ist im Übrigen auch nicht so, dass deutsche Institutionen überprüfen würden, ob ein von der Universität eines anderen EU-Mitgliedstaates verliehener akademischer Grad die Wertigkeit eines deutschen Hochschulgrades habe. Vielmehr hat die Regierung der Slowakischen Republik bei Abschluss des Gleichwertigkeitsabkommens mit der Bundesrepublik Deutschland, welches die bereits angesprochenen Art. 7 Abs. 1 und 4 Abs. 2 enthält, selbst zum Ausdruck gebracht, dass von einer Gleichwertigkeit des slowakischen doktor prav mit einem deutschen Doktorgrad nicht auszugehen ist.

Der Ausschluss des Führens der Abkürzung Dr. verstößt auch nicht gegen die Richtlinie RL 2005/36/EG (ABl. L 255 v. 30.09.2005, S. 22). Nach Art. 54 dieser Richtlinie (berichtigt ABl. L 33 v. 03.02.2009, S. 49) trägt ein Mitgliedstaat dafür Sorge, dass Personen zum Führen von Ausbildungsbezeichnungen ihres Herkunftsmitgliedstaats und ggf. der entsprechenden Abkürzung in der Sprache des Herkunftsmitgliedstaats berechtigt sind. Der Mitgliedstaat kann vorschreiben, dass neben dieser Bezeichnung Name und Ort der Lehranstalt oder des Prüfungsausschusses aufgeführt werden, die bzw. der diese Ausbildungsbezeichnung verliehen hat. Auch hieraus ergibt sich aber lediglich das Recht, einen erworbenen Hochschulgrad in der erworbenen Form bzw. Abkürzung zu führen (hier: doktor prav bzw. JUDr.), nicht aber die Befugnis, eine nicht erworbene Abkürzung (hier: Dr.) zu führen.

Ziff. 2 des Beschlusses der Kultusministerkonferenz vom 21.09.2001 i. d. F. v. 15.05.2008 führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Zwar können danach Inhaber von in einem wissenschaftlichen Promotionsverfahren erworbenen Doktorgraden, die in Mitgliedstaaten der Europäischen Union erworben wurden, anstelle der im Herkunftsland zugelassenen oder nachweislich allgemein üblichen Abkürzung wahlweise die Abkürzung Dr. ohne fachlichen Zusatz und ohne Herkunftsbezeichnung führen. Dies gilt jedoch nicht für Doktorgrade, die ohne Promotionsstudien und -verfahren vergeben werden (sog. Berufsdoktorate) und für Doktorgrade, die nach den rechtlichen Regelungen des Herkunftslandes nicht der dritten Ebene der Bologna-Klassifikation der Studienabschlüsse zugeordnet sind. Die zuletzt genannte Ausnahme liegt im vorliegenden Fall vor.

Abwegig ist die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung, eine dritte Ebene der Bologna-Klassifikation gebe es überhaupt nicht. Bereits im September 2003 erklärten die europäischen Bildungsministerinnen und -minister die Promotionsphase - ergänzend zu Bachelor und Master - zum sog. dritten Zyklus des Bologna-Prozesses. Mit dem Bergen-Kommuniqué (Mai 2005) wurde deshalb ergänzend festgestellt, dass dieser dritte Zyklus in der Regel einem drei- bis vierjährigen Vollzeitstudium entspricht und Doktorandinnen und Doktoranden sowohl als Studierende wie auch als Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler anerkannt werden (vgl. nur den Bericht Der Bologna-Prozess vom 05.05.2010 auf der Homepage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung).

Der vom Kläger erworbene slowakische Doktorgrad kann dieser dritten Ebene nicht zugeordnet werden (vgl. ausführlich unter Bezugnahme auf das slowakische Hochschulgesetz vom 21.02.2002 VG Arnsberg, Beschl. v. 16.04.2009 - 9 L 45/09 -, juris; ebenso BayVGH, Beschl. v. 17.09.2009, a. a. O., OLG Köln, Urt. v. 08.10.2010 - 6 U 109/10 -, juris, und OLG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 27.10.2010 - 5 U 91/10 -, juris). Für das Gericht ergibt sich dies insbesondere aus den Bestimmungen des deutsch-slowakischen Gleichwertigkeitsabkommens, die - wie ausgeführt - belegen, dass der slowakische Hochschulgrad doktor prav - JUDr. dem unzweifelhaft auf der dritten Ebene der Bologna-Klassifikation angesiedelten deutschen Doktorgrad nicht gleichwertig ist. Dies deckt sich im Übrigen auch mit der fachkundigen Bewertung durch das Informationssystem zur Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse (ANABIN), das von der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen beim Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder aufgebaut wurde. Dort wird der JUDr. den postgradualen Studienangeboten zugeordnet und klargestellt, dass erst der PhD. der dritten Stufe der Bologna-Klassifikation (Bachelor - Master - Doktor) zuzuordnen ist.

Soweit der Kläger vorträgt, dass in der Slowakischen Republik auch die Führung der Abkürzung Dr. statt JUDr. nachweislich allgemein üblich sei, kommt es hierauf nicht an. Zum einen ist § 37 Abs. 1 Satz 2 LHG, der die Führung der im Herkunftsland zugelassenen oder nachweislich allgemein üblichen Abkürzung gestattet, über § 37 Abs. 4 LHG durch das Abkommen der Bundesrepublik Deutschland mit der Slowakischen Republik ausgeschlossen. Zum anderen aber hält das Gericht die vom Verwaltungsgericht Arnsberg (Beschl. v. 16.04.2009, a. a . O.) entwickelte Auffassung für überzeugend, wonach es auf die allgemein übliche Abkürzung nur dann ankommen kann, wenn es keine zugelassene Abkürzung gibt, d. h. die Frage der Abkürzung nicht rechtlich geregelt ist. Denn anderenfalls würde eine im Herkunftsland zwar verbreitete, aber von der zugelassenen Abkürzung abweichende und damit im Ergebnis rechtswidrige Führung einer Abkürzung dazu führen, dass diese nicht rechtmäßige Abkürzung in der Bundesrepublik rechtmäßig geführt werden könnte. Nachdem in der Slowakischen Republik rechtlich geregelt ist, dass für den Grad des doktor prav die Abkürzung JUDr. zu führen ist, die auch in der dem Kläger verliehenen Diplomurkunde enthalten ist, kommt es auch aus diesem Grund auf die Frage der Üblichkeit nicht an.

Unerheblich ist auch die vom Kläger behauptete abweichende Praxis anderer Bundesländer, was die Führung der Abkürzung Dr. für den vom Kläger erworbenen slowakischen Hochschulgrad angeht. Soweit damit sinngemäß ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG gerügt werden sollte, kann dieser schon deshalb nicht vorliegen, weil der Gleichheitssatz den jeweils handelnden Hoheitsträger nur im Bereich seines eigenen Handlungsbereichs binden kann. Das Handeln anderer Hoheitsträger mit anderem Hoheitsgebiet kann daher - unabhängig von der Frage, ob deren Handeln rechtskonform war - nicht einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz bewirken (vgl. BayVGH, Beschl. v. 17.09.2009, a. a. O.).

Nach alledem ist die Klage mit dem Hauptantrag unbegründet. Da das Gericht die Zulässigkeit des in der Hauptsache gestellten Feststellungsantrags bejaht hat, ist über den Hilfsantrag nicht zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gericht sieht keinen Anlass, die Entscheidung wegen der Kosten nach § 167 Abs. 2 VwGO (analog) für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

Rechtsgrundlage für die Zulassung der Berufung sind §§ 124 a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.






VG Freiburg:
Urteil v. 26.01.2011
Az: 1 K 1638/10


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