Hessisches Landesarbeitsgericht:
Urteil vom 10. Mai 2010
Aktenzeichen: 16 Sa 1581/09

(Hessisches LAG: Urteil v. 10.05.2010, Az.: 16 Sa 1581/09)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des ArbeitsgerichtsDarmstadt vom 25. Juni 2009 € 7 Ca 286/08 € wirdkostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger nimmt den Beklagten als Vorstand einer insolventen Aktiengesellschaft auf Schadenersatz in Anspruch.

Der Kläger war seit Mai 2000 bei der A AG (Insolvenzschuldnerin), deren einziger Vorstand der Beklagte war, als Betriebsleiter zu einer Bruttomonatsvergütung von 3950,00 € beschäftigt. Für die Zeit ab Februar 2007 zahlte die Insolvenzschuldnerin keine Arbeitsvergütung mehr. Gleichwohl erbrachte der Kläger bis einschließlich April 2007 seine Arbeitsleistung. Bei einer Betriebsversammlung vom 30. April 2007 erklärte der Beklagte, dass die Insolvenzschuldnerin bis auf weiteres keine Gehälter mehr zahle. Mit Schreiben vom 2. Mai 2007 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung. Der Beklagte stellte für die Insolvenzschuldnerin am 4. Juni 2007 Insolvenzantrag. Das Insolvenzverfahren wurde am 24. Juli 2007 eröffnet.

Gegenüber der Insolvenzschuldnerin erwirkte der Kläger vor dem Arbeitsgericht Darmstadt unter dem Aktenzeichen 7 Ca 166/07 ein Urteil über die Zahlung von 27.650,00 € brutto (Vergütung von Februar bis August 2007 und Schadenersatz nach § 628 Abs. 2 BGB); insoweit wird das Blatt 17 bis 21 der Akten Bezug genommen. Hierauf leistete die Insolvenzschuldnerin keine Zahlungen.

Mit Bescheid vom 4. September 2007 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit dem Kläger Insolvenzgeld für den Zeitraum 4. Februar bis 3. Mai 2007 in Höhe der auf diesen Zeitraum entfallenden Nettoarbeitsvergütung von 6.685,63 € und zahlte diesen Betrag an den Kläger aus.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zahlung von Schadenersatz, der sich zusammensetzt aus den vom Arbeitsgericht Darmstadt in dem Verfahren 7 Ca 166/07 titulierten Bruttolohnansprüchen für die Monate Februar bis August 2007 in Höhe von 15.614,41 € netto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit geleisteter 12.451,18 €, woraus sich eine Forderung von 3163,23 € errechnet. Als weitere Schadenspositionen verlangt der Kläger die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 13.825 €. Ferner begehrt er die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der anfallenden Steuern aus dem Teilbetrag von 3163,23 €.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte hafte wegen Insolvenzverschleppung und vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegenüber dem Kläger auf Schadenersatz. Der Kläger hat behauptet, die Insolvenzschuldnerin sei bereits am 31. Dezember 2005 überschuldet gewesen. Spätestens Mitte des Jahres habe die Zahlungsunfähigkeit gedroht, so dass Anfang 2006 Insolvenzantrag hätte gestellt werden müssen. Der Beklagte habe in Kenntnis dieser Umstände sogar nach Eintritt der Insolvenzreife nicht nur die rechtzeitige Antragstellung unterlassen, sondern sogar noch vorhandene Vermögenswerte durch Verlagerung auf andere vom Beklagten geführte Gesellschaften und seine Ehefrau beiseite geschafft. Durch das Verhalten des Beklagten sei dem Kläger eine Ersatzanstellung entgangen, die er bei ordnungsgemäßer Stellung des Insolvenzantrags nahtlos gefunden hätte. Bei der Firma B, bei der er seit 15. Juni 2008 zu einer Vergütung von 2400,00 € brutto (ist gleich 1521,02 € netto) beschäftigt ist, wäre er bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrags durch den Beklagten spätestens zum 1. Februar 2006 angestellt worden.

Der Kläger hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 16.988,23 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an ihn im Wege des Schadenersatzes den Betrag zu zahlen, der von ihm als Steuer auf einen Teilbetrag des im Antrag zu 1. genannten Betrages in Höhe von 3163,23 € - nach Maßgabe des Steuerbescheids für das Jahr, indem dieser Teilbetrag gezahlt wird - zu zahlen sein wird.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet, Insolvenzreife habe erst drei Wochen vor Antragstellung vorgelegen. Er ist der Auffassung, die vom Kläger geltend gemachten Positionen seien nach dem Schutzzweck der vom Kläger herangezogenen Normen nicht erstattungsfähig.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen; insoweit wird auf das Urteil Blatt 141 bis 149 der Akten Bezug genommen. Gegen dieses, ihm am 21. August 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 18. September 2009 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 21. Oktober 2009 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem Kläger ab 30. April 2007 kein Vertrauensschaden als Neugläubiger zustehe, der vom Schutzzweck der Haftungsnormen erfasst werde. Richtigerweise sei der Vertrauensschaden des Klägers nicht auf den 30. April 2007 begrenzt. Der Berufungskläger habe zu diesem Zeitpunkt keine positive Kenntnis von der Insolvenzreife gehabt. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht die Kenntnis der Zahlungsunwilligkeit mit der Kenntnis der Insolvenzreife gleichgesetzt. Der Anspruch scheitere auch nicht daran, dass der Kläger ab Mai 2007 keine Arbeitsleistung erbrachte. Zwar gewähre der BGH den Vertrauensschadensersatzanspruch nur insoweit, als in Unkenntnis der Insolvenzreife Leistungen erbracht wurden. Nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB könne jedoch nichts anderes gelten, wenn der Anspruchsgegner, hier der Beklagte, die Erbringung dieser Leistung ablehnt und unmöglich macht. Aufgrund der Mitteilung des Beklagten vom 30. April 2007 sei es dem Berufungskläger nicht mehr zuzumuten und wegen der Betriebsabmeldung auch nicht möglich gewesen, seine Arbeitsleistung zu erbringen. In Bezug auf einen Anspruch aus § 826 BGB berücksichtige das Arbeitsgericht zu Unrecht den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens. Im Bereich der Vorteilsausgleichung sei anerkannt, dass eine solche nicht erfolgt, wenn sie unbillig ist und gegen die guten Sitten verstößt. Daher dürfe auch hier das rechtmäßige Alternativverhalten nicht zur Anwendung kommen. Unabhängig hiervon verkenne das Arbeitsgericht, dass bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung und der dann verhinderten Verschiebung von Vermögenswerten sowie bei der damals wohl noch deutlich besseren Lage der Insolvenzschuldnerin eine Sanierung nicht ausgeschlossen gewesen sei und der Kläger möglicherweise heute noch dort beschäftigt wäre. Dass dies auszuschließen war, habe der Darlegungslast des Beklagten oblegen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 25. Juni 2009 - 7 Ca 286/08 - abzuändern und

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 16.988,23 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an ihn im Wege des Schadenersatzes den Betrag zu zahlen, der von ihm als Steuer auf einen Teilbetrag des im Antrag zu 1. genannten Betrages in Höhe von 3163,23 € -nach Maßgabe des Steuerbescheids für das Jahr, in dem dieser Teilbetrag gezahlt wird- zu zahlen sein wird.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend. Es treffe nicht zu, dass der Kläger am 30. April 2007 keine positive Kenntnis von der Insolvenzreife der Insolvenzschuldnerin gehabt habe. Nur deshalb habe er sein Arbeitsverhältnis außerordentlich gekündigt. Eine Sanierung der Insolvenzschuldnerin wäre auch im Jahre 2006 ausgeschlossen gewesen. Dies zu substantiieren sei jedoch Sache des Klägers.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Berufung ist statthaft, § 8 Abs. 2 ArbGG, § 511 Abs. 1 ZPO, § 64 Abs. 2b Arbeitsgerichtsgesetz. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 519, § 520 ZPO und damit insgesamt zulässig.

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass dem Kläger keine Schadenersatzansprüche gegenüber dem Beklagten zu stehen. Das Berufungsgericht macht sich die Gründe der angefochtenen Entscheidung zu Eigen und nimmt gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf sie Bezug. Das Vorbringen des Klägers in der Berufungsinstanz führt zu keiner abweichenden Beurteilung.

1. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger gegen den Beklagten keinen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 92 Abs. 2 AktG hat. Erstattungsfähig ist insoweit - neben dem Quotenschaden, der hier nicht geltend gemacht wird - lediglich der Vertrauensschaden (BGH 20. Oktober 2008-II ZR 211/07-DB 2009, 388, Randnummer 3; Landesarbeitsgericht Köln 26. Juli 2006-8 Sa 1660/05, NZA-RR 2007, 146, Randnummer 45). Aus diesem Grund kommt ein Schadensersatzanspruch in Höhe der nicht gezahlten Nettovergütung (Erfüllungsinteresse) nicht in Betracht (LAG Köln, a.a.O., Rn. 53). Auch der Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB ist auf das Erfüllungsinteresse gerichtet, da der Kündigende so gestellt werden soll, als wäre das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß fortgeführt worden (Erfurter Kommentar-Müller-Glöge, 10. Aufl., § 628 BGB Randnummer 22).

Einen Vertrauensschaden macht der Kläger nur insoweit geltend, als er vorträgt, er hätte bei der Firma B eine Vergütung in Höhe von 1521,02 € netto monatlich erzielen können. Insoweit überstieg jedoch, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, das erhaltene Insolvenzgeld eine mögliche Schadensersatzforderung. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung auch nicht.

Der Rechtsansicht des Beklagten, zwar gewähre der BGH den Vertrauensschadensersatzanspruch nur insoweit, als in Unkenntnis der Insolvenzreife Leistungen erbracht wurden, nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB könne jedoch nichts anderes gelten, wenn der Anspruchsgegner, hier der Beklagte, die Erbringung dieser Leistung ablehnt und unmöglich macht, folgt die Kammer nicht. Der Schutzzweck des § 92 Abs. 2 AktG besteht darin, denjenigen, der eine Vorleistung bringt, der kein werthaltiger Gegenanspruch gegenübersteht, zu entschädigen. Der BGH hat in seinem Beschluss zu § 64 Abs. 1 GmbHG vom 20. Oktober 2008 (II ZR 211/07, Rn. 3) die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, die auf Gesetz beruht und keinen Bezug zu einer auf diesen Zeitraum entfallenden Vorleistung des Arbeitnehmers hat, nicht als erstattungsfähigen Schaden angesehen. Wer -aus welchen Gründen auch immer- keine Vorleistung erbracht hat, ist in seinem Vertrauen auf eine Gegenleistung nicht schutzwürdig. § 64 Abs. 1 GmbHG soll wie § 92 Abs. 2 AktG potentielle Neugläubiger schon vor Eingehung der Geschäftsbeziehung mit einer insolventen Gesellschaft schützen um sie davor zu bewahren, dieser noch Geld- oder Sachkredit zu gewähren und dadurch einen Schaden zu erleiden (BGH 5.2.07 € II ZR 234/05 € BGHZ 171, 46 Rn 13; 25.7.05 € II ZR 390/03 € BGHZ 164, 50 Rn 17). Der Kläger hat mit Schreiben vom 2. Mai 2007 sein Arbeitsverhältnis gegenüber der insolventen Gesellschaft fristlos gekündigt und deshalb keine Arbeitsleistung mehr erbracht. Er ist also ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in Vorleistung getreten. Sein Schadenersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB wird vom Schutzbereich des § 92 Abs. 2 AktG daher nicht umfasst.

Darauf, ob der Kläger aufgrund der Äußerungen des Beklagten vom 30. April 2007 positive Kenntnis von der Insolvenzreife der A AG hatte, kommt es deshalb nicht an.

2. Dem Arbeitsgericht ist auch darin zu folgen, dass ein Anspruch aus § 826 BGB nicht besteht. Das Arbeitsgericht hat richtig erkannt, dass ein erstattungsfähiger Schaden insoweit nicht vorliegt, weil bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrags der Kläger keinesfalls besser gestanden hätte, was die Klageforderung betrifft. Ungenau ist insoweit lediglich, dass das Arbeitsgericht von einem "hypothetischen rechtmäßigen Alternativverhalten" spricht. Richtigerweise handelt es sich um ein qualifiziertes Bestreiten der Schadensentstehung. Dieser Einwand ist nicht nach den Grundsätzen zu behandeln, die beim Vortrag einer Reserveursache oder eines rechtmäßigen Alternativverhaltens gelten (BGH 18. Dezember 2007-VI ZR 231/06-BGHZ 175,58; 17. Oktober 2002-IX ZR 3/01-NJW 2003,295). Dem Kläger sind daher keine Erleichterungen hinsichtlich seiner Darlegungslast zuzubilligen. Er hätte substantiiert darlegen müssen, dass im Falle einer Insolvenzantragstellung im Jahr 2006 eine Sanierung der Insolvenzschuldnerin geglückt wäre. Dies ist nicht erfolgt. Die Berufungskammer musste auf diese Rechtslage den Kläger nicht gemäß § 139 ZPO hinweisen, da der Beklagte diese Frage zum Gegenstand seiner Berufungserwiderung (dort Seite 4, Blatt 195 der Akten) gemacht hat. Der im Termin vom 10. Mai 2010 erfolgte Hinweis der Berufungskammer auf die Entscheidung des BGH vom 18. Dezember 2007 diente lediglich der Bestätigung der Rechtsauffassung des Beklagten. Die Gewährung eines Schriftsatznachlasses für den Kläger war deshalb nicht erforderlich.

3. Da dem Kläger kein Schadensersatzanspruch zusteht, ist auch der Feststellungsantrag unbegründet.

III.

Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.






Hessisches LAG:
Urteil v. 10.05.2010
Az: 16 Sa 1581/09


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