Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Oktober 2001
Aktenzeichen: 34 W (pat) 24/00

(BPatG: Beschluss v. 18.10.2001, Az.: 34 W (pat) 24/00)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F 23 K des Deutschen Patent- und Markenamts vom 2. März 2000 aufgehoben und das Patent erteilt.

Bezeichnung: Verfahren zur Beschickung der Verbrennungseinheit eines Kohlekraftwerks Anmeldetag: 03. Juni 1997 Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentansprüche 1 und 2, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 18. Oktober 2001 Beschreibung Seite 3, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 18. Oktober 2001 Beschreibung Seite 3a, eingegangen am 03. März 1998 Beschreibung Seiten 4 bis 6 vom Anmeldetag 1 Blatt Zeichnung (1 Figur) vom Anmeldetag

Gründe

I Die Prüfungsstelle für Klasse F 23 K des Deutschen Patent- und Markenamts hat durch Beschluss vom 2. März 2000 die am 3. Juni 1997 eingereichte Patentanmeldung 197 23 145.4-15 mit der Bezeichnung

"Verfahren zur Beschickung der Verbrennungseinheiteines Kohlekraftwerks"

gemäß § 48 PatG zurückgewiesen.

Dem Beschluss lagen die Ansprüche 1 und 2 vom Anmeldetag zugrunde.

Die Zurückweisung wurde mit fehlender erfinderischer Tätigkeit des Verfahrens nach Anspruch 1 gegenüber der Entgegenhaltung

[2] DE 37 33 831 A1 begründet.

Gegen diesen Zurückweisungsbeschluss hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt und in der mündlichen Verhandlung vom 18. Oktober 2001 neue Patentansprüche 1 und 2 überreicht.

Der geltende Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

Verfahren zur Beschickung der Verbrennungseinheit eines Kohlekraftwerks, bei dem die Kohle zumindest teilweise mit Hilfe eines Rauchgasstroms in die Verbrennungseinheit gefördert wird, dadurch gekennzeichnet, dass als Rauchgasstrom zumindest teilweise der Rauchgasstrom einer Müllverbrennungsanlage eingesetzt wird, der zuvor weitgehend von Quecksilber und anderen Schwermetallen, Flugasche und Salzsäure befreit wurde.

Der hierauf rückbezogene Anspruch 2 entspricht dem ursprünglich eingereichten Anspruch 2, bezüglich dessen Wortlaut auf die Akte verwiesen wird.

Die Anmelderin begründet ihre Beschwerde im Wesentlichen damit, dass der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik patentfähig sei.

Sie beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent mit den im Beschlusstenor angegebenen Unterlagen zu erteilen.

Zum Stand der Technik sind im Prüfungsverfahren noch die Druckschrift

[1] DE 43 13 102 A1, sowie in der Patentbeschreibung die Literaturstelle

[3] Zelkowski, J., Kohleverbrennung, VEB Kraftwerkstechnik GmbH (1986), S 233 bis 235 genannt worden.

II Die Beschwerde ist zulässig und hat auch Erfolg.

1. Zu formalen Bedenken gegen die geltenden Unterlagen besteht kein Anlass.

Der Wortlaut des geltenden Anspruchs 1 stützt sich in zulässiger Weise auf die Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 1 sowie auf die ursprünglichen Beschreibungsstellen S 3, vorle. Z. f sowie S 4, drittvorle. Z. f.

Der geltende Anspruch 2 entspricht dem ursprünglichen Anspruch 2.

Bei der geltenden Beschreibung ist lediglich in den ursprünglichen Text die Würdigung des entgegengehaltenen Standes der Technik eingefügt.

2. Das Verfahren nach Anspruch 1 ist zweifelsfrei neu, da insbesondere das kennzeichnende Merkmal, wonach als Rauchgasstrom zur Förderung der Kohle in die Verbrennungseinheit eines Kohlekraftwerks zumindest teilweise der Rauchgasstrom einer Müllverbrennungsanlage eingesetzt wird, aus dem Stand der Technik nicht bekannt ist.

3. Der Gegenstand nach Anspruch 1 ist offensichtlich gewerblich anwendbar und beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit:

Die Anmeldung geht von einem Verfahren zur Beschickung der Verbrennungseinheit eines Kohlekraftwerks aus, bei dem die Kohle zumindest teilweise mit Hilfe eines Rauchgasstromes in die Verbrennungseinheit gefördert wird. Dieses Verfahren wird laut Beschreibungseinleitung unter dem Abschnitt Staubfeuerungen in der Literaturstelle [3] beschrieben; dort wird feingemahlene Kohle mittels heißer, aus der Verbrennungseinheit rezyklierter Rauchgase gemeinsam mit Sekundärluft pneumatisch in die Verbrennungseinheit gefördert (vgl. dort insb. Bild 116 iVm Text S 233, le Abs bis S 234).

Von diesem Stand der Technik ausgehend nennt die Anmeldung als Aufgabe, den Einsatz eines weiteren Rauchgases für die Staubfeuerung eines Kohlekraftwerks vorzuschlagen (Beschreibung S 3, vorle Abs). Diese Aufgabe soll mit den Merkmalen des Anspruchs 1 gelöst werden.

Die genannte Aufgabe enthält nach Auffassung des Senats jedoch bereits Lösungsansätze und liegt der Anmeldung nicht objektiv zugrunde, da nicht ersichtlich ist, weswegen ein diesbezüglich einschlägiger Fachmann, ein Maschinenbau-Ingenieur auf dem Gebiet der Kraftwerkstechnik, das Bedürfnis haben könnte, weitere Rauchgase von außerhalb seines Kohlekraftwerks einzusetzen, zumal die behördlichen Auflagen für die Rauchgase aus dem Verbrennungsraum des eigenen Kohlekraftwerks schon vergleichsweise hoch sind und zunehmend verschärft werden.

Ein Anstoß mag beispielsweise aus dem Bereich der Müllverbrennung kommen, in deren Anlagen ebenfalls Rauchgase entstehen, die jedoch weitaus vielfältigere Problemstoffe enthalten und daher umfangreicher Nachbehandlungsmaßnahmen bedürfen. Ein mit diesen Problemen betrauter Fachmann, ein Diplom-Ingenieur der Verfahrenstechnik oder ein Diplom-Chemiker, der langjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Müllverbrennung hat, wird daher nach einer wirtschaftlichen Behandlung von in einer Müllverbrennungsanlage entstehenden Rauchgasen suchen.

Hierbei lehrt ihm die Druckschrift [2], dass er bei der Verbrennung von organischem Material (wie z.B. Müll) die Bildung von hochtoxischen Dioxinen dadurch verhindern kann, dass die Wirbelschichtfeuerung, bei der das organische Material verbrannt wird, in Kombination mit dem Dampferzeuger einer Kohleverbrennungsanlage betrieben werden kann. Dies bedingt, dass sich die Müllverbrennungsanlage und ein Kohlekraftwerk in ummittelbarer räumlicher Nachbarschaft befinden müssen. Auf diese Weise kann die vorhandene Infrastruktur einer derartigen Kesselanlage mit den Wärmetauscherflächen zur Auskopplung der erzeugten Wärme sowie den Einrichtungen zur Staubabscheidung und Rauchgasreinigung auch für die Rauchgase aus der Wirbelschichtfeuerung voll genutzt werden (vgl. dort Sp 1, Z 68 bis Sp 2, Z 6). So braucht das Rauchgas der Müllverbrennungsanlage beispielsweise nicht von Stickoxiden und Schwefeloxiden befreit werden, wodurch entsprechende Abgasreinigungskomponenten in der Müllverbrennungsanlage eingespart werden können. Die Rauchgase aus der Wirbelschichtfeuerung 1 werden einschließlich mitgerissener Brennstoff- und Ascheteilchen direkt in den Feuerungsraum, und zwar unterhalb der Feuerungszone 23 in den Dampferzeuger 2 eingeleitet (aaO Sp 1, Z 63 bis 68 und Sp 3, Z 15 bis 18), um die Dioxine bei Temperaturen von vorzugsweise 1000¡ bis 1200¡C zu zerstören (aaO Sp 3, Z 18 bis 26). Für diese Temperaturen wird der Dampferzeuger beispielsweise mit Kohlenstaub 21 unter Zufuhr von Frischluft 22 befeuert (aaO Sp 3, Z 11 bis 13 iVm der Figur). Ein Rezyklieren von Rauchgas zur Kohlenstaubförderung, wie es beispielsweise in der Literaturstelle [3] für Staubfeuerungen gelehrt wird, ist dort nicht vorgesehen, vielmehr zeigt das Ausführungsbeispiel, wie ein Teil der Rauchgase in die Wirbelschichtfeuerung der Müllverbrennungsanlage zurückgeführt wird (aaO Sp 3, Z 35 bis 40).

Würde der vom Müllverbrennungs-Fachmann zur Anpassung der Betriebsparameter hinzugezogene Kohlekraftwerks-Fachmann auch rezykliertes Rauchgas aus der Müllverbrennung für die Staubfeuerung des Dampferzeugers entsprechend Druckschrift [3] in Erwägung ziehen, so ergäbe eine Zusammenschau der Lehren aus [2] und [3] allenfalls eine Staubfeuerung, bei der das rezyklierte Rauchgas aus dem Dampferzeuger zur Förderung des Kohlenstaubs in die Brennkammer der Staubfeuerung diente und das Rauchgas der Wirbelschichtfeuerung (Müllverbrennung) direkt in die Feuerungszone der Brennkammer eingeleitet würde. Dass dabei das Rauchgas der Wirbelschichtverbrennung des Mülls nicht wie nach [2] mit Brennstoff- und Ascheteilchen beladen ist, sondern vor dem Einleiten in die Verbrennungseinheit des Kohlekraftwerks gegebenenfalls sogenannten Sekundärmaßnahmen zur Abscheidung von Schadstoffen (wie Schwermetalle, Flugasche und Salzsäure) aus Rauchgasen in erforderlichem Umfang unterzogen wird, wie sie beispielsweise in [1] einleitend genannt werden (vgl. dort Sp 1, Z 9 bis 22), mag im Hinblick darauf, dass keine Verdünnung der Problemstoffe durch das insgesamt größere Rauchgasvolumen erfolgt, noch im Griffbereich des zuständigen Fachmannes für Müllverbrennungsanlagen liegen.

Der Senat sieht jedoch die weitere, darüber hinaus gehende Verfahrensmaßnahme als erfinderische Leistung an, nämlich den so gereinigten Rauchgasstrom der Müllverbrennungsanlage in Abkehr von der Lehre nach [2] direkt dem zur Kohleförderung der Staubfeuerung eingesetzten (rezyklierten) Rauchgasstrom zuzuführen, wodurch als die Kohle fördernder Rauchgasstrom zumindest teilweise der Rauchgasstrom der Müllverbrennungsanlage eingesetzt wird. Durch diese Maßnahme wird nämlich ein im Stand der Technik diesbezüglich nicht gelehrter Vorteil erzielt, der darin besteht, dass durch die wesentlich größere Oberfläche des Kohlenstaubes im Vergleich zum Flugstaub nach [2] die daran adsorbierten Schadstoffe, wie Dioxine und Furane, entsprechend wirkungsvoller gebunden und so ohne Mischungsprobleme wesentlich effektiver und unmittelbarer dem Verbrennungsprozess zugeführt und zerlegt werden.

Überdies ergibt sich der Vorteil, dass durch die weitere im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 angegebene Maßnahme der Schadstoffreinigung sich aufgrund des fehlenden Chlorgehaltes die in der Verbrennungszone zerlegten Dioxine und Furane praktisch nicht rekombinieren können.

So kann durch das vorgeschlagene Verfahren bei der an sich bekannten Kombination von Kohle- und Müllverbrennungsanlagen die Rauchgasreinigung noch weiter vereinfacht werden, wobei die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte weiterhin gewährleistet werden kann, ohne zusätzliche Probleme etwa in der Verwertung von Schlacke (aus der Kohleverbrennung) und Gips (aus der Rauchgaswäsche) zu verursachen. Diese Vorteile waren für den Fachmann im aufgezeigten Stand der Technik nicht erkennbar.

Soweit die Vorteile ursprünglich nicht oder nicht hinreichend offenbart waren, können sie hier gleichwohl Berücksichtigung finden, weil sie nicht den eigentlichen Inhalt und Sinn der technischen Lehre betreffen. Diese technische Lehre ist auch ohne die Erkenntnis dieser Vorteile bereits in sich abgeschlossen und verständlich (BGH, Bl 1971, 290, Hubwagen).

Der Anspruch 1 ist daher gewährbar.

4. Der auf den Anspruch 1 rückbezogene Anspruch 2 beinhaltet vorteilhafte, nicht selbstverständliche Maßnahmen zur Durchführung der Rauchgasreinigung und ist daher ebenfalls gewährbar.

Ch. Ulrich Hövelmann Dr. Frowein Dr. W. Maier Ko






BPatG:
Beschluss v. 18.10.2001
Az: 34 W (pat) 24/00


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